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L'equivoco stravagante

Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Gaetano Gasbarri
Musik von Gioacchino Rossini

In italienischer Sprache mit französischen, niederländischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Koproduktion mit der Opera St. Moritz und der Opera Riehen (Basel)

Premiere  im Palais Opéra in Liège am 22. Februar 2012



Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)
Travestie im Swimmingpool

Von Thomas Molke / Fotos von Jacques Croisier


Nachdem der Intendant Stefano Mazzonis di Pralafera in der letzten Spielzeit mit dem Barbiere die wohl bekannteste Oper Rossinis in einer frischen Inszenierung auf die Bühne gebracht hatte, hat er sich in dieser Spielzeit einem eher unbekannten Werk des Pesaresen gewidmet, das, wenn überhaupt, in der Regel nur bei Rossini-Festspielen zu erleben ist. Dabei nimmt dieses Dramma giocoso im Opernschaffen Rossinis durchaus eine besondere Stellung ein, da es zum einen die erste aus zwei Akten bestehende Oper des gerade mal 19 Jahre alten Komponisten ist - zuvor erlebte lediglich die einaktige Farsa La cambiale di matrimonio ihre Uraufführung -, zum anderen das Sujet des Librettos in der damaligen Zeit so heikel war, dass das Stück nach nur drei Aufführungen in Bologna der Zensur zum Opfer fiel. Musikalisch klingt das Werk keineswegs so unbekannt, da man unter anderem schon Anklänge an die Gewittermusik aus La Cenerentola und die berühmte Ouvertüre aus La gazza ladra heraushören kann.

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Gamberotto (Enrico Marabelli) entsteigt bei der Ouvertüre seinem Swimmingpool, während seine Tochter Ernestina (Sabina Willeit) ein Sonnenbad nimmt.

Von den zahlreichen Übersetzungsversuchen des Titels kann vielleicht die Bezeichnung Die verrückte Verwechslung, die die Rossini-Festspiele in Bad Wildbad für eine Produktion im Jahr 1993 wählten, den Inhalt der Oper am besten beschreiben. Der neureiche Bauer Gamberotto will seine Tochter Ernestina mit dem wohlhabenden und etwas aufgeblasenen Buralicchio verheiraten. Doch Ernestina wird auch von dem mittellosen Ermanno geliebt, der von dem Dienerpaar Frontino und Rosalia unterstützt wird. Um Buralicchio loszuwerden, lässt Frontino diesem einen Brief zukommen, wonach Ernestina eigentlich Ernesto heiße und als kleiner Junge aufgrund einer viel versprechenden Knabenstimme kastriert worden sei. Da er dann aber doch keine Gesangskarriere eingeschlagen habe, werde er nun als Mädchen ausgegeben, um so nicht zum Militär eingezogen zu werden. Entsetzt zeigt Buralicchio Ernestina als Deserteur an und lässt sie von Soldaten einsperren. Doch Ermanno kann Ernestina aus dem Gefängnis befreien. Zurück bei Gamberotto muss Buralicchio erkennen, dass er hereingelegt worden ist und beschließt resigniert, sich eine andere Frau zu suchen, während Gamberotto Ermanno die Hand seiner Tochter gewährt.

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Ermanno (Daniele Zanfardino) liebt Ernestina (Sabina Willeit).

Während die Handlung zur Entstehungszeit der Oper durchaus glaubhaft erscheinen mochte und gerade für Rossini inspirierend gewesen sein mag, da er angeblich als Kind nur durch Intervention seiner Mutter vor einer möglichen Karriere als Sängerkastrat bewahrt worden sein soll, wirkt sie für den heutigen Zuschauer schwer nachvollziehbar. Das Problem, dem sich das Regie-Team bei einer Inszenierung stellen muss, liegt in der Frage, zu welcher Zeit man die Oper spielen lassen will. Stefano Mazzonis di Pralafera hat sich entschieden, die Handlung an den Anfang des 20. Jahrhunderts zu verlegen, was in Jean-Guy Lecats zweigeteiltem Bühnenbild im Jugendstil mit großen Klimt-Gemälden an der Rückwand, deren Künstlichkeit bildlich vielleicht die Unnatürlichkeit der Kastratenstimme repräsentieren mag, und in den Kostümen von Fernand Ruiz angedeutet wird. Während der linke Teil der Bühne mit zahlreichen aufgemalten Bücherregalen ausgestattet ist, die belegen, dass Ernestina zwar ihre ganze Zeit den Büchern widmet, deren Inhalt aber nicht durchdringt, sorgt der Swimmingpool auf der rechten Seite doch eher für Unverständnis. Wieso Gamberotto bei der Ouvertüre in einem Neoprenanzug in den Pool steigt, während Ernestina sich in einem Liegestuhl eincremt, um ein Sonnenbad zu nehmen, bleibt genauso unklar wie die Tatsache, dass Gamberotto Buralicchio am Ende in den Pool stößt und hinterher springt.

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Aber Buralicchio (Laurent Kubla) will sein Recht auf Ernestina (Sabina Willeit) geltend machen.

Auch Mazzonis de Pralaferas Regieeinfall, am Ende die Dienerinnen des Hauses in Männerkleider schlüpfen und die Diener sich in Frauen verwandeln zu lassen, sorgt zwar beim Publikum für Lacher, macht die Handlung aber nicht logischer. Schließlich wird das Missverständnis (l'equivoco) ja nicht durch eine Travestie ausgelöst, sondern ergibt sich nur aus Frontinos fingiertem Brief. Die Provokation, die 1811 für die Absetzung der Oper nach drei Vorstellungen sorgte, lag weniger in der transsexuellen Idee des Librettos als vielmehr in der Verunglimpfung des Militärs, das bei Ernestinas Befreiung aus dem Gefängnis mit ihrer Arie "Se per te lieta ritorno", in der sie das Heer zu neuen Heldentaten aufruft, parodiert wird. Überhaupt wird die Rolle des Chors in der Inszenierung nicht ganz transparent. Die eine Hälfte als Dienstboten auftreten zu lassen, erscheint zwar plausibel, die andere Hälfte wirkt in der Rolle der Gäste am Swimmingpool und im Haus Gamberottos allerdings ein wenig orientierungslos und findet darstellerisch nicht richtig in die Handlung. Gelungen hingegen sind die Militärszenen und die Personenregie bei den Solisten, die die Komik der Musik auch in eine überzeugende Darstellung umsetzen.

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Chaos im Finale des ersten Aktes: Ermanno (Daniele Zanfardino, links) hat Stress mit Buralicchio (Lauren Kubla, zweiter von links), Frontino (Daniele Maniscalchi, Mitte) und Rosalia (Julie Bailly, rechts) beruhigen Gamberotto (Enrico Marabelli, zweiter von rechts), und Ernestina (Sabina Willeit, Mitte) versteht nichts.

Im musikalischen Bereich hat die Produktion Licht- und Schattenseiten. Jan Schultsz hat besonders im Finale des ersten Aktes leichte Abstimmungsschwierigkeiten zwischen dem Orchester und den Sängern. Auch das Blech der Opéra Royal de Wallonie intoniert bisweilen nicht sauber, was den spritzigen Rossini-Sound ein wenig stört. Eine stimmliche Enttäuschung ist Daniele Maniscalchi als Diener Frontino, dessen Tenor belegt klingt, wodurch die komischen Szenen, die er einfädelt, leider verpuffen. Demgegenüber weiß Julie Bailly mit kräftigem Mezzo und komödiantischem Talent zu überzeugen. Daniele Zanfardino verfügt als Ermanno über einen weichen, lyrischen Tenor, dem in den Höhen allerdings der tenorale Schmelz fehlt, was er aber durch eine witzige Darstellung wettzumachen versteht. Besonders komisch gelingt ihm das Duett mit Ernestina kurz vor Ende des ersten Aktes, in dem er versucht, Ernestina näher zu kommen, während sie noch ihren literarischen Fantasien nachhängt und gar nicht bemerkt, welche tiefen Gefühle er für sie hegt. Verzweifelt versucht er dabei, auf einer Bank hinter ihr Platz zu nehmen, und droht jedes Mal, von der Bank zu fallen, da sie nicht bereit ist, ein wenig nach vorne zu rücken.

Großes Lob verdient Laurent Kubla als Buralicchio, der mit kräftigem Bariton den Verlobten mal als selbstgefälligen Geck, dann als eifersüchtigen Liebhaber und schließlich als intriganten Rächer darstellt. Auch Enrico Marabelli glänzt in der Buffo-Partie des Gamberotto, wobei er besonders die neureichen Allüren der Figur betont. Warum er allerdings am Ende in einem roten Schottenrockkostüm in den Pool springen und dann Buralicchio liebkosen muss, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen. Sabina Willeit macht als Ernestina optisch und stimmlich glaubhaft, dass Buralicchio sie für einen Mann halten kann. Zum einen wirken ihre Züge herb, zum anderen verfügt ihr Mezzo über eine voluminöse Tiefe. Doch auch ihre dramatischen Ausbrüche in die Höhe zeigen, dass Ernestina in ihrer Fantasiewelt der Literatur lebt und lange Zeit gar nicht mitbekommt, was um sie herum eigentlich passiert. Wie die restlichen Solisten agiert auch Willeit mit großem komischen Talent. So gibt es am Ende verdienten Applaus.


FAZIT

Trotz einiger dramaturgischer Schwächen und diskutablen Regieeinfällen sollte man sich als Rossini-Liebhaber diese selten gespielte Oper nicht entgehen lassen. (Termine in Liège bis zum 4. März 2012, an der Opera St. Moritz ab dem 30. Juni 2012)


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jan Schultsz

Inszenierung und Licht
Stefano Mazzonis di Pralafera

Bühne
Jean-Guy Lecat

Kostüme
Fernand Ruiz

Licht
Michel Stilman

Chorleitung
Marcel Seminara


Chor der
Opéra Royal de Wallonie

Orchester der
Opéra Royal de Wallonie

Cembalo
Hilary Caine

 


Solisten

Ernestina
Sabina Willeit

Ermanno
Daniele Zanfardino

Gamberotto
Enrico Marabelli

Buralicchio
Laurent Kubla

Rosalia
Julie Bailly

Frontino
Daniele Maniscalchi


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra Royal
de Wallonie

(Homepage)



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