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Die Comedian Harmonists

Schauspiel mit Musik
Buch von Gottfried Greiffenhagen
Musikalische Einrichtung von Franz Wittenbrink

in deutscher Sprache 

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 4. Februar 2012
(rezensierte Aufführung: 10.02.2012)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Ein Koffer voller Lieder

Von Thomas Molke / Fotos von Foto Kühle (Rechte Theater Hagen)

Seit Jahren ist es am Theater Hagen Usus, dass man, obwohl man über keine eigene Schauspielsparte verfügt, nicht nur Gastspiele im Bereich Schauspiel einkauft, sondern auch in jeder Spielzeit eine eigene Produktion herausbringt, die wie beispielsweise Meisterklasse Maria Callas von Terence McNally 1999 und Edith Piaf, eine Hommage an die große französische Chansonette von und mit Petra Lamy 2006, häufig einen Bezug zum Musiktheater hat. In der Jubiläumsspielzeit hat man sich für Franz Wittenbrinks musikalisches Schauspiel über die Comedian Harmonists entschieden, das seit seiner Uraufführung 1997 in der "Komödie am Kurfürstendamm" in Berlin auf zahlreichen Bühnen für ausverkaufte Vorstellungen sorgt - so auch im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen, wo das Stück im Januar dieses Jahres Premiere feierte (siehe auch unsere Rezension) und die restlichen Vorstellungen in dieser Spielzeit schon alle ausverkauft sind, so dass das Musiktheater im Revier bereits den Kartenverkauf für September und Oktober der nächsten Spielzeit eröffnet hat. Dabei sollte man sich in Gelsenkirchen ernsthaft überlegen, ob man diese Produktion nicht in das Große Haus verlegen könnte, um die enorme Kartennachfrage zu erfüllen. Das Theater Hagen zeigt nämlich, dass sich mit einem solchen Publikumsrenner auch ein Haus mit rund 750 Plätzen ohne Probleme füllen lässt.

Das Stück handelt in frei erfundener Handlung, die sich an historisch verbürgten Szenen orientiert, von dem kometenhaften Aufstieg des wohl erfolgreichsten deutschen Vokal-Ensembles, das ab Januar 1930 mit eigenen Konzerten die großen Konzertsäle Deutschlands Abend für Abend füllte, bis die Machtergreifung der Nationalsozialisten dem Erfolg der ersten deutschen Boygroup ein abruptes Ende setzte. Nach dem letzten triumphalen Konzert 1934 in der Münchner Tonhalle wurde der Gruppe in Deutschland jeglicher Auftritt untersagt, da drei Mitglieder jüdischer Herkunft waren. Auftritte im Ausland führten dann zu einer Spaltung der Gruppe. Während Robert Biberti, Ari Leschnikoff und Erwin Bootz in Deutschland das "Meistersextett" gründeten und Harry Frommermann, Erich Collin und Roman Cycowski als Emigrantentruppe "Comedy Harmonists" im Ausland auftraten, konnten beide Gruppen nie wieder an den großartigen Erfolg der Comedian Harmonists anknüpfen. Auch nach dem Krieg haben die Comedian Harmonists nie wieder in der ursprünglichen Zusammensetzung musiziert.

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Die Comedian Harmonists beim Vorsingen vor Bruno Levy (Guido Fuchs, links) (von links: Roman Cycowski (Richard van Gemert), Erwin Bootz (Andres Reukauf), Ari Leschnikoff (Björn Christian Kuhn), Robert Biberti (Christoph Scheeben), Erich Collin (Orlando Mason) und Harry Frommermann (Jan-Andreas Kemna)).

Das Regieteam um Thomas Weber-Schallauer legt den Schwerpunkt der Inszenierung neben der Musik auf den Aspekt, dass das Ensemble mit Beginn des Erfolgs ständig unterwegs war, zunächst, um von Konzertsaal zu Konzertsaal zu eilen, dann, um nach dem Auftrittsverbot im Ausland sein Glück zu suchen, und schließlich nach der Auflösung der Gruppe, um getrennte Wege in Deutschland beziehungsweise Amerika zu gehen. Sinnbild dafür ist ein überdimensionaler brauner Koffer, der inmitten der Drehbühne das Bühnenbild von Peer Palmowski beherrscht. Dieser Koffer lässt sich öffnen und kann zum einen Harry Frommermanns Wohnung darstellen, in der die ersten Proben des Sextetts stattfinden, wobei einzelne Fächer des Koffers als Türen oder Kleiderschränke fungieren, zum anderen sich aber auch mit zahlreichen gelben Lämpchen, einem silbernen Fadenvorhang und einer leuchtenden Showtreppe in ein Revue-Theater verwandeln, in dem die Comedian Harmonists auf dem Höhepunkt ihrer Karriere stehen. Auch der Wechsel vom braunen Holzklavier in Frommermanns Wohnung zu einem glänzenden schwarzen Flügel ist Zeichen des finanziellen Aufstiegs der Gruppe. Die Kostüme, für die ebenfalls Palmowski verantwortlich zeichnet, sind zeitgemäß gewählt und zeigen zunächst die recht mittellosen Musikern in einfacher Kleidung, die sich dann in den Konzerten in schwarzem Frack mit weißer Fliege auf dem Höhepunkt ihrer Karriere präsentieren und in Standbildern so posieren, wie man sie von zahlreichen CD-Covers kennt.

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Die Comedian Harmonists bei der "Puppenhochzeit" (von links: Roman Cycowski (Richard van Gemert), Ari Leschnikoff (Björn Christian Kuhn), Erich Collin (Orlando Mason), Harry Frommermann (Jan-Andreas Kemna) und Robert Biberti (Christoph Scheeben)).

Der aufkeimende Nationalsozialismus wird von Weber-Schallauer am Anfang noch subtil eingesetzt. So ist es erst nur ein Radio, das während der Vorbereitung auf einen Auftritt die Nachrichten über den wachsenden Zuspruch für die Nationalsozialisten verkündet. Doch noch ist die Gruppe völlig unpolitisch und sich der aufziehenden Gefahr nicht bewusst. Bestes Zeichen dafür ist, dass beim letzten Auftritt des Ensembles in der Münchner Tonhalle Guido Fuchs als SA-Mann nicht vor Beginn des Konzertes vor die Zuschauer tritt und sie auffordert, den Saal zu verlassen, da die Gruppe und ihr Liedgut nicht arisch seien und daher nach diesem Konzert nicht mehr in Deutschland auftreten dürfe, sondern das Lied "Ein bisschen Leichtsinn kann nicht schaden" unterbricht. Damit beginnt der Abstieg. Aus einem halbgeschlossenen Koffer erscheint dann ein Ministerialrat, um der Gruppe zu unterbreiten, dass ihnen eine Mitgliedschaft in der Reichsmusikkammer verweigert werde. An dieser Stelle teilt Weber-Schallauer die Gruppe schon mit jeweils drei Stühlen in zwei Gruppen, ohne dabei jedoch in diesen Gruppierungen zwischen Ariern und Nichtariern zu unterscheiden. Die Trennung der Gruppe wird dann mit einer riesigen vom Schnürboden herabgelassenen Fahne der Nationalsozialisten begleitet, die die ganze Bühne beherrscht. Aus einem Radio erklingt eine Melodie des neu gegründeten "Meistersextetts" das allmählich in einen militärischen Marsch übergeht. Nachdem der braune Spuk vorbei ist und die Fahne herabgerissen worden ist, singen die Comedian Harmonists noch zum Abschluss "Irgendwo auf der Welt" als traurige Reminiszenz an vergangene Zeiten.

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Ein SA-Mann (Guido Fuchs) verkündet das Auftritts-Verbot für die Comedian Harmonists (von links: Erwin Bootz (Andres Reukauf), Roman Cycowski (Richard van Gemert), Ari Leschnikoff (Björn Christian Kuhn), Harry Frommermann (Jan-Andreas Kemna), Erich Collin (Orlando Mason) und Robert Biberti (Christoph Scheeben)).

Musikalisch hat man eine Solistenriege zusammengestellt, die den Stil der Comedian Harmonists stimmlich gut interpretiert und einerseits beim Publikum mit einzelnen komischen Nummern wie "Schöne Isabella aus Kastilien", "Der Onkel Bumba aus Kalumba", "Der kleine grüne Kaktus", "Veronika der Lenz ist da" und der "Puppenhochzeit" in gelungenen Choreographien von Ricardo Viviani regelrechte Begeisterungsstürme auslöst, andererseits in den ruhigeren Liedern wie "Gib mir den letzten Abschiedskuss" und "In einem kühlen Grunde" die Melancholie einzufangen versteht, die den Zuschauer beim Gedanken an das Ende der Comedian Harmonists unweigerlich befällt. Unverständlich bleibt nur, wieso der Tenor Richard van Gemert als Bariton Roman Cycowski und der Bass Orlando Mason als Tenor Erich Collin eingesetzt wird. Beide Ensemble-Mitglieder überzeugen zwar darstellerisch und stimmlich in ihren Rollen - van Gemert bewegt vor allem, wenn er vor der Probe allein im Raum ein jüdisches Lied anstimmt, -  dennoch scheint es nicht zwingend notwendig, in diesem Punkt von dem Original abzuweichen, zumal es nicht Cycowski als eher ruhender Pol des Ensembles ist, der bei den ersten Proben die anderen zu übertönen versucht. Aber auch diese Unstimmigkeit mildert nicht den Erfolg des Abends.

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Die Comedian Harmonists bei der Zugabe "In der Bar zum Krokodil": (von links: Erwin Bootz (Andres Reukauf), Potifar (Guido Fuchs), Roman Cycowski (Richard van Gemert), Ari Leschnikoff (Björn Christian Kuhn), Harry Frommermann (Jan-Andreas Kemna), Erich Collin (Orlando Mason) und Robert Biberti (Christoph Scheeben)).

Während Andres Reukauf, der sich als Erwin Bootz äußerst virtuos am Klavier präsentiert, quasi wie van Gemert und Mason auch als Ensemblemitglied des Hagener Theaters betrachtet werden kann, da er hier bis zur letzten Spielzeit lange Jahre als Solorepetitor mit Dirigierverpflichtung tätig war und auch mit "Grobschnitt" und dem philharmonischen Orchester Hagen die Arrangements für die im Juni 2012 stattfindende Premiere Rockpommels Land erarbeitet, sind für die drei anderen Rollen der Comedian Harmonists Gäste verpflichtet worden. Björn Christian Kuhn stattet den ersten Tenor Ari Leschnikoff mit in den Höhen weichem Tenor aus, wobei seine Stimme nicht immer die Durchschlagskraft hat, die man von Leschnikoff selbst auf diversen CD-Aufnahmen gewohnt ist. Darstellerisch überzeugt er mit einem gelungenen ausländischen Dialekt, der sein Unverständnis über vereinzelte Ausdrücke der deutschen Sprache glaubhaft macht. Jan-Andreas Kemna setzt mit leichtem Buffo als Harry Frommermann vor allem komödiantische Akzente. Christoph Scheeben überzeugt als Robert Biberti stimmlich mit in den Tiefen kräftigem Bariton, der auch komödiantische Ausflüge in die Kopfstimme spielerisch meistert. Darstellerisch nimmt man ihm den Manager der Gruppe in vollem Umfang ab.

In diverse Rollen schlüpft Guido Fuchs, der bereits im letzten Jahr als Berliner Giesecke in Benatzkys Im weißen Rössl das Publikum begeisterte. In den zahlreichen Sprechrollen zeigt er sich wandlungsfähig, wenn er einerseits den gewieften jüdischen Agenten Bruno Levy, andererseits den unsympathischen SA-Mann in der Tonhalle mimt, der das Auftrittsverbot der Comedian Harmonists verkündet. Besonders abstoßend gelingt ihm auch der Ministerialrat, der den Comedian Harmonists erst völlig gefühllos verkündet, dass ihnen die Mitgliedschaft in der Reichsmusikkammer verweigert wird und damit ein Auftritt in Deutschland unmöglich ist, und dann schamlos nach einem Autogramm für seinen Sohn fragt, dabei die jüdischen Mitglieder nach der Unterschrift schon beinahe Angst einflößend mustert. Sein komisches Talent kann er vor allem als französischer Hotelboy in der Choreographie "Mein lieber Schatz, bist du aus Spanien" zeigen, wenn er zum Spielball der Sänger wird.

Nach minutenlangem Applaus und Standing Ovations präsentieren die Solisten noch einen weiteren Höhepunkt als Zugabe, der zwar vielleicht nicht zu den bekanntesten Stücken der Comedian Harmonists zählt, im Sprachwitz aber sicherlich zu den besten: "In der Bar zum Krokodil". Guido Fuchs glänzt darin als gehörnter Gatte Potifar, der mit Ramses nach Theben fährt, um sich dort zu amüsieren. Nach dieser Nummer will das Publikum die Sänger gar nicht mehr gehen lassen, doch nach einem letzten "Leb wohl" ist dann Schluss.


FAZIT

Auch wenn die Comedian Harmonists zur Zeit ebenfalls im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen zu erleben sind, wird die Frage in diesem Fall nicht lauten, welche Inszenierung man besuchen sollte, sondern eher, wie man für beide Veranstaltungen noch Karten kriegen kann. Vielleicht hat man in Hagen mehr Glück, weil es mehr Plätze gibt. Aber zu lange mit der Kartenbestellung warten sollte man auch hier nicht. (Weitere Termine: 16., 18. und 29. Februar 2012, 9. März, 4. April 2012, 10. Mai 2012 und 20. Juni 2012 jeweils um 19.30 Uhr und am 27. Mai 2012 um 15.00 Uhr)



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andres Reukauf

Inszenierung
Thomas Weber-Schallauer

Ausstattung
Peer Palmowski

Licht
Achim Köster

Choreographie
Ricardo Viviani / Ensemble

Dramaturgie
Maria Hilchenbach




Solisten

Ari Leschnikoff
Björn Christian Kuhn

Erich Collin
Orlando Mason

Roman Cycowski
Richard van Gemert

Harry Frommermann
Jan Andreas Kemna

Robert Biberti
Christoph Scheeben

Erwin Bootz
Andres Reukauf

Kriegsversehrter / Hauswirtin /
Marx, Direktor der "Scala" /
Agent Bruno Levy /
Zeitungsausrufer / Arbeitsloser /
Telegrammbote /
SA-Mann in der Tonhalle /
Ministerialrat in der Reichsmusikkammer /
Hotelboy in Paris / Arbeitsfrontmann
Guido Fuchs

 


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