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La Traviata

Melodramma in drei Akten
Libretto von Francesco Maria Piave
nach dem Drama La Dame aux camélias von Alexandre Dumas d.J.
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (keine Pause)


Premiere an der Staatsoper Hannover am 17. September 2011
(rezensierte Aufführung: 16.10.2011)

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Violetta allein mit uns

Von Joachim Lange / Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Picture

Die einen lassen zum Spielzeitauftakt namhafte Dilettantinnen aus der Filmbranche auf die Oper der Opern, los (Doris Dörrie mit Don Giovanni in Hamburg) - und fallen mit Pauken und Trompeten durch. Andere mühen sich redlich mit großformatigen Ausgrabungen (wie Köln mit Krieg und Frieden von Prokofjew) oder versuchen sich gleich an einer Grand opera (wie Karlsruhe an den Tojanern von Berlioz ). In Hannover beginnt man schlicht und einfach mit Verdis Traviata. Doch was wie eine Auf-Nummer-sicher-Entscheidung aussieht, entpuppt sich als Sensationserfolg der eher unvermuteten Art! Und das obwohl (oder weil?) einer der wilderen Protagonisten des angeblich ja längst verblichenen Regietheaters am Werke ist.

Vergrößerung in neuem Fenster Sie war allein.

Regisseur Benedikt von Peter macht so gut wie alles, was man normalerweise so machen muss, um ein Stück in den Augen der Puristen zu ruinieren und einen Teil des Publikums auf die Palme zu bringen. Dass er das Orchester und seinen Dirigenten Gregor Brühl auf die Bühne, in den Hintergrund, verfrachtet, ist dabei noch das Harmloseste. Er verweigert seiner Violetta (von Versatzstücken abgesehen) die große Robe, vor allem aber den großen Ballauftritt. Den Herren um sie herum enthält er nicht nur Frack und Zylinder vor, er verbannt sie sogar komplett von der Bühne und lässt sie nur aus dem Halbdunkel des ersten Ranges singen. Der Chor bleibt gleich ganz unsichtbar.

Vergrößerung in neuem Fenster

Sie ist allein.

Aber damit nicht genug – Karin Wittig reduziert das gesamte Bühnenbild auf eine fahrbare Tür und ein ebenso mobiles Fenster, einen Tisch, zwei Stühle und eine Minigarderobe. Sonst gibt es nur noch ein altes Kofferradio, das die Wiederholung des Duetts Alfredo Violetta und – beim Auftritt der Toreros - sogar einen kleinen Technoangriff auf Verdi beisteuert. Er lässt Violetta laut in ein Mikrofon atmen, fügt Sprechtexte ein, in denen sie – ganz Kurtisane - auf Englisch das Publikum fragt, ob denn ihre einzelnen Körperteile gefallen. Und dann lässt er sie auch noch während einer Arie über die Reihen mitten in den Zuschauerraum klettern! Und was passiert?

Vergrößerung in neuem Fenster Sie bleibt allein.

Der Szenen-Beifall des Publikums begleitet sie solange, bis sie wieder auf der Bühne angelangt ist, während aus dem Foyer die Karnevalsmusik von Ferne in den Saal dringt. Und auch die letzte Regisseurs-Sünde begeht Benedikt von Peter: seine Violetta bricht nicht einfach nach den letzten Tönen des Orchesters tot zusammen, sondern spricht noch einmal auf Englisch ihr Motto in den Saal, dass dies alles für uns sei. Und das Hannoveraner Publikum? Im Dunkel hat da wohl mancher mit Tränen der Ergriffenheit zu kämpfen. Und dann stehende Ovationen!

Es ist geradezu unglaublich, dass man ausgerechnet Verdis La Traviata auf diese Weise dem nahezu vollzählig versammelten Instrumentarium eines dekonstruierenden Theaters aussetzen und eine derartig unmittelbare Wirkung damit erreichen kann! Wenn man es kann. Denn gegen alle Wahrscheinlichkeit greift diese Traviata sehr schnell ans Herz. Und brennt sich ins emotionale Gedächtnis ein. Und zwar gerade, weil dieses darstellerische Solo – denn genau das ist es - einer grandiosen Sängerdarstellerin nichts von einer naturalistischen Rührseligkeit enthält oder die böse Männerwelt gegen die wahrhaft Liebende antreten lässt. Das alles passiert natürlich auch, aber es geschieht einzig und allein in Violettas Vorstellung. Und die wird dem Zuschauer in jeder Sekunde, in jedem „inneren“ Dialog so lebendig vor Augen geführt, als wären alle Sänger vor Ort. So nah wie Nicole Chevalier mit Verdis schöner Schmerzensfrau auf uns zu kommt, hat das bislang kaum jemand gewagt. (In Hannover erzielte vor Jahren allenfalls Leandra Overmann als Azucena in Bietos Trovatore eine ähnliche Wirkung). Nicole Chevalier kann selbst die Geldscheine, die ihr Alfredo eigentlich als Demütigung vor die Füße wirft, aus ihrem Slip hervorholen, ohne dass das auch nur den Anflug von Peinlichkeit hat.

Vergrößerung in neuem Fenster

Sie stirbt allein.

Benedikt von Peter, sein Team und die vokal ideale und darstellerisch schlichtweg grandiose Nicole Chevalier haben sich offenbar so in diese Musik und in diese längst herauf und herunter interpretierte Geschichte vertieft und dabei alle Rezeptionsgewohnheiten vergessen, dass sie selbst erschüttert gewesen sein müssen, was sie dahinter an menschlicher Leidenschaft und Leidensfähigkeit, an Selbstaufgabe und Wahrhaftigkeit, an Martyrium der Liebe fanden. Und es ist ihnen und denen, die sich bis zur Aufgabe ihrer szenischen Anwesenheit einfügen, gelungen, diese Erschütterung weiterzugeben.

Dass Geniestreiche dieser Art möglich sind, braucht aber auch noch zwei weitere Voraussetzungen: Einen Intendanten wie Michael Klügl, der den Mut hat, Regisseure wie den in Berlin ziemlich attackierten von Peter ein riskantes Konzept umsetzen zu lassen, und ein Publikum, das über die Jahre hin doch so neugierig geworden ist, dass es bereit ist, alles, was es über ein Stück bisher zu wissen meinte, zu vergessen und sich auf Oper als Abenteuer einzulassen. Wenn alles zusammenkommt, dann gibt es als Belohnung für uns alle so etwas wie diesen Hannoveraner Traviata-Coup.

Gregor Bühl am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters gelingt es, Emotionen zu entfachen und dabei eine komplizierte Klanglogistik sicher im Griff zu behalten. Philipp Heos Alfredo überzeugt mit klangschöner Sicherheit als Alfredo ebenso wie Brian Davis als großformatiger Giorgio Germont. Das gesamte Ensemble und der Chor sind in bester Verfassung.


FAZIT

Die gerade angelaufene Spielzeit hat mit dieser Traviata bereits einen ihrer Höhepunkte. Sie bietet musikalisch und vokal ein hohes Niveau. Sensationell ist die Violetta von Nicole Chevalier – vokal ohne Tadel, darstellerisch rückhaltlos und damit schlichtweg ergreifend. Ebenso überwältigend ist die radikale Inszenierung von Benedikt von Peter. Es straft all jene Lügen, die dem sogenannten Regie- (oder Regisseurs-)theater schon das Totenglöckchen läuten. Man muss es halt nur können und zum Kern der Werke, die man auf die Bühne bringt, durchdringen. Die Oper in Hannover jedenfalls hat sich gleich zum Spielzeitauftakt mit einem Coup zu Wort gemeldet. Bravi!



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gregor Bühl

Inszenierung
Benedikt von Peter

Bühne
Katrin Wittig

Kostüme
Geraldine Arnold

Licht
Susanne Reinhardt

Choreinstudierung
Dan Ratiu

Dramaturgie
Sylvia Roth


Chor der Staatsoper Hannover

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover


Solisten

Violetta Valéry
Nicole Chevalier

Alfredo Germont
Philipp Heo

Giorgio Germont
Brian Davis

Flora Bervoix
Julie-Marie Sundal

Annina
Neele Kramer

Gastone
Ivan Turšiæ

Barone Douphol
Michael Chacewicz

Marquese D'Obigny
Young Kwon

Dottore Grenvil
Daniel Eggert

Giuseppe
Hyun-Bon Kil

Domestico
Woo-Jung Kim

Commissionario
Marek Durka


Weitere Informationen
erhalten Sie von der


Staatsoper Hannover
(Homepage)





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