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Musiktheater
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Sprung in die Leere

Oper in einem Akt
Libretto von Reto Finger
Musik von Felix Leuschner

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 1 h 30' (keine Pause)

Premiere im Foyer des Musiktheaters im Revier am 6. Oktober 2012

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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Spannendes und Vielschichtiges unter blauen Reliefs

Von Dr. Michael Cramer / Fotos von Pedro Malinowski

Yves Klein, Avantgarde-Künstler und Vorläufer der Pop Art, erlag vor 50 Jahren seinem dritten Herzinfarkt. Er wurde nur 34 Jahre alt. Umstritten in der Kunstwelt, ein umtriebiger "Seiltänzer zwischen Genie und Scharlatan", hat er doch maßgebliche Impulse gesetzt. Nicht nur mit dem Ultramarineblau, welches er sich sogar patentieren ließ, sondern auch mit seinen monochromen Bildkompositionen und Aktionen, wo nackte Modelle mit blauer Farbe getränkt nach seinen Anweisungen eine Leinwand mit ihrem Körper bemalten. Dazu erklang ein Orchester mit nur einem einzigen permanenten Klang. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Philosophie war die "Leere" und die "Immaterialität", in der  Klein das Göttliche zu sehen glaubte. So lud er mit riesigem Erfolg in eine Galerie ein, die er selbst weiß gestrichen hatte, die aber gänzlich ohne Bilder war. Kaufen konnte man dann Zertifikate über das vorhandene Kräftefeld. Kleins Werke, in den Museen über die ganze Welt verteilt, sind heute Millionen wert, sein riesiges Oeuvre hätte für mehrere Künstlerleben gereicht. Da können sich die Besucher im Musiktheater im Revier glücklich schätzen, sich in das Blau mehrerer riesiger Schwammreliefs im Foyer des Hauses "hineingesogen" zu fühlen, wie Klein es so wollte. Der Bildhauer Norbert Kricke brachte ihn an das noch unfertige MiR, und zusammen mit dem Architekten Werner Ruhnau entstand hier sein Hauptwerk.

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Sprung in die Leere (Mark Weigel)

So ist verständlich, dass es für den Intendanten Michael Schulz ein Herzensanliegen war, den Künstler zu seinem 50. Todestag mit einem großen Werk zu ehren, der Oper Sprung in die Leere, eine Aktion, die Klein selbst publikumswirksam durchgeführt hatte. Allerdings wäre es fast zu einem "Foyer in der Leere" gekommen, da die Familie von Yves Klein sich wegen vermuteter biografischer Details in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sah. Über die Anwälte einigte man sich dann auf einen Text, der vor jeder Aufführung verlesen wird, dass das Werk keinen Anspruch auf Abbildung der historischen Ereignisse erhebt, speziell die Gedanken über das ungeborene Kind und besagten Sprung. Dennoch sind die Texte eine zumindest "frei assoziierte und im Sinne einer subjektiv-spekulativen Annäherung erfundenes Material in politischem Kontext", wie es in der vom Intendanten verlesenen Erklärung heißt.

So weit so gut. Der Münchner Neutöner Felix Leuschner hat das Libretto des Schweizers Reto Finger in Klänge gesetzt, dazu ein Chor, eine Hand voll Sänger, ein kleines Orchester und ein Schauspieler, das ganze im Foyer quasi unter den Augen der Klein´schen Reliefs. Komponist und Librettist haben zwei Jahren zuvor nach "Witterungsaufnahme" im Foyer mit der Konzeption angefangen. Die praktische Vorbereitungszeit bestand aus nur sechs Wochen für dieses Hörstück mit theatralischen Aktionen und Klanginstallationen. Man durfte gespannt sein.

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Der große Monolog des Künstlers (Mark Weigel)

In dem weitläufigen Raum imponieren Bildschirme und Lautsprecher, rings umgeben von Baugerüsten in verschiedenen Höhen, im Hintergrund das Orchesterpodium, in der Mitte gut 100 der berühmten Ruhnau-Stühle, angeschafft 1959. Nicht gerade bandscheibenfreundlich, aber drehbar, so dass man das Geschehen 360° verfolgen konnte. Dazu locker aufgestellt, so dass sich im Verlauf des Abends Sänger, Chor und auch die Musiker unter die Zuschauer mischen konnten. Das Ganze vor dem Glasrund des oberen Treppenhauses, welches auch später als Bühne diente; auf der Gegenseite der Blick in die Stadt. Und da gab es viel zu sehen und zu hören, vor allem, weil alle Stimmen und auch das Orchester verstärkt waren: quasi ein Multi-Kanal-Stereo-Ereignis. Der Raum wurde als solcher zum echten Mitspieler.

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Zum Schweigen verdammt (Mark Weigel mit Tina Stegemann)

Es ist natürlich unmöglich, einen vielschichtigen Künstler wie Klein umfänglich in Musik und Text zu fassen, Kontrapunkt oder klassische Formenlehre sind hier fehl am Platz. Leuschner hat eine Musik geschrieben, fast ein Oratorium, monochrom, musikalisch verwirrend, man hört liegende neu tönende Harmonien mit Viertel- und Achteltönen, Klangflächen, psychedelische Klänge, die sich in das aufmerksame Publikum ergießen. Man wird erinnert an Ligeti, Penderecki, Alban Berg, Schönberg, an die Stimmung in Kubricks  Meisterwerk Odyssee 2001 im Weltraum. Dazwischen auch schrille Töne,  insgesamt ein klanglicher Makrokosmos, der immer wieder verfremdet wird. Die  Musik ist stilistisch kaum einzuordnen, wahrlich Nichts zum Mitsingen. Perfekt das Essener Folkwang Kammerorchester unter seinem Dirigenten Dirk Edelkamp, der mit Gelassenheit und präzisem Schlag durch die schwierige Partitur führte. Spannend auch das Streichquartett vor den Reliefs von Klein, mit Tonfetzen und Musikfragmenten, die scheinbar nicht zusammengehören: komponierte Stille, unendlich lange monochrome Klänge, schon ein wenig mit Ahnung auf eine spirituell andere Welt.

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Ensemble: von links Hongjae Lim, Elise Kaufman, Mark Weigel, Vasilios Manis und Tina Stegemann)

Die Sänger (Elise Kaufman, Tina Stegemann, Hoingjae Lim und Vasilios Manis), als Figuren im Libretto namentlich gar nicht bezeichnet, sondern mehr als Alter Ego von Klein anzusehen, versahen ihren schwierigen Part mit fast übersinnlicher Hingabe. Es ist müßig, hier einzelne Beurteilungen abzugeben. Erwähnt werden muss aber die kleine Elena Nur Özdemir, die mit reifer Sicherheit und Selbstbewusstsein agierte und sprach. Man sang und sprach Facetten aus dem Leben von Klein, Fiktionen und auch Wahrheiten, zum Teil verständliche Phasen, aber auch nur Wiederholungen von Silben, Sirren, Zischen, Sprechgesang. Nur Einiges war verständlich oder konnte gar behalten werden. Nachzudenken wäre über eine Veröffentlichung des Librettos auf der Webseite des MiR.

Und dann Yves Klein selbst, dargestellt und gesprochen von dem Schauspieler Mark Weigel. Er verkörpert diese Personen mit vielen intensiven Facetten, mit wechselnder Stimme und Stimmung, mit emotionalen Ausbrüchen oder Leere. Das Team und der hervorragend einstudierte und präzise singende Chor (Christian Jeub), in Kleidern aus den 60-ern (Andreas Meyer), befand sich immer wieder in anderen Ecken des Raumes, auf den Podesten oder mitten unter den Zuschauern. Ulla Theißen hat hier vielschichtig inszeniert und die Personen gestellt, eindrucksvoll der Chor oben hinter der Glasfront. Manche Details der Inszenierung bleiben dem unbedarften Betrachter vielleicht im Moment unverständlich, ob es die Taucherbrille im Wasserbecken, die weißen Blätter am Gerüst oder Klein eingewickelt in weißes Papier ist.

Das Ende des Menschen dann auf einem hohen Hubwagen: Er entschwindet in die von ihm propagierte Leere, in die immaterielle Zone, vielleicht ins Göttliche. Der Künstler Yves Klein hat jedoch Spuren hinterlassen, die "Farbe als Geschichte der Menschheit". Viel und langer Applaus des sichtlich beeindruckten Premierenpublikums. Natürlich muss die Frage gestattet sein, ob und was der "normale" Opernbesucher mit dem Werk anfangen kann, ob ihm der Blick ins Blaue, Installation und Textrausch den Künstler Yves Klein und sein Werk wirklich näher bringt. Und ob dieses Auftragswerk, welches in dieser Form nur im Foyer des MiR gespielt werden kann, und welches mit vier Aufführungen maximal 400 Zuschauer erreicht, dafür nicht zu teuer ist – trotz der erheblichen Subventionen durch die Kulturstiftung und der Sparkasse. Oder ob das MiR damit nur in der Fachwelt auf sich aufmerksam machen möchte und feststellen will, wie stark die Resonanz in der Presse ist. Egal,  Kunst muss sich nicht grundsätzlich rechnen, Deutschland ist glücklicherweise  immer noch ein kleines Dorado auch für progressive Kunstformen, ob das der WDR mit seiner neuen Musik oder die Kölner Oper mit Stockhausens Sonntag aus Licht ist. Auch das MiR hat seinen Anspruch, abseits der gewohnten Pfade große Oper machen zu können, eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Seien wir froh drum und nutzen die Gunst unserer Zeit.

FAZIT

Eine hochspannende Produktion, ein Spektakel ungewöhnlicher Klänge und vielschichtiger Bilder, ein interessanter Weg zu Yves Klein. Man kann dem Hause nur dankbar dafür sein.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dirk Edelkamp

Inszenierung
Ulla Theißen

Bühne
Stefan Oppenländer

Kostüme
Andreas Meyer

Chor
Christian Jeub

Dramaturgie
Anna Grundmeier

 

Opernchor
des Musiktheater im Revier

Folkwang Kammerorchester Essen


Solisten

Sänger
Elise Kaufman
Tina Stegemann
Hongjae Lim
Vasilios Manis

Schauspieler
Mark Weigel

Kind
Ela Nur Özdemir

 


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Da capo al Fine

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