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Dornröschen (reloaded)

Ballettabend von Ricardo Fernando
Musik von
Peter Iljitsch Tschaikowski

Aufführungsdauer: ca. 1h 45'  (zwei Pausen)

Premiere im Theater Hagen am 26. Mai 2012
(rezensierte Aufführung: 31.05.2012)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Dornröschen ohne Schlaf

Von Thomas Molke / Fotos von Foto Kühle (Rechte Theater Hagen)

Aller guten Dinge sind drei, auch in der Jubiläumsspielzeit. So widmet sich der Hagener Ballettdirektor Ricardo Fernando nach den eher zeitgenössischen Shortcuts zu Beginn der Spielzeit und dem Sprung zu den Anfängen der klassischen Musik mit Bach tanzt nun in seiner letzten Produktion vor der Sommerpause dem traditionellen Handlungsballett. Die Wahl ist dabei auf den Märchenklassiker Dornröschen gefallen, dem zweiten der drei großen Handlungsballette Tschaikowskis. Der Titelzusatz reloaded mag den Anhänger klassischer Handlungsballette zunächst verunsichern. Allerdings dürfte es jedem klar sein, dass eine kleine Kompanie wie das Ballett Hagen nicht ohne Einschnitte ein Werk stemmen kann, für das in der Uraufführung im Mariinski-Theater 1890 insgesamt 155 Tänzer verpflichtet waren. So hat Fernando einen Weg gefunden, das Libretto von Iwan Wsewoloschky auf seine Kompanie zurechtzuschneiden und dem Publikum eine Version zu präsentieren, die durchaus märchenhaft ist, Kindern und Jugendlichen einen spannenden Einstieg in die Welt des Handlungsballettes bietet und auch den erfahrenen Anhänger begeistern dürfte.

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Aurora (Yoko Furihata), umgeben von Bewerbern (von links: Vladimir de Freitas, Emanuele Pipi, Péter Matkaiscek, Andre Baeta und Juan Bockamp) (im Hintergrund: Carabosse (Marcelo Moraes)).

Dabei hat die Geschichte mit dem Märchen, wie man es von den Gebrüdern Grimm kennen mag, nicht mehr allzu viel zu tun. Aber auch Wsewoloschky hat in seinem Libretto eher auf Charles Perraults La Belle au bois dormant zurückgegriffen, einer Fassung, die sich vor allem in der Namensgebung der Figuren von der Darstellung bei den Gebrüdern Grimm unterscheidet. Während die Ballettfassung in der Choreographie von Marius Petipa rund drei Stunden dauert, hat Fernando die ursprünglichen drei Akte auf zwei zusammengestrichen und sich nur auf die eigentliche Handlung konzentriert. So lässt er bei Auroras Hochzeit mit dem Prinzen nicht diverse Märchenfiguren als Hochzeitsgäste auftreten, die mit virtuosen Tanzeinlagen ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen können, auf die Handlung aber lediglich retardierend wirken. Auch bei Auroras Geburtstagsfeier im ersten Akt verzichtet er aus dem gleichen Grund auf Solo-Präsentationen der einzelnen Gäste. Die Jagdgesellschaft, die im zweiten Akt den Prinzen zur schlafenden Aurora führt, fehlt bei Fernando ebenfalls, weil Dornröschen in seiner Fassung nämlich gar nicht in einen 100-jährigen Schlaf fällt.

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Carabosse (Marcelo Moraes, vorne links) macht Stress (auf der rechten Seite: Heller König (Leszek Januszewski) und Helle Königin (Hayley Macri), im Hintergrund: Ensemble).

Um die Geschichte zeitgenössischer zu machen, hat Fernando den 100-jährigen Schlaf auf eine metaphorische Ebene gehoben und interpretiert ihn als undifferenziertes Dunkel, in das ein Mensch auf seinem Weg zum Erwachsenwerden irgendwann eintaucht und verschwindet. So fällt Aurora nicht durch eine List der bösen Carabosse in tiefen Schlaf, sondern wird von dieser in ein dunkles Reich entführt. Der blaue Vogel, den sie in diesem Reich in einem goldenen Käfig vorfindet und den sie befreit, mag eine Reminiszenz an die Märchenfiguren des fehlenden dritten Aktes sein, die in Petipas Choreographie im Rahmen der Hochzeitsgesellschaft auftreten, zumal der blaue Vogel, der eigentlich ein verzauberter Prinz ist, in der Urfassung auch zu den Gästen gehört. Bei Fernando steht er wohl eher für das Prinzip Freiheit und Befreiung. Schließlich können am Ende der Prinz und Aurora dem dunklen Reich der bösen Carabosse entkommen und diese in ihren eigenen Käfig sperren. Auch auf die zahlreichen Feen verzichtet Fernando in seiner Inszenierung und fasst die guten Feen in einer Patin zusammen, die Aurora stets als gute Freundin zur Seite steht. Carabosse ist ebenfalls keine Fee, sondern die Mutter von Prinz Desiré, die hofft, mit der Hochzeit ihres Sohnes ihre verlorene königliche Würde zurückzugewinnen.

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Die Patin (Lara Lioi) (im Hintergrund: Ensemble)

Im Zentrum von Fernandos Deutung steht somit der Konflikt zwischen Gut und Böse, indem er dem hellen Königspaar mit ihrer Tochter Aurora in seiner hellen schönen Welt ein dunkles Paar mit dem Sohn Desiré gegenüberstellt, das zwar kein Königreich, aber in einer dunklen Welt dennoch großen Einfluss besitzt. Die treibenden Kräfte sind in beiden Welten die Frauen, Auroras Mutter auf der einen Seite und Carabosse auf der anderen Seite, was bereits im getanzten Prolog klar wird. Durch einen Gaze-Vorhang getrennt macht Carabosse auf der einen Seite deutlich, wie sehr sie ihren Mann und ihren Sohn beherrscht. Zwischen Auroras Eltern geht es zwar liebevoller zu, aber auch hier wird klar, dass Auroras Mutter klare Vorstellungen über die Zukunft ihrer Tochter hat, und so verwundert es nicht, dass sie sich mit Carabosse auf einen Handel einlässt. Dorin Gal hat für die Figuren fantasievolle Kostüme geschaffen, die die beiden Welten in hell und dunkel deutlich kontrastieren. Carabosse wirkt in ihrem schwarzen Lederkostüm mit dem dunkelblauen Überrock aus Federn und dem eng anliegenden schwarzen Kopfschmuck auch aufgrund der hervorragenden Maske regelrecht diabolisch. Auch Gals Bühnenbild, das in Form von hellen durchscheinenden Prospekten im Hintergrund den Königspalast andeutet und Carabosses dunkles Reich in Dunkelblau präsentiert, unterstützt Fernandos Ansatz.

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Der blaue Vogel (Andre Baeta, im Käfig) mit den dunklen Kreaturen (Ensemble) im Reich von Carabosse (Marcelo Moraes, vorne links)

Der Tanzstil ist nicht auf klassische Spitze angelegt und bricht bisweilen bewusst mit den Erwartungen, was vor allem im berühmten Walzer des ersten Aktes auffällt. Da finden die Tänzer mit recht modernen und ausdrucksstarken Bewegungen zu einer Umsetzung, die den in der Musik vielleicht angelegten Kitsch vermeidet und humorvoll wirkt. Auch die Präsentation der Bewerber um Auroras Hand wird von Andre Baeta, Juan Bockamp, Péter Matkaiscek, Emanuele Pipi und Vladimir de Freitas recht komödiantisch angelegt. Yoko Furihata präsentiert sich als Aurora den Bewerbern gegenüber ziemlich zickig, findet aber mit Huy Tien Tran als Prinz Desiré zu intensiven Momenten in einem wunderschönen Pas de deux. Hayley Macri überzeugt als Auroras Mutter durch anmutige Bewegungen, macht aber deutlich, dass sie im Palast das eigentliche Sagen hat. Leszek Januszewski darf sich da als König hauptsächlich damit begnügen, seine Frau und seine Tochter auf Händen zu tragen. Lara Lioi zeigt sich als Patin ebenfalls recht ausdrucksstark. Auch Andre Baeta begeistert als blauer Vogel mit fließenden Bewegungen. Die Ensembles könnten allerdings insgesamt ein wenig homogener ausfallen.

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Prinz Desiré (Huy Tien Tran) und Aurora (Yoko Furihata) beim Pas de deux

Star des Abends ist Marcelo Moraes als Carabosse, dem Fernando damit zum Abschied noch einmal eine regelrechte Paraderolle geschenkt hat. Ab der nächsten Spielzeit wechselt Moraes zu Hans Henning Paar, der neuer Ballettdirektor bei den Städtischen Bühnen Münster wird. Mit grandioser Mimik und Gestik macht Moraes klar, dass mit dieser Carabosse nicht zu spaßen ist. Mit kraftvollen Sprüngen beherrscht er die Bühne und ist selbst noch im Käfig am Ende des Abends präsent, wenn er in einem Video mit diabolischem Blick auf einen durchsichtigen Bühnenprospekt projiziert wird. Das Böse ist also noch nicht aus der Welt, sondern nur zwischenzeitlich in einen Käfig gebannt, aber wehe, wenn es wieder losgelassen wird. Steffen Müller-Gabriel hat das Philharmonische Orchester Hagen gut im Griff und präsentiert einen emotional bewegenden Tschaikowski-Klang, der an dem Abend in großen Teilen trotz der Striche aus einem Guss ist. In zwei Momenten des zweiten Aktes bricht die Musik aber recht unvermittelt ab, so dass man an diesen Stellen Fernandos Striche als mit der Musik nicht ganz so vereinbar betrachten kann. Insgesamt hat Fernando aber aus der Vorlage eine Version herausgeschält, bei der das Publikum in vollem Umfang auf seine Kosten kommt, was zum Ende der Vorstellung auch mit lang anhaltendem Applaus belohnt wird, bei dem sich auch der Ballettdirektor - wie in Hagen üblich - dem begeisterten Zuspruch der Zuschauer stellt.

FAZIT

Wieder war es die zweite Aufführung an einem Donnerstag, die rezensiert wurde, und wieder fand diese Vorstellung vor einem nahezu ausverkauften Haus stattfand.  Dies kann man gar nicht oft genug betonen, um auf die fatalen Folgen hinzuweisen, die Kürzungen in der Tanzsparte bewirken würden.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Steffen Müller-Gabriel

Choreographie und Inszenierung
Ricardo Fernando

Ausstattung
Dorin Gal

Dramaturgie
Maria Hilchenbach


Philharmonisches Orchester Hagen

Statisterie des Theater Hagen

 

Tänzerinnen und Tänzer

* rezensierte Aufführung

Prinzessin Aurora
*Yoko Furihata /
Lara Lioi

Helle Königin (Auroras Mutter)
Yoko Furihata /
*Hayley Macri

Heller König (Auroras Vater)
*Leszek Januszewski /
Matthew Williams /
Emanuele Pipi

Die Patin
*Lara Lioi /
Hayley Macri /
Carolinne de Oliveira

Prinz Desiré
*Huy Tien Tran /
Marcelo Moraes /
Emanuele Pipi

Carabosse (Desirés Mutter)
Leszek Januszewski /
*Marcelo Moraes /
Juan Bockamp

Dunkler König (Desirés Vater)
Péter Matkaiscek /
*Matthew Williams

Blauer Vogel
*Andre Baeta /
Péter Matkaiscek /
Juan Bockamp

Prinzen und Kreaturen
Andre Baeta
Juan Bockamp
Péter Matkaiscek
Emanuele Pipi
*Vladimir de Freitas /
Huy Tien Tran

Hofdamen und Kreaturen
Debora Buhatem 
Giulia Fabris
Noemi Martone
Carolinne de Oliveira
Hinako Sakuraoka

Gefolge von Carabosse
Statisterie
 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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