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Maria Tudor
(Maria Regina D'Inghilterra)


Oper in drei Akten

Libretto von Leopoldo Tarantini nach dem gleichnamigen Schauspiel von Victor Hugo

Musik von Giovanni Pacini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 17. März 2012



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Schauerromantik im Belcanto

Von Thomas Molke / Fotos von Rolf K. Wegst

Seit mehreren Jahren hat es sich das Stadttheater Gießen nun schon zur Aufgabe gemacht, vergessene Werke der Opernliteratur auszugraben. Ein Schwerpunkt bei diesen Wiederentdeckungen liegt im Bereich des Belcanto, doch während in den vergangenen Spielzeiten Raritäten von durchaus bekannten Komponisten wie Donizetti oder Bellini auf dem Spielplan standen, hat man sich in dieser Spielzeit mit Giovanni Pacini für einen Komponisten entschieden, bei dem neben dem Werk auch der Name heutzutage in Vergessenheit geraten ist, obwohl er in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts fast unangefochten an der Spitze des späten Belcanto in Italien stand, da Rossini sich zu dieser Zeit bereits von der Bühne verabschiedet hatte, Bellini bereits verstorben war und Donizetti sich hauptsächlich auf europäischen Bühnen außerhalb Italiens versuchte. Doch dieser große Ruhm war nur von kurzer Dauer, denn eine neue Komponistengeneration um Giuseppe Verdi beendete die Belcantotradition und schuf einen neuen stimmlich expressiveren Stil, so dass auch für Maria Tudor 1858 auf Malta der letzte Vorhang fiel, bevor die Oper 1983 für das Camden-Festival in London wiederentdeckt wurde. So stellt die Gießener Produktion eine moderne deutsche Erstaufführung dar.

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Maria Tudor (Giuseppina Piunti) mit ihrem Pagen (Odilia Vandercruysse, Mitte hinten) und Churchill (Riccardo Ferrari, rechts) (im Hintergrund: Chor).

Auch wenn die Rahmenhandlung der Oper auf der historisch belegten Herrschaft der Tochter des Tudor-Königs Heinrich VIII. mit seiner ersten Frau Katharina von Aragon, Maria Tudor, basiert, wird auf Historizität im Libretto nicht nur verzichtet, sondern es werden der Titelfigur zusätzlich charakterliche Eigenschaften zugesprochen, für die wohl eher Marias jüngere Halbschwester und spätere Regentin, Elisabeth I., Patin gestanden haben dürfte. So erinnert Marias Vorliebe für den jungen Riccardo Fenimoore deutlich an Elisabeths Beziehung zu dem Earl of Essex, dem Donizetti in der sechs Jahre vorher in Neapel uraufgeführten Oper Roberto Devereux ein Denkmal gesetzt hatte. Fenimoore betrügt die Königin mit der jungen Clotilde, die der Arbeiter Ernesto als Säugling aufgenommen und erzogen hat und nun selbst heiraten möchte. Churchill, ein einflussreicher Berater der Königin, setzt alles daran, Fenimoore bei der Königin in Ungnade fallen zu lassen. So schmiedet er gemeinsam mit Ernesto eine Intrige, nach der Fenimoore der Königin angeblich nach dem Leben getrachtet haben soll. Maria lässt Fenimoore und Ernesto in den Tower sperren. Zur gleichen Zeit stellt sich heraus, dass Clotilde die jüngste Tochter des Earl of Talbot ist, der samt seiner restlichen Familie bei religiösen Unruhen von Marias Vater auf den Scheiterhaufen gebracht worden ist. Maria erhebt Clotilde erneut in den Adelsstand und gibt ihr die Möglichkeit, Fenimoore vor der Hinrichtung zu bewahren und heimlich mit ihm zu fliehen. Doch Clotilde wird sich ihrer tiefen Gefühle für Ernesto bewusst und beschließt, lieber ihn vor dem Schafott zu bewahren. So muss Maria schweren Herzens erfahren, dass Fenimoore doch hingerichtet worden ist und sucht fortan Halt in der Religion, worin sich vielleicht der einzige Bezug zur historischen Maria widerspiegelt, die aufgrund ihres harten Vorgehens gegen die Protestanten auch den Spitznamen "Bloody Mary" erhielt.

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Maria Tudor (Giuseppina Piunti) liebt Riccardo Fenimoore (Leonardo Ferrando).

Joachim Rathke konzentriert sich in seiner Personenregie vor allem auf Parallelen zwischen den beiden weiblichen Hauptpartien. So lässt er sowohl Clotilde, als auch Maria bereits während der Ouvertüre in einem langen weißen Unterhemd auftreten und Zeuge einer Hinrichtung werden, die das Ende schon vorwegnimmt. Bei scheinbar gleicher Ausgangssituation für die beiden Frauen entwickeln sie sich in eine gegensätzliche Richtung. Während Clotilde noch das verträumte kleine Mädchen ist, das sich an ihr Kissen drückt und in ihr Tagebuch die Worte aus Gildas berühmter Arie "Caro nome" schreibt, wird Maria in einem langen schmal geschnittenen weißen Kleid und goldenem Umhang zu einer unberechenbaren Herrscherin, wobei eine Maske meistens einen großen Teil ihres Gesichtes verdeckt. Im zweiten Akt hat sie dieses königliche Outfit jedoch abgelegt und wirkt  in ihrem roten Kleid wie eine Herrscherin, die von ihrer Leidenschaft beherrscht wird, wobei ihre Jacke das karierte Muster von Fenimoores Hose aufgreift, um anzudeuten, wie sie dem jungen Günstling erlegen ist. Clotilde hingegen nähert sich im weiteren Verlauf der Handlung mit dem erneuten Aufstieg in den Adelsstand in einem eng anliegenden weißen langen Kleid, das sie nahezu königlich wirken lässt, einer wahren Regentin an, was auch durch die Möglichkeit, den Geliebten vor der Hinrichtung zu bewahren, unterstützt wird. Doch in dieser Rolle fühlt sie sich nicht wohl, und so befreit sie sich am Ende aus dem engen Kleid, um wieder zu dem einfachen Mädchen zu werden, das bei dem bodenständigen Ernesto Halt findet.

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Doch Fenimoore (Leonardo Ferrando) benutzt die Königin nur für seine eigenen Interessen (rechts neben dem Thron: Odilia Vandercruysse als Page, dahinter: der Chor).

Die ausgeklügelte Personenregie und die von Dietlind Konold entworfenen stimmigen Kostüme werden durch ein grandioses Bühnenbild von Lukas Noll unterstützt, das mit der Lichtregie von Kati Moritz eine regelrechte Schauerromantik aufkommen lässt. So erinnern die diversen Bögen zum einen an ein Verlies im Tower, zum anderen mit ihren Spitzen auch an die Zacken einer Königskrone. Des Weiteren ermöglichen sie dem Chor und den Protagonisten ein ständiges heimliches Beobachten der Handlung. So bleibt kein Geheimnis verborgen. Durch Einsatz der Drehbühne lassen sich aus diesen Bögen unterschiedliche Räume erzeugen. Die Lichtreflexionen schimmern mal in Grün-Blau, was mit den Geräuschen von tropfendem Wasser Assoziationen zu unterirdischen Kanälen erzeugt, mal in Rot-Gelb, was einen Ausblick auf die blutige Verfolgung der Protestanten mit zahlreichen Verbrennungen gibt. In der Mitte dieser Bögen befindet sich eine weitere drehbare Scheibe mit Marias Thron, einem riesigen Bett und zwei Stelen mit Glasaufsatz, wobei die eine die Bibel und die andere die Königskrone enthält. Bemerkenswert ist, dass Maria eher selten auf dem Thron sitzt, während Churchill diesen häufig besetzt hält, was deutlich macht, wer an diesem Königshof der eigentliche Drahtzieher ist. Maria befindet sich vor allem im zweiten Akt eher im Bett, weil sie sich von ihren Gefühlen zu Fenimoore und noch nicht durch die erforderliche Staatsräson lenken lässt.

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Clotilde Talbot (Maria Chulkova) liebt Ernesto (Adrian Gans).

Zu der durchweg überzeugenden Inszenierung kommt noch eine musikalische Umsetzung, die das Publikum zu regelrechten Begeisterungsstürmen veranlasst. Eraldo Salmieri, der in Gießen bereits für Maria Stuarda, La Favorita und La Cenerentola die Publikumsgunst gewonnen hat, wird seinem Ruf gerecht und zaubert mit dem Philharmonischen Orchester Gießen auch für diese Belcanto-Rarität einen Klang aus dem Graben, der in seiner Expressivität dem frühen Verdi sehr nahe kommt. Neben dem von Jan Hoffmann einstudierten und um den Extrachor erweiterten Chor des Stadttheaters Gießen, der sich gesanglich homogen und kraftvoll, darstellerisch in den schwarzen Kostümen teils als bedrohliche Masse, teils als leicht manipulierbarer Mob präsentiert, werden einige Partien von Ensemble-Mitgliedern hochrangig besetzt. Da ist zunächst Odilia Vandercruysse zu nennen, die die stimmlich kleine Rolle des Pagen mit einer enormen Bühnenpräsenz ausstattet. So lugt sie stets recht bedrohlich hinter einem Bogen hervor und wirkt unberechenbar und gefährlich. Adrian Gans, der bereits in der letzten Spielzeit als Titelfigur in Lo Schiavo glänzte, macht auch als Ernesto mit kraftvollem Bariton deutlich, warum Clotilde ihm am Ende den Vorzug gibt. Maria Chulkova begeistert als Clotilde mit mädchenhaftem, lyrischem Sopran und bewegendem Spiel.

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Maria (Giuseppina Piunti, Mitte) ist am Boden zerstört. Fenimoore ist hingerichtet worden. (im Hintergrund von links: Page (Odilia Vandercruysse), Churchill (Riccardo Ferrari), Raoul (Vito Tamburro) und Clotilde (Maria Chulkova), dahinter der Chor).

Giuseppina Piunti in der Titelrolle als Gast zu bezeichnen, entspricht eigentlich nur bedingt der Realität, da sie seit nunmehr zehn Jahren als faszinierende Sängerdarstellerin großer Belcanto-Heroinen wie Lucrezia Borgia, Leonore aus La Favorita, Elisabetta aus Maria Stuarda und Norma das Gießener Publikum begeistert. Mit der Rolle der Maria Tudor fügt Piunti ihrem Repertoire nun eine weitere große Frauengestalt des Belcanto hinzu, wobei ihre Stimmfärbung an einigen Stellen für die Partie schon fast zu schwer wirkt. Dennoch stattet sie die anspruchsvolle Partie mit expressiver Darstellung und großer Dramatik aus. Vor allem ihre Auftrittskavatine im zweiten Akt, in der sie ihre Besorgnis darüber ausdrückt, dass Churchill versuchen könnte, ihrem Günstling Fenimoore zu schaden, und ihre Arie am Ende des dritten Aktes, in der sie den Tod Fenimoores beklagt, legen ein Zeugnis von Piuntis großartiger Stimmführung ab. Mit Leonardo Ferrando steht ihr als Riccardo Fenimoore ein Sängerdarsteller zur Seite, dessen tenorale Stimme keinerlei Wünsche offen lässt. Während Ferrando darstellerisch einen eher unsympathischen Latin Lover mit Macho-Allüren mimt, lässt er mit strahlendem, absolut höhensicherem Tenor die Damenherzen höher schlagen. Dabei vermeidet er jegliches Forcieren, so dass seine Stimme stets federleicht klingt. Höhepunkt seiner Darbietung stellt die Cabaletta im dritten Akt dar, in der er hofft, der Hinrichtung doch noch zu entgehen. Riccardo Ferrari gibt mit profundem Bass einen durchtriebenen Churchill, der nur seinen eigenen Vorteil im Blick hat.

FAZIT

Diese Ausgrabung in Gießen sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen, weil die musikalische Leistung ebenso überzeugt wie die szenische Umsetzung. (Weitere Termine: 29. März 2012, 8. und 28. April 2012 und 5. und 17. Mai 2012)


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(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Eraldo Salmieri

Inszenierung
Joachim Rathke

Bühne
Lukas Noll

Kostüme
Dietlind Konold

Licht
Kati Moritz

Chor

Jan Hoffmann

Dramaturgie
Christian Steinbock

 

 

Chor und Extrachor
des Stadttheater Gießen

Philharmonisches Orchester
Gießen



Solisten

Maria Tudor
Giuseppina Piunti

Riccardo Fenimoore
Leonardo Ferrando

Ernesto Malcolm
Adrian Gans

Clotilde Talbot
Maria Chulkova

Gualtiero Churchill
Riccardo Ferrari

Ein Page
Odilia Vandercruysse

Raoul
Vito Tamburro

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Stadttheater Gießen
(Homepage)



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