Das ist nicht komisch
Von Bernd Stopka / Fotos:
Staatstheater Meiningen
Es hat einen
ganz besonderen Reiz, ein Schauspiel einer Oper
gegenüberzustellen, zu deren Libretto das Werk die Vorlage geboten
hat. Soviel
Reiz es hat, soviel Herausforderung bedeutet eine solche Doppelpremiere
für ein
Theater, bietet sich damit aber auch ganz besonders an, die
Leistungsfähigkeit
eines Hauses unter Beweis zu stellen. So hat das
Südthüringische Staatstheater Meiningen nach
ebenso aufwändiger wie erfolgreicher Sanierung des
traditionsreichen,
wunderschönen Hauses zur Wiedereröffnung Shakespeares Maß für Maß und Wagners Liebesverbot
auf den Spielplan gesetzt.
Dae-Hee Shin (Friedrich), Bettine Kampp (Isabella), Chor
Wagners Frühwerk, das zwischen den Feen und Rienzi
entstanden ist, wird nur selten aufgeführt. Das liegt sicher
weniger an der
Geschichte über einen selbstgefälligen Statthalter, der gegen
sein eigenes
Liebes- und Lustverbot verstößt und allerlei Verwicklungen
darum herum, sondern
doch wohl eher an der stilistisch uneinheitlichen, ja, fast schon
zusammengewürfelt erscheinenden Komposition. Da stehen ganz
exzellent geglückte
witzige Spielopernszenen à la
Lortzing
neben unfreiwillig
komischen
Passagen,
da finden sich dramatische, tief eindringliche Arien neben
pompösen Chören und
eindrucksvollen Finalszenen. Über den Text muss man hier und da
schmunzeln,
finden sich doch Ausdrücke und Wendungen, die der Dichterkomponist
in späteren
Werken wieder verwendet hat und auch ein musikalisches Thema aus der
Klosterszene findet sich im Tannhäuser wieder.
Wagner nannte sein Werk „Große
komische Oper“. Das könnte
Anstoß zu einer geistreich-witzigen Interpretation geben, die die
schwächeren
Teile der Partitur mit Ironie oder anderweitigem Humor würzt und
die ernsten
Momente den geglückten komischen als
Kontrast gegenüberstellt. Intendant Ansgar Haag hat für seine
Inszenierung
einen anderen Ansatz gewählt. Er betont die politischen Aspekte
der Geschichte
und versetzt sie in die Goldenen Zwanziger, in der
außerordentlich viel Lebens-
und Liebesfreiheit herrschte – die die aufkommenden Nationalsozialisten
dann rigoros
und
brutal zerschlagen haben. Die strenge Scheitelfrisur des Statthalters
spricht
da eine deutliche, assoziative Sprache.
Roland Hartmann (Brighella), Sonja Freitag (Dorella)
und Pédro (Johan F. Kirsten)
Renate
Schmitzer hat ansprechende Kostüme der Epoche
beigesteuert, Helge Ullmann ein eindrucksvolles Bühnenbild, das
die neuen
technischen Möglichkeiten des Hauses (u. a. zwei unabhängige
Drehbühnen und
vier Hubpodien) mit viel Einsatzfreude nutzt. Dabei dominiert ein sich
auf der
äußeren Drehbühne bewegendes halbrundes
Bogengebäude in Sandsteinoptik die
Szene, das an das römische Colosseum erinnert und ebenso
vielfältig wie
stimmungsvoll beleuchtet wird. Besonders beeindruckende Szenenbilder
zeigen
sich in der Klosterszene und zu Friedrichs großer Arie im zweiten
Akt. Endlich
mal wieder finden sich ein Regisseur und ein Bühnenbildner
zusammen, die keinen
Wohlstandsmüll auf die Bühne schmeißen, sondern eine
Geschichte in ästhetischen
Bildern erzählen. Dafür gebührt ihnen ein dankbares
Sonderlob.
Maximilian
Argmann
(Antonio), Xu Chang (Luzio),
Sonja Freitag (Dorella), Ensemble
Die
Übertragung in die Goldenen Zwanziger erschließt sich
durchaus, nimmt der Oper aber den Reiz des Komischen und
Überzogenen. Eine
Änderung greift auch musikalisch ein: Der Kuppler Pontio Pilato
wird im zweiten
Bild nicht als Gefangener vorgeführt, sondern hat sich auf offener
Bühne eine
Glatze rasiert und fungiert schon hier als Helfershelfer der politisch Mächtigen. Das macht ihn stärker zum
Mittäter
als sein von Wagner vorgesehener Wandel zum Schließer in der
Gefängnisszene des
zweiten Aktes. Gnadenlos verweigert der Regisseur aber vor allem den
eigentlich versöhnlichen, menschlichen Schluss: Hier wird der
über seine eigene
Lüsternheit und damit über sein Gesetz gefallene Statthalter
nicht vom vergebenden
Volk zum freiheitlichen Denken überzeugt und führt nach
vollständiger Wandlung
den Maskenzug an, der dem ankommenden König entgegen zieht. Hier
finden auch
nicht die versöhnten Paare wieder zueinander und es schreitet auch
kein
Trompetenzug dem König entgegen. Hier marschiert ein Blasorchester
von Pimpfen
über die Bühne, Friedrich und Isabella nähern sich an,
Mariana wird verstoßen,
Luzio verschmäht Dorella und wendet sich gleich zwei anderen
Frauen zu.
Schergen ermorden Kehlen durchschneidend fast alle, auch Friedrich. Nur
Brighella und Dorella – die Diener – werden zu Herren und schreiten
promenierend um die Leichen. Isabella, die eigentlich erlösende
Frau (! – auch
hier schon) bleibt einsam und allein zurück. Ein tragisches
Schicksal. Aber
wäre das nicht eine andere Oper?
Dae-Hee Shin (Friedrich)
Dae-Hee Shin
ist ein großartiger Friedrich, zunächst mit schwarzen,
satten Tönen, aber nie mit seiner
Stimmkraft prahlend, sondern hochkultiviert und gleichzeitig
ausdrucksstark
gestaltend. Vom selbstgefällig-brutalen Despoten wird er zum an
der Liebe (und
Lust) leidenden Mann und stellt auch dies stimmlich überzeugend
dar. Eigentlich
nur mit einer Nebenrolle bedacht, wird Camila Ribero-Souza als Mariana
musikalisch zu einer Hauptfigur: innig und unbeschreiblich
klangschön,
blitzsauber in beseelten Koloraturen. Als Brighella bringt Roland
Hartmann
nicht nur viel Spielfreude und Souveränität mit, sein satter,
angenehm
klingender, runder Bass ist eine echte Freude. Bettine
Kampp
spielt mit Leib und Seele eine
hin und her gerissene Isabella. Dabei stehen neben schönen auch
eher unschöne Töne, was
einerseits dem Ausdruck, aber
andererseits auch ihrer individuellen Art Töne anzusetzen
geschuldet sein mag. Sonja
Freitag ist mit flexiblem, angenehm timbriertem Sopran und ihrer
Bühnenpräsenz
eine ideale Dorella. Als Luzio lässt Xu Chang seinen kraftvollen,
sauber
intonierenden Tenor im Einheitsforte und –klang hören. Rodrigo
Porras Garulo
singt den Claudio mit großer Leidenschaft, aber auch mit
eigenwilliger
Tongebung und Artikulation.
Die
Meininger Hofkapelle spielt sehr sauber und konzentriert, GMD
Philippe Bach bedient souverän und elanvoll die Vielfalt der
musikalischen
Stile in dieser Partitur. Prachtvoll klingend meistert der Chor seine
anspruchvollen Aufgaben. Der kurze aber klangvolle und sauber
intonierte
Auftritt der Big Band des Martin-Pollich-Gymnasiums Mellrichstadt am
Schluss
steht auch symbolisch für die Integration der Stadt und der
Umgebung in das
Theatergeschehen in Meiningen.
FAZIT
Eine
Inszenierung in ästhetischen Bildern, deren
Regieansatz sich durchaus erklärt. Die Aufgabe der komischen Seite
zugunsten
einer dramatisch-politischen Darstellung ist Geschmackssache, aber
gutes
Regietheater. Ebenso
vielfältig
wie die Stile der Partitur zeigt
sich die
Produktion in
ihren sängerischen Leistungen.
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Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Philippe Bach
Inszenierung
Ansgar Haag
Bühnenbild
Helge Ullmann
Kostüme
Renate Schmitzer
Choreinstudierung
Sierd Quarré
Dramaturgie
Klaus Rak
Meininger Hofkapelle
Chor und
Extrachor des
Meininger Theaters
Statisterie des
Meininger Theaters
Big Band des
Martin-Pollich-Gymnasiums
Mellrichstadt
Solisten
Friedrich, Statthalter
Dae-Hee Shin
Luzio
Xu Chang
Claudio
Rodrigo Porras Garulo
Antonio
Maximilian Argmann
Angelo
Francis Bouyer
Isabella
Bettine Kampp
Mariana
Camila Ribero-Souza
Brighella
Roland Hartmann
Danieli
Ernst Garstenhauer
Dorella
Sonja Freitag
Pontio Pilato
Stan Meus
Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Südthüringisches
Staatstheater
(Homepage)
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