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Maßvolle ObszönitätenVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Drei brillante Opernpartituren verfasste der 25-jährige Konzertmeister des Frankfurter Opernorchesters, Paul Hindemith, am Beginn der 1920er-Jahre: Drei Einakter über das Thema Liebe, Sexualität und Geschlechterkampf. Einer davon, die zuletzt komponierte Sancta Susanna, wurde wegen Blasphemie und Obszönität erst gar nicht zur Stuttgarter Uraufführung 1921 angenommen (was die Frankfurter Oper dann ein Jahr später nachholte). Die Aufführungsserien waren von organisierten Skandalen begleitet, Hindemith avancierte zum Bürgerschreck. Später hat er sich von diesem Image distanziert, die Aufführung dieses Einakter- Triptychons (der in der Anlage mit zwei tragischen und einem komödiantischen Stück Puccinis erfolgreichem Trittico folgt) sogar untersagt was letztendlich wohl weniger Einfluss auf die geringe Rezeption der Einakter hatte als der inzwischen doch eher geringe Skandalwert. Die Bonner Neuproduktion macht immerhin hörbar, was da an musikalischer Qualität in Vergessenheit geraten ist. Mörder, Hoffnung der Frauen: Moderne Kunst-Performance mit Mann (Mark Morouse) und Frau (Julia Kamenik)
Mörder, Hoffnung der Frauen ist ein ziemlich verquerer Text von Oskar Kokoschka. In archaischen Zeiten bekämpfen sich Männer und Frauen. Zunächst scheint der Anführer besiegt zu sein, doch dann erliegt die Anführerin der Frauen seiner Ausstrahlung und wird schließlich von ihm getötet. Der Regie führende Intendant Klaus Weise inszeniert dieses inhaltlich wie sprachlich doch sehr in seiner expressionistischen Zeit verhaftete Stück als heutige Kunst-Performance das gibt eine wohltuende Distanz zum anti-emanzipatorischen Sujet. Den Schock-Effekt, den Hindemith seinerzeit beabsichtigt hat, unterschlägt er dabei nicht; überfallartig und ohne Vorankündigung wird der Frau mit einer Kreissäge der Bauch aufgeschlitzt. Julia Kamenik singt nicht nur ausgezeichnet, sondern ist, wie sie den Mann katzenhaft umschleicht, auch eine ideale Darstellerin; Mark Morouse als kraftvoller Widerpart steht ihr kaum nach. Durchaus martialisch geht es auch in der Musik zu. Vom (für die Musik geräumten) Intendantenbalkon geben scharfe Blechbläserfanfaren den dissonanten, im Kern aber noch spätromatischen Ton vor. Das Beethoven Orchester unter Leitung von Stefan Blunier zeigt sich (wie auch in den anderen beiden Einaktern) von seiner besten Seite; exzellent in den solistischen und kammermusikalischen Passagen, kraftvoll in den vielen Forte- und Fortissimo-Attacken, höchst souverän in den virtuosen Presto-Abschnitten (vor allem im Nusch-Nuschi, das den Abend beschließt). Vom ersten Ton an übernimmt das Orchester die eigentliche Hauptrolle. Mörder, Hoffnung der Frauen: "Brennt ihr mein Zeichen mit heißem Eisen ins rote Fleisch!"
Hindemith hat mehrfach behauptet, Sancta Susanna sei ihm das liebste der drei Stücke das mag zur Argumentationsstrategie gehören, mit der er die Uraufführung durchsetzen wollte; nach den Klangballungen des Auftaktstücks verschieben die leitmotivischen Flötenmelodien (auch hier wird wieder der Balkon genutzt, was einen faszinierenden Raumklang bewirkt) von Beginn an die Stimmung hin zu einem viel intimeren Klangraum. Susanna ist eine Nonne, die einen Liebesakt einer Magd belauscht und in sexuelle Ekstase gerät wie Jahre zuvor bereits eine andere Schwester des Klosters, die zur Strafe lebendig eingemauert wurde. Susanna fordert das gleiche Schicksal für sich und stürzt sich entkleidet auf die Christusstatue (das war seinerzeit Stein des kirchlichen Anstoßes). Bühnenbildner Raimund Bauer hat aus einer schwarzen Wand, auf der die Mitschwestern wie in einer Ikonostase aufgereiht stehen, einen gleißend hellen, kreuzförmigen Durchlass geschnitten. Das ist ein ebenso sinnfälliges wie wirkungsvolles Bild für das nur 20 Minuten kurze Werk geschaffen, wenn auch ein vergleichsweise konventionelles. Ingeborg Greiner hat für die hochdramatischen Ausbrüche, die es dann auch gibt, eine im Grunde zu kleine Stimme, singt die Partie aber sehr eindrucksvoll aus, ohne zu forcieren mitunter ist das Orchester halt lauter als sie. Szenisch bleibt es allerdings prüde das Unterkleid bleibt am Körper, und auch der Liebesakt mit dem Kruzifix ist recht vage angedeutet. So ist ausgerechnet das Stück, das zunächst nicht aufgeführt werden sollte, in dieser Produktion das harmloseste, am stärksten den üblichen Sehgewohnheiten verhaftete, gleichzeitig das ästhetisch ansprechendste. Der Bürgerschreck Hindemith macht sozusagen 20 Minuten Pause. Sancta Susanna: Schwester Susanna (Ingeborg Greiner, r.) verfällt während Schwester Klementias (Anjara I. Bartz) Erzählung in sexuelle Ekstase,
Im Nusch-Nuschi rattert die Musik mitunter wie eine Nähmaschine auf Hochtouren, was bei aller kompositorischen und intellektuellen Brillanz auf Dauer ein wenig ermüdend ist zumal der Regie hier nicht allzu viel eingefallen ist, um die vier zentralen Tänze zu bebildern, die eigentlich vier (bös ironische) Kopulationsmusiken sind. Die vier sexuell unausgelasteten Ehefrauen eines Märchenkaisers suchen hier erotische Abenteuer, was dem auserwählten Herrn Zatwai ganz ordentlich zusetzt. Die geforderte Bestrafung das Übliche, also Kastration kann nicht vollzogen werden, weil kurzerhand ein besoffener General (eine Anspielung auf Wilhelm II.) der Tat bezichtigt wird, der aber bereits entmannt ist. Von seinem Verfasser Franz Blei als Burmanisches Marionettenspiel bezeichnet, ist dies höhere Opernblödsinn in Geistesverwandschaft mit der Commedia dell'Arte. Der Vollständigkeit wegen: Das Nusch-Nuschi ist ein Tier (halb Riesenratte, halb Krokodil), das etwa die Bedeutung hat wie die den Tamino bedrohende Schlange in der Zauberflöte. Solche pardodistischen Querverweise es gibt da, unter anderem, ein überdeutliches Zitat aus Tristan und Isolde - durchziehen raffiniert dieses durchweg sehr ordentlich gesungene Ensemble-Stück. Da ist es, das geheimnisvolle Tier mit dem drolligen Namen Nusch-Nuschi - der dicke General Kyce Wang (Boris Beletzky) reitet drauf
Überschattet wurde die Produktion vom Tod der Kostümbildnerin Dorothea Wimmer, die nach schwerer Krankheit im Sommer verstarb. Die liebevollen Kostüme insbesondere für das farbenfrohe Nusch-Nuschi sind somit so etwas wie ihr künstlerisches Vermächtnis, und es ist ihr sehr gut gelungen, die entscheidende Prise Erotik zu zeigen (und nicht zuletzt alle Damen gut aussehen zu lassen). Das Bühnenbild besteht aus ein paar Schminktischen und einem aus herab hängenden Ketten gebildeten Zylinder, in dem die Liebespaare verschwinden ein nicht realer Raum, der das Theaterhafte unterstreicht und in dem das Spiel recht gut funktioniert. Weise scheitert allerdings am epiloghaften Schluss, indem noch einmal vom Wesen der Liebe die Rede ist und der eine Klammer setzen müsste, hier aber ziemlich unmotiviert irgendwie angehängt wird. Szenisch kommt Weise trotz mancher guter Ansätze diesem Triptychon nicht bei.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreografie
Choreinstudierung
Licht
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereMörder, Hoffnung der Frauen
Der Mann
Die Frau
Erster Krieger
Zweiter Krieger
Dritter Krieger
Erstes Mädchen
Zweites Mädchen
Drittes Mädchen
Tänzerinnen und Tänzer
Sancta Susanna
Susanna
Klementia
Alte Nonne
Eine Magd
Ein Knecht
Das Nusch-Nuschi
Mung Tha Bya, Kaiser von Burma
Feldgeneral Kyce Waing/
Der Henker/Ein Bettler
Susulü, der Eunuch des Kaisers
Tum tum
Kamadewa
Erster Herold
Zweiter Herold
Bangsa
Osasa
Twaise
Ratasata
Erste Bajadere
Zweite Bayadere
Zwei dressierte Affen
Erster Dichter
Zweiter Dichter
Erstes Mädchen
Zweites Mädchen
Drittes Mädchen
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