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Vom Kopf auf die Füße oder umgekehrt?Von Joachim Lange / Fotos: Klaus FröhlichAuf diese Idee muss man erst mal kommen: Das komödiantischem Theater-Vorspiel im Hause des reichsten Mannes von Wien und die hochdramatische, mit all dem funkelnden Aufstrahlen und all der mythischen Aufladung, die Richard Strauss so zu bieten hat, langsam anhebende und sich furios steigernde Oper einfach umzudrehen. Natürlich nicht durch ein einfaches Tauschen der Reihenfolge. Sondern, indem man das Vorspiel als eine entfesselte, witzige Theater-Vorstellung zweidimensional in den historischen Charme eines Aufklappbilderbuches verpackt. Noch ist die Euphorie des Komponisten (Anna Peshes) ungebrochenMit verzerrten Perspektiven, historischen Kostümen und einem zackigen preußischen Pickelhauben-Import. Mit auf Pappkulissen gemalten Autos, die sowohl zum wippenden Liebemachen als auch zum scheppernden Crash hinter der Bühne taugen. Doch damit nicht genug. In all das wird sogar eine Vorwegnahme des großen historischen Crashs, der ein paar Jahre nach der Uraufführung als erster Weltkrieg über ganz Europa hereinbrach, integriert - mit auffahrenden Tank-Ungetümen und Granateneinschlägen im Stadtpalais. In diesen Turbulenzen rücken die Künstler wie die Revuestars der auch noch bevorstehenden Zwanziger Jahre an, regen sich gebührend über die abstruse Anweisung des Haushofmeisters auf und arrangieren sich schließlich damit, das Lustspiel und die tragische Oper gleichzeitig über die Bühne gehen zu lassen. Zur Pause verlässt man so das Heidelberger Opernzelt zwar amüsiert, doch auch mit dem leisen Zweifel daran, ob aus der Regie von Lorenzo Fioroni wohl noch etwas Gescheites werden kann. Turbulenzen vor dem Stadtpalais des reichsten Mannes von Wien Doch Fioroni wäre nicht Fioroni, wenn es nicht einen radikalen Bruch gäbe. Etwa so, wie er ihn in seiner Lohengrin-Inszenierung in Kassel auf die Spitze getrieben hat. Nach der Pause präsentiert sich das Heidelberger Papp-Kulissenbühnenbild von hinten. Als nüchternes Garderoben-Provisorium für Künstler. Was in der Notspielstätte des sich gerade in Renovierung befindlichen Opernhauses obendrein eine durchaus selbstbezügliche Pointe ist. Hier findet sich nur, was man unbedingt braucht. Ein Ständer mit Kostümen (von Sabine Blickenstorfer). Ein Schminktisch, an dem sich nebenbei auch die Fan- oder sonstige Post erledigen lässt. Einen Kühlschrank und eine ausrangierte Sitzecke mit Fernseher gibt es auch. Bühnenbildner Ralf Käselau hat sich dabei offenbar von Anna Viebrock inspirieren lassen und noch etwas an banaler Schäbigkeit drauf gepackt. Selbst die Griechenland-Plakate passen ja heutzutage zum Thema. Eine tief deprimierte Ariadne-Sängerin (Yannick-Muriel Noah), die am Ende dann doch noch lachtIn dieser ausgebremsten Tristesse entfaltet sich ein Kammerspiel der Befindlichkeiten vom Feinsten. Und weil Lorenzo Fioroni sich auch diesmal in Sachen Personenführung als einer der Besten im Lande bewährt, erleben wir die tiefe Depression der Ariadne-Sängerin und den Pragmatismus der drei Damen, die für die Najade, Dryade und Echo engagiert sind, ebenso detailverliebt und psychologisch ausgeleuchtet, wie Zerbinettas Männerbild, vor allem aber das Frauenbild ihrer Männer in einem geradezu beklemmende Licht von gärenden Obsessionen. So gesehen passt dann auch Zerbinettas Beinahe-Vergewaltigung, als den vier Herren ihr Dauer-Werben um die Begehrte außer Kontrolle gerät. Bacchus taucht in dieser trüben Umgebung wie ein angehimmelter Star von außen auf. Er stellt sich bei seinem Einsingen fürs Vorsingen etwas irritiert, aber doch mehr oder weniger gutwillig auf das große Missverständnis ein, mit dem ihn die Sängerin der Ariadne als Todesboten begrüßt. Die schneidet sich am Ende sogar die Pulsadern auf, so sehr hat sie sich in ihre eigene Geschichte verrannt. Es hat mehr als nur den Charme der Überraschung, dass Fioroni auch da noch einmal aussteigt, das Ganze als Theatereffekt kenntlich macht, über den alle lächeln können, um dann auch den nochmals zu brechen. Wenn die ganze Truppe nämlich fröhlich durch die Zuschauerreihen abzieht, dann bleibt eine der drei Damen in anhimmelnder Verzückung des Tenors wie angewurzelt und mit offenem Mund stehen. Sie muss erst daran erinnert werden, dass jetzt Schluss ist. Mit dem ganzen Theater. Mit der großen Oper. Und mit dem Spiel im Spiel. Oder vielleicht doch nicht? Weiß man's? Neben der klugen und obendrein exzellent durchgearbeiteten Inszenierung wurde diese Ariadne auch durch ihre musikalischen Qualitäten zum Ereignis. Was natürlich zunächst dem scheidenden GMD Cornelius Meister und seinem Orchester zu danken ist. Niemand ließ sich von den provisorischen Umständen, unter denen gespielt wurde, irritieren. Zumal es bei der Premiere mal nicht der Straßenlärm war, der störte, sondern ein Unwetter. Allerdings mit so punktgenauen Donnerschlägen, dass man die gut und gerne als Teil der Inszenierung verstehen konnte. Meister jedenfalls fand die Balance zwischen ausformulierter, komödiantischer Leichtigkeit für den Konversationston und dem aufdämmernden Ariadne-Pathos instinktsicher. Doch nicht nur das Orchester faszinierte zwischen Präzision und Schwelgen. Hinzu kommt die vokale Dimension des Abends. Der Clou: Eine Zerbinetta der Spitzenklasse (Sharleen Joynt) Das beginnt mit der wunderbar dunkel grundierten und im Aufblühen alle Facetten abdeckenden Ariadne von Yannick-Muriel Noah. Da hatte der Bacchus schon etwas Mühe mitzuhalten, doch stellte sich Ta'u Pupu'a risikobereit dieser Herausforderung ebenso beherzt wie Anna Peshes der Partie des Komponisten. Ohne Überanstrengungen kamen Angus Wood als Tanzmeister oder James Homann als Musiklehrer aus. Wunderbar differenziert ersingen und erspielen sich Ulrike Machill, Carolyn Frank und Annika Sophie Ritlewski das Damentrio aus der Oper mehr als verjüngte Golden Girls, denn als Fabelwesen. Zerbinettas Männer sind mit Haris Andrianos, Winfrid Mikus, Wilfried Staber und Sanghoon Lee komödienhandfest mit ausgeprägter Tendenz zum Macho besetzt. Die Krönung aber ist diese Zerbinetta! So kraftvoll, virtuos und sicher wie bei Sharleen Joynt hat es Zerbinetta schon lange nicht auf einer Opernbühne getrieben. Was vom Publikum an Ort und Stelle mit einem XL-Szenenapplaus gewürdigt wurde. Sie ist eine Entdeckung, von der man wohl noch viel und bald auch aus größeren Häusern hören dürfte.
Diese Ariadne auf Naxos ist ein Glanzstück für Heidelberg und ein Beweis für die Leistungsfähigkeit des deutschen Stadttheatersystems. Verblüffend neu gedacht, klug und einfühlsam inszeniert und exzellent gesungen. Es ist die letzte Neuproduktion unter Leitung des scheidenden GMD. Ein besseres Abschiedsgeschenk hätte ihm die Oper unter ihrem neuen Führungsgespann aus Intendant Holger Schultze und Operndirektor Heribert Germershausen nicht machen können - Cornelius Meister seinem Publikum aber auch nicht. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Solisten
Der Haushofmeister
Ein Musiklehrer
Der Komponist
Primadonna
Der Tenor
Ein Offizier
Ein Tanzmeister
Ein Perückenmacher
Ein Lakai
Zerbinetta
Harlekin
Scaramuccio
Truffaldin
Brighella
Ariadne
Bacchus
Najade
Dryade
Echo
Zerbinetta
Harlekin
Scaramuccio
Truffaldin
Brighella
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- Fine -