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Der Traum der roten Kammer

Ballett von Xin Peng Wang, Uraufführung
Idee, Konzept und Szenario von Christian Baier nach dem Roman Hóng Lóu Mèng von Cáo Xu
ěqin (18. Jahrhundert)
Musik von Michael Nyman

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

in Kooperation mit dem Hong Kong Ballett

Premiere im Opernhaus Dortmund am 10. November 2012
(rezensierte Aufführung: 22.11.2012)



Theater Dortmund
(Homepage)

Chinesische Dreiecksbeziehung

Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöss (Stage Pictures)

Seit Xin Peng Wang Ballettdirektor in Dortmund ist, hat er für das Publikum bisher in jeder Spielzeit ein Handlungsballett kreiert. Neben den berühmten Klassikern wie Schwanensee oder Der Nussknacker hat er auch immer wieder mit seinem Chefdramaturgen Christian Baier neue Stücke geschaffen, in denen Romane oder Dramen der Weltliteratur für den Tanz adaptiert wurden. Nach der Beschäftigung mit Leo Tolstois Krieg und Frieden und Shakespeares Hamlet widmet sich Wang nun erstmals in seiner Zeit in Dortmund einem chinesischen Werk, das er selbst als den bedeutendsten Nationalroman seiner Heimat bezeichnet: Cáo Xuěqins Hóng Lóu Mèng, einem Episodenroman, der zum Kanon der vier klassischen Romane Chinas gehört und in 120 Kapiteln die Geschichte des Hauses Kia erzählt, wobei der Name soviel wie "Trug" oder "Schein" bedeutet.

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Pao Yü (Mark Radjapov) und sein Stein (Sergio Carecci)

Wang konzentriert sich in seiner Choreographie auf die Liebesgeschichte der männlichen Hauptfigur, Pao Yü, dem zukünftigen Oberhaupt des Hauses Kia, zu seinen beiden Kusinen Lin Dai Yü und Pao Tschai. Während Pao Yü - der Name bedeutet übersetzt in etwa "wertvolle Jade" - aufgrund seines gesellschaftlichen Standes die angesehene Pao Tschai ehelichen soll, wobei der Name Tschai für den Begriff "Tugend" steht, gehört sein Herz der mittellosen und gesundheitlich angeschlagenen Lin Dai Yü, deren Namen man mit "dunkle, schwarze Jade" übersetzen kann. Durch einen Trick der Familie wird ihm Pao Tschai als verschleierte Braut zugeführt. Zu spät erkennt er seinen Irrtum. Lin Dai zerbricht an ihrer Trauer und stirbt. Pao Yü kann ihren Tod nicht verschmerzen und durchschreitet nach einer langen Zeit des Wartens das Tor zur Ewigkeit, durch das er einst die Welt des roten Staubs - das heißt: der Menschen - betreten hat. Die Musik, zu der diese Geschichte umgesetzt wird, stammt von Michael Nyman, der nicht nur als einer der ersten den Begriff der "Minimal Music" geprägt hat, sondern auch aufgrund seiner zahlreichen Filmmusiken zu den erfolgreichsten Komponisten der Gegenwart zählt. So stammen zahlreiche Musikstücke des Abends aus seinen Soundtracks zu Prospero's Books  und The Diary of Anne Frank, einer japanischen Anime-Version des Stoffes aus dem Jahr 1995.

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Die Schauspieltruppe (Ensemble) macht Pao Tschai (Risa Tateishi) klar, dass Pao Yü Lin Dai liebt.

Die drei Akte werden von einem Prolog und einem Epilog eingerahmt, die die drei metaphysischen Gedankenrichtungen Chinas reflektieren. So sind nach der Legende aus 36501 Steinen die Pfosten des Himmels errichtet, wobei ein Stein wegen seiner sperrigen Form unbenutzt bleibt und aufgrund der schmerzlichen Zurückweisung beschließt, das Schicksal eines Menschen zu werden. Schon in diesem Prolog findet Wang eindrucksvolle Bilder. Hinter einem durchsichtigen Bühnenprospekt sieht man mehrere große Steine, die alle bis auf einen in den Schnürboden gezogen werden. Erst später erkennt man, dass dieser eine Stein ein Knäuel aus Tänzern ist, das sich ganz langsam auflöst, bis sich Eugeniu Cilenco als innerstes Element des Steins herausschält und durch eine große Tür in die Welt der Menschen eintritt. Eine riesige Tür wird dazu aus dem Schnürboden herabgelassen, die sich langsam öffnet. Cilenco gelingt dabei ein sehr bewegender Ausdruck als Stein, indem er im weiteren Verlauf des Stückes immer wieder zu Pao Yü tritt, wenn dieser niedergeschlagen ist, und ihn durch sein Gewicht weiter nach unten drückt.

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Lin Dais (Monica Fotescu-Uta) letzter verzweifelter Tanz

Für den ersten Akt hat Frank Fellmann einen folkloristisch anmutenden Palast konzipiert, der in der Farbenpracht und der Ausschmückung den Reichtum des Hauses Kia gut widerspiegelt. Die Kostüme von Han Chunqi lassen einen Hauch vergangener Dynastien wieder auferstehen und sind mit viel Detailverliebtheit gestaltet. Lin Dais grünes Kleid deutet ihre Naturverbundenheit an, da sie im Mythos für eine zarte Pflanze steht, die der Stein mit dem Sammeln des Taus vor dem Verdursten rettet. Mit welcher Zerbrechlichkeit Barbara Melo Freire im Spitzentanz die leicht kränkelnde Kusine interpretiert und sie mit den ständigen Hustenanfällen als von Tuberkulose gezeichnete junge Frau darstellt, geht unter die Haut. Da mag man mit ihrer Rivalin Pao Tschai kaum Sympathie empfinden, obwohl Jelena-Ana Stupar alles daran setzt, Pao Yüs Braut nicht als negativen Charakter zu zeichnen. Schließlich ist Pao Tschai kein schlechter Mensch, denn auch sie liebt Pao Yü und kann seine Zurückweisung verständlicher Weise nicht ertragen, da sie nach gesellschaftlichen Konventionen schließlich für ihn bestimmt ist.

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Ende der Reise für Pao Yü (Mark Radjapov)

Eine besondere Rolle spielt ein Begonienbaum, der im Winter plötzlich Blüten trägt. Während er im ersten Akt von einem Glaskäfig umgeben ist und der Schnee nur in dem Glaskäfig herabfällt, beherrscht er im zweiten Akt ohne Käfig die ansonsten leere schwarze Bühne. Hier kommt es zum letzten schmerzlichen Pas de Deux zwischen Pao Yü und Lin Dai. Nach der Zeitreise im dritten Akt taucht der Baum dann im Epilog erneut auf. Pao Yü scheint immer noch vor diesem Baum zu verharren und auf Lin Dai zu warten. Er ist mittlerweile ein alter, mittelloser Mensch, der regungslos neben dem Baum kauert. Arsen Azatyan zeichnet ein hervorragendes Rollen-Portrait zwischen den kraftvollen Tänzen des ersten und zweiten Aktes und dem gebrochenen Warten auf das Ende. Nachdem scheinbar in Form eines Kreislaufs Figuren aus seiner Vergangenheit wieder auftauchen, fällt der Baum den städtischen Baumaßnahmen zum Opfer. Erst jetzt erhebt sich Pao Yü, und plötzlich fällt Schnee aus dem Schnürboden auf ihn herab, wie einst auf den Baum im ersten Akt. Im Hintergrund erscheint die große Tür, durch die einst der Stein in die Welt eingetreten ist, um nun Pao Yü einen Weg aus dieser Welt hinaus zu zeigen. Großartig ist dabei das Lichtdesign von Leo Cheung.

Bei der Zeitreise im dritten Akt sieht man zunächst hinter einer aus dem Schnürboden herabgelassenen Mauer das Haus Kia versinken, während Statisten in den unterschiedlichsten Kostümen den Wandel der chinesischen Gesellschaft über die Jahrhunderte andeuten. Schließlich sieht man in einer Videoprojektion von Piotr Gregorowicz zunächst die Farbe von den Palastwänden allmählich abbröckeln, bis nur noch die Grundsteine erkennbar sind. Erst dann erhält die Wand einen neuen Anstrich, und man erlebt gewissermaßen im Zeitraffer die Entwicklung Chinas von der feudalen Kaiserzeit zum Wirtschaftsgiganten. Während Pao Yü zunächst noch versucht, bei dieser Entwicklung mithalten zu können, zieht er sich zum Ende hin hinter die Mauer zurück, um im nächsten Bild des Epilogs als Häufchen Elend unter dem Baum zu erscheinen.

Nymans Musik verströmt durchaus asiatisches Flair, so dass man neben den eindringlichen Gefühlsregungen der Protagonisten durchaus auch folkloristische Momente erlebt. Motonori Kobayashi setzt mit den Dortmunder Philharmonikern die in jedem Moment elektrisierende Musik kongenial um. Auch die Compagnie zeigt neben den bereits erwähnten Solisten, welch hohes Niveau Wang in den letzten Jahren mit seinem Ensemble erreicht hat, so dass es am Ende im für einen Donnerstag wirklich gut gefüllten Haus lang anhaltenden und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Xin Peng Wang und Christian Baier haben es wieder einmal geschafft, ein Werk der Weltliteratur, dieses Mal der chinesischen, in einem packenden Ballettabend umzusetzen und, wie in der Einführung versprochen wurde, nicht nur zu bebildern, sondern eigene Bilder zu schaffen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Motonori Kobayashi

Choreographie und Inszenierung
Xin Peng Wang

Bühnenbild
Frank Fellmann

Kostüme
Han Chunqi

Lichtdesign
Leo Cheung

Video
Piotr Gregorowicz

Dramaturgie
Christian Baier

 

Bewegungschor und Statisterie
des Ballett Dortmund

Dortmunder Philharmoniker

 

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Pao Yü
Mark Radjapov /
*Arsen Azatyan

Lin Dai Yü, seine Geliebte
Monica Fotescu-Uta /
*Barbara Melo Freire

Pao Tschai, seine Verlobte
Risa Tateishi /
*Jelena-Ana Stupar

Der Stein
Sergio Carecci /
*Eugeniu Cilenco

Zeremonienmeister
Howard Quintero Lopez /
*Andrei Morariu

Tai Tai, Herrin des Hauses
Miranda Bodenhöfer /
*Sarah Wandhöfer

2 Zofen
Marissa Parzei /
*Alessandra Spada
Sayo Yoshida /
*Luiza Yuk

Alter Mann
*Ivaldo de Castro /
Mark Bednarz

Steine
Yuri Polkovodtsev
Giuseppe Ragona /
*Giuseppe Salamone
Jie Qu
Gal Mazor Mahzari
Friedrich Pohl
Armen Gevorgyan
(Gabriele Santoni)
 

Prinzessinnen, Frauen der Gesellschaft,
Doubles von Lin Dai Yü
Stephanie Ricciardi /
*Svetlana Robos /
*Denise Chiarioni /
*Sara Coffield /
*Alessandra Spada /
Marissa Parzei /
*Jacqueline Bâby /
*Nicola Wills /
*Luiza Yuk /
Sayo Yoshida /
*Sarah Wandhöfer /
*Miranda Bodenhöfer /

Prinzen, Herren der Gesellschaft,
Männer mit Stäben
Eugeniu Cilenco /
*Sergio Carecci /
Andrei Morariu /
Howard Quintero Lopez /
*Giuseppe Ragona /
Giuseppe Salomone /
*Yuri Polkovodtsev /
*Jie Qu /
*Friedrich Pohl /
*Gal Mazor Mahzari /
*Armen Gevorgyan /
Gabriele Santoni

Zeitreisende
Alessandra Spada
Marissa Parzei
Stephanie Ricciardi
Nicola Wills
Sergio Carecci
Eugeniu Cilenco
Gal Mazor Mahzari

 


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
(Homepage)



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