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Aufräumen im AlptraumwaldVon Joachim Lange / Fotos von Lutz Edelhoff / © Theater ErfurtDer Erfurter Intendant Guy Montavon setzt in seinem Kerngeschäft schon lange systematisch auf das Außergewöhnliche. So hat er seit der Eröffnung des neuen Hauses 2003 tatsächlich sein Versprechen gehalten, jedes Jahr eine Uraufführung zu stemmen und sich als regelmäßiger Ausgräber zu betätigen. Er hat aber auch einen Verdi mit Johan Kresnik riskiert und mit Giancarlo del Monaco Hänsel und Gretel als Atem raubenden Missbrauchsthriller über die Bühne gehen lassen. Die Domstufen-Festspiele sind als Sommerevent etabliert, selbst wenn jetzt diskutiert wird, nur alle zwei Jahre mit einer Neuproduktion aufzuwarten. Bei alledem hat die Oper eine Auslastung von ansehnlichen 80 Prozent erreicht. Wie sich diverse Fusionsbegehrlichkeiten nach dem Abgang von Stephan Märki aus Weimar entwickeln werden, gehört zu den offenen Fragen der Thüringer Kulturpolitik. Montavon signalisiert vorsorgliche Kooperationsbereitschaft an den künftigen Partner. Der steht seit Kurzem fest, heißt Hasko Weber und wird vom Chefposten des Schauspiels in Stuttgart auf den des Deutschen Nationaltheaters in Weimar wechseln. Am Anfang die Außenseiter: Agathe und Max
Weil der Umtriebige Erfurter Opernchef weiß, dass heutzutage Namens-Klappern zum Intendanten-Handwerk gehört, wundert man sich nicht, wenn Katharina Thalbach in Erfurt die Fledermaus flattern lässt, oder in der laufenden Spielzeit, die immerhin mit Meyerbeers Grand Opera vom Teuflischem Robert (unsere Rezension ) eröffnet wurde, der Schauspieler Dominique Horwitz als Oper-Regisseur debütiert. Der Mann mit den markanten Ohren hat nicht nur eine ausgeprägte Vorliebe - und Fähigkeit - fürs Singen, sondern, nach seinem Meininger Sommernachtstraum vor zwei Jahren, offenbar auch Regie-Blut geleckt. Wieder an einem Haus in seiner Wahlheimat Thüringen hat er sich jetzt ohne jeden Anflug von Debütantenfurcht vor heiligen Repertoirekühen gleich die mit Gassenhauern gespickte Nationaloper vorgenommen. Max und der Strippenzieher Kaspar
In diesen deutschen Opern-Alptraumwald schlechthin hat er sich vor mehr als 20 Jahren über die Musical-Version der Gruselstory von der Angst des Schützen vor dem Abdrücken, sozusagen durchs Unterholz geschlichen: als Teufel Stelzfuß im Hamburger "Black Rider" von Waits und Wilson. Der damalige Erfolg war zumindest kein Hinderungsgrund, das Angebot von Erfurts marketinggewieftem Opernchef anzunehmen. So lernte Horwitz jetzt das Weber-/Kind-Original aus dem Jahre 1821 dann doch noch kennen! Und diese Oper einen Künstler, der eine klare Position zu dem bezieht, was er macht. Bis hin zum Statement, dass die Geschichte, so wie sie dasteht, falsch erzählt wird. Was man ja nun tatsächlich über so manchen Hit des Repertoires sagen könnte, wenn da nicht das Überhören und Übersehen zu den Rezeptionsgewohnheiten gehören würde. Den musikalischen Fluss der Weber'schen Reißer immer wieder zu stoppen, sie zu filetieren und portioniert umzustellen, kriegt wohl nur fertig, wer nicht schon zum x-ten Mal auf seine jeweilige Lieblingsstelle wartet, und sich Mühe geben muss, nicht einfach beim Jungfernkranz und dem Jägervergnügen mit zu trällern. Agathe und Ännchen
In der auf nicht mal zwei Stunden eingedampften Fassung von Horwitz gibt's am Anfang einen Aufmarsch des alptraumhaft deformierten Personals, im Hintergrund einen echten Geier und einen Schnelldurchlauf der Hits. Ohne Ouvertüre kommt der schlanke Bursch gegangen, wird auf die Braut getrunken, gibt's ein Stück aus dem Jungfernkranz (bei dem eine Hexenriege den Wald auf eine verheizbare Klaftergröße verhackstückt) und ein Häppchen Jägerchor. Den jeweiligen Rest gibt's später. Vieles landet, neben dem armen Kettenhund der Base, im Papierkorb. Horwitz erzählt die Geschichte eines von ihrer deformierten Umwelt am Zusammenkommen gehinderten Paares. Agathe und Max sind dabei die "normalen" Sympathieträger, sehen so aus und beglaubigen das in Gestalt von der mit exzellenter Höhe aufwartenden Kelly God und des, bei all der im Treppenbühnenbild von Hank Irwin Kittel verlangten Kletterei, konditionsstarken Andreas Schager auch stimmlich. Das Paar (!) Ännchen und Kaspar sind hier die Strippenzieher. Der Rauschebart-Eremit ist wie immer der Beschützer im Hintergrund. Der Fürst und der Eremit
Zu überstehen ist der Wolfsschlucht-Abstieg, für den eine Etage mit düsterem Wurzelwerk aus der Versenkung auftaucht. Aus dem Graben wird das von GMD Walter E. Gugerbauer mit ein paar Latino-Fremdrhythmen und Nibelheimgeklapper aufgemotzt. Sonst verbleibt er mit dem Philharmonischen Orchester Erfurt auf mittlerer Freischütz-Temperatur. Am Ende kommt es wie es kommen muss: Max und Agathe werden eingemeindet und bekommen auch so einen arg degeneriert wirkenden Lemuren-Kopfschmuck verpasst wie alle anderen. FAZIT Im Grunde hat Horwitz mit seinem musikalischen Häppchen-Menü im psychologisierenden Fantasy-Land den guten, alten Freischütz in seiner vermeintlichen, und tatsächlichen, dramaturgischen Unvollkommenheit "aufgeräumt". So ähnlich wie der Schweizer Künstler Ursus Wehrli alles Mögliche aufräumt und neu sortiert. Aber was hat man schon von einem aufgeräumten Wald? Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Chor
Dramaturgie
Statisterie des Theaters Erfurt Solisten
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