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Glück, das uns verblieb
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Suzanne Schwiertz
Knapp zehn Jahre ist sie alt, die ausgesprochen brave, traditionell-konventionelle Rigoletto-Inszenierung von Gilbert Deflo in der ebenso zu beschreibenden Ausstattung von William Orlandi, ein echtes Museumsstück im großen Repertoire des Opernhauses Zürich, das dennoch zweifellos seine Zuschauerinnen und Zuschauer findet, zumal wenn erste internationale Sänger engagiert werden, die genug Ausstrahlung haben, um auch ohne große Anleitung glaubhafte Portraits der ihnen anvertrauten Rollen zu präsentieren. Leo Nucci singt den Rigoletto seit 1973, und auch wenn die Stimme natürlich nicht mehr die eines 35jährigen oder auch eines 50jährigen ist, so ist dem beinahe 70jährigen Italiener doch eine meisterliche Leistung zu bescheinigen, die ein Herummäkeln an dem etwas grauen Timbre, dem vielleicht etwas zu häufig eingesetzten Deklamieren letztlich verbietet, zumal man sich freute, aus dem Mund eines Muttersprachlers endlich einmal jede Silbe genau zu verstehen (das ist ja auch heute keine Selbstverständlichkeit mehr). Und da geriet kein einziges Piano brüchig, kein Spitzenton war wirklich gefährdet, so dass man die Entschuldigung wegen einer Erkältung vor dem zweiten Akt kaum nachvollziehen konnte, sondern die künstlerische Quintessenz einer langen Karriere beinahe uneingeschränkt bewundern und genießen konnte, nicht nur nach dem furios herausgeschleuderten "Cortigiani", nach dem er auf die Knie fiel und voll echter Bescheidenheit auf den Maestro zeigte (das übrigens erlebt man in diesen Tagen auch kaum noch, dass Sängerinnen und Sänger nach ihren Bravournummern aus ihrer Rolle treten und sich verbeugen). Rigoletto (Leo Nucci) beeindruckt die Höflinge wenig mit seiner Bitte, ihm die Tochter zurückzugeben. Sen Guos Koloratursopran ist der größte nicht, aber irgendwie schaffte die Chinesin es, ihn dennoch dynamisch sehr differenziert einzusetzen und mit fein gesponnenen, ätherischen Tönen eine anrührend mädchenhafte Gilda zu zeichnen, die sich gegen die männlichen Stars problemlos durchsetzen konnte und nicht zuletzt mit einigen elektrisierenden Acuti "abräumte", die nicht jede parat hat (und die nicht jeder Dirigent erlauben würde). Gilda (Sen Guo) gesteht ihrem Vater (Leo Nucci), dass sie sich in den Herzog verliebt hat.
Juan Diego Flórez hat den Duca nach den berüchtigten Vorstellungen in Dresden meines Wissens nicht mehr gesungen, auch in seinem Terminkalender finden sich nur diese beiden Abende in Zürich mit dieser Partie, und doch wird man lange suchen müssen, um einen Sänger zu finden, der sie mit so viel Eleganz und Geschmack aus dem Geiste des Belcanto singt, der so unverkrampft und organisch die gesamte dynamische Skala ausschöpft und auch außerhalb der berühmten Arien jede noch so kleine Phrase intelligent zu kolorieren versteht, der in geschmackvollen Kadenzen so bemerkenswerte Triller singt und der eine ganz andere, überzeugendere erotische Ausstrahlung entwickelt als "Machotenöre" mit schlechterer Technik, aber weiter geöffnetem Hemd. Man glaubt ihm auch den Kummer und eine gewisse, wenn auch nicht dauerhafte Läuterung im "Ella mi fu rapita", und man vermisst das (nicht notierte) D in alto nach einer Fülle von generös ausgesungenen hohen Tönen am Ende der langen Szene überhaupt nicht. Auch die stupende Atemkontrolle und die herrlichen Morendi im "La donna è mobile" bleiben unvergessen, durch vereinzelte Bis-Rufe indes ließ sich der Peruaner diesmal nicht zu einer Wiederholung bewegen. Pavel Daniluk brachte die richtige Portion Schwärze und Autorität für den Sparafucile mit, während Liliana Nikiteanu zwar wie eine Bilderbuch-Maddalena aussah, mit ihrem unausgeglichenen, grauen Mezzo mit viel zu schwacher Tiefe nicht nur in ihren paar Solostellen blass blieb, sondern auch das Quartett mit gequetschten Tönen erheblich störte - gab es wirklich keine andere an einem so renommierten Institut? Liuba Chuchrova hinterließ da als Giovanna, die stellvertretend für die weiteren Comprimari erwähnt werden soll, den besseren Eindruck, der Chor war musikalisch wie szenisch hervorragend vorbereitet. Das bittere Ende: Nicht der Herzog, sondern Gilda (Sen Guo) wurde von Sparafucile tödlich verletzt und stirbt nun in den Armen ihres Vaters Rigoletto (Leo Nucci). Über den lautesten, längsten Applaus durfte sich Nello Santi freuen, der 1951, also vor über 60 Jahren, mit Rigoletto sein Dirigierdebüt gab und seit 1958 am Opernhaus Zürich manch denkwürdige Vorstellung im italienischen Fach geleitet hat (so auch in der Spielzeit 1964/65, als der damals weitgehend unbekannte Luciano Pavarotti für eine Gage von 600 Franken plus Billet für eine Bahnfahrt Modena - Zürich kurzfristig als Duca di Mantova einsprang). Auch an diesem Abend bewunderte man das Gespür für "richtige" Tempi, für eine durchdachte, wie selbstverständlich wirkende Phrasierung, für das umsichtige Vorbereiten von Steigerungen und dramatischen Höhepunkten, den sprühend-federnden, herrlich transparenten Orchesterklang, seine Aufmerksamkeit im Kontakt zur Bühne, seine Bescheidenheit auch im Begleiten der Sängerinnen und Sänger - ganz zurecht lobt das Biografienheft sein "traditionsbewusstes Dirigieren in der Nachfolge Toscaninis, de Sabatas oder Furtwänglers".
Unter der Intendanz von Andreas Homoki wird Tatjana Gürbaca im Februar 2013 eine Neuproduktion des Rigoletto präsentieren und sicher eine ganz andere Sicht der Dinge entwickeln. Ob sich dabei das ganz große Opernglück wie an diesem sommerlichen Abend an der Limmat einstellen wird, wird sich zeigen - "Neuanfang auf allen Ebenen" titelte NZZ Online am 1. 3. nach der Vorstellung des neuen Konzepts. Ich assoziierte nach dieser bemerkenswerten Vorstellung etwas wehmütig eher das Wort Abschied. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Spielleitung
Lichtgestaltung
Choreografie
Choreinstudierung
Solisten
Il Duca di Mantova
Rigoletto
Gilda
Sparafucile
Maddalena
Giovanna
Il Conte di Monterone
Marullo
Borsa
Il Conte di Ceprano
La Contessa
Usciere
Paggio della Duchessa
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