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Musiktheater
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Il trittico
Drei Operneinakter von Giacomo Puccini

Il tabarro (Der Mantel)

Text von Giuseppe Adami nach dem Schauspiel La Houppelande (1910) von Didier Gold

Sour Angelica
(Schwester Angelica)
Text von Giovacchino Forzano

Gianni Schicchi

Text von Giovacchino Forzano nach einer Episode aus dem 30. Gesang des Inferno aus
La Commedia Divina
(1321) von Dante Alighieri

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden 10 Minuten  (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Hannover am 2. Juni 2012









Theaterlogo

Staatsoper Hannover
(Homepage)

Assoziationen, Assoziationen...

Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk

Giacomo Puccinis letztes vollendetes Opernwerk Il trittico stand als letzte Premiere der Saison auf dem Spielplan des Opernhauses Hannover. Die Kombination dreier völlig unterschiedlicher Einakter – Krimi, Rührstück und Komödie – hat ihren ganz besonderen Reiz, nicht nur in der Gegensätzlichkeit ihrer Handlungen, sondern auch in der ihrer Musik. Puccini hat dieses Werk gerade wegen dieser Kontraste sehr geliebt.

Regisseur Sebastian Baumgarten versucht, die drei Stücke mit verbindenden Elementen zu versehen, benennt sie mit SCHULD, SÜHNE und VERHEISSUNG, lässt einzelne Requisiten und Bilder in allen drei Opern auftauchen – kann aber weder damit noch mit dem Rest seiner Regiearbeit überzeugen. Ein Höhepunkt zum Abschluss der Saison ist diese Produktion nicht, allenfalls ein trauriger.

Alexander Wolf hat mit einem drehbaren Gebäude ein sehr reizvolles Einheitsbühnenbild geschaffen, das mit wenigen Veränderungen und Beleuchtungseffekten (Licht: Susanne Reinhardt) unterschiedliche Räume in unterschiedlichen Stimmungen schaffen kann. Ein wundervoller szenischer Ausgangspunkt, der mit stimmiger Personenregie den Rahmen für eine großartige Produktion bilden könnte. Könnte...

Szenenfoto Miriam Gorden Stewart (Suor Angelica)

Frage: „In Deinen Inszenierungen gibt es ja eine Metaebene in Form von Bild- oder Textprojektionen, die eine Art Kommentar zur Szene bilden.“
Baumgarten: „Ich würde das nicht Kommentar nennen, denn das klingt nach Erklärung oder Belehrung. Das sind mehr Assoziationen, gelesene Texte, Bilder, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem Primärtext ergeben. Manchmal funktioniert das eher intuitiv, wobei ich dann selber nicht genau die Bedeutung definieren könnte. Es gibt zunächst einfach das Gefühl, dass der Zusammenhang stimmt. Man muss da auch eine gewisse Offenheit zulassen, denn wenn ich Angst davor habe, dass die Assoziation zu lose ist, besteht die Gefahr, dass ich sie fester binden möchte und sie dadurch zu belehrend oder überpointiert wird.“ (Programmheft, S. 19)

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Kelly God (Giorgetta), Brian Davis (Michele)

Dieser Offenbarungseid des Regisseurs macht die ganze Willkür deutlich, mit der er einem Bühnenwerk zu Leibe rückt. Denn auch wenn er sich hier auf seine ungebändigte, inflationäre und meist unverständliche Projektionswut bezieht, diese Einstellung findet sich in der ganzen Inszenierung wieder. Die Assoziationen und persönlichen Gedanken eines Regisseurs interessieren nur soweit, wie sie zur Erhellung, zur tieferen Einsicht oder zu einer anderen Sichtweise des Stückes beitragen können. Dazu müssen sich diese persönlichen Assoziationen aber auch dem Zuschauer erschließen. Das tun sie aber nur höchst selten – wenn überhaupt und wenn sie überhaupt zu sehen sind. Einige Texte werden einfach nur projiziert, ohne dass man mehr als einzelne Worte lesen kann. Die Szenen, die hinter dem Bühnenbau stattfinden und die Bilder, die dorthin projiziert werden, kann nur die Mitte des Parketts sehen. Das ist obendrein auch ein grober regiehandwerklicher Fehler. Doch das scheint das Produktionsteam nicht zu kümmern. Die „Kunst“ wird produziert und dem Zuschauer vorgesetzt. Um es ganz deutlich zu sagen: Es geht nicht darum, sich darüber Gedanken zu machen, ob eine Regiearbeit dem Publikum gefallen könnte. Es geht darum, dem Publikum überhaupt die Chance zu geben, verstehen zu können, was gemeint ist. Aber wenn man das als Regisseur selbst nicht weiß…

Vergrößerung in neuem FensterVincent Wolfsteiner (Luigi), Brian Davis (Michele)

…dann hat man offensichtlich auch keine Hemmungen, einem Werk mehr zu nehmen als man ihm geben kann. Die Oper hat ihre ureigenen Mittel, Geschichten und Emotionen lebendig werden zu lassen und damit ihre unantastbare Daseinsberechtigung. Da kann man filmische Mittel getrost dem Film überlassen und eingängige Plattheiten den Privatfernsehsendern. Denn dies ist ein weiteres Problem dieser Produktion: Feine und subtile Szenen sucht man bei Baumgarten vergebens. Wo Librettist und Komponist fein gewürzt haben, serviert der Regisseur mit Ketchup und Majo.

Aus ehrlichen, aber einfachen und ärmlichen Seine-Schiffern werden mit Menschen und/oder Tieren handelnde Piraten im „Fluch der Karibik“-Look (Kostüme: Marysol del Castillo). Zu emotionalen Gesängen voller Sehnsucht nach Heimat und ein bisschen Wohlstand wird swingend getanzt. Luigi verteilt sozialismus- oder antifaschismusverdächtige Flugblätter und befreit die Tiermenschen aus ihren Käfigen, in deren einen er dann später selbst von Michele zum Schlafen gelegt wird. Die Szene Luigi/Giorgetta, in der sie sich librettogemäß zu einem Stelldichein verabreden, mit aller Sehnsucht und Sinnlichkeit und auch mit Giorgettas schlechtem Gewissen, Michele zu betrügen, ist ein auch musikalisch sehr intensiv ausgearbeiteter Vorgang, subtil und  leidenschaftlich. Bei Baumgarten nimmt Luigi Giorgetta von hinten und ejakuliert dann in hohem Bogen deutlich sichtbar auf den Bühnenboden. Das beschreibt einen der heftigsten Vorwürfe, die dem Regisseur zu machen sind: Er vertauscht das Feinsinnige gegen das Grobe und Platte, ja Primitive. Das ist noch nicht einmal als „überpointiert  zu bezeichnen, sondern als destruktiv.

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Schwestern, Miriam Gorden-Stewart (Suor Angelica, Mitte)

Zum schlechten Schluss eliminiert der Regisseur auch das der Oper den Namen gebende Symbol des Mantels, der früher als Schutz des Kindes und der einst glücklichen Familie diente und unter dem nun der getötete Luigi Giorgetta präsentiert werden sollte. Anstatt sie der Schmach und psychischen Demütigung auszusetzen, ersticht Michele Giorgetta. Erneut werden Bilder von afrikanischen Ureinwohnern projiziert, auch ein Bild von der Krönung Elisabeths II ist dabei. Kolonialismuskritik, Arbeiterrechte und auch ein vielsagendes Symbol aus Werkzeugen hinterfragen eine Geschichte, die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich der Regisseur in seinen eigenen Gedanken verheddert hat. 

Ohne Pause geht die Musik in die zweite Oper über. Vor einem Christusbild beten rotgekleidete Frauen mit vor- und zurückwiegenden Körperbewegungen, wie man sie aus anderen Religionen kennt. Die Badessa ist eine coole, sich immer konträr verhaltende Herrscherin. Während die anderen Kartoffeln schälen, dreht sie sich eine Zigarette und ascht in den Kartoffeleimer ihrer Nachbarin. Ein neckisches Spielchen vom Auf-und-Zu der  Fadenvorhänge in der oberen Etage legt seinen Sinn nicht offen. Die Lebensmittel, die zwei Nonnen hereinbringen, sind in den gleichen schwarzen Müllbeuteln verpackt wie die Kleidung, die Frugola Giorgetta mitgebracht hatte.

Die Principessa ist irgendetwas zwischen militärisch, dämonisch, mephistophelisch, vielleicht sogar untot mit ihren schwarzen Lippen, dem schwarzen Umhang und der militärischen Mütze. Zwischendurch wird sie von heftigsten Krämpfen geschüttelt. Doch unheimlich wirkt das alles nicht, auch eher komisch als bedrohlich. Die Grausamkeit der kalten Grandezza, einer unnahbaren, berechnenden Tante, kann das ganze Brimborium nicht adäquat ersetzen. Die Projektion einer Mutter mit einem Knaben in Marienbild-Attitüde, die Vision des heranwinkenden Kindes bei Angelicas Selbsttötung mit Tabletten und schließlich derer beider Himmelfahrt erreicht dann ein erschreckendes Kitschniveau, von dem das brutale Aufreißen der Projektionsfläche durch die Badessa geradezu erlöst. Ganz profan sieht man die tote Angelica. 

SzenenfotoDie Verwandten

Gianni Schicchi schließlich wird von der Komödie zur Slapstick-Nummer voller Klamauk  von größter und dümmster Albernheit und Primitivität. Feiner Witz und geistreiche Komik, wie sie Handlung und Libretto erzählen, musikalisch pointenreich gewürzt, sind gegen platte Gags, gewollte Politisierung und Menschheitskritik unter schmerzlichsten Verlusten eingetauscht.

Der verstorbene Buoso liegt bereits von Liliensträußen umrahmt auf der Totenbahre. Damit wird die Behauptung, dass bisher niemand außer der Familie von seinem Ableben weiß, ins Höchstunwahrscheinliche geführt. Die erblüsternen Verwandten bewegen sich krumm und verdreht, zappeln und hopsen blöde herum, tanzen mit der Bahre, suchen in einem Blätterregen und unter der Totendecke das Testament, setzen sich auf die Leiche und spucken auf sie. Der Arzt ist eine alberne Witzfigur, die Zeugen, die mit dem Notar erscheinen, faschistisch uniformierte Militärs. Gianni Schicchi und Zita begrabbeln sich und er nimmt sie von hinten (offensichtlich ein besonderes Anliegen des Regisseurs). „Ein aufheulendes Auto ist schöner als die Nike von Samothrake“ (aus dem „Manifest des Futurismus“ aus dem Jahr 1909, das u. a. zur Zerstörung von Traditionen aufruft und von jedem Kunstwerk aggressiven Charakter fordert…) wird zu Laurettas Arie projiziert.

SzenenfotoEdward Mout (Gherardo), Stefan Adam (Gianni Schicchi), Frank Schneiders (Marco)

Nicht Gianni Schicchi entkleidet sich, sondern die Verwandten, während er eine Uniform anzieht und – quasi als Vorschuss – gemeinschaftlich sexuell stimuliert wird. Als sie sich dann wieder anziehen, verwechseln die Verwandten ihre Kleider und die Männer stehen mit Unterröcken und BH's da. Ein ganz neuer Einfall. Und so lustig... Das Testament diktiert Gianni Schicchi dann als Mussolini verkleidet, auf zwei Stöcke gestützt stehend, mit größter Aggressivität - nicht verschmitzt und ironisch, als todkranker Buoso versteckt im Bett liegend, sondern für alle sichtbar. Am Schluss setzen ihm die überlisteten Erben mit Benzin das Haus in Brand, das er sich selbst soeben zugesprochen hatte und erscheinen im Schlussbild mit Vampirgebissen. Die Tiermenschen aus Il tabarro laufen in den Nonnenkostümen der Suor Angelica über die Bühne, während Rinuccio und Lauretta sehr aggressiv und giftig liebesduettieren.

SzenenfotoJulie-Marie Sundal (La Badessa), Miriam Gorden-Stewart (Suor Angelica)

Eine erlesene Solistenriege lässt sängerisch an diesem Abend kaum einen Wunsch offen. Vincent Wolfsteiner begeistert als Luigi mit seinem stimmschönen, kraftvoll strahlenden Tenor. Den Luigi kann man vielleicht anders singen – aber kaum besser. Brian Davis verleiht dem Michele mit sicher geführtem Bariton markantes Profil, lässt mit angenehmem Timbre aber auch gefühlvolle Zwischentöne klangvoll deutlich werden. Kelly God wirft sich mit aller Leidenschaft und in vielen Farben blühendem Sopran in die Rolle der Giorgetta, so dass alles Unglück, alle Ängste, Sehnsüchte und Wünsche erschreckend echt erscheinen.

Miriam Gorden-Stewart gelingt es faszinierend, die innere Zerrissenheit zwischen mütterlicher, sehnsüchtiger Sorge und selbstlosem Nonnendasein auch stimmlich abzubilden. Ihr wunderschön timbrierter Sopran verfügt sowohl über fraulich leidenschaftliche als auch über mädchenhaft reine Töne. Khatuna Mikaberidze ist als Principessa von der Personenregie so arg gebeutelt, dass man in Gefahr gerät, ihrem volltönenden, ausdruckstarken Gesang nicht die angemessene Beachtung zu schenken. Julie-Marie Sundal teilt dieses Schicksal. Zunächst als widerliche Badessa, dann als erbärmliche Erbschleicherin Zita. Beiden Partien bleibt sie gesanglich aber nichts schuldig.

Ania Vegry ist eine bezaubernde Lauretta, die „ O mio babbino caro“  mit sanft strahlendem Sopran nicht als Wunschkonzertschlager singt, sondern mit aller Leidenschaft als unglückliche, flehende Liebende. Sung-Keun Park singt den Rinuccio pracht- und glanzvoll. Dass er seine Stimme in der Schlussszene mit Bitterkeit und Aggressivität färbt, ist sicher von der Regie gefordert und ihm nicht anzukreiden. Der Bariton Stefan Adam ist ein begnadeter Sängerdarsteller, der mit jeder Partie begeistert, die er auf der Bühne darstellt. Als Gianni Schicchi beeindruckt er wieder einmal mit Bühnenpräsenz, Darstellungskraft und seinem runden, satten und beweglichen Bariton.  

Elanvoll und leidenschaftlich, anrührend, ohne auch nur in die Nähe des Kitsches zu geraten, in mitreißenden Tempi exakt pointiert  - so ließen sich die Dirigate der einzelnen Opern mit wenigen Worten beschreiben. Hannovers Generalmusikdirektorin Karen Kamensek gibt hochdynamisch die musikalischen Impulse und lässt deutlich werden, dass Oper mehr ist und kann – könnte! – als auf der Bühne zu sehen ist. Das Staatsorchester ist besser denn je disponiert und kommt fast ohne die sonst üblichen kleineren Ungenauigkeiten und Patzerchen aus. Chor und Kinderchor fügen sich in die hohe musikalische Qualität der Aufführung nahtlos ein.


FAZIT

Selig, wer die Augen schließen darf. Hörend erlebt man einen Hochgenuss.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Karen Kamensek

Inszenierung
Sebastian Baumgarten

Bühne
Alexander Wolf

Kostüme
Marysol des Castillo

Video
Philip Bußmann

Chor und Kinderchor 
Dan Ratiu

Licht
Susanne Reinhardt

Dramaturgie
Klaus Angermann


Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor und Kinderchor
der Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover


Solisten

IL TABARRO

Michele
Brian Davis

Giorgetta
Kelly God

Luigi
Vincent Wolfsteiner

Tinca
Edward Mout

Talpa
Young Kwon

Frugola
Khatuna Mikaberidze

Ein Liedverkäufer
Hyun-Bong Kil

Ein LIebespaar
Hyun-Bong Kil (Tenor)
Tiina Lönnmark (Sopran)


SUOR ANGELICA

Suor Angelica
Miriam Gordon-Stewart

La Principessa
Khatuna Mikaberidze

La Badessa
Julie-Marie Sundal

La Zelatrica
Sandra Fechner

La Maestra
Mareike Morr

Suor Genoviefa
Ina Yoshikawa

Suor Osmina
Corinna Jeske

Suor Dolcina
Tatjana Rodenburg

Le Converse
Dialekti Kampakou
Melanine Xu

Novizin
Kathrin Einenkel

Le Cercatrice
Vera Balzer
Diana Jolig-Werner


GIANNI SCHICCHI

Gianni Schicchi
Stefan Adam

Lauretta
Ania Vegry

Zita
Julie-Marie Sundal

Rinuccio
Sung-Keun Park

Gherardo
Edward Mout

Nella
Carmen Fuggis

Gherardino
Valentin Ratiu

Betto di Signa
Young Kwon

Simone
Martin Busen

Marco
Frank Schneiders

Ciesca
Mareike Morr

Medico
Roland Wagenführer

Notaro
Marek Durka

Pinellino
Kwang-Hee Lee

Guccio
Martin Kreilkamp


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
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