Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Farnace

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Antonio Maria Luchini
Musik von Antonio Vivaldi

In italienischer Sprache mit französischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Premiere in der Opéra national du Rhin in Strasbourg am 18. Mai 2012



Opéra National du Rhin Strasbourg
(Homepage)

Vivaldi-Oper mit Tanz

Von Thomas Molke / Fotos von Alain Kaiser


Wenn ein Opernhaus beschließt, Vivaldis selten gespielten Farnace auf den Spielplan zu nehmen, muss es sich zunächst einmal dem Problem stellen, welche Version gespielt werden soll. In den Archiven schlummern nämlich nicht weniger als sieben verschiedene Fassungen, bei denen Vivaldi nicht nur die Arien den Gesangslinien der jeweiligen Interpreten angepasst hat, sondern die Titelpartie in unterschiedlichen Stimmlagen angelegt hat: Mezzosopran für die Uraufführung in Venedig 1727, Tenor für die Neubearbeitung in Prag und schließlich Altkastrat für die letzte Bearbeitung in Ferrara 1738, von der aber nur die ersten beiden Akte fertiggestellt wurden, da die Aufführung in Ferrara noch während der Probenarbeiten abgesagt wurde. George Petrou, der musikalische Leiter der Produktion in Strasbourg, hat nun auf der Grundlage der unvollendeten Partitur für Ferrara und dem Manuskript für eine Aufführung in Pavia 1731, die als Vorläufer der späteren Fassung betrachtet werden kann, eine Version erarbeitet, die sich nicht nur eng an der von Fréderic Dalamea und Diego Fasolis entwickelten Rekonstruktion orientiert, die 2011 als Studioaufnahme bei Virgin Classics / EMI eingespielt wurde, sondern auch größtenteils mit der gleichen Besetzung arbeitet, die an dieser CD-Aufnahme beteiligt war.

Bild zum Vergrößern

Ballett zur Ouvertüre (hintere Reihe von links: Pompeo, Aquilio, Farnace, vordere Reihe: Gilade, Selinda und Tamiri).

Die Handlung der Oper spielt im ersten vorchristlichen Jahrhundert in Heraclea, der Hauptstadt des Königreichs von Pontus. Farnace (Pharnaces II.), der Sohn und Nachfolger des Königs Mithridates, ist von den Römern unter Pompeos Führung geschlagen worden und läuft nun Gefahr, sein Königreich zu verlieren. Berenice, die Königin von Kappadokien sieht ihre Chance gekommen, mit Hilfe der Römer an ihrem verhassten Schwiegersohn Rache zu nehmen. Auch die Bitten ihrer Tochter Tamiri, Farnaces Gattin, können sie nicht umstimmen. Stattdessen fordert sie Pompeo auf, Farnaces Sohn ebenfalls zu töten, was dieser jedoch ablehnt. Farnace ist enttäuscht von seiner Gattin, da sie seinem Befehl nicht Folge geleistet und den gemeinsamen Sohn getötet hat, um der Schmach der Sklaverei zu entgehen. Inzwischen hat Farnaces Schwester Selinda als Gefangene im römischen Lager sowohl Berenices Hauptmann Gilade als auch den römischen Präfekten Aquilio mit ihrer Anmut so verzaubert, dass sie bereit sind, aus Liebe ihr eigenes Volk zu verraten. Farnace wird bei einem Anschlag auf Pompeo gefangen genommen, doch Tamiri verhindert seine Exekution. Kurz darauf greifen Gilade und Aquilio Pompeo und Berenice an, doch Farnace stellt sich schützend vor Pompeo. Als Tamiri ihre Mutter vor dem Attentat bewahrt, ist Berenice bereit, ihren Hass auf Farnace zu vergessen und sich mit ihrem Schwiegersohn auszusöhnen. Farnace erhält sein Königreich zurück.

Bild zum Vergrößern

Berenice (Mary Ellen Nesi, oben Mitte) und Pompeo (Juan Sancho, oben Mitte) sind mit ihren Soldaten (Chor und Ballett unten) in Heraclae einmarschiert (oben links: Gilade (Vivica Genoux), oben rechts: Aquilio (Emiliano Gonzalez Toro) und Selinda (Carol Garcia)).

Regisseurin Lucinda Childs untermalt Vivaldis Opera seria mit Ballettchoreographien, die teilweise narrativen Charakter haben, wenn Farnace im dritten Akt von den Soldaten gefangen genommen wird, teilweise auch die Gefühle der Figuren in deren Arien widerspiegeln. Dafür hat sie jedem Solisten einen Balletttänzer zur Seite gestellt, der in nahezu dem gleichen Kostüm die Emotionen der einzelnen Figuren vertanzt. Dabei gelingen Childs stimmige Bilder, wenn beispielsweise Boyd Lau in Farnaces kämpferischen Arien mit kraftvollen Sprüngen über die Bühne wirbelt oder Myrina Branthomme und Sandy Delasalle in Berenices großer Rachearie im dritten Akt die Figur in ihrem grenzenlosen Hass sogar doppeln. Die Momente der Verliebtheit werden in spielerischen leichten Bewegungen von Céline Nunigé als Selinda und Erika Bouvard als Gilade anmutig umgesetzt. Ergreifend ist auch der Moment, in dem Tamiri zu Beginn des dritten Aktes in ihrer Arie "Forse o caro in questi accenti" beklagt, sowohl von ihrer Mutter als auch von ihrem Gatten verlassen worden zu sein, und sich Stéphanie Madec auf einem Podest hinter der Szene Hilfe suchend einmal Berenice und ein weiteres Mal Farnace erfolglos zuwendet.

Bild zum Vergrößern

Farnace (Max Emanuel Cencic) fordert Tamiri (Ruxandra Donose) auf, ihren gemeinsamen Sohn und anschließend sich selbst zu töten.

Ansonsten folgt Childs dem Libretto und verzichtet auf unangebrachte Aktualisierungen. Bruno de Lavenère hat dafür ein Bühnenbild entworfen, dass einerseits einfach ist und die zahlreichen Szenenwechsel ohne Umbaupausen bewerkstelligen lässt, andererseits die Orte der Handlung markant zum Ausdruck bringt. So wird der Wald im ersten und dritten Akt durch scherenschnittartige schwarze Baumstämme dargestellt, die sich seitlich verschieben lassen. Berenice und Pompeo treten auf einem Steg auf, der sich meterhoch über der Bühne befindet. Die Lanzen, die vor und hinter diesem Steg aus dem Schnürboden herabgelassen werden, deuten die kriegerischen Absichten an, mit denen die Römer und Berenice in Pontus einmarschiert sind. Im Hintergrund kündigt ein Prospekt mit dunklen Wolken die bevorstehende Gefahr an. Das Mausoleum wird durch einen schwarzen, teilweise durchsichtigen Bühnenprospekt angedeutet, in dem eine kleine Grabkammer eingebaut ist, in der Tamiri ihren Sohn versteckt. Bei diesem Bild kommt auch David Debrinays beeindruckende Lichtregie kongenial zum Einsatz. Der Palast wird mit leicht verschiebbaren golden glitzernden Stellwänden umbaufreundlich dargestellt. Ein beeindruckendes Bild gelingt de Lavenère am Ende des ersten Aktes, wenn er Pompeo in seiner Arie "Non trema senza stella" vor waagerecht wehenden Tüchern, die eine stürmische See zu symbolisieren scheinen, Entschlossenheit in seiner Vorgehensweise geloben lässt.

Bild zum Vergrößern

Tamiri (Ruxandra Donose) stellt sich schützend vor ihren Mann Farnace (Max Emanuel Cencic, mit Mitgliedern des Balletts).

Musikalisch weist das Werk einige Höhepunkte auf, die den Wunsch aufkommen lassen, auf den Opernbühnen mehr von Vivaldi zu hören. An erster Stelle ist hier Farnaces große Arie "Gelido in ogni vena" in der Mitte des zweiten Aktes zu nennen, in der er seinem Schmerz über den vermeintlichen Tod seines Sohnes freien Lauf lässt. Die Kombination von leicht dissonantem Stakkato der Streicher mit der eindringlichen Klage gehen dank der hervorragenden Interpretation durch Max Emanuel Cencic in der Titelpartie regelrecht unter die Haut und verursachen nicht enden wollenden Szenenapplaus. Auch Gilade ist mit zwei grandiosen Arien bedacht. Nachdem er im zweiten Akt beschlossen hat, sich aus Liebe zu Selinda gegen seine Königin Berenice zu stellen, besingt er in der Arie "Quell'usignolo che innamorata" eine Nachtigall, die sich zuversichtlich singend ihrem Schicksal stellt, mit wunderbar lautmalerischen Koloraturen, die Vivica Genaux mit großartigem Mezzo umsetzt. Auch im dritten Akt vermag Genaux mit der Arie "Scherza l'aura lusinghiera", in der sie ihre Liebe zu Selinda preist, mit warmen, zarten Tönen das Publikum zu faszinieren. Die hasserfüllten Rachearien Berenices stellen einen gewaltigen Kontrast zu diesen Klängen dar, den Mary Ellen Nesi mit hochdramatischem Mezzo ergreifend umsetzt.

Neben diesen drei Stars des Abends mit den erwähnten Hits der zusammengestellten Fassung können auch die anderen Solisten ohne Abstriche bestehen. Ruxandra Donose stattet Tamiri entsprechend deren mildem Charakter mit einem warmen und weichen Mezzo aus, der in ihren Arien emotional zu bewegen vermag. Carol Garcia gibt die ihre Reize berechnend einsetzende Selinda recht flatterhaft und punktet vor allem in ihrer Schlussarie "Ti vantasti, mio guerriero", in der sie bereit ist, für ihren Bruder alles zu opfern, mit sauberen und beweglichen Mezzo-Koloraturen. Emiliano Gonzalez Toro als Aquilio und Juan Sancho als Pompeo runden das Ensemble mit sauber geführtem Tenor ab. Auch die Concerto Köln GbR zeichnet sich unter der Leitung von George Petrou als Spezialist für barocken Klang aus, so dass es am Ende zu Recht lang anhaltenden und stürmischen Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Vivaldis Oper verdient das Prädikat "absolut sehens- und hörenswert" und sollte andere Opernhäuser ermutigen, sich ebenfalls verstärkt für das vernachlässigte Opernschaffen des Venezianers einzusetzen. Wer es nicht nach Strasbourg schafft, dem sei die CD-Einspielung bei Virgin Classics / EMI von 2011 wärmstens empfohlen, um sich einen Eindruck von dem Werk zu machen.

Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
George Petrou

Inszenierung und Choreographie
Lucinda Childs

Bühnenbild und Kostüme
Bruno de Lavenère

Beleuchtung
David Debrinay

Chorleitung
Michel Capperon


Ballett der Opéra national
du Rhin

Chor der Opéra national
du Rhin

Concerto Köln GbR


Solisten

*rezensierte Aufführung

Farnace
Max Emanuel Cencic, Gesang
*Boyd Lau /
Ramy Tadrous, Tanz

Berenice
Mary Ellen Nesi, Gesang
Myrina Branthomme /
Sandy Delasalle, Tanz

Tamiri
Ruxandra Donose, Gesang
*Stéphanie Madec /
Sarah Hochster, Tanz

Selinda
Carol Garcia, Gesang
Céline Nunigé /
Marine Garcia, Tanz

Gilade
Vivica Genaux, Gesang
*Erika Bouvard /
Vera Kvarcakova, Tanz

Aquilio
Emiliano Gonzalez Toro, Gesang
*
Jean-Philippe Rivière /
Kevin Yee Chan, Tanz

Pompeo
Juan Sancho, Gesang
*
Alexandre Van Hoorde /
Mathieu Guilhaumon, Tanz

Enfant de Tamiri
Philippe Durr-Freudenthaler /
*Victor Collin


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra National du Rhin
Strasbourg
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2012 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -