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Alessandro

Dramma per musica in drei Akten (HWV 21)
Libretto von Paolo Antonio Rolli nach Ortensio Mauros La Superbia d'Alessandro
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 15' (zwei Pausen)

Premiere im Badischen Staatstheater am 17. Februar 2012
im Rahmen der 35. Händel-Festspiele
(rezensierte Aufführung: 19.02.2012)

 
 
 
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Arienfeuerwerk für zwei "Rival Queens" und einen Countertenor

Von Thomas Molke / Fotos von Markus Kaesler

Der neue Generalintendant Peter Spuhler hat nicht nur die Absicht bekundet, die traditionellen Händel-Festspiele in Karlsruhe fortzuführen, sondern setzt mit seinem neuen künstlerischen Leiter Bernd Feuchtner auch zahlreiche neue Akzente. So gibt es im Rahmen der diesjährigen Festspiele beispielsweise mit der Opernpremiere Alessandro ein Werk, das bis jetzt weder in Halle noch in Göttingen szenisch zu erleben war. Dabei zählte diese Oper zu Händels Lebzeiten zu den populärsten Stücken des Hallenser Komponisten, die in der Zahl der Aufführungen nur von Rinaldo übertroffen wurde. Garant für den großen Erfolg war damals sicherlich die Sängerbesetzung, die neben dem Starkastraten Senesino auch noch mit den Sopranistinnen Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni zwei weltberühmte Diven präsentierte, die mit ihrer virtuosen Gesangskunst für ausverkaufte Vorstellungen sorgten. Die auf diese drei Sängerpersönlichkeiten zugeschnittene Musik mag aber auch der Grund dafür sein, warum es nach der Wiederentdeckung 1959 durch die Sächsische Staatsoper nur drei bis vier zaghafte Versuche gab, diese Oper wieder ins Bewusstsein des Publikums zu bringen. So stellt die Karlsruher Inszenierung mit nur geringen Kürzungen die wohl vollständigste szenische Aufführung seit dem 18. Jahrhundert dar.

Die Handlung der Oper spielt zur Zeit des Indien-Feldzuges von Alexander dem Großen (Alessandro), wobei sich die politischen Ereignisse eher im Hintergrund abspielen. Im Mittelpunkt stehen die Liebeswirren um die persische Prinzessin Roxana (Rossane) und die skythische Prinzessin Lisaura, die beide um die Gunst Alessandros buhlen, obwohl Lisaura bereits dem König von Indien, Taxiles (Tassile), versprochen ist. Alessandro selbst kann sich so recht nicht zwischen den beiden Prinzessinnen entscheiden, verzichtet aber schlussendlich zu Gunsten Tassiles auf Lisaura, um, wie es auch historisch belegt ist, Rossane zu heiraten. Der Aufstand der drei mazedonischen Feldherren Clito, Leonato und Cleone, die gegen Alessandros Hochmut aufbegehren, da dieser sich als Sohn Jupiters feiern lässt, wird in diesem Wirrwarr der Gefühle eher nebenbei niedergeschlagen.

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Alessandro (Lawrence Zazzo, rechts) präsentiert sich nach seinem Sieg über die Stadt Oxydraka hochmütig (im Hintergrund von links: Clito (Andrew Finden) und Cleone (Rebecca Raffell)).

Auch wenn das Libretto dramaturgische Schwächen im Handlungsablauf aufweist und die Oper sich scheinbar nur auf die virtuosen Gesangsnummern für die drei Hauptfiguren konzentriert, hat das Regieteam um Alexander Fahima für jeden der drei Akte eine eigene Stimmung entwickelt. Während die Kostüme von Claudia Doderer aufwendig gestaltet sind und für die Hauptfiguren von Akt zu Akt wechseln - so trägt Alessandro im ersten Akt als Kämpfer eine gepanzerte Rüstung, im zweiten Akt als Privatmann einen langen orientalischen Mantel und im dritten Akt als Politiker einen schwarzen Anzug - ist Doderers Bühnenbild eher abstrakt und schlicht gehalten. Hinter dem Orchestergraben befinden sich drei Glaskästen, die an Terrarien erinnern und die Bühne vom Orchester trennen. Während der linke Kasten mit Steinen und der rechte Kasten mit abgestorbenem Holz gefüllt ist, fließt im ersten Akt in den mittleren Kasten über eine Rinne von der Bühne rote Farbe, die wohl für das vergossene Blut beim Feldzug steht. Im letzten Akt fehlt dieser Kasten, wobei das entstandene Loch als Kerker für den verhafteten Clito dient. Die private Atmosphäre des zweiten Aktes, in der nacheinander die Hauptfiguren von ihren Liebesproblemen singen, wird durch Videobilder begleitet, die mal die Umrisse eines Tempels, mal die Umrisse einer Baumrinde auf einen vor der Bühne herabgelassenen Gaze-Vorhang projizieren und mit der ausgeklügelten Beleuchtung von Stefan Woinke die Figuren in ihren Arien noch mehr isolieren.

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Alessandro (Lawrence Zazzo) zwischen zwei Frauen: Rossane (Yetzabel Arias Fernandez, links) und Lisaura (Raffaella Milanesi, rechts).

Alexander Fahima schafft durch eine ausgefeilte Personenregie bei den einzelnen Arien eindringliche Bilder. Zu erwähnen sind hier beispielsweise die dritte Szene im dritten Akt, in der Lisaura und Rossane verloren auf der vom Aufstand ramponierten Bühne sitzen und in der während Lisauras Arie kleine Schneeflocken aus dem Schnürboden rieseln, und Rossanes großes Gebet in der fünften Szene des dritten Aktes, in der sie vor einem roten Tuch steht und hofft, dass Alessandro siegreich zurückkehren wird. Besonderes Augenmerk richtet Fahima auf die drei mazedonischen Feldherren, die er mit ihren komödiantischen Einlagen als Anspielung auf Gays Beggar's Opera betrachtet, die zwei Jahre nach Alessandro auf die Bühne kam und als Gegenbewegung zu Händels ernsten Opern verstanden werden konnte. Auch misstraut er dem lieto fine. So lässt er in Alessandros großer Schlussarie, in der die Titelfigur die Größe eines Herrschers an der Fähigkeit zur Gnade misst, anders als im Libretto die drei mazedonischen Feldherren hinrichten. Tassile betrachtet er ebenfalls nicht als treuen Gefolgsmann Alessandros, sondern lässt ihn immer mehr in die Rolle des Herrschers schlüpfen. So posiert er bereits während Alessandros großer Arie vor einem imaginären Spiegel und schreitet beim Finale im Hintergrund eine Treppe hinauf, während Alessandro und die Prinzessinnen die von den Mazedoniern überreichten Hochzeitsgeschenke öffnen, in den Verpackungen aber nur schwarze Asche vorfinden und zusammenbrechen.

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Alessandro (Lawrence Zazzo) träumt in Rossanes (Yetzabel Arias Fernandez) Schoß.

Musikalisch ist die Produktion so überragend für die zahlreichen brillanten Arien besetzt, dass die Schwächen der eigentlichen Handlung in den Hintergrund treten. Aus dem Ensemble des Badischen Staatstheaters belegen Andrew Finden als Clito, Sebastian Kohlhepp als Leonato und Rebecca Raffell als Cleone stimmlich und darstellerisch das hohe Niveau des Hauses. In den Choreographien von Michael Bernhard sorgen sie für zahlreiche komische Momente und wirken eher ungefährlich, obwohl sie als Rebellen den hochmütigen Alessandro stürzen wollen. Raffell überzeugt mit sehr tiefem Alt und lässt im Spiel kaum merken, dass es sich um eine Hosenrolle handelt. Großen Applaus erhält sie für die große Beweglichkeit ihrer Stimme bei den schnellen Läufen in der großen Arie des dritten Aktes, in der sie schwört, Rache an Clito und Leonato zu nehmen. Finden gefällt mit kräftigem Bariton als Clito, der sich Alessandros Hochmut nicht unterordnen will, und Kohlhepp mit klarem Tenor als Leonato, der gemeinsam mit Clito im ersten Akt Cleone für dessen Unterwürfigkeit verspottet.

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Lisaura (Raffaella Milanesi, links) hat das Nachsehen. Alessandro (Lawrence Zazzo) hat sich für Rossane (Yetzabel Arias Fernandez, Mitte) entschieden.

Für die Hauptpartien wurden Gäste engagiert. Größtes Lob gebührt in diesem Zusammenhang sicherlich Raffaella Milanesi, die erst vor drei Wochen für die erkrankte Ina Schlingensiepen als Lisaura eingesprungen ist und die anspruchsvolle, unbekannte Rolle in dieser kurzen Zeit musikalisch und darstellerisch einstudiert hat. Mit einem leuchtenden Sopran bewegt sie sich nahezu spielerisch durch die koloraturgespickten Arien und verleiht Lisauras Eifersucht mit zickigen Ausbrüchen den richtigen Ausdruck. Höhepunkte ihrer Interpretation sind ihre Gleichnisarie "La cervetta nei lacci avvolta" im zweiten Akt, in der sie ein Rehkitz besingt, das in einem Wald in eine Falle gegangen ist, und hofft, dass Rossane Alessandro genauso meiden wird wie das Rehkitz nach seiner Befreiung den Wald, und ihre Arie "Sì, m'è caro imitar quel bel fiore" im dritten Akt, in der sie sich mit einer Blume vergleicht.

Yetzabel Arias Fernandez stellt als Rossane mit fast in den Mezzobereich ragendem Sopran einen ruhigeren Gegenpart zu Lisaura dar. Sie wirkt in ihrer Darstellung und ihrem Gesang sanfter als Milanesi, was sich auch in den Texten ihrer Arien äußert. In der Gleichnisarie im zweiten Akt "Alla sua gabbia d'oro" sieht sie sich eher als einen Vogel, der trotz Freilassung in den goldenen Käfig zurückkehren wird. Bei dieser Arie tritt Fernandez in den Koloraturen in einen unter die Haut gehenden Dialog mit der Traversflöte aus dem Orchester. Auch das Gebet im dritten Akt, welches Händel erst nachträglich für Faustina Bordoni eingefügt hat, lässt erwarten, dass man von dieser jungen Sopranistin noch einiges hören wird.

Lawrence Zazzo rundet in der Titelpartie mit flexiblem und absolut höhensicherem Countertenor das Star-Trio ab und bewegt sich wie die beiden Damen mit scheinbarer Leichtigkeit durch seine koloraturgespickten Arien, von denen es in der Karlsruher Produktion immerhin sieben Stück zu erleben gibt. Auch Countertenor Martin Oro begeistert als Tassile mit kräftiger höhensicherer Stimme. Michael Form führt die Deutschen Händel-Solisten mit großer Präzision durch die Partitur, die nicht nur eine Abfolge grandioser Arien ist, sondern musikalisch auch die Kampfszenen im ersten Akt, den Aufstand am Ende des zweiten Aktes und das große Finale mit vielseitigen Klangfarben ausgestaltet. So gibt es am Ende lang anhaltenden und verdienten Applaus für alle Beteiligten.


FAZIT

Mit dieser Oper lässt sich in Karlsruhe in einer solchen Besetzung ein regelrechter Diamant der Barockmusik entdecken. Zum Glück wird diese Produktion bei den Festspielen im nächsten Jahr wieder aufgenommen.

Weitere Rezensionen zu den 35. Händel-Festspielen 2012


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Form

Regie
Alexander Fahima

Bühne und Kostüme
Claudia Doderer

Licht
Stefan Woinke

Choreographie
Michael Bernhard

Leitung der Rezitative
Marc Meisel

Video
Dirk Schulz

Dramaturgie
Bernd Feuchtner


Deutsche Händel-Solisten


Solisten

Alessandro
Lawrence Zazzo

Rossane
Yetzabel Arias Fernandez

Lisaura
Raffaella Milanesi

Tassile
Martin Oro

Clito
Andrew Finden

Leonato
Sebastian Kohlhepp

Cleone
Rebecca Raffell

Tänzer
Andrey Korolkov
Oleg Vasylenko
Tonia Convertini
Casey Banks

 


Weitere
Informationen

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Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)



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