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Die Lombarden auf dem
ersten Kreuzzug


Dramma lirico in vier Akten
Text von Temistocle Solera
Musik von Giuseppe Verdi

 

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Premiere in der Oper Kiel am 24. September 2011




Theater Kiel
(Homepage)
Deus lo vult

Von Thomas Molke / Fotos von Olaf Struck

Verdis vierte Oper I Lombardi alla prima crociata erlebt in jüngster Zeit nahezu so etwas wie eine Renaissance. Nachdem dieses fast vergessene Frühwerk nämlich in diesem Sommer bei den St. Galler Festspielen in einer Produktion zur szenischen Aufführung kam, die im Juli 2012 auch bei den DomStufen-Festspielen in Erfurt übernommen wird, hat sich auch die Oper Kiel vorgenommen, die neue Spielzeit mit diesem Stück zu eröffnen, das vielleicht aufgrund seiner dramaturgischen Schwächen im Libretto bis heute in Deutschland ein Schattendasein fristet und höchstens als Hommage an den Belcanto und an die imposante Musik seinen Weg auf die Konzertbühnen gefunden hat. Da diese Oper ansonsten seit 1845 in Deutschland nirgends szenisch zu erleben war, rühmt sich das Theater Kiel, die Spielzeit gewissermaßen mit einer deutschen Erstaufführung zu beginnen.

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Pagano (Petros Magoulas) plant den Mord an seinem Bruder Arvino (hinten rechts in Rot: Giselda (Agnieszka Hauzer) mit dem Chor).

Die Handlung geht zurück auf ein Epos von Tommaso Grossi über den ersten Kreuzzug von 1096 bis 1099, den Papst Urban II. damit begründete, dass ihm die Menschenmenge bei einer Predigt zur Befreiung Jerusalems "Deus lo vult" (spätlateinisch für "Gott will es!") zurief. Im Zentrum steht zum einen der Konflikt zwischen den lombardischen Brüdern Pagano und Arvino, die beide Viclinda lieben, was zur Verbannung Paganos führt, da er seinen Bruder aus Eifersucht töten will, durch eine Verwechslung jedoch sein Vater dem Attentat zum Oper fällt. Nach der Einnahme Jerusalems kommt es aber am Totenbett Paganos zur Versöhnung der beiden Brüder. Zum anderen handelt die Oper von Arvinos Tochter Giselda, die auf ihrem Weg nach Jerusalem in Gefangenschaft gerät und sich dort in Oronte, den Sohn des Herrschers über Antiochia, verliebt, der ihretwegen kurz vor seinem Tod zum christlichen Glauben konvertiert und ihr später als Geist erscheint und somit den Kreuzrittern noch zum Sieg verhilft, indem er ihnen den Weg zu einer Quelle weist, der sie vor dem Verdursten rettet.

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Arvino (Fred Hoffmann) ist fest entschlossen, Jerusalem einzunehmen.

Der in der Oper vorgeführte Missbrauch von Religion für Machtbestrebungen hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Dennoch dürfte der episodenhafte und wenig stringente Aufbau des Librettos mit den zahlreichen Szenen- und Ortswechseln jeden Regisseur mit einigen Problemen bei der Umsetzung konfrontieren. Uwe Schwarz hat sich daher entschieden, die Oper als ein Mysterienspiel zu verstehen, das der Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem in der Grabeskirche in der heiligen Stadt in Erinnerung an den ersten Kreuzzug aufführt. Dorit Lievenbrück hat dazu ein imposantes Bühnenbild geschaffen, welches das Innere dieser Kirche darstellt. Während der Ouvertüre nehmen die Mitglieder des Ordens, die Männer in weißen und die Frauen in schwarzen Umhängen, die jeweils das Emblem des Ritterordens, ein großes rotes Kreuz mit vier kleinen Kreuzen in den einzelnen Feldern, zieren, auf den Kirchenbänken Platz. Während der Chor in der ersten Szene die Vorgeschichte über den Bruderzwist erzählt, legen die Solisten ihre Umhänge ab und präsentieren sich in recht konventionell gehaltenen Kostümen, für die ebenfalls Dorit Lievenbrück verantwortlich zeichnet, als Protagonisten des Spiels an der Bühnenrampe. Dieses Konzept geht nicht ganz auf, da in dieser Szene auch bereits mit Oronte, Sofia und Acciano die Moslems gegenwärtig sind,  obwohl sie erst im zweiten Akt in die Handlung eingreifen. Auch gerät die erste Szene dabei sehr statisch, da die Solisten nahezu nur Rampensingen betreiben. Vielleicht ist es aber auch ein Versuch der Regie, das Werk aus dem konzertanten Korsett herauszulösen, in dem es aufgrund mangelnder szenischer Umsetzungen bisher verharrt. Im weiteren Verlauf des Stückes lässt Schwarz nämlich durchaus mehr Aktion zu.

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In den Armen Giseldas (Agnieszka Hauzer) konvertiert der sterbende Oronte (Yoonki Baek) zum christlichen Glauben (links im Hintergrund: Pagano als Eremit (Petros Magoulas)).

Zwischen den einzelnen Szenen wird jeweils ein Prospekt heruntergelassen, auf dem unten in großen Lettern das Motto des Kreuzzuges "DEUS LO VULT" prangt. Auf die Mitte des Vorhangs werden jeweils biblische Motive aus dem alten und neuen Testament in mehr oder weniger bekannten Bildern aus der Renaissance auf den Vorhang projiziert, deren Bezug zur Handlung nicht immer ganz nachvollziehbar wird. Ein Blickfang zur Überbrückung der kleinen Umbaupausen sind die Bilder jedoch allemal. Für den zweiten Akt sind die Bänke entfernt und durch Gebetsteppiche ersetzt worden, auf denen die Moslems unter der Leitung von Acciano Allah beschwören, die europäischen Eindringlinge fernzuhalten. Bemerkenswert ist in diesem Akt Giseldas verändertes Kostüm. Während sie im ersten Akt in einem feuerroten Gewand aufgetreten ist, das ihren Körper vollständig einhüllt und nur Öffnungen für die Hände, aber keine Ärmel aufweist, sie somit in ihren Bewegungen sehr einschränkt und ihr nur die Möglichkeit zum Beten offeriert, trägt sie im zweiten Akt ein ärmelloses und wesentlich körperbetontes rotes Kleid, das unterstreicht, dass sie im weiteren Verlauf der Handlung eine wesentlich aktivere Rolle spielen wird. Die rote Korsage, die sie über dem Kleid trägt, lässt sie beinahe kämpferisch wie eine Walküre oder Amazone erscheinen.

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Das Mysterienspiel in der Grabeskirche in der heiligen Stadt ist zu Ende. Die Darsteller legen wieder die weißen und schwarzen Umhänge des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem an (vorne von links: Oronte (Yoonki Baek), Acciano (Ulrich Burdack), Pirro (Kyung-Sik Woo), Pagano (Petros Magoulas), Arvino (Fred Hoffmann), Giselda (Agnieszka Hauzer), Viclinda (Susan Gouthro) und Sofia (Juliane Harberg), dahinter der Chor).

Im dritten Akt macht Schwarz erneut einen Zeitsprung. Die Preisung Jerusalems wird nicht in das Mysterienspiel einbezogen. Schwarz teilt den Chor in die divergenten religiösen Gruppen ein, die die bedeutsamen Insignien der Grabeskirche in der heiligen Stadt zu bewahren trachten. In der Mitte der Bühne befindet sich der Salbungsstein, von dem zwei Wärter, wahrscheinlich israelisches Sicherheitspersonal, die unterschiedlichen christlichen Konfessionen in gebührendem Abstand halten. In diesem Ambiente bewegt sich Giselda nahezu wie ein Fremdkörper. Musikalischer und szenischer Höhepunkt des dritten Aktes ist die letzte Szene, in der Schwarz einen Sologeiger (Maximilian Lohse) wie einen Todesengel hinter einem schwarzen Sarg auf die Bühne stellt, der virtuos und eindringlich Orontes Momente bis zur erlösenden Taufe untermalt. Hier werden die musikalischen Meriten des Werkes überdeutlich. Im letzten Akt wird die Musik regelrecht sphärisch. Wenn Giselda auf dem schwarzen Sarg liegt, der jetzt in der Bühnenmitte steht, und die himmlischen Geister und Oronte hört, der den Weg zur rettenden Quelle weist, kommt der Gesang aus dem Zuschauerraum und hüllt mit dem Orchester das Publikum räumlich regelrecht ein. Die diversen Särge, die nach der Einnahme Jerusalems auf die Bühne gestellt werden und mit dem Symbol der Kreuzritter bedeckt sind, weisen auf die Vielzahl der Opfer hin, die dieser Kreuzzug und Glaubenskämpfe bis heute gefordert haben und weiterhin fordern werden. Zum Schluss legen alle wieder die Umhänge vom Anfang um und nehmen erneut Platz auf den Kirchenbänken. Das Spiel ist zu Ende.

Musiziert und gesungen wird auf sehr hohem Niveau. Da ist zunächst der sehr präzise von David Maiwald einstudierte Chor des Theaters Kiel zu nennen, der die anspruchsvolle Partie äußerst klangschön ausfüllt und deutlich macht, dass dieses Werk zumindest musikalisch mit seinem Vorgänger Nabucco mithalten kann. Die Preisung Jerusalems im dritten Akt ist beinahe so eingänglich wie der Gefangenenchor aus der ein Jahr zuvor komponierten Oper. Fred Hoffmann gibt mit heldenhaftem Tenor einen glaubwürdigen Kreuzritter Arvino. Agnieszka Hauser, die ab dieser Spielzeit zum festen Ensemble in Kiel gehört, überzeugt als Giselda mit dramatischem Sopran und trifft auch die Spitzentöne mit scheinbarer Leichtigkeit. Yoonki Baek stattet ihren Liebhaber Oronte mit kräftigem Tenor aus. Schade ist nur, dass die Regie den beiden Liebenden im Zusammenspiel im dritten Akt nicht die Innigkeit gestattet, die die Musik ausdrückt. Star des Abends ist Petros Magoulas, der es als Pagano mit seinem profunden Bass versteht, zum einen das Diabolische zu vermitteln, was ihn zum Vatermörder werden lässt, zum anderen aber auch der Reue Ausdruck zu verleihen, die er als Eremit empfindet und die letztendlich kurz vor seinem Tod zur Versöhnung mit dem Bruder führt. Auch die weiteren Partien sind stimmlich gut besetzt. Der neue erste Kapellmeister Leo Siberski zaubert mit dem Philharmonischen Orchester Kiel einen fulminanten Verdi-Klang aus dem Orchestergraben, der verständlich macht, warum Verdi bis heute für viele als der erfolgreichste italienische Opernkomponist aller Zeiten gilt.


FAZIT

Der Mut der Oper Kiel, die Spielzeit mit einem selten gespielten und von der Musikwissenschaft kontrovers diskutierten Frühwerk Verdis zu eröffnen, wird dank der hervorragenden musikalischen Umsetzung und der szenischen Stimmigkeit der Inszenierung mit großem Erfolg belohnt. Ein Besuch dieser Inszenierung ist sehr empfehlenswert.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Leo Siberski

Regie
Uwe Schwarz

Bühnenbild und Kostüme
Dorit Lievenbrück

Choreinstudierung
David Maiwald 

Dramaturgie
Cordula Engelbert


Opernchor und Extrachor
des Theaters Kiel

Statisterie des
Theaters Kiel

Philharmonisches
Orchester Kiel


Solisten

*rezensierte Aufführung

Arvino, Sohn des Folco
*Fred Hoffmann /
Michael Müller

Pagano, sein Bruder
Petros Magoulas

Viclinda, Arvinos Gattin
Susan Gouthro

Giselda, Arvinos Tochter
Agnieszka Hauzer

Pirro, ein Verräter
Ulrich Burdack /
*Kyung-Sik Woo

Ein Mailänder Prior
Luis Araos

Acciano, Herrscher Antiochias
*Ulrich Burdack /
Kyung-Sik Woo

Oronte, sein Sohn
Yoonki Baek

Sofia, Accianos Gattin
Marina Fideli /
*Juliane Harberg

Ein Geiger
*Maximilian Lohse /
Catalin Mugur

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Kiel
(Homepage)




Da capo al Fine

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