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Premiere im Opernhaus
Hannover am 2. Juni 2012 Giacomo
Puccinis
letztes vollendetes Opernwerk Il trittico
stand als letzte Premiere der Saison auf dem
Spielplan des Opernhauses Hannover. Die Kombination
dreier völlig unterschiedlicher Einakter – Krimi,
Rührstück und Komödie – hat ihren ganz
besonderen Reiz, nicht nur in der
Gegensätzlichkeit ihrer Handlungen, sondern auch
in der ihrer Musik. Puccini hat dieses Werk gerade
wegen dieser Kontraste sehr geliebt. Alexander
Wolf hat mit einem drehbaren Gebäude ein sehr
reizvolles Einheitsbühnenbild geschaffen, das mit
wenigen Veränderungen und Beleuchtungseffekten
(Licht: Susanne Reinhardt) unterschiedliche Räume
in unterschiedlichen Stimmungen schaffen kann. Ein
wundervoller szenischer Ausgangspunkt, der mit
stimmiger Personenregie den Rahmen für eine
großartige Produktion bilden könnte.
Könnte... Frage: „In Deinen Inszenierungen gibt es ja eine
Metaebene in Form von Bild- oder Textprojektionen,
die eine Art Kommentar zur Szene bilden.“ Kelly God
(Giorgetta), Brian Davis (Michele) Dieser
Offenbarungseid des Regisseurs macht die ganze
Willkür deutlich, mit der er einem
Bühnenwerk zu Leibe rückt. Denn auch
wenn er sich hier auf seine ungebändigte,
inflationäre und meist unverständliche
Projektionswut bezieht, diese Einstellung findet
sich in der ganzen Inszenierung wieder. Die
Assoziationen und persönlichen Gedanken eines
Regisseurs interessieren nur soweit, wie sie zur
Erhellung, zur tieferen Einsicht oder zu einer
anderen Sichtweise des Stückes beitragen
können. Dazu müssen sich diese
persönlichen Assoziationen aber auch dem
Zuschauer erschließen. Das tun sie aber nur
höchst selten – wenn überhaupt – und wenn
sie überhaupt zu sehen sind. Einige Texte
werden einfach nur projiziert, ohne dass man mehr
als einzelne Worte lesen kann. Die Szenen, die
hinter dem Bühnenbau stattfinden und die
Bilder, die dorthin projiziert werden, kann nur
die Mitte des Parketts sehen. Das ist obendrein
auch ein grober regiehandwerklicher Fehler. Doch
das scheint das Produktionsteam nicht zu
kümmern. Die „Kunst“ wird produziert und dem
Zuschauer vorgesetzt. Um es ganz deutlich zu
sagen: Es geht nicht darum, sich darüber
Gedanken zu machen, ob eine Regiearbeit dem
Publikum gefallen könnte. Es geht darum, dem
Publikum überhaupt die Chance zu geben,
verstehen zu können, was gemeint ist. Aber
wenn man das als Regisseur selbst nicht
weiß… …dann hat
man offensichtlich auch keine Hemmungen, einem Werk
mehr zu nehmen als man ihm geben kann. Die Oper hat
ihre ureigenen Mittel, Geschichten und Emotionen
lebendig werden zu lassen und damit ihre
unantastbare Daseinsberechtigung. Da kann man
filmische Mittel getrost dem Film überlassen
und eingängige Plattheiten den
Privatfernsehsendern. Denn dies ist ein weiteres
Problem dieser Produktion: Feine und subtile Szenen
sucht man bei Baumgarten vergebens. Wo Librettist
und Komponist fein gewürzt haben, serviert der
Regisseur mit Ketchup und Majo. Aus ehrlichen, aber einfachen
und ärmlichen Seine-Schiffern werden mit
Menschen und/oder Tieren handelnde Piraten im
„Fluch der Karibik“-Look (Kostüme: Marysol
del Castillo). Zu emotionalen Gesängen voller
Sehnsucht nach Heimat und ein bisschen Wohlstand
wird swingend getanzt. Luigi verteilt sozialismus-
oder antifaschismusverdächtige
Flugblätter und befreit die Tiermenschen aus
ihren Käfigen, in deren einen er dann
später selbst von Michele zum Schlafen gelegt
wird. Die Szene Luigi/Giorgetta, in der sie sich
librettogemäß zu einem Stelldichein
verabreden, mit aller Sehnsucht und Sinnlichkeit
und auch mit Giorgettas schlechtem Gewissen,
Michele zu betrügen, ist ein auch musikalisch
sehr intensiv ausgearbeiteter Vorgang, subtil
und leidenschaftlich. Bei Baumgarten nimmt
Luigi Giorgetta von hinten und ejakuliert dann in
hohem Bogen deutlich sichtbar auf den
Bühnenboden. Das beschreibt einen der
heftigsten Vorwürfe, die dem Regisseur zu
machen sind: Er vertauscht das Feinsinnige gegen
das Grobe und Platte, ja Primitive. Das ist noch
nicht einmal als „überpointiert“ zu bezeichnen, sondern
als destruktiv. Schwestern,
Miriam Gorden-Stewart (Suor Angelica, Mitte)
Zum
schlechten Schluss eliminiert der Regisseur auch
das der Oper den Namen gebende Symbol des
Mantels, der früher als Schutz des Kindes
und der einst glücklichen Familie diente
und unter dem nun der getötete Luigi
Giorgetta präsentiert werden sollte.
Anstatt sie der Schmach und psychischen
Demütigung auszusetzen, ersticht Michele
Giorgetta. Erneut werden Bilder von
afrikanischen Ureinwohnern projiziert, auch ein
Bild von der Krönung Elisabeths II ist
dabei. Kolonialismuskritik, Arbeiterrechte und
auch ein vielsagendes Symbol aus Werkzeugen
hinterfragen eine Geschichte, die mit der
eigentlichen Handlung nichts zu tun hat. Es
drängt sich der Eindruck auf, dass sich der
Regisseur in seinen eigenen Gedanken verheddert
hat. Gianni Schicchi
schließlich wird von der Komödie zur
Slapstick-Nummer voller Klamauk von
größter
und dümmster Albernheit und Primitivität.
Feiner Witz und geistreiche Komik, wie sie Handlung
und Libretto erzählen, musikalisch pointenreich
gewürzt, sind gegen platte Gags, gewollte
Politisierung und Menschheitskritik unter
schmerzlichsten Verlusten eingetauscht. Der
verstorbene Buoso liegt bereits von
Liliensträußen umrahmt auf der Totenbahre.
Damit wird die Behauptung, dass bisher niemand
außer der Familie von seinem Ableben weiß,
ins Höchstunwahrscheinliche geführt. Die
erblüsternen Verwandten bewegen sich krumm und
verdreht, zappeln und hopsen blöde herum, tanzen
mit der Bahre, suchen in einem Blätterregen und
unter der Totendecke das Testament, setzen sich auf
die Leiche und spucken auf sie. Der Arzt ist eine
alberne Witzfigur, die Zeugen, die mit dem Notar
erscheinen, faschistisch uniformierte Militärs. Gianni Schicchi und Zita begrabbeln
sich und er nimmt sie von hinten (offensichtlich ein
besonderes Anliegen des Regisseurs). „Ein
aufheulendes Auto ist schöner als die Nike von Samothrake“ (aus
dem „Manifest des Futurismus“ aus dem Jahr 1909, das
u. a. zur Zerstörung von Traditionen aufruft
und von jedem Kunstwerk aggressiven Charakter
fordert…) wird zu Laurettas Arie projiziert. Edward Mout
(Gherardo), Stefan Adam (Gianni Schicchi),
Frank Schneiders (Marco) Julie-Marie
Sundal (La Badessa), Miriam
Gorden-Stewart (Suor Angelica) Eine
erlesene Solistenriege lässt sängerisch an
diesem Abend kaum einen Wunsch offen. Vincent
Wolfsteiner begeistert als Luigi mit seinem
stimmschönen, kraftvoll strahlenden Tenor. Den
Luigi kann man vielleicht anders singen – aber kaum
besser. Brian Davis verleiht dem Michele mit sicher
geführtem Bariton markantes Profil, lässt
mit angenehmem Timbre aber auch gefühlvolle
Zwischentöne klangvoll deutlich werden. Kelly God
wirft sich mit aller Leidenschaft und in vielen Farben
blühendem Sopran in die Rolle der Giorgetta, so
dass alles Unglück, alle Ängste,
Sehnsüchte und Wünsche erschreckend echt
erscheinen.
Miriam Gorden-Stewart gelingt es faszinierend, die
innere Zerrissenheit zwischen mütterlicher,
sehnsüchtiger Sorge und selbstlosem Nonnendasein
auch stimmlich abzubilden. Ihr wunderschön
timbrierter Sopran verfügt sowohl über
fraulich leidenschaftliche als auch über
mädchenhaft reine Töne. Khatuna Mikaberidze
ist als Principessa von der Personenregie so arg
gebeutelt, dass man in Gefahr gerät, ihrem
volltönenden, ausdruckstarken Gesang nicht die
angemessene Beachtung zu schenken. Julie-Marie Sundal
teilt dieses Schicksal. Zunächst als widerliche
Badessa, dann als erbärmliche Erbschleicherin
Zita. Beiden Partien bleibt sie gesanglich aber nichts
schuldig. Ania
Vegry ist eine bezaubernde Lauretta, die „ O mio
babbino caro“ mit sanft
strahlendem Sopran nicht als Wunschkonzertschlager
singt, sondern mit aller Leidenschaft als
unglückliche, flehende Liebende. Sung-Keun Park
singt den Rinuccio pracht- und glanzvoll. Dass er seine Stimme in der
Schlussszene mit Bitterkeit und Aggressivität
färbt, ist sicher von der Regie gefordert und ihm
nicht anzukreiden. Der Bariton Stefan Adam ist ein
begnadeter Sängerdarsteller, der mit jeder Partie
begeistert, die er auf der Bühne darstellt. Als
Gianni Schicchi beeindruckt er wieder einmal mit
Bühnenpräsenz, Darstellungskraft und seinem
runden, satten und beweglichen Bariton. Elanvoll
und leidenschaftlich, anrührend, ohne auch nur in
die Nähe des Kitsches zu geraten, in
mitreißenden Tempi exakt pointiert
- so ließen sich die Dirigate der
einzelnen Opern mit wenigen Worten beschreiben.
Hannovers Generalmusikdirektorin Karen Kamensek gibt
hochdynamisch die musikalischen Impulse und lässt
deutlich werden, dass Oper mehr ist und kann –
könnte! – als auf der Bühne zu sehen ist.
Das Staatsorchester ist besser denn je disponiert und
kommt fast ohne die sonst üblichen kleineren
Ungenauigkeiten und Patzerchen aus. Chor und
Kinderchor fügen sich in die hohe musikalische
Qualität der Aufführung nahtlos ein. Selig,
wer die Augen schließen darf. Hörend
erlebt man einen Hochgenuss. Musikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Video Chor und Kinderchor
Dramaturgie Chor und Kinderchor Statisterie
der Michele Giorgetta Luigi Tinca Talpa Frugola Ein Liedverkäufer Ein LIebespaar Suor Angelica La Principessa La Badessa La Zelatrica La Maestra Suor Genoviefa Suor Osmina Suor Dolcina Le Converse Novizin Le Cercatrice Gianni Schicchi Lauretta Zita Rinuccio Gherardo Nella Gherardino Betto di Signa Simone Marco Ciesca Medico Notaro Pinellino Guccio
Il
trittico
Drei
Operneinakter von Giacomo Puccini
Il tabarro
(Der Mantel)
Text von Giuseppe Adami nach dem Schauspiel La
Houppelande (1910) von Didier Gold
Sour Angelica
(Schwester Angelica)
Text von Giovacchino Forzano
Gianni Schicchi
Text von Giovacchino Forzano nach einer
Episode aus dem 30. Gesang des Inferno aus
La Commedia Divina (1321) von Dante
Alighieri
In italienischer Sprache mit deutschen
Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden
10 Minuten (eine Pause)
Staatsoper
Hannover
(Homepage)
Assoziationen,
Assoziationen...
Von Bernd
Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk
Baumgarten: „Ich würde das nicht
Kommentar nennen, denn das klingt nach
Erklärung oder Belehrung. Das sind mehr
Assoziationen, gelesene Texte, Bilder, die sich aus
der Auseinandersetzung mit dem Primärtext
ergeben. Manchmal funktioniert das eher intuitiv,
wobei ich dann selber nicht genau die Bedeutung
definieren könnte. Es gibt zunächst
einfach das Gefühl, dass der Zusammenhang
stimmt. Man muss da auch eine gewisse Offenheit
zulassen, denn wenn ich Angst davor habe, dass die
Assoziation zu lose ist, besteht die Gefahr, dass
ich sie fester binden möchte und sie dadurch zu
belehrend oder überpointiert wird.“ (Programmheft,
S. 19)
Die Principessa ist irgendetwas zwischen
militärisch, dämonisch, mephistophelisch,
vielleicht sogar untot mit ihren schwarzen Lippen,
dem schwarzen Umhang und der militärischen
Mütze. Zwischendurch wird sie von heftigsten
Krämpfen geschüttelt. Doch unheimlich
wirkt das alles nicht, auch eher komisch als
bedrohlich. Die Grausamkeit der kalten Grandezza,
einer unnahbaren, berechnenden Tante, kann das ganze
Brimborium nicht adäquat ersetzen. Die
Projektion einer Mutter mit einem Knaben in
Marienbild-Attitüde, die Vision des
heranwinkenden Kindes bei Angelicas
Selbsttötung mit Tabletten und
schließlich derer beider Himmelfahrt erreicht
dann ein erschreckendes Kitschniveau, von dem das
brutale Aufreißen der Projektionsfläche
durch die Badessa geradezu erlöst. Ganz profan
sieht man die tote Angelica.
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Produktionsteam
Karen Kamensek
Sebastian Baumgarten
Alexander
Wolf
Marysol des Castillo
Philip Bußmann
Dan Ratiu
Susanne Reinhardt
Klaus Angermann
Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover
der Staatsoper Hannover
Staatsoper Hannover
Solisten
IL TABARRO
Brian Davis
Kelly God
Vincent
Wolfsteiner
Edward Mout
Young Kwon
Khatuna
Mikaberidze
Hyun-Bong Kil
Hyun-Bong
Kil (Tenor)
Tiina Lönnmark (Sopran)
SUOR ANGELICA
Miriam Gordon-Stewart
Khatuna Mikaberidze
Julie-Marie Sundal
Sandra Fechner
Mareike Morr
Ina Yoshikawa
Corinna Jeske
Tatjana Rodenburg
Dialekti
Kampakou
Melanine Xu
Kathrin Einenkel
Vera Balzer
Diana Jolig-Werner
GIANNI SCHICCHI
Stefan Adam
Ania Vegry
Julie-Marie Sundal
Sung-Keun Park
Edward Mout
Carmen Fuggis
Valentin Ratiu
Young Kwon
Martin Busen
Frank Schneiders
Mareike Morr
Roland Wagenführer
Marek Durka
Kwang-Hee Lee
Martin Kreilkamp
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Hannover
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