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Senta sucht das Abenteuer Von Christoph Wurzel / Fotos: Matthias Baus Mit einem Überraschungseffekt wartet Philipp Stölzl im 2. Akt seiner Holländer-Inszenierung auf: Wenn Daland endlich nach langer Fahrt in die heimatliche Villa mit großer Bibliothek zurückkehrt, bringt er nicht etwa den verwegen wilden Mann mit nach Hause, als den wir den Holländer im ersten Akt kennen gelernt haben, sondern einen rundlichen Herrn in braunem Anzug mit Stock und Melone. Sentas „Ha!“ bekommt dadurch einen ganz anderen Sinn, als es die Regieanweisung nahe legt. Sie ist nicht „festgebannt“, weil sie endlich den ersehnten erlösungsbedürftigen Seemann erblickt, sondern einen ältlichen Herrn, den ihr Vater da als ihren Bräutigam anschleppt. Schließlich weiß sie, dass er sie bald unter die Haube bringen möchte, daher erschreckt sie sich zu Tode. Und wenn, verpackt im gefälligen Spielopern-Ton (Wagner kannte seinen Lortzing gut!), der Vater sie bittet, den fremden Mann willkommen zu heißen, dann wendet sie sich mit Grausen ab. Diesen Spießer will sie auf keinen Fall, den braven Erik aber ebenso wenig, denn sie sucht das Abenteuer und hat sich vernarrt in die Mär vom fliegenden Holländer, die sie aus einem Wälzer aus Vaters Bibliothek kennt und abends bei Schummerbeleuchtung in sich hineinfrisst. Leseratte Senta hat durch Schmökern einfach den Bezug zur Realität verloren. Die gutbürgerliche Atmosphäre ihres Vaterhauses scheint ihr zu muffig zu sein oder sie ist gepackt von dem mächtigen Gemälde des aufgewühlten Meeres, das hier über der Sitzgruppe hängt. Wie auch immer: Senta verweigert sich und flüchtet aus der engen Stube in den Traum von der wilden Gefahr. Und dies bereits zur Ouvertüre. Die Ballade wird zur spannenden Wirklichkeit: Senta phantasiert sich die Geschichte vom Pakt ihres Vaters mit dem bleichen Seemann, von Erlösung und ewiger Treue (hier als pantomimisches Double: Roxana Clemenz mit Tobias Schabel als Daland und seinen Leuten). Einen durchaus bestechenden Trick wendet die Regie also an, wenn sie die schwarz-romantische Holländersphäre in der Phantasiewelt und die häusliche Biederkeit von Sentas Welt im bürgerlichen 19. Jahrhundert ansiedelt. Das ist sowohl dem Charakter der Musik wie auch der Entstehungsgeschichte der Oper adäquat. Ziemlich konsequent werden beide Sphären auf der Szene getrennt. Auch im Duett Sentas mit dem Holländer kommt es nicht zur physischen Begegnung beider Figuren, sondern jede singt ihren Part gleichsam als Selbstgespräch. Erstaunlich wie deutlich auch Text und Musik das hergeben. Als Bühne ihrer blühenden Phantasie dient das Gemälde, in dessen Rahmen Senta sich die Geschichte vom Holländer zum Leben erweckt. Ein Double von ihr schleicht dabei immer im Geschehen umher und wird so gleichsam zur Schicksalsgenossin der Sagengestalt des fliegenden Holländers. Auch der dritte Akt passt in diese Deutung. Zuerst feiern die Seeleute aufgedreht das Hochzeitsfest, bis die angewiderte Senta volltrunken zuerst dem dazwischen gehenden Erik dann ihrem Bräutigam auf dem Kopf eine Flasche zu Bruch schlägt, deren Scherben sie sich in letzter Verzweiflung selbst in die Pulsadern rammt. Nun fließt wahnsinnig viel Blut und die Inszenierung kippt ins Kitschige um. Während der Bräutigam schon wegdämmert, träumt Senta von der Vermählung mit dem sagenhaften Seemann (oben: Michael Volle als Holländer, Roxana Clemenz als Sentadouble, unten: Emma Vetter als Senta und Klaus Schabinski als stummer Bräutigam). Noch dicker kommt es dann zum Schluss, wenn der Holländer seine wahre Identität enthüllt. Auf seinem Schiff recken dessen verflossene untreue Frauen durch das Gitter des Unterdecks ihre Hände empor und erflehen ebenfalls ihre Erlösung. Hier ist in Stölzl der Filmregisseur durchgegangen und ihm die Szenerie in Richtung Hollywood abgedriftet – Fluch der Karibik! Und Preis für eine Bühnenbildwelt, die mehr und mehr überfrachtet wirkt und dem Zuschauer keine eigenen Spielräume der Phantasie mehr erlaubt. Dramatische Mittel werden zum künstlichen Showeffekt. Senta macht nicht mehr mit: Emma Vetter mit Chor Starke, echte Expressivität kommt aus dem Graben. Daniel Harding peitscht das Orchester zu atemberaubender Dramatik auf, ohne jemals die Sänger zu überdecken. Das ist in der heiklen Akustik der Schilllertheaters beachtlich. Viel lässt er die Musik erzählen, schön kommen Nebenlinien zum Klingen. In scharfem Kontrast stehen die Farben der wilden Romantik zum Ton gediegen gemütlicher Bürgerlichkeit. Das Orchester spielt bis auf wenige Wackler im Blech klangschön und differenziert.
Schwarze Romantik: Michael Volle als dämonischer Holländer Unter den Sängern gefiel an diesem Abend am meisten Stephan Rügamer, der dem Erik mit enorm flexibler Stimme und in leuchtender Klanggebung ein starkes Profil gab. Michael Volle wirkte stimmlich etwas angestrengt und konnte daher nicht voll überzeugen, während er darstellerisch die Dämonie der Holländergestalt durchaus verkörperte. Emma Vetter als Senta stieß ihre Spitzentöne allzu scharf heraus, klang nur in tieferen Lagen füllig und rund. Als Daland blieb Tobias Schabel mit monochromer Stimme recht unprofiliert. Simone Schröder war stimmlich und darstellerisch eine prägnante Mary und Peter Sonn gab den Liedern des Steuermanns den angemessen lyrischen Ton. Im Herrenchor war die Koordination (vor allem im ersten Akt) nicht immer optimal, während der Frauenchor im Spinnerlied auf den Punkt genau artikulierte. FAZIT Insgesamt ist die
Inszenierung schlüssig und konsequent entwickelt. Die Geschichte wird
spannend erzählt. Die Bilder leiden aber am Schluss an allzu plakativem
Scheinrealismus. Das Orchester lässt es an Dramatik nicht fehlen. Etwas
zwiespältig dagegen bleiben die Eindrücke der Sängerleistungen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Staatskapelle Berlin Staatsopernchor Berlin
Solisten Daland
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E-Mail: oper@omm.de
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