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Fröhlicher Anarchismus
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)
Alle Aufführungen ausverkauft, für die Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit kann man sich auf Wartelisten eintragen lassen wenn das kein Theatertraum ist! Zum 100. Geburtstag beschenk das Theater Hagen sich und das Publikum mit Richard O'Briens kultiger Rocky Horror Show und kann sich des Besucheransturms kaum erwehren. So ähnlich sah auch Michael Jackson mal aus: Frank'n'Furter (Henrik Wager)
Regisseur Holger Hauer und sein Team nehmen sich gegenüber dem Original und der Filmversion einige Freiheiten, leider nicht unbedingt zum Vorteil des Abends. Da ist zunächst die Ausstattung von Sandra Fox im Retro-Look der ziemlich bunten 70er-Jahre, was wie eine Mischung aus Tanztee und Kindergeburtstag aussieht. Alles ist, auch wenn es erkennbar schrill sein soll, letztendlich eine Spur zu brav geraten und schleift die subversiven Ecken und Kanten des Stücks unnötig ab. Die Choreographie von Ricardo Fernando tritt im wahrsten Sinne des Wortes zu oft auf der Stelle und bleibt ziemlich hölzern. Magenta (Marilyn Bennett) und Riff-Raff (Guildo Horn)
Allzu viel anhaben kann das alles dem Mitmach-Musical nicht. Für drei Euro kann man eine Tüte mit den wichtigsten Accessoires erstehen: Wasserpistole, Reis, Leuchtstab, eine Rolle Toilettenpapier, Toast (na ja: ein Bierdeckel mit aufgedrucktem Toast, denn mit Lebensmitteln spielt man natürlich nicht, Reis einmal ausgenommen). Damit wird an den entsprechenden Stellen gemäß der Rocky-Horror-Show-Tradition dann ausgiebig und mit großem Vergnügen gespritzt und geworfen. Nicht ganz so gut funktionieren an diesem Abend die anderen Mitmach-Elemente: Getanzt wurde (zumindest im Rang) praktisch gar nicht (wobei man den Eindruck hatte, das Bühnenpersonal habe den Time Warp auch noch nicht so recht verinnerlicht). Eigentlich wird die Erwähnung des Namens Eddie (shhhht!) ja stets mit einem shhhht! kommentiert, und Dr. Scott (uh!) mit uh! das funktioniert an diesem Abend nicht, aber das müsste man auch genauer inszenieren, den Text darauf zu laufen lassen. Und wenn der Erzähler die Bühne betritt, wird das ja traditionell mit einem boring oder langweilig quittiert, was in Hagen zurückhaltend höflich ausfällt vielleicht weil der schlacksige Orlando Mason tatsächlich langweilig ist. Bo(h)ring?, fragt er irgendwann und hält eine Bohrmaschine hoch. Das Publikum, in der Beurteilung der von der Regie hinzugefügten Pointen durchweg sehr großzügig, lacht fröhlich. Bitte erst mal ausziehen: Janet (Tanja Schun, l.) und Brad (Jeffery Krueger, 2. v. r.) werden von Riff-Raff (Guildo Horn, mitte), Magenta (Marilyn Bennet, 2.v.l) und Columbia (Susanna Mucha) empfangen
Der exzentrische Wissenschaftler Frank'n'Furter sieht mit üppiger Haarpracht aus wie der ganz junge Michael Jackson (keine sehr glückliche Anspielung, falls das beabsichtigt war), und er neigt wie leider fast alle Figuren zu Wehleidigkeit und Weinerlichkeit Henrik Wager spielt die Sprechszenen mitunter lustlos, als sei ihm das alles ein bisschen peinlich; in den Gesangsnummern ist er sehr viel zupackender und überzeugender. Das Pärchen, das versehentlich in sein dubioses Schloss gerät, ist mit hauseigenen Sängern besetzt, und das ganz ausgezeichnet: Tanja Schun brilliert als Janet mit großer Naivität, aber auch mit überraschend großer Musical-Stimme; Jeffery Krueger als Brad ist ihr ein (fast) ebenbürtiger Verlobter, und beide passen hervorragend in ihre Rollen. Richard van Gemert als Motorradrocker Eddie (shhhht!) hat einen kurzen, aber prägnanten Auftritt vor seinem drastischen Ende, und Werner Hahn ist ein ordentlicher Dr. Scott (uh!), dem die Regie Züge von Stanley Kubricks Dr. Seltsam verleiht (warum eigentlich?). Rocky (Tillmann Schnieders)
Geworben für die Produktion wird mit einem illustren Gast, nämlich Guildo Horn als Butler Riff-Raff. Wozu eigentlich? Außer seinem Namen steuert er nicht viel bei, schon gar nicht besondere Schauspielkunst. So bleibt die Figur ähnlich blass wie die seiner Schwester Magenta (Marilyn Bennett), auch weil die beiden hinter ihren allzu drolligen Kostümen verschwinden. Susanna Mucha muss die Magenta nervtötend piepsig anlegen, zeigt aber in den Gesangsnummern großes Format. Tillmann Schnieders als Retortenmensch Rocky präsentiert hübsch viel Muskeln und macht damit nichts falsch. Ach ja, eines hat Guildo Horn dann doch noch mitgebracht, nämlich seine Band Die orthopädischen Strümpfe, die ihre Sache, auch wenn man sich manches noch härter, rockiger vorstellen könnte, sehr ordentlich machen. (Im Besetzungszettel findet man noch den Namen eines musikalischen Leiters, nämlich Steffen Müller-Gabriel, der aber nicht erkennbar in Erscheinung tritt.) Wie gesagt: Der Abend funktioniert, auch wenn vieles ein bisschen biederer als nötig geraten ist. Der Vergleich mit dem Theater Krefeld-Mönchengladbach drängt sich auf, wo das Stück ziemlich genau ein Jahr zuvor angelaufen ist (unsere Rezension) und wo alles etwas frecher, pointierter, eben subversiver abgeht. Vielleicht liegt es daran, dass die Regie in Hagen doch so etwas wie eine eigene Handschrift entwickeln möchte, damit aber nicht gegen die übermächtige Vorlage ankommt dazu müsste sie dann doch mutiger sein.
Ein unterhaltsamer Abend, keine Frage, mit tollen Hauptdarstellern und einem Publikum, das fröhlich die kurzzeitige Anarchie feiert, auch wenn szenisch dann doch nicht alles ganz so anarchisch ist, wie es bei der Rocky Horror Show sein dürfte. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Choreographie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Brad Majors
Janet Weiss
Frank 'n' Furter
Riff-Raff
Magenta
Columbia
Rocky
Eddie
Dr. Scott
Erzähler
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