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Anti-Märchen in plakativer Optik
Von Thomas Molke / Fotos von Wolfgang Runkel
Die Hexe (Julia Juon, rechts) zwingt die Gänsemagd (Amanda Majeski, links) ein vergiftetes Brot zu backen. Auch wenn Königskinder als eine Märchenoper bezeichnet wird, stellt das Werk im direkten Vergleich zu Hänsel und Gretel eher ein Anti-Märchen dar, da hier auf das für ein Märchen typische glückliche Ende verzichtet wird. Erzählt wird die Geschichte der Gänsemagd, die von der Hexe als Ziehmutter im Wald von den Menschen ferngehalten wird. Als ein junger Königssohn, der den Königshof verlassen hat, um die Welt kennen zu lernen, die Gänsemagd im Wald trifft, verliebt er sich in sie und schenkt ihr seine Königskrone. Doch da die Gänsemagd den Wald aufgrund eines Zaubers der Hexe nicht verlassen kann, begibt sich der Königssohn enttäuscht nach Hellastadt, um dort als Schweinehirt bei einem Wirt zu arbeiten. Erst der Spielmann kann der Gänsemagd das Selbstvertrauen geben, den Zauber der Hexe zu durchbrechen und dem Königssohn in die Stadt zu folgen. Die Hexe hat mittlerweile den Bürgern von Hellastadt, die sich nach einem neuen König für den verwaisten Thron sehnen, prophezeit, dass beim zwölften Glockenschlag der neue König durch das Stadttor erscheinen werde. Als um 12 Uhr die Gänsemagd mit der Krone die Stadt betritt, fühlen sich die Bürger hintergangen, vertreiben die Gänsemagd und den als Schweinehirt getarnten Königssohn und verbrennen die Hexe. Nur der Spielmann und die Kinder erkennen in der Gänsemagd und dem Schweinehirten die Königskinder und machen sich auf die Suche nach ihnen. Von Hunger und Kälte getrieben tauschen der Königssohn und die Gänsemagd die Königskrone gegen ein Stück vergiftetes Brot ein, das die Gänsemagd auf Anweisung der Hexe gebacken hat, und sterben, bevor der Spielmann und die Kinder sie finden. Enttäuschung bei den Bürgern von "Höllastadt" (Chor mit dem Holzhacker (Magnús Baldvinsson, links), dem Schneider (Beau Gibson, rechts daneben), der Stallmagd (Katharina Magiera, auf der rechten Seite) mit dem Wirt (Dietrich Volle, halb dahinter) und der Wirtstochter (Nina Tarandek, ganz rechts außen)): Die Gänsemagd (Amanda Majeski) zieht mit der Königskrone in der Stadt ein (Mitte vorne: der Königssohn (Daniel Behle), im Hintergrund: der Spielmann (Nikolay Borchev)). Das Regie-Team um David Bösch wählt für die Inszenierung einen kindlich naiven Ansatz, was sich einerseits in den Kostümen von Meentje Nielsen widerspiegelt, die die Figuren als namenlose Archetypen zeichnet, und sich andererseits in dem recht spartanischen, aber zweckmäßigen Bühnenbild von Patrick Bannwart erkennen lässt. Die Bühne steigt nach hinten leicht schräg an und deutet im ersten Akt die von der Gänsemagd gehüteten Tiere und geliebten Blumen als Pappfiguren an, die auf der Bühne stehen oder von der Gänsemagd ausgeschnitten und aufgestellt werden. Ein großer weißer Kreis deutet den Bereich an, in dem sich die Gänsemagd aufgrund des Zaubers nur bewegen kann, obwohl die Vorstellung, dass sich das Hexenhaus innerhalb dieses Kreises befindet, von der Regie nicht konsequent durchgehalten wird. So ergeben sich bei den Auf- und Abgängen der Figuren einige logische Brüche. Beeindruckend sind die Projektionen an die Rückwand, die mal einen bedrohlichen Totenkopfschädel andeuten und mal einen romantischen Sternenhimmel in den kleinen Momenten des Liebesglücks zwischen Gänsemagd und Königssohn zeigen, was durch die kontrastierenden Lichtstimmungen von Frank Keller noch unterstützt wird. Der Spielmann (Nikolay Borchev) sucht mit den Kindern (Kinderchor der Oper Frankfurt) die Königskinder. Hellastadt heißt in der Inszenierung "Höllastadt", eine Änderung, die das Publikum wohl nicht benötigt hätte, um zu verstehen, wie schlecht die Bürger der Stadt mit der Gänsemagd und dem Königssohn umgehen, zumal Bösch die Bürger mit Schweinsmasken durch Löcher aus dem Bühnenboden auftreten lässt und ein riesiges Fass mit zwei Schläuchen aus dem Schnürboden herabgelassen wird, auf dem die Buchstaben "Tr" von Tränke durchgestrichen und durch "Schw" überschrieben wurden. Wenn man an Böschs Inszenierung vom Sommernachtstraum in Essen 2005 zurückdenkt, kann man sich des Gefühls nicht erwehren, ähnliche Bilder schon einmal gesehen zu haben. Der dritte Akt spielt wieder am Ort des ersten Aktes, was die Reste der Feuerstelle und der zwischenzeitlich aufleuchtende weiße Kreis - auch hier wieder eine tolle Lichtregie - andeuten. Wo jetzt aber das ehemalige Hexenhaus sein soll, wird nicht stringent durchgehalten, da der Holzhacker und der Besenbinder einmal von rechts und einmal von links auftreten. Auch in Böschs Personenregie wird nicht jeder Einfall nachvollziehbar. So bleibt völlig unverständlich, warum sich der Königssohn und die Gänsemagd nach dem Verzehr des vergifteten Brotes gegenseitig abstechen müssen, um sterben zu können. Ob man die beiden in der Sterbeszene räumlich so weit separieren muss, dass sie im Todeskampf nicht mehr zueinander finden können, ist Ansichtssache. Die Musik steht eigentlich zu dem, was auf der Bühne dargestellt wird, im Widerspruch. Wenn allerdings die Geschichte die Märchenidylle mit dem grausamen Ende sowieso demontiert, kann man das auch richtig tun. Nach langem Umherirren landen die Gänsemagd (Amanda Majeski) und der Königssohn (Daniel Behle) wieder am Hexenhaus. Musikalisch lässt sich das Werk mit Hänsel und Gretel überhaupt nicht vergleichen, da es anders als Humperdincks berühmtes Werk keine Nummernoper sondern durchkomponiert ist. Faszinierend ist dabei, dass Humperdinck für jeden Akt eine ganz eigene Klangsprache findet, die einerseits an einzelnen Stellen, wie beispielsweise dem Vorspiel zum dritten Akt, Richard Wagners Tristan als großes Vorbild durchschimmern lässt, andererseits vor allem in der Gestaltung des zweiten Aktes, der gesellschaftskritisch die verlogene Gesellschaft Hellastadts vor Augen und Ohren führt, Ansätze erkennen lässt, die später von Alban Berg und Arnold Schönberg weiter fortgesetzt worden sind. Lediglich in den Szenen des Kinderchores schimmert der volksliedhafte Charakter durch, der eine Parallele zu Hänsel und Gretel darstellt. Sebastian Weigle arbeitet mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester die Klangvielfalt differenziert heraus und belegt glaubhaft, dass die musikalische Qualität von Humperdincks Königskindern eine intensivere Beschäftigung mit dem Werk durchaus rechtfertigt. Der von Michael Clark und Felix Lemke einstudierte Kinderchor der Oper Frankfurt überzeugt vor allem durch Homogenität. Warum die Kinder jedoch mit Holzschwertern auftreten müssen, die sie im Schlussbild zu Kreuzen aufrichten, erschließt sich nicht. Aus dem sängerisch und darstellerisch überzeugenden Ensemble der Oper Frankfurt ragt vor allem Magnús Baldvinsson als Holzhacker mit kräftigem Bass heraus. Die vier Hauptpartien sind mit Gästen besetzt. Daniel Behle kehrt für die Partie des Königssohns an die Oper Frankfurt zurück und begeistert mit höhensicherem Tenor und einer klaren Diktion. Auch Nikolay Borchev und Julia Juon sind in Frankfurt keine Unbekannten. Juon stattet die Hexe mit feurigem Mezzo und diabolischem Spiel aus. Borchev punktet als Spielmann mit durchschlagendem Bariton. Amanda Majeski begeistert in ihrem Frankfurter Debüt als Gänsemagd mit warmem Sopran, der vor allem in den leisen Tönen und durch ihr bewegendes Spiel eine Eindringlichkeit erlangt, die unter die Haut geht. So gibt es am Ende verdienten und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten. FAZIT Humperdincks Königskinder verdienen musikalisch die wachsende Aufmerksamkeit, die dem Werk in letzter Zeit zuteil wird. Auch szenisch kann die Frankfurter Produktion - von kleineren Ungereimtheiten einmal abgesehen - überzeugen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühnenbild Kostüme
Licht Chor Kinderchor
Dramaturgie
Frankfurter Opern- und SolistenDer Königssohn
Die Gänsemagd
Der Spielmann
Die Hexe
Der Holzhacker
Der Besenbinder
Sein Töchterchen
Der Ratsälteste Der Wirt Die Wirtstochter Der Schneider Die Stallmagd 1. Torwächter 2. Torwächter Eine Frau
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