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Auftakt eines Ariost-Zyklus zum anstehenden Karlsjahr 2014Von Thomas Molke / Fotos: Wil van IerselFür 2014 hat sich die Stadt Aachen zum 1.200. Todesjahr Karls des Großen viel vorgenommen. Mit einer dreiteiligen Ausstellung wird eine umfangreiche biografische Rückblende über das Leben des bedeutenden Frankenherrschers vorbereitet. Auch das Theater Aachen will seinen Beitrag zum anstehenden Karlsjahr leisten, indem es in dieser und den kommenden beiden Spielzeiten die drei Ariost-Opern von Händel, die drei Episoden aus dem großen Ritterroman Orlando furioso, in dem Karl zum Sieger über die ungläubigen Sarazenen hochstilisiert wird, zum Thema haben, in der Regie von Jarg Pataki als Zyklus auf die Bühne bringen will. Während die 2014 und 2015 folgenden Produktionen Alcina und Orlando mit Ruggiero und Orlando (Roland) zwei Paladine Karls des Großen als Hauptfiguren aufweisen, macht den Anfang der Reihe eine Episode, die mit Karl dem Großen nicht viel zu tun hat. Aber schließlich ist ja auch erst nächstes Jahr Karlsjahr. Polinesso (Sanja Radisic) gaukelt Dalinda (Jelena Raki ć) Liebe vor, um sie für seine Intrige einzuspannen.Händels Ariodante behandelt eine relativ geschlossene Erzählung aus Ariosts Epos. Ginevra, die Tochter des Königs von Schottland, liebt Ariodante, einen Vasallen des Königs, den ihr Vater gerne als zukünftigen Thronfolger akzeptieren will. Doch Polinesso, der Herzog von Albany, ist ebenfalls in Ginevra verliebt und liebäugelt mit dem schottischen Thron. Als er jedoch von Ginevra zurückgewiesen wird, ersinnt er mithilfe der Hofdame Dalinda eine Intrige und gaukelt Ariodante vor, dass seine geliebte Ginevra untreu sei. Aus Verzweiflung will Ariodante sich das Leben nehmen. Sein Bruder Lurcanio gibt Ginevra die Schuld dafür und fordert vom König, seine Tochter wegen ihrer Untreue mit dem Tod zu bestrafen. Als der König einwilligt, erklärt sich Polinesso bereit, die Ehre der Königstochter zu verteidigen. Obwohl Ginevra dies ablehnt, kommt es zum Kampf zwischen Lurcanio und Polinesso, dem letzterer zum Opfer fällt. Als der König nun selbst für seine Tochter kämpfen will, taucht der tot geglaubte Ariodante wieder auf. Dalinda, die mittlerweile selbst vor Polinessos Häschern fliehen musste, weil er sie als Mitwisserin beseitigen wollte, hat den jungen Ritter aufgeklärt, dass sie es gewesen sei, die er in Ginevras Kleid mit dem Nebenbuhler in trauter Zweisamkeit gesehen habe. So ist Ginevras Ehre gerettet, und der Hochzeit steht nichts mehr im Weg. Ginevra (Katharina Hagopian) träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit Ariodante (im Hintergrund: Opernchor). Während das Bühnenbild von Anna Börnsen den Beginn der Inszenierung nahezu naturalistisch präsentiert und mit den an Waldnymphen erinnernden Wesen in grün glitzernden Kostümen mit weiß-grünen Haaren am Ende des ersten Aktes ein fast schon im Kitsch ertrinkendes Bild eines mythologischen Arkadiens heraufbeschwört, lässt das Bild im dritten Akt, bei dem auf der Rückwand ein Zwischending zwischen grünem Hulk und Ninja Turtle abgebildet wird, nicht klar werden, wohin die Inszenierung eigentlich will. Gelungen wirkt das Bühnenbild im zweiten Akt, wenn die gesamte Bühne mit einer weißen Plane überzogen ist. So wird glaubhaft, dass Ariodante, wenn er hinter der Plane Dalinda in Ginevras Kleid in Polinessos Armen sieht, wirklich an die Untreue der Geliebten glaubt. Auch die Verzweiflung und Alpträume Ginevras am Ende des zweiten Aktes gewinnen durch das wellenartige Bewegen der weißen Folie eine unheimliche Dimension. Die Kostüme von Sandra Münchow sind stellenweise dunkel eingefärbt, wobei nicht ganz klar wird, ob diese schwarzen Tupfer Pflanzen oder vielleicht das Moor Schottlands darstellen sollen. Nur bei Ginevras weißem Kleid sind die Strukturen von grünem Farn offensichtlich und manifestieren die Naturverbundenheit der Königstochter, vielleicht aber auch ihre Reinheit, da sie als einzige in der Oper keine Schuld auf sich lädt. Ginevra (Katharina Hagopian) bittet ihren Vater (Pawel Lawreszuk) um Verzeihung (im Hintergrund: Opernchor). Ariodante erhält als eher passiver Held einen wesentlich blasseren Anzug als beispielsweise sein Bruder Lucarnio, der in leuchtendem Rot regelrecht feurig die Bestrafung der vermeintlich untreuen Ginevra einfordert, und Polinesso, der in Schwarz als klassischer Bösewicht auftritt. Soweit ist Patakis Konzept auch nachvollziehbar. Was jedoch passiert, nachdem Ginevras Unschuld bewiesen ist, wirft einige Fragen auf. Natürlich ist es legitim, der Aussöhnung zwischen Dalinda und Lucarnio am Ende der Oper zu misstrauen. Schließlich hat sie stets Polinesso den Vorzug gegeben. Wenn die beiden also laut Libretto beschließen, das Vergangene ruhen zu lassen, und sich gegenseitig die Ehe versprechen, ist diese Wendung vielleicht wirklich unglaubwürdig, so dass Pataki die beiden zwar Ringe austauschen, sie dann aber zu unterschiedlichen Seiten abgehen lässt. Zum Finale allerdings neben Ginevra und Ariodante eine ganze Vielzahl von Brautpaaren aufmarschieren zu lassen und vor einer Plakatwand aufzustellen, auf der glückliche asiatische Kinder mit Obst und Gemüse in den Händen auf einer Art Wahlzettel auffordern, die Zukunft zu wählen, hat nun mit der Aussage des Stückes überhaupt nichts mehr zu tun. Auch die besondere Rolle, die Pataki Odoardo, dem Günstling des Königs, zugedenkt, wenn er im Zweikampf zwischen Lucarnio und Polinesso dem Herzog von Albany den Todesstoß versetzt und scheinbar am Schluss der Oper mit Lucarnio die Strippen zieht, wird weder im Libretto noch in der Inszenierung motiviert. Ariodante (Violetta Radomirska, hinten) erscheint, um Ginevra vor Lurcanio (Patricio Arroyo, vorne) zu verteidigen. Alles in allem können diese etwas merkwürdigen Regie-Einfälle den Genuss der Oper aber nicht wirklich stören, weil man zum einen leicht darüber hinwegsehen kann, zum anderen die musikalische Seite für das eine oder andere Mätzchen mehr als entschädigt. Péter Halász gelingt mit dem Sinfonieorchester Aachen aus dem Orchestergraben ein großartiger Barockklang, der Händels Musik mehr als gerecht wird. Unterstützt wird er dabei von einer hervorragenden Sängerriege. Jelena Raki ć begeistert als Dalinda mit leuchtendem Sopran und glasklaren Koloraturen. Sanja Radisic verfügt als Polinesso über eine dunkel-timbrierte Mittellage, die wunderbar zu dem schurkenhaften Charakter der Figur passt. Katharina Hagopian präsentiert die Ginevra mit hellem, beweglichem Sopran und arbeitet die unterschiedlichen Gefühlsregungen der Königstochter in zahlreichen Schattierungen heraus. Star des Abends ist Violetta Radomirska in der Titelpartie, die mit ihrer samtweichen Stimme alle Register zieht, um die Leiden des passiven Helden glaubhaft zu machen. Ein Höhepunkt des Abends stellt sicherlich ihre Interpretation der Arie "Scherza infida" dar, in der sie emotional bewegend der tiefen Trauer über die vermeintliche Untreue der Geliebten Ausdruck verleiht.So gibt es am Ende begeisterten Beifall für alle Beteiligten, und auch das Regie-Team wird trotz des teilweise unverständlichen Inszenierungs-Ansatzes nicht abgestraft, sondern - wenn auch nicht ganz so frenetisch wie die Sänger - einhellig gefeiert.
Auch wenn sich in der Inszenierung nicht alles erschließt, ist die Produktion schon allein aus musikalischer Sicht empfehlenswert und macht neugierig auf die Fortsetzung des Ariost-Zyklus in der nächsten Spielzeit. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne
Kostüme Licht Chor
Dramaturgie
Solisten
Der König von Schottland
Ariodante, Vasall des Königs
Ginevra, Tochter des Königs
Lurcanio, Bruder von Ariodante
Polinesso, Herzog von Albany
Dalinda, Hofdame Ginevras
Odoardo, Günstling des Königs
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- Fine -