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Ungeheuer der Nacht
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gerd Weigelt
Ein Tänzer liegt schlafend am Boden des Probensaals. Eine Tänzerin betritt den Raum, nimmt an der Stange Position ein, wird von dem erwachenden Jungen beobachtet. Sie beginnen, gemeinsam zu trainieren, den Blick fest auf einen imaginären Spiegel gerichtet, nur die Körperhaltung im Blick. Die Erotik der Szene ergibt sich ungeplant, wie zufällig, und nur in einem kurzen Moment kommt es zum Blickkontakt und einem flüchtigen Kuss auf die Wange. Jerome Robbins, hierzulande vor allem wegen seiner Uraufführungs-Choreographie der West Side Story bekannt, hat Afternoon of a Faun auf die Musik von Claude Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune1953 für das Ney York City Ballet geschaffen, eine charmante Miniatur von knapp 10 Minuten Dauer. Alexandre Simões tanzt den Jungen mit einer faszinierenden Nuance knabenhafter Unschuld, Nicole Morel ist eine unterkühlte, vielleicht eine Spur zu glatte Schönheit, die dem Spiel eine wohl dosierte amerikanische Note nicht ohne Witz verleiht. Am Ende verschwindet die attraktive Frau, der Junge bleibt schlafend zurück. Vielleicht war es doch nur ein schöner Traum. Zum ersten Mal überhaupt wird an der Rheinoper eine Choreographie von Robbins getanzt eine doch sehr lohnenswerte Begegnung. Afternoon of a Faun: Nicole Morel, Alexandre Simões
Dem kurzen Auftakt folgt Without Words, 2010 als bislang vorletztes Werk Hans van Manens für Het nationale ballett Amsterdam entstanden. Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide heißt es im Lied der Mignon in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre, und vier Mignon-Lieder in der Vertonung von Hugo Wolf bilden die musikalische Grundlage allerdings, unter Ausblendung der Singstimme, reduziert auf den Klavierpart (den Stephen Harrison virtuos und einfühlsam spielt). Das Fehlen der Sprache spiegelt sich tänzerisch in der Unmöglichkeit der Beziehung: Drei Männer (mit viel individueller Ausdruckskraft: Marcos Menha, Bogdan Nicula, Paul Calderone) umgarnen abwechselnd eine Frau (Julie Thierault mit bestechender Souveränität). Aber jeder der kleinen Pas de deux bleibt ohne happy end. Van Manen choreographiert das mit ebenso bestechender Lässigkeit wie Klarheit, und über der Szene liegt eine ganze Menge Selbstironie, etwa wenn ein Tanz in leicht hysterischer Verzweiflungsgeste endet. In kaltblaues, die Bühne kreisförmig ausleuchtendes hartes Licht getaucht und in schlichten, unaufwendigen Kostümen (Ausstattung: Keso Dekker) gelingt van Manen in dem 20-Minuten-Stück eine konsequente Reduktion auf das Wesentliche. Without Words: Julie Thirault, Marcos Menha Gerade im Kontrast zu dieser gestalterischen Strenge wirkt Nacht umstellt, mit rund 70 Minuten Spieldauer und großer Besetzung zumindest formal das Hauptwerk des Abends, mitunter allzu verschwenderisch in der Fülle der aufgebotenen Mittel. Da steht eine Bühnenrückwand mit zwei großen Toren, ein pathetisch bedeutungsschwangeres Portal zu einer anderen Sphäre, das sich am Ende natürlich öffnet und aus der schwarzweiß-Ästhetik ins angenehmere Nachtblau führt hübsch, aber letztendlich entbehrlich (Bühne: Florian Etti). Da sind die an sich einfachen Kostüme (Catherine Voeffray) mit auffällig extravagantem Rückenausschnitt bei den Damen und (phasenweise) ziemlich hässlichen feinnetzartigen Trikots für die Herren. Weniger ist da, auch wenn es fürchterlich klischeehaft klingt, bei van Manen und seinem Ausstatter Keso Dekker mehr. Und dann ist die Choreographie von Martin Schläpfer, die hier zur Uraufführung kommt, trotz oder gerade wegen ihrer raffinierten Dramaturgie eben doch sehr ausufernd. Nacht umstellt: Yuko Kato
Umstellt ist hier Franz Schuberts h-Moll-Symphonie, die Unvollendete von den guten Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Wen-Pien Chien dramatisch zupackend, darin ein wenig vordergründig interpretiert, von zwei Orchesterwerken des Italieners Salvatore Sciarrino (* 1947) - Il Suono e il tacere (Der Klang und die Stille) von 2004 und Shadow of Sound (2005). Das ist großartige Musik, beide Stücke jeweils knapp 20 Minuten lang (und sehr überzeugend gespielt), im für Sciarrino typischen Gestus, der Klänge immer wieder schnell abreißen lässt. Als dritte, äußere Schale gibt es als Prolog und Nachspiel wieder Schubert, distanzierend vom Band eingespielt: Einleitend die 16 deutschen Tänze in einer Aufnahme Alfred Brendels (und mit frappierend guter Tontechnik dargeboten), abschließend Die Nacht, ein ziemlich beschauliches (und vom Rundfunkchor Berlin beschaulich interpretiertes) Werk für Männerchor, das man wohl als ironische Schlusspointe, ein augenzwinkerndes gute Nacht, verstehen darf. Nacht umstellt: Ensemble
Zuvor ist die Nacht nämlich gar nicht gut, keine romantische verträumte Sommernacht, sondern viel mehr Geisterstunde. Fratzenhaft, mit extremen Verrenkungen und scheinbar unhaltbaren Haltungen tanzt das Ensemble und in den Tutti-Szenen ist tatsächlich fast das gesamte Ensemble auf der Bühne zu Sciarrinos Musik eine groteske Abfolge irritierender, teilweise verstörender Bilder, bevor der erste Satz der Unvollendeten bis zur Reprise ganz allein einem Solo der grandiosen Yuko Kato gehört. Im zweiten Satz betritt ein Paar (Anne Marchand und Jackson Carroll) die Bühne, ein Liebespaar Hand in Hand, das in diese Geistersphäre gerät, von der sich das Mädchen mehr und mehr einfangen lässt. Im Hintergrund zieht ein albtraumhafter Geisterzug vorbei. Es wird viel ausgesprochen viel auf Spitze getanzt, aber die Körper verlieren nicht ihre Erdenschwere, sondern bewegen sich verzerrt wie auf Stelzen, was durch die gezielte Beleuchtung der Ballettschuhe noch unterstrichen wird Körper in einem nicht fassbaren Zustand zwischen Himmel und Erde. Das soll schön sein? fragen sich ältere Damen im Parkett. Ja, aber auf eine Weise, die seelische Zwischenzustände zwischen Traum und Wahn auslotet, sich mit menschlichen Urängsten auseinander setzt und darin doch sehr berührt. Nacht umstellt: Doris Becker
Schläpfer relativiert diese Nachtmusik durch den äußeren Rahmen. im Prolog treten die Tänzerinnen und Tänzer nach und nach auf, exponieren höchst komplizierte Figuren aus dem Training (vielleicht das Anspruchvollste, dass ich je für meine Tänzerinnen und Tänzer choreographiert habe, schreibt Schläpfer dazu im Programmheft) und definieren so die Standards für die folgenden Nachtszenen mit ihren komplexen, häufig betont unorthodoxen Bewegungsabläufen. Nacht umstellt grenzt sich da ganz bewusst von einem romantisch schauerlichen Illusionstheater ab, auch wenn manche Feen und Geister der Ballettgeschichte zwischenzeitlich kurz aufscheinen. Bleibt die Frage nach der Ökonomie der Mittel für diesen in seiner Fülle mitunter erschlagenden Bilderbogen, der in seiner Länge gerade bei der Musik Sciarrinos auch zu einiger Unruhe im Publikum führt. Van Manens Purismus ist da auch im Rückblick wohltuend.
Mit Nacht umstellt gelingt Martin Schläpfer ein bewegendes, in seiner Opulenz allerdings auch ausuferndes Stück Daneben scheint Hans van Manen altersweise Without Words, also ohne Worte ironisch zu kommentieren: Seht her, ich kann das auch mit viel kleineren Mitteln. Robbins' tagträumender Faun-Tänzer sieht das sowieso mit amerikanischer Gelassenheit. Mit solchen Gegensätzen ist b.16 ein nicht widerspruchsfreier, aber spannender und anregender Tanzabend geworden. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Klavier (in Without Words) Afternoon of a Faun
Choreographie
Einstudierung
Bühne und Licht
Kostüme Tänzerinnen und TänzerNicole MorelAlexandre Simões Without Words
Choreographie
Einstudierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht |
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