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Es sagt sich doch!
Von Joachim Lange
/ Fotos von Annemie Augustijns
Jetzt liegt es auf der Hand: der Oster-Parsifal des Wagner-Jahres 2013 hat nicht in Salzburg stattgefunden, sondern in Antwerpen. Trotz Christian Thielemanns Festspieldebüt und großer Tenor- Artillerie (unsere Rezension), Medien-Hype und TV-Übertragung. Dass man dem vertrackten Bühnenweihfestspiel auch anders beikommen kann als durch großspurige Designer-Ausreden und verkorkster Deutungsumspielung, das demonstrieren jetzt die Flämischen Oper und Regisseurin Tatjana Gürbaca! Getroffen: Parsifal hat auf einen Schwan geschossen und hält einen toten Knaben in den Armen
Der Bühnenraum von Henrik Ahr verzichtet auf nahezu jedes Ausstattungsbrimborium. Nur der Speer hat als Rohr überlebt, und einen Helm für Parsifal gibts auch. Ansonsten ist es ein weißer Raum, von dessen Rückwand ab und an Blut rinnt. Einen Rollstuhl für Gurnemanz, ein paar Schemel und ein betont belangloses Second-hand-Zivil für die Gralsbesatzung, Unterwäsche und bunte Kleider für die singenden Blumenmädchen und verwitterte Spitzenrobe für fünf in Würde Verwelkte ihrer Art. Das wars. Den Rest liefern die atemberaubende Personenregie und die grandios schauspielernden Protagonisten bis zum letzten Chorsänger. Allein das ist eine Glanzleistung der Mainzer Operndirektorin. Mit kammerspielartiger Präzision der Extraklasse fahndet Gürbaca damit nach dem menschlichen Gehalt der Parsifal-Geschichte. Und findet vor allem eine tragische Liebe zwischen Amfortas und Kundry, die mit aller Gewalt von einer auf Geschlechtertrennung und Erlösungsglauben fixierten Männer-Gesellschaft, verhindert wird. Da ist es kühn gedacht und konsequent entwickelt, dass Kundry hier die Taufe verweigert. Und damit letztlich die Integration in die vom männlichen Herrschaftsanspruch aus gedachten Gesellschaft, in der Amfortas und Klingsor nur über verschiedene Abteilungen herrschen. "Zeigt her Eure Beinchen.....": Die Blumenmädchen Wenn sie sich am Ende mit einem zweiten, diesmal erfolgreichen Versuch die Pulsadern aufschneidet und neben Amfortas stirbt, dann umweht diesen Liebestod das tiefe Einverständnis einer utopischen Weltflucht. Was Gurnemanz so sehr nachempfinden kann, dass er sich aus seinem Rollstuhl quält, um die Hände der beiden zusammenzuführen und sie im Tode zu vereinen. Nur ein einziger von den Rittern, die schon wieder suchend in die Höhe blicken und auf ihren neuen König, wendet sich ab. Es ist wenig Hoffnung, wenn ihr das nahe- bzw. vor euch liegende nicht seht, könnte das heißen. Gürbaca hinterfragt mit gebotener intellektueller Skepsis das Werk, aber sie denunziert dabei nicht die Figuren, sondern zeigt sie so menschlich, wie es nur selten gelingt. Nicht nur Kundry. Wenn diese schwangere Frau, umweht von einer Marienaura, als Gral durch die versammelten Männer schreitet, bekommen auch die, in ihrem Staunen, sehr menschliche Züge. Doch auch wenn dann bei der zweiten Gralsenthüllung Amfortas mit Glasscherben in den Schuhen gefoltert und ihm ein Schild mit der Aufschrift Mörder umgehängt wird, ist dieser Akt der Barbarei auf fatale Weise wiedererkennbar. Parsifal und Kundry
Hier ist jede Szene durchdacht. Jede Handlung spiegelt sich in den jeweiligen Beobachtern wieder. Dabei führt die schlichte Ausstattung zu wunderbaren Einfällen. Wenn Parsifal den Schwan erschießt, so schüttet er Blut auf einen der Knaben, die von den Rittern gerade rituell gewaschen werden. Wenn sich die Zeit zum Raum wandelt, dann ist das eine verblüffende Verjüngung und Gesundung von Gurnemanz, dessen Platz im Rollstuhl von einem anderen eingenommen wird, während der Zug langsam rückwärts schreitet. Wenn Titurel sein Bist du am Amt dröhnen lässt, dann kommt dieser Ruf aus den Gralsrittern selbst, die nur ihren Mund bewegen. Dieser Parsifal ist ein szenisches Ereignis, weil perfekte Personenregie, eine kritische Grundhaltung zum Stück, die von Sympathie mit den Menschen hinter den Figuren getragen ist, mit dieser Art von Erfindungslust zusammengeht. Kurz vor dem gemeinsamen Liebestod: Amfortas und Kundry Er aber auch ein musikalisches Ereignis. Eliahu Inbal weiß sich am Pult des Orchesters der Flämischen Oper die parsifalfreundliche Akustik des Hauses zunutze zu machen, setzt mit 1 Stunde 38 Minuten für den ersten Aufzug, auf zügige Tempi, legt die Bühnenmusik im Weihfestspiel frei und atmet dabei stets mit den Sängern. So ist dieser Parsifal nicht nur dem Salzburger Event szenisch überlegenen, sondern auch musikalisch konkurrenzfähig. Die Spitzencrew vorzüglicher Sängerdarsteller ist nämlich auch den vokalen Anforderungen gewachsen. Allen voran Georg Zeppenfeld als kraftvoll intelligenter Gurnemanz, doch auch Susan Maclean als hochemotionale Kundry, Zoran Tordorovich als strahlkräftiger Parsifal, Werner Van Mechelen als Leidensmann Amfortas oder Robert Bork als diabolisch kontrastierender Klingsor sind ein Hörvergnügungen. Auch im übrigen Ensemble gibt es keine Schwachstellen. So hat das Jubiläumsjahr einen Beitrag zur Parsifal-Rezeption zu verzeichnen, der schwer zu überbieten sein dürfte.
In Antwerpen fasziniert Tatjana Gürbaca mit einem intelligent packenden Parsifal mit Kammerspielqualitäten. Damit hat das Haus seinen exzellenten Ruf bestätigt und Tatjana Gürbaca ihren Platz in der Spitzengruppe der Regisseure ihrer Generation furios gesichert. Bravo! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Amfortas
Titurel
Gurnemanz
Parsifal
Klingsor
Kundry
1. Gralsritter
2. Gralsritter
1. Knappe
2. Knappe
3. Knappe
4. Knappe
Blumenmädchen
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