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Norma

Tragische Oper in zwei Akten
Text von Felice Romani nach der Tragödie Norma ou L'Infanticide
von Alexandre Soumet
Musik von Vincenzo Bellini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere der Krefeld-Mönchengladbacher
Erstaufführung im Theater Krefeld am 3. Dezember 2011

Übernahme vom Pfalztheater Kaiserslautern

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Theater Krefeld-Mönchengladbach
(Homepage)
Norma begeistert am Niederrhein

Von Thomas Tillmann / Fotos von Matthias Stutte


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Clotilde (Lilia Tripodi, links) weist vorwurfsvoll auf die Leiche ihres Mannes, den die Besatzer aus lauter Willkür getötet haben. Norma (Barbara Dobrzanska, rechts) zögert weiter, ihr Volk (Chor und Extrachor) gegen den Feind ins Feld zu schicken.

Nein, natürlich wollen wir bei einer Norma-Neuinszenierung (streng genommen handelt es sich in Krefeld natürlich nicht um eine solche, sondern um eine Übernahme aus Kaiserslautern) keine Sandalenfilmoptik oder gar Asterix und Obelix mehr auf der Bühne sehen, und so begrüßt man grundsätzlich, dass Thomas Wünsch die politische Dimension des Werkes, das ursprünglich im vorchristlichen Gallien angesiedelt ist, in seine Inszenierung einbringen will. Man vollzieht auch nach, dass er die Umstände zu Bellinis Zeiten, als Italien von den Österreichern unterdrückt wurde, im Stück wiederfindet und dass er sich von der "Ghettosituation" angesprochen fühlt, die für ihn historisch exemplarisch für viele andere ist und von Ausstatter Heiko Mönnich mit zerstörten Häuserfassaden, zerbrochenem Fensterglas, dem tristen Grau erdrückender Wände, das sich in den meisten Kostümen wiederholt, und schummrigem Licht stimmig eingefangen wird. Man erfährt aus einem im Programmheft abgedruckten Interview, dass den Regisseur Anna-Magnani-Filme und deren Ästhetik bei der Vorbereitung inspiriert haben, aber letztlich sieht man nicht recht ein, warum dem Zuschauer und der Zuschauerin am Niederrhein im Jahre 2011 das Italien der vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts vertrauter sein sollte als die anderen angesprochenen Epochen.

Vergrößerung in neuem Fenster Norma (Barbara Dobrzanska) ist verzweifelt: Soll sie ihre Kinder töten?

Schlimmer fand ich, dass das von Bellini Komponierte und von Romani Getextete der Regie offenbar nicht ausreichte, und so wurde nicht nur vor und während der Sinfonia die Brutalität der römischen Willkürherrschaft detailverliebt bebildert, sondern auch mit wildem Geschrei und "Libertà"-Rufen "dekoriert" (direkt vor "Sediziosi voci" ist es dann "Guerra!"). Das alles gerät ziemlich plakativ: Norma spuckt vor aller Augen Pollione vor die Füße, direkt nach den letzten Noten der Ouvertüre hört man die Schüsse, die den vorher Verhafteten niederstrecken - Clotildes Mann, wie wir erfahren werden. Dieser Vorfall scheint Wünsch mehr zu interessieren als der ganze Rest des Stücks, immer wieder wird darauf Bezug genommen, auch in einer der überflüssigsten und fragwürdigsten Ideen des Abends, wenn nämlich Lilia Tripodi mit klangvollem, etwas behäbigen Mezzo als Clotilde am Grab ihres Mannes zwischen der fünften und sechsten Szene des zweiten Aktes à cappella einen Ausschnitt aus Vivaldis Arie "Mio sposo disprezzata" singen muss (wieso in diesem Moment keine Übertitel kamen, konnte ich übrigens nicht nachvollziehen, mit dieser Einlage hatte doch niemand gerechnet). Und so passierte einmal mehr das, was mich häufig ärgert: In dazu erfundene Nebenhandlungen, in die Zeichnung von Nebenfiguren, das Festhalten an einer dem Werk aufgedrängten Grundidee, die nicht wirklich einen Abend lang trägt, und die Arbeit mit der Statisterie wird viel Nachdenken und Probenzeit investiert, aber in den vorgesehenen entscheidenden, eher kammerspielartigen Szenen ist ziemlich viel Leerlauf und Rampensteherei auszumachen, bei den Choraufmärschen sogar einige Hilflosigkeit. Und so endet der Abend ziemlich unklar: Clotilde legt sich Normas Kette mit dem Mondanhänger um, während die letztgenannte in Polliones Armen vorn stehen bleibt und man nicht weiß, was nach dem Geständnis, das das restliche Bühnenpersonal mit einem gebrüllten "Putana" reichlich platt zu kommentieren hat, aus den beiden wird. Da hätte doch ein bisschen mehr Interpretation Not getan; warum etwa lässt der Regisseur nicht die römischen Besatzer das gesamte versammelte Galliervolk niedermetzeln? Das wäre ein diskutables, aber doch wenigstens ein eindeutiges, konsequentes, mutiges Ende gewesen. Besonders nervig fand ich bei all dem die vielen Umbauten; sicher, da muss mitunter eine Wand verschoben und eine Treppe hineingeschoben, da müssen ein paar Requisiten ausgetauscht werden und ein paar Mitwirkende auf die Bühne gebracht werden, aber das ließe sich sicher erstens flotter und zweitens auch auf offener Bühne lösen - so wurde der Gang der Handlung ziemlich altmodisch allzu häufig unnötigerweise unterbrochen.

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Adalgisa (Janet Bartolova, rechts) schüttet Norma (Barbara Dobrzanska, links oben) ihr Herz aus.

Ein Glücksgriff war Barbara Dobrzanska, an deren Louise in Charpentiers gleichnamiger Oper und der Fortsetzung Julien am Theater Dortmund vor zehn Jahren ich mich gut erinnern kann, die sich danach am Staatstheater Karlsruhe ein riesiges Repertoire im vornehmlich lyrischen Sopranfach erarbeitet hat und nun mit einem sehr bemerkenswerten Rollendebüt als Druidenpriesterin aufhorchen ließ. Natürlich ist sie keine Norma mit einer Riesenstimme, dafür aber eine, die um die eigenen Grenzen weiß und sich die Partie gut einteilt, ohne sich dabei allzusehr zu schonen und nur kalkuliert zu singen. Es sind vor allem der sehr aparte, edle, schlanke, aber glänzend fokussierte Ton, die hohe Legatokultur und die unangestrengten, leuchtend-schimmernden Spitzentöne, die einen sofort in den Bann der Künstlerin ziehen, und so wurde sie bereits nach einem nahezu perfekten "Casta diva" mit langanhaltendem Applaus und Brava-Rufen für blitzsaubere fallende Skalen, exzellent ausgeführte Triller und geschmackvolle, gezielt gesetzte Verzierungen und später dann für eine wirklich beseelte, nie vordergründige, im besten Sinne dezente, nie veristisch überzeichnende Interpretation gefeiert.

Vergrößerung in neuem Fenster Norma (Barbara Dobrzanska) macht dem untreuen Pollione (Kairschan Scholdybajew) bittere Vorwürfe.

Ein Phänomen ist natürlich Janet Bartolova, die an diesem Abend die Adalgisa gab, alternierend aber auch die Titelpartie übernimmt und ab Januar auch wieder zwischen Elisabetta und Eboli im Don Carlo abwechselt - wie viele Sängerinnen haben das in der Vergangenheit gekonnt und können es heute, zudem innerhalb weniger Wochen? Aber auch die aktuelle Premierenleistung war eine bemerkenswerte, nicht nur weil die Künstlerin die engagierteste Darstellerin war, sondern weil sie nach vokal etwas steifem Beginn manche Feinheit beisteuerte, große Präsenz entwickelte und sicher berechtigte Kritik an ihrem etwas klirrenden, reifen Material, den etwas unfeinen tiefen Brusttönen, dem harten Forte und den nicht überhörbaren Gebrauchsspuren in den Hintergrund treten ließ. Bleibt die Frage, ob nicht auch Dara Hobbs eine Option für eine der beiden Partien gewesen wäre, die als Giovanna d'Arco doch bewiesen hat, dass sie dramatische Koloraturen singen kann.

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Norma (Barbara Dobrzanska, rechts) bittet Adalgisa (Janet Bartolova, links), sich um Polliones Kinder zu kümmern.

Erst nach der Pause ließ sich Kairschan Scholdybajew wegen einer noch nicht überstandenen Erkrankung ansagen, er hatte bereits in den Endproben nicht mehr dabei sein können, wollte aber die Premiere nicht platzen lassen. Die vielen rauhen, wegbrechenden Töne vorher sind also diesem Umstand zuzurechnen, denn was für ein guter Sänger der Tenor ist, hat er am Theater Krefeld-Mönchengladbach über viele Jahre bewiesen. Nichtsdestotrotz ist zu vermuten, dass der doch ziemlich dramatische, abgesehen von einigen Acuti reichlich tief liegende und einige Stamina erfordernde Pollione auch grundsätzlich eine Überforderung für seine nach wie vor lyrisch grundierte Stimme ist.

Andrew Nolen war keine erste Wahl für den Oroveso, besonders in der hohen Lage verliert sein schütterer Bass noch zusätzlich an Farbe. In den Ensembleszenen war er dann überhaupt nicht mehr zu hören, vielleicht war es eine Liebenswürdigkeit des Dirigenten, ihn an entscheidenden Stellen vom Orchester zudecken zu lassen. Hyun Ouk Cho war ein zackiger, auch vokal hemdsärmeliger Flavio, der alles aus seinen paar Sätzen machen wollte. Einen wirklich guten Eindruck hinterließen die Chöre in der offenbar präzisen, durchdachten und auch gut umgesetzten Einstudierung von Maria Benyumova, besonders die Herren seien noch einmal ausdrücklich hervorgehoben.

Man möchte dem jungen Andreas Fellner nicht zu nahe treten, der sich redlich Mühe gab, eine eigene Lesart am Pult zu entwickeln, an einigen Stellen durch (zu) zügige Tempi aufhorchen zu lassen, insgesamt aber mit eher ruhigem Musizieren überzeugte. Man spürte, dass ihm noch ein bisschen Autorität und dem Spiel der Niederrheinischen Sinfoniker Fluss, Feinschliff und Raffinesse fehlte, aber eine ordentliche Leistung ist dem Kollektiv im Graben schon zu bescheinigen, zumal es die Begleiterrolle offensichtlich annehmen konnte und den Sängerinnen und Sängern das Leben nicht allzu schwer machte. In Richtung Theaterleitung muss aber doch festgehalten werden, dass Norma nicht wirklich ein Stück für den zweiten Kapellmeister ist, sondern Chefsache sein sollte.


FAZIT

Ein großer Wurf ist Thomas Wünschs Inszenierung sicher nicht, aber immerhin stört sie über weite Strecken auch nicht, sondern lässt in ihren besseren Momenten das Bemühen erkennen, eine Belcantooper ernst zu nehmen anstatt nur schöne Bilder zu Bellinis göttlicher Musik zu stellen. Musikalisch bleiben erwartungsgemäß einige Wünsche offen, aber es hätte schlimmer kommen können, im Falle der Titelpartie indes kaum besser, sondern höchstens anders. Das Premierenpublikum zeigte sich sehr begeistert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andreas Fellner

Inszenierung
Thomas Wünsch

Bühne und Kostüme
Heiko Mönnich

Licht
Holger Klede

Choreinstudierung
Maria Benyumova

Dramaturgie
Andreas Wendholz



Solisten

* Besetzung der
Premiere

Norma
Janet Bartolova/
* Barbara Dobrzanska

Adalgisa
* Janet Bartolova/
Eva Maria Günschmann

Pollione
Kairschan Scholdybajew

Oroveso
Hayk Dèinyan/
* Andrew Nolen

Clotilde
Lilia Tripodi

Flavio
* Hyun Ouk Cho/
Zheng Xu

Kind
Donika Abazi/
Julie Austin/
* Cesarie Henkel



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