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Musiktheater
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Superflumina

Oper in einem Akt
Text und Musik von Salvatore Sciarrino


Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Premiere im Theater Aachen am 9. Dezember 2012
(rezensierte Aufführung: 15. Dezember 2012)

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Am Rand der (Menschen-)Ströme

Von Stefan Schmöe / Fotos: Wil van Iersel

Eine Frau, vielleicht eine Obdachlose, erlebt die Menschenströme auf einem Großstadtbahnhof: Einsam inmitten der Massen scheitert die Kommunikation, bleibt sie allein und isoliert. „Super flumina babylonis illic sedimus et flevimus cum recordaremur Sion.“ heißt es im 137. Psalm („An den Wassern Babylons saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.“) Die Trauer der heimatlosen Juden in der babylonischen Gefangenschaft wird zum Sinnbild einer modernen Heimatlosigkeit, nicht (nur) im Sinne einer Sozialkritik. Der Bahnhof als Ort des Ankommens und Abreisens, aber eben nicht des Bleibens, das ist auch ein vielschichiges Symbol für das Fehlen einer Verwurzelung. Neben dem biblischen Kontext, der sich wiederholt auch im bildreichen, an die Psalmen angelehnten Sprachgestus niederschlägt, ist ein Roman der kanadischen Autorin Elisabeth Smart aus dem Jahr 1945 die zweite Quelle der Oper – eine unglückliche Liebesgeschichte einer Frau zu einem verheirateten Mann. So versucht diese Oper, existentielle Fragen unserer Gegenwartsgesellschaft zu stellen – und das in einer vordergründig spröden, bei genauem Zuhören aber sehr fein verwobenen, poetischen Musiksprache, nie tonal oder melodisch anbiedernd, mitunter an der Grenze zum Geräuschhaften.

Szenenfoto

Salvatore Sciarrino, geboren 1947 in Palermo, gehört zu den wenigen zeitgenössischen Komponisten, dessen Opern einigermaßen regelmäßig gespielt werden – so ist diese Aachener Premiere von Superflumina die zweite Produktion des Werkes nach der Mannheimer Uraufführung im Mai 2011 (unser Bericht). Das spricht für die Qualität des Stückes, (leider) aber auch den Mut der Intendanten – denn großes Publikum gewinnt man damit nicht. Wo mehr und mehr die Auslastungszahlen und nicht die künstlerische Qualität zum Gradmesser für die Qualität eines Theaters herangezogen werden – exemplarisch ist das gerade an den Wuppertaler Bühnen zu erleben, wo die Lokalpolitiker einen (in diesem Fall: Schauspiel-) Intendanten eben mit der klaren Vorgabe „volles Haus!“ suchen – hat die zeitgenössische Oper einen schweren Stand. Ein Glücksfall, dass sich das Theater Aachen auf seinen künstlerischen, überhöht gesagt: moralischen Auftrag beruft und der zunehmenden Musealisierung der Spielpläne entgegen wirkt.

Szenenfoto

Sciarrino hat die Mammutpartie der Frau für die polnische Sopranistin Anna Radziejewska geschrieben, die nach der Uraufführung auch in dieser Aachener Produktion mit großer Souveränität singt und spielt und den Sciarrino-typischen Parlando-Stil – lange Noten, die in sehr schnell gesungenen Silbenfolgen quasi explodieren – mit hoher Perfektion trifft und auch die einkomponierten Registerwechsel organisch bewältigt. Countertenor Armin Gramer scheint ein wenig unsicher, ob man in so einer Musik mit Wohlklang antworten kann und wirkt unausgeglichen; Hrólfur Saenundsson als Passant und Polizist singt bestenfalls solide – da fehlen der Frau musikalisch die Widersacher. Dem Chor, der seinen Part insgesamt ordentlich meistert, merkt man die Schwierigkeiten der Partitur an. Einen sehr guten Eindruck hinterlässt das auf der Hinterbühne platzierte Sinfonieorchester Aachen unter der umsichtigen Leitung von Kapellmeister Peter Halász – da werden Sciarrinos fragile Klänge doch sehr klangschön hörbar.

Szenenfoto

Ludger Engels und Ric Schachtebeck, die gemeinsam für Inszenierung und Ausstattung verantwortlich sind, haben einen bahnsteigartigen Laufsteg von der Hauptbühne aus längs durch das Parkett gelegt. Wartebank und Mülltonnen geben ein realistisches Ambiente, der mit Linien wie von Fingerabdrücken oder einem Holzschnitt unnatürlich bedruckte Boden wirkt dagegen verfremdend. Damit sind die Pole der Inszenierung umrissen: Einerseits die Verankerung in der realen Gegenwart mit einem Großaufgebot an Statisterie in Alltagskleidung, auf der anderen Seite eine oft bewusst artifizielle Choreographie der Abläufe, die zu einer künstlerischen Überhöhung führt. Diese zweite, stärker stilisierende Ebene bekommt dem Stück besser als der mitunter allzu banale sozialkritische Realismus-Ansatz. Auch greift sie die symmetrische Form der Partitur (die vier Bilder und zwei Intermezzi gliedern sich formal streng um drei Lieder im Zentrum des Werkes herum). In einer der eindrucksvollen Szenen zieht Statisterie wie in einem stillen Trauermarsch den Laufsteg hinauf und wird zu wiederholten Fortissimo-Klang mehrfach in der Pose eines stummen Schreis „eingefroren“. Wenig plausibel bleibt dagegen, warum die Sprecher der einkomponierten, reichlich absurden Lautsprecherdurchsagen leibhaftig auf der Bühne erscheinen (Sciarrino hat hier Stimmen aus dem Off vorgesehen, was eine zusätzliche Distanz zwischen der Frau und der Welt um sie herum bewirken könnte).

Szenenfoto

Der (vom Countertenor gesungene) junge Mann erscheint als eine Mischung aus Jesus-Verschnitt und Dealer – das müsste plastischer, auch bildgewaltiger ausgearbeitet werden, hier bleibt es zu sehr Episode am Rande. Sehr griffig dagegen ist eine hochvirtuose Breakdance-Einlage zum letzten der drei Lieder im Zentrum des Werkes, in dem die Musik zum modernen Abbild eines Renaissance-Tanzes wird. Ein paar Video-Einblendungen von verschwommenen Landschaften sind allzu kleinformatig geraten, als dass sie Akzente setzen könnten.


FAZIT

Superflumina ist sicher eines der besten Werke des jüngeren Musiktheaters, und auch wenn die (insgesamt nicht schlechte) Aachener Inszenierung ein wenig zu halbherzig eigenständige Bilder dafür sucht, ist hier eine eindrucksvolle Wiedergabe gelungen – nicht zuletzt wegen Anna Radziejewska in der Hauptpartie.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Peter Halázs

Inszenierung und Ausstattung
Ludger Engels
Ric Schachtenbeck

Chor
Andreas Klippert

Dramaturgie
Michael Dühn


Statisterie des Theater Aachen

Opernchor Aachen

Sinfonieorchester Aachen


Solisten

Die Frau
Anna Radziejewska

Ein junger Mann / entfernte Stimme
Armin Gramer

Ein Passant / Eine Polizistin
Hrólfur Saemundsson

Sprecherin
Antonella Schiazza

Sprecher
Jorge Escobar


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Aachen
(Homepage)





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