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Musiktheater
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Orpheus˛

Ein Orpheus-Projekt mit La descente d'Orphée aux enfers von Marc-Antoine Charpentier und
sweetieorpheus_27 von Ole Hübner (2012, Uraufführung
)

in französischer und deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (eine Pause)

Kooperation mit der Rheinischen Opernakademie der Hochschule für Musik und Tanz, Köln

Premiere im Theater Aachen am 5. Juli 2013
(rezensierte Aufführung: 07.07.2013)

 

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Abstieg in konträren Klangwelten

Von Thomas Molke / Fotos: Marie-Luise Manthei

Seit vielen Jahren kooperiert das Theater Aachen im Rahmen der Förderung des musikalischen Nachwuchses mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Aachen, und bietet Studierenden der Hochschule jeweils am Ende der Spielzeit die Möglichkeit, eine eigene Produktion zu erarbeiten. Dieses Mal widmet man sich in einem Orpheus-Projekt dem wohl berühmtesten Sänger der griechischen Mythologie, dessen Geschichte seit der Entstehung der Gattung Oper die Komponisten zu immer neuen Werken inspiriert hat. Dabei können die beiden ausgewählten Stücke musikalisch kaum konträrer sein, stellt man doch den barocken Klangfarben in Marc-Antoine Charpentiers La descente d'Orphée eine Uraufführung des gerade mal 20 Jahre alten Komponisten Ole Hübner gegenüber, der sich der Geschichte unter dem Titel sweetieorpheus_27 auf postmoderne Weise multimedial und multiperspektivisch nähert. Ob letztendlich das sommerliche Wetter oder die Angst, vor dem, was einen musikalisch erwarten könnte, dazu führte, dass bei dieser zweiten Aufführung an einem Sonntag die meisten Plätze im Theater frei blieben, lässt sich schwer beurteilen.

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Orphée (hier: Q-Won Han) als Star vor La descente d'Orphée aux enfers (rechts: Ensemble)

Marc-Antoine Charpentier komponierte La descente d'Orphée für eine Privataufführung in der Residenz der Mademoiselle de Guise, einer einflussreichen Adeligen, in deren Diensten er von 1670 - 1687 stand. Mit zehn Sängern und einem relativ kleinen Orchesterapparat hat das Werk eher kammermusikalischen Charakter und wirkt daher auf den ersten Blick für ein junges Ensemble sehr geeignet. Charpentiers Version folgt dabei eng der Version des Mythos, wie man ihn aus Ovids Metamorphosen kennt. Danach stirbt Orpheus' Braut Eurydike bei der Hochzeit, indem sie auf eine Schlange tritt und von dieser in die Ferse gebissen wird. Orpheus folgt dem Rat seines Vaters Apollo und begibt sich in die Unterwelt, um seine Frau zurückzuholen oder gemeinsam mit ihr zu sterben. Mit seinem Gesang und einer bewegenden Rede überzeugt er Plutos Gattin Proserpina und damit auch den Herrn der Unterwelt, Eurydike unter einer Bedingung freizulassen: Orpheus darf sich auf dem Weg ans Tageslicht nicht nach seiner Gattin umdrehen. Mit dem gemeinsamen Weg der beiden Liebenden aus der Unterwelt endet Charpentiers Oper. Auf den tragischen Schluss wird verzichtet, da den damaligen Zuschauern sehr wohl bewusst war, dass Orpheus die Auflage nicht erfüllen konnte, so dass der weitere Verlauf des Geschehens nicht unbedingt auf der Bühne gezeigt werden musste.

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Orphée (hier: Q-Won Han) und Euridice (hier: Anna Herbst) in La descente d'Orphée aux enfers

Dieser gewissermaßen unvollständige Handlungsablauf verlangt auch gerade bei der Kürze des Werkes nach einer Fortsetzung, so dass es zunächst einmal plausibel scheint, Charpentiers Oper mit einem weiteren Stück zu kombinieren. Was allerdings Ole Hübners 2012 komponiertes "Musiktheater für sieben Solistinnen, Orchester, Tonzuspielung und Video" betrifft, ist man dabei von einer Fortsetzung der Geschichte meilenweit entfernt. Auf der Suche nach einem Klang, der so mächtig ist, dass er selbst den Tod überwindet, zeichnet Hübner seinen Orpheus als einen tragischen Helden, der seiner schöpferischen Kraft beraubt ist. Orpheus findet bei ihm keinen Weg zu der toten Eurydike, weil er auch keinen Weg zu sich selbst als Künstler findet. So kann man das komplette Stück eigentlich mit einem Satz zusammenfassen, der aus einem Gespräch mit dem Komponisten Morton Feldman stammt: "Ich würde gern einen Klang hören, der nicht aus der uns bekannten materiellen Klangwelt kommt." Der Versuch, diesen Klang zwischen Synthesizermusik, Zitaten von Andy Warhol und atonalem Gesang, von dem man ohne Übertitelung nicht ein einziges Wort verstünde, zu finden, kann in dreißig Minuten sehr anstrengend werden, zumal er auch nicht von Erfolg gekrönt ist und nur dazu führt, dass einige der eh schon wenigen Zuschauer vorzeitig den Saal verlassen.

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Orphée (hier: Q-Won Han) im Gespräch mit Proserpine (Maria-Eunju Park, Mitte) (links: Ensemble)

Ob die Videoprojektionen zu Beginn des Abends ebenfalls von Hübner stammen, kann nur gemutmaßt werden. Thematisch würde es passen. Auf einen Prospekt vor der Bühne wird eine riesige Konzerthalle projiziert, in der man vor Begeisterung kreischende Menschen hört. Dann tritt als Schattenfigur ein Star auf, dem plötzlich Flügel wachsen, mit denen er, an einem Seil geführt, über die Bühne schwebt, bis er vor seinen Fans landet. Ist das Orpheus des 21. Jahrhunderts? Tibor Torell legt diesen Ansatz in seiner Inszenierung nahe, da er den Orpheus-Darsteller aus der Charpentier-Oper, in Sieger-Pose direkt hinter dieser Projektion platziert. Sein T-Shirt mit der Aufschrift "Watcha Want?" mag in Anlehnung an einen Song der Beastie Boys vielleicht andeuten, dass dieser Künstler mit seinem Gesang alles erreichen kann. Doch der Schein trügt. Orpheus verliert seine Eurydike. Interessant ist in der Inszenierung, dass der Abstieg in die Unterwelt nach oben führt. Dominique Muszynski hat in seinem Bühnenbild auf der rechten Seite eine Art Schiff aufgebaut, auf dem wilde Pflanzen wachsen. Nach ihrem Tod besteigt Eurydike über eine Leiter dieses Schiff und wird von Orpheus bei ihrem Gang zurück in die Oberwelt von diesem Schiff wieder heruntergeholt.

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Orphée (hier: Q-Won Han) und seine inneren Stimmen Orpheus 1 - 4 (Kate Macfarlane, Soetkin Elbers, Lisa Solovyova und Simone Krampe) in sweetieorpheus_27

Nett ist auch der Einfall, die Büßer der Unterwelt Tantalus, Ixion und Tithyos als proletenhafte Abziehbilder einer Reality-Soap mit Alkohol und Drogen zu präsentieren. Tiefer kann man eigentlich kaum sinken. Wenn Orpheus seine Gattin aus dieser Welt herausführen will, schreitet er mit ihr in den Bühnenhintergrund auf einen durchsichtigen Plastikvorhang zu, der dann im zweiten Teil noch eine große Rolle spielen wird. Hinter ihm befindet sich nämlich in Hübners sweetieorpheus_27 Eurydike und das sogar in dreifacher Ausfertigung. Doch auch Orpheus erscheint vierfach. Torell lässt Orpheus 1 - 4 als innere Stimme des thrakischen Sängers auftreten. So ist Charpentiers Orpheus auch im zweiten Teil die ganze Zeit auf der Bühne präsent und singt am Ende des Abends das oben erwähnte Zitat von Morton Feldman. Was dazwischen zu konträren Klangwelten passiert, lässt sich kaum in Worte fassen. Irgendwann bekommt auch bei Hübner Orpheus die Chance, mit seiner Eurydike die Unterwelt zu verlassen. Doch der Versuch scheitert natürlich hier ebenfalls. So gibt es zumindest am Ende nach einem halbstündigen Marathon durch Geräusche, bei denen der musikalische Kern bisweilen tief verborgen liegt, einen Moment der Rührung, in dem man mit dem gebrochenen Helden leidet.

Musikalisch lässt sich eigentlich nur die Umsetzung der Charpentier-Oper beurteilen. Das Orchester der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Aachen, belebt unter der Leitung von Raimund Laufen Charpentiers barocke Klänge erfrischend zum Leben. Die Solisten überzeugen vor allem in den Ensembles. In den Solo-Passagen wirken die Stimmen teilweise etwas zu dünn. Dies fällt besonders bei Robert Reichinek als Orphée auf, der zwar über einen weichen geschmeidigen Tenor verfügt, der Partie eines begnadeten Sängers, dessen Gesang selbst Steine erweichen kann, allerdings noch nicht gewachsen ist. Elisabeth Menke verfügt als Euridice über einen leichten Sopran. Maria-Eunju Park und Eui Hyun Park überzeugen als Proserpine und Pluton. Darstellerisch setzen die Studierenden der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Aachen, auch den zweiten Teil des Abends mit großem Einsatz beeindruckend um, so dass es von dem verbliebenen Teil des Publikums großen Applaus gibt.

FAZIT

Tibor Torell findet einen spannenden Ansatz für die Geschichte. Auf Ole Hübners Uraufführung hätte man klanglich aber auch gut verzichten können.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Raimund Laufen

Inszenierung
Tibor Torell

Bühne und Kostüme
Dominique Muszynski

Choreographie
Amelia Jalowy

Licht
Eduard Joebges

Dramaturgie
Michael Dühn




Orchester der
Hochschule für Musik und Tanz Köln
Standort Aachen


Solisten

La descente d'Orphée aux enfers

*rezensierte Aufführung

Daphné
Hye Min Jeong /
*Jung-Hyun Kim

Aréthuze
*Anne Heffner /
Alice Lackner

Euridice
Anna Herbst /
*Elisabeth Menke

Orphée
Q-Won Han /
*Robert Reichinek

Apollon
Boyan Di

Ixion
Dimitra Kalaitzi-Tilikidou /
*Eva Nesselrath

Pluton
Eui Hyun Park

Proserpine / Énone
Maria-Eunju Park

Tantale
*Sejun Eom /
Lorenz Rommelspacher

Titye
Boyan Di

sweetieorpheus_27

Orpheus 1
Kate Macfarlane

Orpheus 2
Soetkin Elbers

Orpheus 3
Lisa Solovyova

Orpheus 4
Simone Krampe

Eurydike 1
Marike Stadermann

Eurydike 2
Eva Maria Gemeinhardt

Eurydike 3
Franziska Schacht

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Aachen
(Homepage)





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