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Musiktheater
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Europera

Europeras 3, 4 und 5
Musiktheater von John Cage


Aufführungsdauer: ca. 3h (zwei Pausen)


Kooperation der Oper Köln mit dem Acht Brücken Festival und dem Holland Festival

Premiere im Palladium Köln-Mühlheim am 2.Mai 2012
(rezensierte Aufführung: 3. Mai 2012)

Logo: Acht Brücken Festival Logo: Oper Köln

Ein großer Abgesang auf die Oper

Von Stefan Schmöe / Fotos: © Matthias Baus

Es wirkt, als habe ein Archäologe Schicht um Schicht einer vergangenen Zeit frei gelegt; nicht die Vergangenheit an sich, sondern Momente einer vergangenen Gegenwart, die sich übereinander aufgeschichtet haben. Allerdings ist John Cage nicht der Archäologe, sondern der listige Architekt dieses Zeitenquerschnitts, der vom fernen Amerika aus die vielleicht merkwürdigste Kunstform des alten Europa, nämlich die Oper, solchem musealisierenden Verfahren unterzieht, um sie darin (neu) zu erkennen. Das Verfahren an sich scheint simpel: Populäre Arien aus der Blütezeit der Oper werden zufällig ausgewählt und, teils live gesungen, teils vom Band, simultan gespielt: Eine große Kakophonie des allzu Bekannten und Beliebten. Fünf solcher Europeras hat Cage konstruiert, die letzten drei davon waren jetzt in Köln zu erleben (die Europeras 1 und 2 gibt es demnächst im Rahmen der Ruhrtriennale).

Szenenfoto Ji-Hyan An in Europera 3

Innerhalb der fünf Werke gibt es eine Entwicklung vom Opulenten (Europeras 1 und 2 benötigen noch einen umfangreichen Orchesterapparat) zum Einfachen und zu kleinen Besetzungen. Für die 70minütige Europera 3 bedarf es neben den 6 Solisten noch zweier Pianisten sowie 8 Plattenspieler bzw. Grammophone. Damit bildet Cage unterschiedliche historische Formen der Opernrezeption nach: Die Pianisten spielen Opernparaphrasen von Franz Liszt, wohl die früheste Methode, das Musiktheater von der Bühne in den bürgerlichen Salon zu holen, gleichzeitig aber zu entdramatisieren und damit auch zu musealisieren. Ungleichmäßig (und zu schnell und damit die Tonhöhe grotesk verzerrend) laufende Schellackplatten und später die technisch perfektionierten Aufnahmen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bringen die Oper endgültig ins Wohnzimmer. Gleichzeitig verbinden sich mit bestimmten Kostümen auch feste Rollenassoziationen oder zumindest Typisierungen. Dazu kommt der unmittelbare Gesang (die sechs Sänger dürfen sich sechs Arien aus dem Repertoire von Gluck bis Puccini aussuchen), dem hier allerdings die Begleitung fehlt. Diese Schichten werden von Cage nach bestimmten Regeln einander zugelost – auch der Zufall hat seinen Plan. Mein subjektiver Eindruck: Nach 10 Minuten ist das absolut nervtötend. nach 20 Minuten entwickelt sich die ganz eigene Faszination. (Die lebhaften Pausendiskussionen unter uns Bildungsbürgern, welche Arien und welche Kostüme wir nun erkannt haben - „die Brünnhilde hat aber die Elsa gesungen, und die Frau im Turandot-Kostüm, das war Mimí“ - sind von Cage ganz sicher schelmisch mitgedacht worden und setzen die Aufführung auf anderer Ebene fort.)

Szenenfoto

Gloria Rehm in Europera 4

Ein starkes Stück also. Dabei hat die Kölner Aufführung (Regie führt Elena Tzavara, Chefin der sehr erfolgreichen Kölner Kinderoper) doch einige Schwachpunkte. Den Kostümen (Ausstattung: Elisabeth Vogetseder) sieht man nicht an, ob sie ironische Übertreibungen sein sollen oder doch nur ziemlich ungeschickt gestaltet (oder einfach kostengünstig dem Fundus entnommen?) sind. Die Bühne, im Grundmodell in 8x8 Felder aufgeteilt, allerdings in gegeneinender horizontal versetzte und in die Schräge gekippte Teilflächen zerlegt, betont mit etlichen Stehlampen das heimelige der Gattung Oper, was aber insgesamt wenig Impulse setzt. Vor allem aber stoßen die zweifellos sehr engagierten jungen Sänger des Opernstudios immer wieder hörbar an ihre stimmlichen Grenzen, und damit fehlt eine wesentliche Dimension, nämlich das unmittelbar überwältigende des Bühnenauftritts.

Nach der überrumpelnden Vielstimmigkeit der Europera 3 kommt die gerade einmal 30 Minuten kurze Europera 4 sehr viel ruhiger und poetischer daher. Nur zwei Sänger, ein Pianist (der zunächst zwar hoch konzentriert und offenbar sehr virtuos, aber unhörbar weil nicht die Tasten berührend spielt) und zwei Plattenspieler bilden den musikalischen Apparat. Die Grundstruktur bleibt, nur ist hier alles viel besser durchhörbar. Im sehr schönen Bühnenbild – über jedem der 64 Felder schwebt ein mit Helium gefüllter Ballon – wird eifrig und sehr pathetisch gestorben, unabhängig vom musikalischen Kontext. Weil Gloria Rehm eine glockenhell leuchtende, nicht zu kleine Soubrettenstimme besitzt, dominiert Mozart (Zerlina, Despina), der Bariton von Sévag Tachdjian fällt dagegen ein wenig ab, bewältigt seine Arien aber akzeptabel. Spätestens wenn vom Klavier todtraurig der Schluss von Verdis Otello erklingt, wird hier – nach dem ironisch gebrochenen Blick auf die Gattung in Europera 3 - viel vom Zauber der Oper hörbar.

Szenenfoto Sandra Janke, Gloria Rehm (im Hintergrund) in Europera 5

In der 60minütigen Europera 5 für zwei Sänger, einen Pianisten und einen Grammophonspieler ist die Oper dann am Ende. Das hilflose Hantieren der beiden Sängerinnen (mit etwas brüchiger Stimme: Mezzosopranistin Sandra Janke, und erneut überzeugend Gloria Rehm) mit Bären- und Hasenmaske gleitet ins Groteske ab. Leise erklingt Jazzmusik vom Band, Opernmusik gibt es nur noch vereinzelt. Quäkend erklingt Tannhäusers Romerzählung vom Grammophon. So ergibt sich ein suggestiver Spannungsbogen von der Europera 3 bis zur Europera 5. Glänzend spielen die beiden Pianisten Siro Battaglin und Raimund Laufen.

Die Aufführung hätte mehr Publikum verdient, das Publikum freilich auch mehr Aufmerksamkeit durch die Veranstalter: Eine Werkeinführung mit Erläuterungen zu Cage's Zufallsverfahren wäre doch sehr wünschenswert gewesen, zumindest aber ein akzeptables Programmheft mit entsprechenden Erläuterungen.


FAZIT

Es ist ein bisschen schade, dass die Europeras ins Opernstudio abgeschoben und, abgesehen von der sehr überzeugenden Gloria Rehm, nicht mit der ersten Sängergarde besetzt sind; auch könnte man sich eine pointiertere Regie vorstellen. Dennoch entwickeln die drei Stücke ihre eigene Faszination.



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Produktionsteam

Inszenierung
Elena Tzavara

Ausstattung
Elisabeth Vogetseder

Soundregie
Paul Jeukendrup

Lichtdesign
Valentin Gallé

Technical Advisor
Volker Rhein

Dramaturgie
Götz Leineweber



Solisten

Europera 3

Rachel Bate, Sopran
Ji-Hyun An, Sopran
Sandra Janke, Mezzosopran
Gustavo Quaresma, Tenor
Sévag Tachdjian, Bariton
Young Doo Park, Bass

Siro Battaglin, Klavier
Raimund Laufen, Klavier

Europera 4

Sévag Tachdjian, Bariton
Gloria Rehm, Sopran

Raimund Laufen, Klavier

Europera 5

Sandra Janke, Mezzosopran
Gloria Rehm, Sopran

Raimund Laufen, Klavier


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Köln

und dem Festival
Acht Brücken

(Homepage)




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