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Musiktheater
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Lear

Oper in zwei Teilen
nach William Shakespeare, eingerichtet von Claus H. Henneberg
Musik von Aribert Reimann

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hamburg am 15. Januar 2012

Logo: Staatsoper Hamburg

Hamburgische Staatsoper
(Homepage)

Flucht in den Wahnsinn

Von Roberto Becker / Fotos von Brinkhoff / Mögenburg

Natürlich kann man sich Shakespeares Lear am besten als einen alten Mann vorstellen. Einen amtsmüden König, der es sich für den Rest seiner Tage mit ein paar Kumpanen gut gehen lassen und seine Töchter für sich sorgen lassen will. Und der aus allen Wolken fällt, als eine von den Dreien bei der vorzeitigen Verteilung des Erbes kein Loblied auf ihren Vater anstimmt. Auch muss er sehr schnell bemerken, dass die übertriebenen Bekundungen von Vaterliebe ihrer Schwestern reine Taktik war, um ans Erbe und die Macht zu kommen. Und zwar ohne Einschränkungen durch den Vater, der aus dem Hintergrund eigentlich immer noch das letzte Wort behalten will. Man ist eben König oder ist es nicht. Ein bisschen schwanger geht nicht.

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Bo Skovhus (König Lear) mit dem Herrenchor der Hamburgischen Staatsoper

Als Aribert Reimann und sein Librettist Claus H. Henneberg, auf Anregung von Dietrich Fischer Dieskau und im Auftrag der Staatsoper in Hamburg, in den siebziger Jahren darangingen, aus Shakespeares Lear eine Oper zu machen, wurde aus dem „King Lear“ einfach „Lear“. Im Mittelpunkt steht damit ein - wenn auch besonderer - Mensch, der im äußeren Leben und für jeden sichtbar tief fällt und erst im Wahnsinn zu sich findet. Nachdem der Lear, nicht wie geplant in Hamburg, sondern 1978 in München uraufgeführt wurde, und selbst an der Komischen Oper schon zwei Inszenierungen (von Harry Kupfer und Hans Neuenfels) erlebt hat, kommt er, mit 33 Jahren Verspätung, endlich doch noch an die Elbe. Wenn Simone Young, wie jetzt angekündigt, demnächst ihren Posten in Hamburg aufgibt, dann darf sie sich das ohne Zweifel auf der Habenseite ihrer Bilanz verbuchen.

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von links: Hellen Kwon (Regan), Peter Galliard (Herzog von Cornwall), Katja Pieweck (Goneril), Statisten, Moritz Gogg (Herzog von Albany), Bo Skovhus (König Lear) und Erwin Leder (Narr)

Auch, weil sie Regisseurin Karoline Gruber dafür verpflichtet hat. Die konzentriert sich in ihrer Inszenierung nämlich auf den Gedanken, dass dieser exemplarische Lear nicht zwingend ein alter Mann sein muss. Mit dem dänischen Bariton-Mannsbild Bo Skovhus hat sie einen Sängerdarsteller für die Titelpartie, der kein bisschen altersschwach oder müde wirkt, wenn er in Stiefeln und Reiterhosen mit der Karte seines Reiches in der Hand auf die Bühne gestapft kommt, um sein Amt eher hinzuschmeißen, als sich amtsmüde aus der Verantwortung zu schleichen. Der hat hier ganz offenbar noch was vor. Dabei sind das (Dreh)-Bühnenbild von Roy Spahn, Karl-Heinz Stenz‘ sich klug ins Übermächtige eines Heidelabyrinths auswachsenden Videoeinblendungen mit zentralen Worten (von König-reich, über ICH bis NICHTS) und die eher heutigen Kostüme von Mechthild Seipel offen für Assoziationen bis in die Gegenwart und doch von einer Atmosphäre, die eine ausgefeilte, stets musikalisch beglaubigte Personenregie in ein beklemmendes Kammerspiel steigert: Im Falle Lears, wenn sich der Machtmensch nach seiner Abdankung nur noch von lauter Männer umgeben sieht, die ihm aufs Haar gleichen. Wenn er den Verlust seiner Kleidung, wie den seiner Selbstständigkeit und seiner Würde erlebt. Wenn all das in einem stummen Schrei mündet und, ganz am Ende, ein Utopia des Wahnsinns ein Lächeln auf sein Gesicht zaubert.

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Andrew Watts (Edgar)

Für die äußere Handlung genügen eine sparsame Büro-Ausstattung für den Ort der Abdankung, ein paar Versatzstücke britischer Kaminbehaglichkeit für die arg gebeutelte Familie Gloster, und ein proper spießiges My-home-is-my-Castle-Einfamilienhaus mit großem Messingnamensschild, wie es, sagen wir in Großburgwedel stehen könnte. Manchmal liefert die Wirklichkeit der Fantasie der Ausstatter halt auch noch was nach. Ein trister Gang mit Neonleuchten weist im Grunde immer auf den Weg ins Nichts hin. Wenn das dann für Lear und seine paar treuen Begleiter im Unglück zur stürmisch bedrohlichen Realität wird, wächst der entsprechende Schriftzug NICHTS ins Übermächtige. Die Machtgier der Töchter Goneril (Katja Pieweck) und Regan (Hellen Kwon), die sadistische Blendung des alten Grafen Gloster (Lauri Vasar) und dann der scheiternde Rettungsversuch Cordelias (besonders eindrucksvoll: Ha Young Lee), werden so in einer wohldurchdachten Dosierung, nicht als historische Gruselstory, sondern als exemplarische Bedrohung des Zivilisatorischen erzählt.

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Bo Skovhus (König Lear), im Hintergrund: Erwin Leder (Narr) und Lauri Vasar (Graf von Gloster)

Dass das Publikum vor der Pause und am Ende ein paar Sekunden brauchte, um wieder aus der Wirkung des vorgeführten Grauens heraus zu kommen, lag auch an dem exzellenten musikalischen Niveau des Abends. Das Protagonisten-Ensemble schien durchweg von der Ausstrahlung und Überzeugungskraft beflügelt, mit der sich Bo Skovhus hier als Sängerpersönlichkeit von Rang einbrachte. Neben den Töchtern gilt das besonders für Andrew Watts, der als Edgar für seine Existenz als irrer Tom mühelos in eine kraftvolle Counterlage wechselte. Neben dem Chor gilt das aber diesmal auch für die Intendantin Simone Young, die am Pult die Philharmoniker Hamburg mit bemerkenswerter Einfühlung und Präzision jedes Detail hörbar machte und sich immer hochsouverän im Einklang mit der Bühne befand. Und im Einklang mit den Intentionen des Komponisten. Das darf man in diesem Falle getrost vermerken, weil es der ziemlich glücklich wirkende Aribert Reimann in Hamburg selbst gesagt hat.


FAZIT

Mit dieser Lear-Produktion konnte die Hamburger Staatsoper endlich einmal wieder an das musikalische und szenische Niveau früherer Jahre anknüpfen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Simone Young

Inszenierung
Karoline Gruber

Bühnenbild
Roy Spahn

Kostüme
Mechthild Seipel

Licht
Hans Toelstede

Video
Karl-Heinz Stenz

Chor
Florian Csizmadia

Dirigat Fernorchester
Alexander Soddy

Dramaturgie
Kerstin Schüssler-Bach



Herrenchor der
Staatsoper Hamburg

Philharmoniker Hamburg


Solisten

König Lear
Bo Skovhus

König von Frankreich
Wilhelm Schwinghammer

Herzog von Albany
Moritz Gogg

Herzog von Cornwall
Peter Galliard

Graf von Kent
Jürgen Sacher

Graf von Gloster
Lauri Vasar

Edgar, Sohn Glosters
Andrew Watts

Edmund, Bastard Glosters
Martin Homrich

Goneril, Tochter Lears
Katja Pieweck

Regan, Tochter Lears
Hellen Kwon

Cordelia, Tochter Lears
Ha Young Lee

Narr
Erwin Leder

Bedienter
Frieder Stricker


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Hamburgischen Staatsoper
(Homepage)





Da capo al Fine

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