Königin ist Superstar
Von Thomas Molke
/
Fotos von Lilian Szokody
Das Märchen um Schneewittchen hat derzeit Hochkonjunktur. Mit
Grimm's Snow White, Mirror Mirror und Snow White and the Huntsman
erschienen 2012 in den USA allein drei Kinofilme, die sich mehr oder weniger an
der Version der Gebrüder Grimm orientieren. Dies hat das Theater Bonn
wohl zum Anlass genommen, die neue Spielzeit mit einer rockigen Version des
Märchens zu eröffnen, die Frank Nimsgern 2000 als Auftragswerk für das
Saarländische Staatstheater Saarbrücken komponiert hat. Nimsgern, der sich in
den letzten Jahren durch die Komposition diverser Musicals und Filmmusiken,
unter anderem auch für den Tatort, einen Namen im Bereich des
Musiktheaters erworben hat, dürfte in Bonn kein Unbekannter sein, da dort 2007
seine Interpretation des klassischen Nibelungen-Mythos unter dem Titel Der
Ring eine von Wagner-Liebhabern und Musical-Fans gleichermaßen begeistert
aufgenommene Uraufführung erlebte. Nun ist er mit seiner Band, der Frank
Nimsgern Group, nach Bonn zurückgekehrt, um dort die "wahre Geschichte"
Schneewittchens neu einzustudieren.
Der Jäger (John Davies) soll Snowhite (Michaela
Kovarikova) töten.
Wie in dem aktuellen Kinofilm Snow White and the Huntsman
kommt auch in Nimsgerns Musical dem Jäger eine wesentlich bedeutendere Rolle in
der Geschichte zu, als dies im Märchen der Fall ist. So erhält dieser zwar, nachdem
die Hexen ihn aus der Realität in die Märchenwelt geholt haben, weil sie durch
den Spiegel die Fragen der Königin nicht mehr beantworten wollen, wie bei den Gebrüdern Grimm den Auftrag, Snowhite zu töten, kann diesen Befehl aber
nicht ausführen, da er sich in das wunderschöne Mädchen verliebt, und ersetzt
somit letztendlich
den Prinzen, da er, nachdem die Königin Snowhite vergiftet hat, durch
einen Kuss das tote Mädchen wieder zum Leben erweckt und nun gemeinsam mit der
Geliebten einen Weg aus der Traumwelt zurück in die Realität findet, während die
Königin als gebrochene alte Frau zurückbleibt.
"Komm mach dich schön": Die Queen (Aino Laos,
hinten) verleitet als alte Frau Snowhite (Michaela Kovarikova, vorne) dazu, den
vergifteten Apfel zu essen.
Neben dem Komponisten Frank Nimsgern ist auch Frank Felicetti, der
für die Texte verantwortlich zeichnet, an dieser Produktion beteiligt, da er wie
bei der Uraufführung 2000 in die Rolle des Minitou, des Chefs der sieben Zwerge,
schlüpft. So kann man auf jeden Fall sicher sein, dass die Inszenierung von
Elmar Ottenthal ganz im Sinne der Verfasser erfolgt. Ottenthal, der auch das
Bühnenbild gestaltet hat, arbeitet mit eindrucksvollen Projektionen, die
auf der Rückwand mal surrealer Welten entstehen lassen, mal Naturbilder
einfangen, die recht abwechslungsreich sind. Der Palast der Königin zeigt mit
großen Spiegelwänden auf beiden Seiten, die Bedeutung der Spiegel und des
Spiegelbildes für die egomane Herrscherin. Die Behausung der sieben Zwerge befindet
sich auf einer unter der Bühne liegenden Ebene, die emporgefahren werden kann
und eine fantasievolle Höhlenlandschaft offenbart, in der die Mikrowelle auf der
rechten Seite schon regelrecht anachronistisch wirkt. Die Kostüme von Judith
Adam sind recht märchenhaft gestaltet und unterstreichen jeweils den
individuellen Charakter der Figuren.
Die Queen (Aino Laos, hinten) ist jetzt der
Superstar (vorne: die Hexen (Sabine Lindlar, Angelina Curilova, Tatjana Jentsch,
Sandra Gabriela Malik, Kateryna Morozova und Valeri Potozki)).
Musikalisch zeigt die Produktion, dass Nimsgern in seiner
Komposition für die einzelnen Figuren recht unterschiedliche Instrumentationen
und Stile beherrscht. Bei dem Thema für Schneewittchen ("Frei wie der Wind")
fühlt man sich unwillkürlich an die romantisch-kitschige Musik aus
Disney-Zeichentrickfilmen wie Pocahontas erinnert, so dass die Titelfigur
ständig am Rande des Erträglichen wandelt und man bisweilen dagegen ankämpfen
muss, nicht mit der bösen Königin zu sympathisieren. Überhaupt hat man das
Gefühl, dass Nimsgern für die Königin die ansprechenderen Songs komponiert hat,
was sowohl die Variationen in der Rhythmik als auch den gewählten Rock-Sound
betrifft. So entwickelt sich "Königin ist Queen, ist Superstar" zum absoluten
Höhepunkt des Musicals, der auch nach Ende der Vorstellung noch lange im Ohr bleibt. Bewegend
gelingt auch der zweite Song der Königin "Komm mach dich schön", in dem sie als
verkleidete alte Frau direkt alle drei Anschläge auf Snowhite gleichzeitig
verübt. Der Sound der Hexen klingt nach Funk und erinnert an unheimliche
Filmsequenzen, wohingegen Minitou und den Zwergen eher witzige und
unkonventionelle Melodien zugeteilt werden. Der Song des Jägers "Wohin der Weg
mich führt" klingt nach einer lyrischen Rock-Ballade, die auch von Xavier Naidoo
stammen könnte. So macht Nimsgern eigentlich das, was Andrew Lloyd Webber Jahre
vor ihm in Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat, Cats und
Starlight Express auch schon vorgeführt hat, nur dass die
unterschiedlichen musikalischen Richtungen für ein heutiges Publikum noch
aktueller sein dürften.
Minitou (Frank Felicetti, rechts) und die Zwerge
(Maurice Stocseck, Ayuk Bobga, René Buckbesch, Ludwig Mond, David Schmidt und
Lin Verleger) trauern um Snowhite (Michaela Kovarikova).
Wie bei der Uraufführung in Saarbrücken ist neben Frank Felicetti
als Minitou auch Aino Laos erneut als Queen zu erleben. Mit großartigem Timbre
lotet sie die zwischen Rock und Soul angelegte Partie großartig aus und
überzeugt auch darstellerisch durch ihr diabolisches Spiel auf ganzer Linie.
Felicetti begeistert als Minitou durch unglaubliche Agilität und imitiert in
sekundenschneller Abfolge unterschiedlichste Charaktere von Herbert Grönemeyer
über die Bläck Fööss bis zu Loriots Herrn Müller-Lüdenscheid und
Marcel Reich-Ranicki. Neben diesen komischen Momenten gelingen ihm aber auch an
Snowhites
Sarg mit der Ballade "Zaubermädchen", die Snowhites Thema
"Frei wie der Wind" wieder aufnimmt, sehr eindringliche Momente. Michaela Kovarikova stattet die Titelfigur mit einer der Partie angemessenen lieblichen
Stimme glaubhaft aus und wirkt optisch wie eine Schwester aus dem
Disney-Zeichentrickfilm. Verwunderlich ist nur, dass bei jedem Auftritt ihr Rock
ein wenig länger wird. John Davies verfügt als Jäger über eine angenehme
Pop-Stimme. Auch die Hexen Nina Alexandra Filipp, Sabine Lindlar, Angelina
Curilova, Tatjana Jentsch, Sandra Gabriela Malik, Kateryna Morozova und Valeri
Potozki und die Zwerge Maurice Stocseck, Ayuk Bobga, René Buckbesch, Ludwig
Mond, David Schmidt und Lin Verleger überzeugen stimmlich und tänzerisch in den
Choreographien von Brigitte Breternitz, so dass es am Ende lang anhaltenden
Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
In dieses kurzweilige, rockige Musical kann man bedenkenlos auch Kinder
mitnehmen, um die ersten Erfahrungen mit dem Theater fernab vom
Weihnachtsmärchen zu sammeln.
Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)