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Musiktheater
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Nur Du

Ein Stück von Pina Bausch
(Uraufführung: 11.05.1996)

Aufführungsdauer: ca. 3h 20' (eine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Wuppertal am 18. Mai 2012
(rezensierte Aufführung: 21.05.2012)

 



Tanztheater Wuppertal
(Homepage)

Sehnsucht im Wald

Von Thomas Molke / Foto von Ursula Kaufmann

Fast drei Jahre ist es nun her, seit das Tanztheater Wuppertal ohne seine große Choreographin arbeiten muss. Kurz nach der Uraufführung des Stückes ... come el musguito en la piedra, ay si, si, si... (... wie das Moos auf dem Stein...) am 12. Juni 2009 verstarb Pina Bausch und hinterließ in der Tanzwelt eine riesengroße Lücke. Ihr Tanztheater besteht jedoch weiter und führt wie bisher in Gastspielen auf der ganzen Welt und natürlich im Stammhaus in der Wuppertaler Oper mit ungebrochenem Erfolg die alten Stücke auf, was das an einem Montag nahezu ausverkaufte Opernhaus erneut deutlich demonstrierte. Bevor das Ensemble im Juni nach London aufbricht, um anlässlich der Olympischen Spiele bei der Cultural Olympiad 2012 insgesamt zehn unterschiedliche Choreographien von Viktor bis zum letzten Stück aus dem Jahr 2009 zu präsentieren, gab es nun noch einmal eine Neueinstudierung des 1996 uraufgeführten Stückes Nur Du.

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Aida Vainieri

Wie zahlreiche andere Stücke entstand auch Nur Du in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, bei denen Pina Bausch mit ihrer Kompanie in einem mehrwöchigen Aufenthalt zahlreiche Eindrücke sammelte, die dann in der jeweiligen Produktion ihren Niederschlag fanden. In diesem Fall waren es die University of California in Los Angeles, die Arizona State University, die University of California in Berkley und die University of Texas in Austin, ferner die südkalifornische Tanz-Kompanie Darlene Neel Presentations, das Ensemble der Rena Shagan Associates Inc. und The Music Center Inc. aus Los Angeles, die den Charakter des Stückes entscheidend prägten. Der Eindruck der Traumfabrik Hollywood führt dazu, dass das Programmheft neben einigen Inszenierungsfotos auch Abbildungen zeigt, in denen die Tänzerinnen und Tänzer in fingierten Plakaten entweder Erinnerungen an große Hollywood-Klassiker wecken (Nazareth Panadero als Cleopatra auf der Titelseite des Programms) oder mit viel nackter Haut für die Spielhölle Las Vegas posieren (Julie Anne Stanzak).

"Sex sells" ist ein Gedanke, der sich durch das Stück zieht. So schneidet nicht nur Julie Anne Stanzak nach der Frage an das Publikum, ob es sich eventuell langweile, kurzerhand die Träger ihres Kleides durch, um ihre nackten Brüste zu zeigen, sondern lässt sich Helena Pikon auch von einem Tänzer den Oberkörper entblößen und die Brüste mit einem schwarzen Stift umkreisen, um sie noch besonders hervorzuheben. Auch wenn die Tänzerinnen sich in eine Reihe auf die Bühne setzen und das Publikum einen Blick unter ihre langen Kleider erhaschen lassen, während Fabien Prioville in einem Hauch von Nerz ihnen zu den Klängen von "Only you" die Haare frisiert, zeigt deutlich, dass es in dieser oberflächlichen Welt mehr um Schein als um Sein geht. Das Aussehen zählt, weshalb Rainer Behr versucht, sich beim Boxen fit zu halten, wobei Michael Strecker ihm seinen muskulösen Oberkörper als Boxsack bietet.

In dieser Welt, in der keine inneren Werte zählen, ist Vereinsamung natürlich schon vorprogrammiert, was sich in dem bombastischen Bühnenbild von Peter Pabst ausdrückt. In Anlehnung an die Jahrhunderte alten Sequoia-Mammutbäume im Norden Kaliforniens, hat er hochragende breite Baumstämme auf die Bühne gestellt, neben denen die Tänzer klein und verloren wirken. Ein Versuch von Rainer Behr zu Beginn des Stückes, mit Hilfe anderer Tänzer die Baumstämme zu erklimmen, ist nicht von Erfolg gekrönt. Auch die im zweiten Teil eingebauten Stufen können nicht wirklich weit nach oben führen. Der Stamm auf der rechten Seite ist nur noch ein hoher Stumpf, und der Stamm daneben weist ebenfalls schon Verletzungen durch eine Axt auf. Dies scheint der einzige Weg der Menschen zu sein, der sie überragenden Gewalt der Natur Herr zu werden. Ansonsten krabbeln sie wie kleine unbedeutende Käfer über den Boden. Um hier aufzufallen, muss man sich von der Masse abheben, was man entweder durch ein außergewöhnliches Aussehen erreicht - so trägt Fabien Prioville einen durchsichtigen Büstenhalter aus Plastik, unter dem kleine weiße Mäuse krabbeln, oder Regina Advento einen Büstenhalter mit Pappbechern als Körbchen - oder durch möglichst lautes Auftreten, wie Helena Pikon, die beispielsweise einen Fan mimt, der beim bevorstehenden Auftritt des angebeteten Idols regelrecht ausflippt und dann scheinbar erst beruhigt, später aber enttäuscht zu sein scheint, dass der bewunderte Mann doch nicht kommt.

Neben der sehnsuchtsvollen indianischen Flötenmusik, die die Einsamkeit des Individuums unterstreicht, findet die stereotype amerikanische Oberflächlichkeit vor allem in bekannten Songs aus den 50er Jahren von Rock'n'Roll über Jazzmusik bis zu Broadwayklängen ihren Ausdruck. Auch weitere Klischees werden bedient. Aida Vainieri mimt mit einem durchsichtigen Plastikbehälter, den sie mit heftigen Küssen liebkost, eine exzentrische Frau, die ihr Haustier - nach Vainieris Geräuschen scheint es sich um eine verwöhnte Katze zu handeln - verhätschelt. Julie Anne Stanzak zeigt sich als eine unermüdliche Cheerleaderin, die in ihrer Begeisterung für die Anfeuerung ihres Teams nicht zu bremsen ist. Pablo Aran Gimeno gibt den immer gut gelaunten Animator, der die anderen dazu ermuntert, in einen fröhlichen Tanz mit einzustimmen.

Beeindruckend sind auch die expressiven Soli von Rainer Behr und Eddie Martinez. Nazareth Panadero punktet durch ihr großes komödiantisches Talent, wenn sie von Baum zu Baum über die Bühne watschelt, mit dem Rücken zum Publikum einen Schlüpfer auszieht und begeistert feststellt, dass sie immer noch einen weiteren trägt, oder wenn sie stolz demonstriert, wie unglaublich gut sie das "r" rollen kann und selbstgefällig bemerkt, dass ihre Kollegen das nicht können. Julie Shanahan präsentiert sich erneut als blonder Vamp, für die die Tänzer ein Sofa bilden, auf dem Shanahan thront und dem Publikum völlig fasziniert erzählt, dass alle unter ihren Anziehsachen total nackt seien. Ein großartiges Bild gelingt der Kompanie auch, wenn die Tänzer Barbara Kaufmann über ihre Unterarme quer über die Bühne laufen lassen.

Für ganz große Momente sorgt der unvergleichliche Dominique Mercy. Zunächst schwebt er als Hollywood-Diva in einem langen hellblauen Kleid regelrecht über die Bühne und betrachtet sich selbstverliebt in einer herabgelassenen Leinwand, auf die er projiziert wird, wobei er permanent mit einem Spiegel sein Äußeres überprüft. Am Ende des Abends präsentiert er noch ein kraftvolles Solo, so dass sich der langjährige Zuschauer staunend fragt, woher dieser Ausnahmetänzer nach den ganzen Jahren noch eine solche Kondition nimmt. Nach knapp dreieinhalb kurzweiligen Stunden folgt ein berechtigter, lang anhaltender Applaus für das komplette Ensemble. Das einzige, was man auch nach drei Jahren noch nicht begreift, ist, dass Pina Bausch selbst nach einem solchen Abend nicht mehr inmitten ihrer Kompanie erscheinen kann.

FAZIT

Das Stück hat nichts von seiner Faszination eingebüßt und ist auch nach 16 Jahren herrlich frisch und aktuell.



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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Pina Bausch

Bühne
Peter Pabst

Kostüme
Marion Cito

Musikalische Mitarbeit
Andreas Eisenschneider

Mitarbeit
Jan Minarik
Marion Cito
Irene Martinez-Rios

Probenleitung Neueinstudierung
Stephan Brinkmann
Dominique Mercy
Christiana Morganti


Solisten

Regina Advento
Ruth Amarante
Pablo Aran Gimeno
Rainer Behr
Damiano Ottavio Bigi
Aleš
Čuček
Ditta Miranda Jasjfi
Barbara Kaufmann
Nayoung Kim
Daphnis Kokkinos
Eddie Martinez
Dominique Mercy
Nazareth Panadero
Helena Pikon
Fabien Prioville
Franko Schmidt
Julie Shanahan
Julie Anne Stanzak
Michael Strecker
Fernando Suels Mendoza
Aida Vainieri
Anna Wehsarg


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




Da capo al Fine

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