Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Spring Awakening

Musical
Buch und Liedertexte von Steven Sater, basierend auf dem Schauspiel von Frank Wedekind
Deutsch von Nina Schneider
Musik von Duncan Sheik

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 20' (eine Pause)

Premiere im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier am 15. März 2013
(rezensierte Aufführung: 17.03.2013)

Homepage

Musiktheater im Revier
(Homepage)

Wedekinds Kindertragödie als Musical

Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski


Während unter der Intendanz von Peter Theiler große Revue-Musicals einen festen Bestandteil des Spielplans darstellten und dem MiR den Titel "Musical-Hochburg im Revier" bescherten, setzt Michael Schulz neben gängigen Musical-Klassikern wie Anatevka, das vor einem knappen Monat seine Wiederaufnahme erlebte, eher auf neuere, in Deutschland relativ unbekannte Werke, die ihre Premiere in den USA Off-Broadway feierten. So folgt nach Closer than ever vor zwei Spielzeiten nun mit Duncan Sheiks Spring Awakening eine Musical-Adaption von Frank Wedekinds Frühlings Erwachen, das 2006 und damit 100 Jahre nach der Uraufführung von Wedekinds Kindertragödie zur Uraufführung in der Atlantic Theatre Company gelangte und bereits im folgenden Jahr mit acht Tony Awards ausgezeichnet wurde. Und von seiner Brisanz hat die Thematik noch nichts eingebüßt, so war doch im Mai letzten Jahres zu lesen, dass ein Schulleiter in Neuenkirchen eine Schulaufführung dieses Musicals verboten hat. Mag es verwundern, dass es sich dabei um ein Gymnasium in katholischer Trägerschaft handelte?

Bild zum Vergrößern

Die Schüler (von links: Ernst (Jan Bastel), Hänschen (Matthias Kumer), Otto (Richard Wolff), Georg (Tim Al-Windawe) und Moritz (Angelo Canonico)) beklagen "So'n verficktes Leben".

Steven Sater hält sich in seinem Libretto relativ nah an Wedekinds Vorlage und siedelt die Handlung ebenfalls im ausgehenden 19. Jahrhundert an, einer Zeit, in der die Aufklärung tabuisiert wurde und jugendliche Heranwachsende mit ihren pubertären Träumen, Ängsten und Nöten von den Lehrern und Eltern im Stich gelassen wurden. Für den jungen Moritz Stiefel endet diese Situation in einer Katastrophe. Hin- und hergerissen zwischen seinen erotischen Phantasien, die ihn nicht mehr schlafen lassen, und den Erwartungen, die man von Seiten der Eltern und der Schule an ihn stellt und die er nicht mehr erfüllen kann, nimmt er sich das Leben. Wendla Bergmann, der die Mutter standhaft eine Antwort auf die Frage verweigert, woher die Kinder kommen, lässt sich auf ein sexuelles Abenteuer mit dem aufrührerischen Melchior Gabor ein und stirbt bei einer von der Mutter organisierten Abtreibung. Als Melchior sich daraufhin ebenfalls umbringen will, erscheinen ihm Moritz und Wendla als Geister und geben ihm die Kraft weiterzuleben, während bei Wedekind im letzten Akt ein vermummter Mann erscheint, der verhindert, dass Moritz' Geist Melchior verführt, ihm in den Tod zu folgen. Auch die Liebesgeschichte zwischen Melchior und Wendla wird in dem Musical intensiver ausgebaut als in der Vorlage. Des Weiteren werden der Missbrauch, den die junge Martha durch ihren Vater erlebt, und die homoerotischen Gefühle zwischen den beiden Schülern Hänschen und Ernst eindeutiger formuliert, als es vor 100 Jahren denkbar war.

Bild zum Vergrößern

Annäherung zwischen Wendla (Sandra Pangl) und Melchior (Julian Culemann)

Die Musik besteht aus 21 Rock-, Pop- und Folkrock-Songs die als eine Art Überblendung ins Hier und Jetzt eine nicht handlungstragende neue Dimension erschließen und die Gefühle und Verhaltensweisen der Protagonisten aus der Sicht heutiger Jugendlicher reflektieren. Hierbei kommt zum Ausdruck, dass Sater und Sheik das Stück gemeinsam mit einem Team jugendlicher Darsteller über mehrere Jahre als Work in Progress entwickelt und in zahlreichen Workshops modifiziert haben. So bekommt jeder der Kernfiguren seine eigene charakteristische Melodie. Kati Farkas hat für die Ensembles stimmige Choreographien entwickelt, die von den Sängerdarstellern beeindruckend umgesetzt werden. Nicht ganz klar jedoch wird, wieso die Titel der Songs häufig vor dem Vortrag auf eine große Tafel geschrieben werden. Soll damit der Workshop-Charakter betont oder hervorgehoben werden, dass die eigentliche Handlungsebene nun verlassen wird? Oder soll dem Zuschauer damit nur die Möglichkeit gegeben werden, sich im Nachhinein noch an die Titel der einzelnen Lieder zu erinnern?

Bild zum Vergrößern

Die Lehrer (Daniel Berger und Christa Platzer) zeigen kein Verständnis für die Jugend.

Ansonsten dürfte Wolfgang Türks' Inszenierung fast näher an Wedekinds Vorlage sein als manche Schauspielinszenierung des Originals. Beata Kornatowska hat die Bühne im Kleinen Haus zweigeteilt, wobei auf der linken Seite die Musiker platziert sind und auf der rechten Seite eine schräge Scheibe als Spielfläche aufgebaut ist, auf der sich zum einen alte Schulbänke befinden, wie man sie aus Filmen wie der Feuerzangenbowle kennt, zum anderen ein Schrank, der auch als Tür fungiert. Durch unterschiedliches Anordnen dieser Schulbänke werden die verschiedenen Spielorte angedeutet. In der Mitte der Scheibe prangt ein hochragender Baum, der zu Beginn noch mit zahlreichen Blättern geschmückt ist, die aber im Verlauf des Stückes verschwinden, so dass nur kahle Zweige zurückbleiben, die so kalt wirken wie die Welt, in der sich die Jugendlichen zurechtfinden müssen. Das Ensemble ist mit Headsets verstärkt, die neben normalen schnurlosen Mikrofonen bei den Songs und dem gesprochenen Text zum Einsatz kommen. In einigen Momenten ist die Aussteuerung dabei noch zu optimieren, so dass man beim Gesang nicht immer alles verstehen kann.

Bild zum Vergrößern

Trauer um den toten Moritz (vorne: Wendla (Sandra Pangl) und Melchior (Julian Culemann), hinten von links: Anna (Yvonne Forster), Chrysta (Vera Weichel), Pastor (Daniel Berger), Otto (Richard Wolff), Hänschen (Matthias Kumer), Ernst (Jan Bastel), Thea (Inga Krischke), Georg (Tim Al-Windawe) und Martha (Léonie Thoms))

Neben den Studierenden der Folkwang Universität der Künste, die die Jugendlichen verkörpern, schlüpfen Christa Platzer und Daniel Berger in die zahlreichen Rollen der unterschiedlichen Erwachsenen. Platzer begeistert dabei durch ihre Vielseitigkeit, wenn sie einerseits als Wendlas Mutter verklemmt um den heißen Brei herumredet und ihre Tochter über die wahre Herkunft der Babys im Unklaren lässt, und andererseits als scheinbar fortschrittliche Frau Gabor den Hilferuf des jungen Moritz absichtlich überhört. Mit herrlicher Mimik karikiert sie auch die unterwürfige Lehrerin, die stets versucht, dem Direktor zu imponieren. Berger, der bereits bei der deutschsprachigen Uraufführung in Wien mitwirkte, stattet auch in Gelsenkirchen die zahlreichen Erwachsenen mit ironischem Kleingeist und großartiger Komik aus. Léonie Thoms gefällt als geduldige Martha, die die häusliche Gewalt über sich ergehen lässt und sich mit ihrem schrecklichen Schicksal zu arrangieren scheint. Anna Preckeler präsentiert eine wesentlich aufmüpfigere Ilse, die dem bürgerlichen Leben entflieht und versucht, Moritz vor dem Selbstmord zu bewahren. Richard Salvador stellt als Otto sehr glaubhaft dar, dass ihn bei seinem Musikunterricht die Oberweite der Klavierlehrerin mehr interessiert als die Etüden. Matthias Kumer und Jan Bastel gelingt als Hänschen und Ernst eine sehr realistische Umsetzung der homoerotischen Gefühle der beiden jungen Männer.

Angelo Canonico zeichnet ein eindringliches Portrait des Moritz Stiefel, der in seiner Not den Selbstmord als einzigen Ausweg sieht. Sandra Pangl und Julian Culemann präsentieren mit jugendlicher Leichtigkeit die langsam aufkeimende Liebe zwischen Wendla und Melchior. Ein besonderes Lob gebührt auch der Lichtregie von Patrick Fuchs, der im vorletzten Song "Nicht mehr hier" die beiden Geister von Wendla und Moritz in einen kalten blauen Lichtkegel taucht, während Melchior sich in hellem Schein von den Geistern überzeugen lässt, ihnen nicht in den Tod zu folgen, sondern die Kraft zum Weiterleben gewinnt. So gibt es am Ende verdienten und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Das Musical belegt, wie aktuell Wedekinds Geschichte auch heute noch sein kann. Für Deutschklassen dürfte es eine willkommene Abwechslung zum Theaterbesuch des Originals sein.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Patricia Martin

Inszenierung
Wolfgang Türks

Ausstattung
Beata Kornatowska

Choreographie
Kati Farkas

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Ulla Theissen
 

Violine
Aleksandra Stanoeva

Cello
Botan Özsan

Gitarre
*Tim Bücher /
Alexander Wünsche

Bass
Arne Dippel /
*Niklas Tikwe

Schlagzeug
Marvin Blamberg /
*Stefan Turton

Keyboards
Patricia Martin


Solisten

*rezensierte Aufführung

Wendla Bergmann
Sandra Pangl

Ilse
Anna Preckeler

Martha
Léonie Thoms

Thea
Inga Krischke

Anna
Yvonne Forster

Chrysta
Vera Weichel

Frau
*Christa Platzer /
Martina Mann

Melchior Gabor
Julian Culemann

Moritz Stiefel
Angelo Canonico

Hänschen
Matthias Kumer

Ernst
Jan Bastel

Georg
Tim Al-Windawe

Otto
Richard Salvador

Mann
Daniel Berger


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Musiktheater im Revier
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2013 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -