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Musiktheater
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Fosca

Melodrama in vier Akten (Deutsche Erstaufführung)
Libretto von Antonio Ghislanzoni nach der Erzählung La festa delle Marie (1869) von Luigi Marchese Capranica del Grillo
Musik von Antônio Carlos Gomes

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 2. Februar 2013



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Zorn, Schmerz und Liebe einer Piratin

Von Thomas Molke / Fotos von Rolf K. Wegst

Er avancierte in den 1870er Jahren an der Mailänder Scala zum meistgespielten Komponisten nach Giuseppe Verdi, obwohl er aufgrund seiner brasilianischen Herkunft eigentlich als Exot galt. Die Rede ist von Antônio Carlos Gomes, der nach zwei erfolgreichen Opernkompositionen in Rio de Janeiro vom brasilianischen Kaiser Pedro II. die Möglichkeit bekam, seine musikalischen Studien in Italien bei Lauro Rossi fortzusetzen, und in Mailand zunächst mit seiner Oper Il Guarany und anschließend mit Fosca triumphale Erfolge feiern konnte. Durch den aufkommenden Verismo verschwanden seine Werke allerdings von den europäischen Bühnen, so dass Gomes zumindest außerhalb Brasiliens in Vergessenheit geriet. Nachdem das Stadttheater Gießen bereits vor zwei Jahren mit großem Erfolg Gomes' Oper Lo Schiavo ausgegraben hat (siehe auch unsere Rezension), widmet man sich in dieser Spielzeit erneut diesem in Europa zu Unrecht vernachlässigten Komponisten und präsentiert mit dem Melodrama Fosca erneut eine deutsche Erstaufführung.

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Fosca (Giuseppina Piunti) ist mit der Entscheidung ihres Bruders Gajolo (Calin-Valentin Cozma), Paolo freizulassen, nicht einverstanden (unter dem Tisch: What I am (Sora Korkmaz)).

Die Handlung spielt im 10 Jahrhundert n. Chr. in Venedig und Pirano, einer Hafenstadt an der Küste der Adria. Dort lagert eine Gruppe von Piraten, die von Gajolo und seiner Schwester Fosca angeführt werden und davon leben, reiche Venezianer zu entführen und gegen Lösegeld wieder freizulassen. Als die Piraten den jungen Adeligen Paolo entführen, verliebt sich Fosca in ihn. Doch Paolo weist sie zurück, weil er bereits mit der Venezianerin Delia verlobt ist. Gegen Foscas Willen wird Paolo von ihrem Bruder Gajolo freigelassen, nachdem Paolos Vater Michele Giotta das geforderte Lösegeld gezahlt hat. Als die Piraten beim Marienfest, an dem neben Paolo und Delia auch noch zahlreiche andere junge Paare vermählt werden sollen, die Bräute entführen, gerät Paolo durch Foscas Plan, den sie mit dem Sklaven Cambro geschmiedet hat, der heimlich Gajolos Posten bei den Piraten übernehmen möchte, erneut in die Gewalt der Piraten. Während die Piraten mit ihren Geiseln nach Pirano aufbrechen, wird Gajolo allerdings von den Venezianern gefangen genommen, kann sie jedoch davon überzeugen, dass Paolo nur gerettet werden könne, wenn man Gajolo sofort zu den Piraten zurückkehren lasse. Im Piratenlager haben mittlerweile Fosca und Cambro die Leitung übernommen. Fosca reicht Delia einen Becher mit tödlichem Gift und stellt sie vor die Wahl. Wenn sie das Gift trinke, sei Paolo frei. Andernfalls werde er exekutiert. Als Delia sich für das Gift entschließt, um den Geliebten zu retten, taucht Gajolo auf, tötet Cambro und gebietet dem Ansinnen seiner Schwester Einhalt. Paolo und Delia werden nach Venedig zurückgeschickt. Fosca trinkt das Gift selbst und bittet Paolo sterbend um Vergebung für ihre unerfüllte Liebe.

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Cambro (Adrian Gans, links) will das Glück von Delia (Maria Chulkova) und Paolo (Thomas Piffka) stören.

Das Regie-Team um Thomas Oliver Niehaus verweigert sich einer naturalistischen Deutung in der Inszenierung und wählt einen sehr abstrakten Ansatz, der zwar die Handlung nicht gegen den Strich bürstet, aber nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar ist. So führt Niehaus zum Beispiel eine Figur mit dem kryptischen Namen "What I am" ein, bei der eigentlich unklar bleibt, welche Funktion sie im Stück übernehmen soll. Vor der Ouvertüre tritt sie vor den Vorhang und stimmt a capella das von zahlreichen Popgrößen gecoverte "I am what I am" aus La Cage aux Folles an. Aber was beziehungsweise wer ist diese Person denn, die da gleich zu Beginn vor den Vorhang tritt und im weiteren Verlauf des Stückes immer wieder auf der Bühne steht, mal unter einem Tisch sitzt, mal mit den Figuren agiert? Ist sie ein Alter Ego der Titelfigur? Soll die Titelzeile des Songs eine Rechtfertigung Foscas sein für ihr weiteres Verhalten im Stück? Steht "What I am" nur für die Emotionen, die das Stück beherrschen und die in weißen Lettern auf ihr schwarzes T-Shirt gedruckt sind: Zorn, Schmerz und Liebe ("ira, dolore, amore")? Eine eindeutige Antwort gibt Niehaus' Inszenierung darauf nicht. Für den Handlungsablauf ist diese Figur aber genauso überflüssig wie die in Leuchtschrift eingeblendeten Sätze "And I said I love you" bzw. "I can't stop loving you", die an Phrasen aus irgendwelchen Popsongs erinnern und der Handlung nicht nur die Dramatik nehmen, sondern sie teilweise ins Lächerliche ziehen. Wieso muss eine Bühne mit vier Mikrofonen aufgebaut werden, wenn Fosca am Ende das Gift trinkt und Paolo um Vergebung bittet, so dass die Trennung am Ende als schmalzige Pop-Ballade interpretiert wird?

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Cambro (Adrian Gans) schürt erneut Foscas (Giuseppina Piunti) Hass auf Delia und Paolo.

Die Kostüme von Bernhard Niechotz suggerieren mit einer kontrastierenden Schwarz-Weiß-Optik eine deutliche Trennung zwischen Gut (Venezianer = Weiß) und Böse (Piraten = Schwarz), die im Stück nicht immer so eindeutig ist. Schließlich ist im Libretto immer von der "Piratenehre" die Rede, und auch Gajolo hält am Schluss Wort, wenn er Paolo und Delia freilässt. Der einzige wirkliche "schwarze" Charakter ist der Sklave Cambro, der sich aber mit seiner leuchtenden Irokesenfrisur und seinem hellen Kostüm von den anderen Piraten, die eher an Mafiosi erinnern, deutlich abhebt. Fosca vollzieht während des Stückes in ihren Kostümen einen Wandel von einer schwarzen Rockerbraut zu einer Diva in schulterfreier Abendrobe, in der sie dann am Ende ihr Leben aushaucht. Die Bühne von Lukas Noll zeigt einen nach hinten spitz zulaufenden Raum, der mit einem türgroßen Vorhang abschließt. Auf weiteres Mobiliar wird größtenteils verzichtet. Wieso auf beiden Seiten Bänke wie in der Kirche aufgebaut sind und auf der linken Seite eine Kanzel angebracht ist, von der aus Cambro oder der Doge agieren, wird nicht ganz klar. Auch der Torso des gefallenen Engels, der im zweiten Akt vom Schnürboden herabhängt, erklärt sich nicht. Ein schönes Bild gelingt im vierten Akt, wenn im Palast des Dogen ein riesiger weißer Löwe auf der Bühne steht. Nicht klar hingegen wird, warum Paolo als Geisel im ersten Akt und Gajolo während seiner Gefangenschaft im vierten Akt einen Bilderrahmen tragen. Als Zeichen der Haft wird dieses Bild nämlich nicht konstant durchgehalten.

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Fosca (Giuseppina Piunti, Mitte) kann die Liebe zwischen Paolo (Thomas Piffka) und Delia (Maria Chulkova, rechts) nicht ertragen.

Musikalisch hat die Oper zwischen gefühlsgetränkter italienischer Romantik und Anklängen an den Verismo einiges zu bieten, was bedauern lässt, dass Gomes' Musik bis jetzt auf den europäischen Bühnen so stark vernachlässigt wird. Florian Ziemen taucht mit dem Philharmonischen Orchester Gießen gekonnt in die emotionalen Tiefen des Werkes ein und lotet die Vielschichtigkeit der Partitur sorgfältig aus. Auch der Chor und Extrachor unter der Leitung von Jan Hoffmann präsentieren sich von ihrer besten Seite und überzeugen als Piraten und Venezianer. Für die Solisten bietet das Werk einige anspruchsvolle Partien, die in Gießen allesamt gut umgesetzt werden. Da ist zunächst Calin-Valentin Cozma zu nennen, der den Piratenanführer Gajolo mit einem markanten Bass ausstattet. Maria Chulkova begeistert als Delia mit leuchtendem Sopran und glasklaren Höhen. Besonders innig gelingt ihr Duett mit der Titelfigur im dritten Akt, wenn sie beschließt, auf ihren Geliebten Paolo zu verzichten und bei Fosca und den Piraten zu bleiben. Adrian Gans verfügt als Cambro über einen durchschlagenden Bariton, der stellenweise für das Haus etwas zu laut ist, die Schwärze der Figur aber grandios herausarbeitet.

Thomas Piffka debütiert als Paolo am Stadttheater Gießen und stattet die anspruchsvolle Partie mit einem kräftigen Tenor aus, der auch in den Höhen über enorme Reserven verfügt. Giuseppina Piunti ist mittlerweile in Gießen eine alte Bekannte, da sie alljährlich für anspruchsvolle dramatische Sopranrollen als Gast auftritt. In diesem Fall ist erwähnenswert, dass sie in dieser Oper bereits 1998 beim Wexford Festival Opera aufgetreten ist, damals allerdings die Partie der Delia interpretierte. Inzwischen wendet sie sich verstärkt den Rollen des dramatischen Zwischenfachs zu und lässt es sich natürlich nicht nehmen, in Gießen die Titelpartie zu interpretieren. Dabei präsentiert sie mit souveräner Dramatik die Gefühlsregungen der Titelfigur zwischen Liebe, Zorn und Schmerz und lässt stimmlich ebenfalls keine Wünsche offen. So gibt es am Ende lang anhaltenden und begeisterten Applaus für die Sänger und die Musiker. Bei dem Regie-Team ist das Publikum sich nicht ganz einig. Frenetischem Beifall stehen auch einige lautstarke Unmutsbekundungen gegenüber.

FAZIT

Musikalisch ist diese Produktion auf jeden Fall lohnenswert. Szenisch hätte man sich vielleicht einen etwas naturalistischeren Ansatz gewünscht. (Weitere Termine: 9. Februar 2013, 7. und 22. März 2013 und 14. und 27. April 2013 jeweils um 19.30 Uhr)


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ziemen

Inszenierung
Thomas Oliver Niehaus

Bühne
Lukas Noll

Kostüme
Bernhard Niechotz

Chor
Jan Hoffmann

Licht
Andrea Leib

Dramaturgie
Christian Schröder

 

 

Chor und Extrachor
des Stadttheater Gießen

Philharmonisches Orchester
Gießen



Solisten

Fosca
Giuseppina Piunti

Cambro
Adrian Gans

Delia
Maria Chulkova

Paolo
Thomas Piffka

Gajolo
Calin-Valentin Cozma

Michele Giotta
Aleksey Ivanov

Doge
Tomi Wendt

What I am
Sora Korkmaz


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Stadttheater Gießen
(Homepage)



Da capo al Fine

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