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Temistocle

Opera seria in drei Akten
Text von Pietro Metastasio, bearbeitet von Mattia Verazi
Musik von Johann Christian Bach

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 55'  (keine Pause)

Premiere im Nationaltheater Mannheim am 6. Juli 2012


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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Nur Gefühle, keine Handlung

Von Thomas Molke / Fotos von Hans Jörg Michel

Alljährlich lockt der Mannheimer Mozartsommer zum Ende der Spielzeit zahlreiche Besucher nach Mannheim und Schwetzingen, um neue Perspektiven auf Mozart und seine Zeitgenossen zu eröffnen. Eine besondere Rolle nimmt in diesem Jahr auch Johann Sebastian Bachs jüngster Sohn Johann Christian ein, der nach großen Erfolgen als Opernkomponist in Italien und England 1772 nach Mannheim kam, um anlässlich der Namenstagsfeierlichkeiten für den Kurfürsten Carl Theodor an der kurfürstlichen Hofoper seine Opera seria Temistocle zur Uraufführung zu bringen. Dabei griff Bach auf ein Libretto von Pietro Metastasio zurück, das erstmals 1736 von Antonio Caldara vertont worden war, für die Neuvertonung von Mattio Verazi in der verwirrenden für die Opera seria typischen Intrigenhandlung entschlackt wurde und dabei den dramatischen Konflikt um die Hauptfigur mehr in den Mittelpunkt rückte. Diesem Werk war am Mannheimer Hof ein so großer Erfolg beschieden, dass in den folgenden Jahren weitere Kompositionsaufträge für Mannheim und die Sommerresidenz in Schwetzingen folgten.

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Lisimaco (Yuriy Mynenko, oben) verlangt von Serse (Lars Møller) Temistocles Auslieferung.

Die Oper handelt von dem großen athenischen Feldherrn Themistokles (Temistocle), der durch die Seeschlacht bei Salamis 480 v. Chr. die Griechen von der Gefahr durch die Perser befreit hat, aus in der Oper nicht näher erwähnten Gründen bei den Athenern jedoch in Ungnade gefallen und ins Exil geschickt worden ist. Mit seinen beiden Kindern Aspasia und Neocle bittet er bei seinem ehemaligen Gegner, dem Perserkönig Xerxes (Serse), um Asyl. Dieser nimmt Temistocle bei sich auf, weil er von dessen Tochter Aspasia sehr angetan ist. Aspasia wiederum fühlt sich jedoch dem Griechen Lisimaco verbunden, der ebenfalls bei Serse auftaucht, um für die Athener die Auslieferung Temistocles zu verlangen. Serse lehnt dieses Gesuch ab, verlangt im Gegenzug jedoch von Temistocle, ein persisches Heer gegen die Griechen zu führen. Da Temistocle sich allerdings den Athenern immer noch verbunden fühlt, ist er nicht bereit, Serses Aufforderung nachzukommen, sondern beschließt, lieber in Gefangenschaft den Freitod zu wählen. Aspasia ist bereit, für die Rettung ihres Vaters auf die Liebe zu Lisimaco zu verzichten und Serses Liebeswerben nachzugeben. Serse ist von so viel Selbstlosigkeit überwältigt und schenkt Temistocle und seinen beiden Kindern die Freiheit.

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Rosanne (Iris Kupke, rechts), Neocle (Netta Or) und Aspasia (Cornelia Ptassek, Mitte hinten) sind mit der Situation am persischen Königshof unglücklich.

Nachdem der ursprünglich für diese Produktion vorgesehene Achim Freyer die Inszenierung des Rings von Christof Nel übernommen hatte und man in Mannheim wegen fehlendem Konsens bezüglich des Regie-Konzeptes von dem anschließend als Regisseur vorgesehenen Günther Krämer Abstand genommen hatte, hatte Joachim Schlömer sich im Mai relativ kurzfristig bereit erklärt, die Inszenierung zu übernehmen und das Nationaltheater vor einer weiteren Spielplanänderung zu bewahren. Allerdings entschied er sich, bei seiner Deutung zahlreichen Eingriffen in das Stück vorzunehmen, die das inhaltliche Verständnis bei einem völlig unbekannten Werk für den Zuschauer nicht gerade einfacher machen. So hat er sämtliche Rezitative, die die Handlung voranbringen, gestrichen und durch einen Schauspielchor ersetzt, der zwar in seiner Modulation des Sprechgesangs durchaus beeindruckt, die Handlung allerdings keineswegs nachvollziehbarer macht. Auch die kurzen Texteinblendungen helfen nicht unbedingt weiter. Was die auf die Bühnenwände projizierte Herde von rennenden Bisons im ersten Instrumentalstück bedeutet, wird bis zum Ende nicht klar.

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Serse (Lars Møller, links oben) und Temistocle (Szabolcs Brickner, rechts oben) verhandeln (unten: Schauspielchor).

Das Bühnenbild, für das Schlömer ebenfalls verantwortlich zeichnet, ist recht abstrakt gehalten und verschließt sich einer klaren zeitlichen Zuordnung. Deutlich wird lediglich, dass die Figuren auf den unterschiedlichen bespielbaren Ebenen nur bedingt agieren können, was unterstreicht, dass sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind: Temistocle und seine Kinder, da sie aus Athen verbannt worden sind, Serse, weil ihm sein Anspruch auf Milde eine bestimmte Verhaltensweise auferlegt. Das Absichern mit Seilen hat für die Darsteller also nicht nur den Zweck, einen Sturz von dem hohen Podest oder in den Orchestergraben zu verhindern, sondern auch eine einengende Funktion. So können Serse und Temistocle, wenn sie auf unterschiedlichen Bühnenseiten mit einem Seil abgesichert sind, nur in begrenztem Maß aufeinander zugehen. Die Bühnenwände sind glänzen in Goldfarbe, wobei die obere Ebene durch einen schwarzen Raum geteilt ist, in dem eine Treppe nach oben führt. Wieso der Schauspielchor oder die Sängerdarsteller diese Treppe in einzelnen Szenen empor- und wieder hinabsteigen, bleibt genauso unklar wie der überdimensionale Kinderkopf, den Temistocles Sohn auf dem Haupt trägt und den er nur zum Singen absetzt.

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Temistocle (Szabolcs Brickner, Mitte) mit dem Schauspielchor.

Die Kostüme von Falk Bauer bewegen sich ebenfalls in den Farben Gold und Schwarz, wobei das Schwarz wahrscheinlich mit den Griechen, das Gold mit den Persern assoziiert werden soll. Wenn nämlich zu Beginn der Oper der Schauspielchor als Temistocles innere Stimmen den griechischen Feldherrn auf der Flucht aus Athen zeigt, tragen alle Schwarz, wobei Temistocle vor dem Orchestergraben positioniert ist. Erst mit der Aufnahme am persischen Hof wird Temistocle ein goldfarbener Anzug gereicht, der ihn optisch zu einem Perser werden lässt. Seine Tochter Aspasia lässt ihrer Wut freien Lauf, indem sie mit einem Pinsel in großen schwarzen Buchstaben "Athen soll in seinem eigenen Blut ersaufen" auf die goldfarbene Rückwand schreibt und so ihrem Zorn über die Verbannung freien Lauf lässt. Allerdings malt sie ihr Gesicht auch zur Hälfte schwarz an, womit sie ihre griechische Herkunft nicht mehr verleugnen kann. Wenn Temistocle am Ende beschließt, die persischen Truppen nicht gegen das eigene Volk zu führen, wird ihm vom Schauspielchor der goldfarbene Anzug wieder ausgezogen, und der Chor malt ihn mit der Rückwand schwarz an. Während diese Farbassoziationen stimmig und eindeutig sind, wird nicht klar, warum Lisimaco nicht die ganze Zeit in Schwarz gekleidet ist, sondern am persischen Hof ebenfalls einen goldfarbenen Anzug trägt. Soll das bedeuten, dass auch er sich am persischen Hof assimiliert?

Während die Inszenierung einige Fragen offen lässt und eine Handlung aufgrund der fehlenden Rezitative und der recht kryptischen Einwürfe des Schauspielchors schwer bis gar nicht nachvollziehbar ist, entschädigt die musikalische Seite in vollem Maße. Szabolcs Brickner verfügt als Temistocle über einen kräftigen Tenor, der in den Höhen und bei den Koloraturen noch ein bisschen beweglicher werden könnte. Lars Møller überzeugt als sein Gegenspieler Serse mit markantem Bariton. Aufhorchen lässt Yuriy Mynenko als Lisimaco mit einem wunderbar leuchtenden Countertenor. Netta Or begeistert als Temistocles Sohn mit einem warmen Mezzo. Cornelia Ptassek meistert als Aspasia mit strahlendem Sopran die zahlreichen anspruchsvollen Koloraturen mit Bravour, und auch Iris Kupke stattet Rosanne mit beweglichem Sopran aus, der bei den Koloraturen keine Wünsche offen lässt. Reinhard Goebel führt das Orchester des Nationaltheaters Mannheim mit sicherer Hand durch die Partitur, die in großen Teilen erkennen lässt, dass Bach musikalisch einen großen Einfluss auf Mozart genommen hat. So lassen sich in den Arien zahlreiche Anklänge an Figaros Hochzeit und Die Zauberflöte heraushören. Auch der Schauspielchor begeistert durch eindringlichen Sprechgesang, selbst wenn er inhaltlich nicht immer ganz nachvollziehbar ist.

So gibt es am Ende großen und verdienten Applaus für die Sänger und das Orchester. Das Regie-Team lässt beim Schlussapplaus sehr lange auf sich warten, so dass das Publikum schon nahezu im Aufbruch ist, wenn ein Teil des Inszenierungsteams dann doch noch auf die Bühne kommt. Vermutete Missfallsbekundungen bleiben bis auf einen einsamen Buh-Ruf aus. Stattdessen schlägt dem Team mit höflichem Applaus eine gewisse Indifferenz entgegen, was kein Wunder bei einer Inszenierung ist, die man zu wenig versteht, als dass man sich ernsthaft an ihr reiben könnte.

FAZIT

Bachs Oper verfügt über wunderbare Musik. Schöne Musik allein reicht jedoch nicht, wenn man ein völlig unbekanntes Werk dem Vergessen entreißen will. Da sollte schon eine Inszenierung erfolgen, die die Handlung verständlich erzählt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Reinhard Goebel

Regie und Bühnenbild
Joachim Schlömer

Mitarbeit Regie
Sebastian Bauer

Kostüme
Falk Bauer

Dramaturgie
Christiane Plank-Baldauf /
Klaus-Peter Kehr



Orchester des
Nationaltheaters Mannheim

Solisten

Serse, König von Persien
Lars Møller

Temistocle
Szabolcs Brickner

Lisimaco, griechischer Gesandter
Yuriy Mynenko

Aspasia, Tochter Temistocles
Cornelia Ptassek

Neocle, Sohn Temistocles
Netta Or

Rosanne, Gattin Serses
Iris Kupke

Schauspielchor
Sebastian Borucki
Lorenz Kandzior
Roman Kimmich
Daniel Mann
Benjamin Wendel





Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Nationaltheater Mannheim
(Homepage)



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