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Zorn, Schmerz und Liebe einer
Piratin
Von Thomas Molke /
Fotos von Rolf K. Wegst
Er avancierte in den 1870er Jahren an der Mailänder Scala zum meistgespielten
Komponisten nach Giuseppe Verdi, obwohl er aufgrund seiner brasilianischen
Herkunft eigentlich als Exot
galt. Die Rede ist von Antônio Carlos Gomes, der nach zwei erfolgreichen
Opernkompositionen in Rio de Janeiro vom brasilianischen Kaiser Pedro II. die
Möglichkeit bekam, seine musikalischen Studien in Italien bei Lauro Rossi
fortzusetzen, und in Mailand zunächst mit seiner Oper Il Guarany und
anschließend mit Fosca triumphale Erfolge feiern konnte. Durch den
aufkommenden Verismo verschwanden seine Werke allerdings von den europäischen
Bühnen, so dass Gomes zumindest außerhalb Brasiliens in Vergessenheit geriet.
Nachdem das Stadttheater Gießen bereits vor zwei Jahren mit großem Erfolg Gomes'
Oper Lo Schiavo ausgegraben hat (siehe auch
unsere Rezension),
widmet man sich in dieser Spielzeit erneut diesem in Europa zu Unrecht
vernachlässigten Komponisten und präsentiert mit dem Melodrama Fosca
erneut eine deutsche Erstaufführung.
Fosca (Giuseppina Piunti) ist mit der
Entscheidung ihres Bruders Gajolo (Calin-Valentin Cozma), Paolo freizulassen,
nicht einverstanden (unter dem Tisch: What I am (Sora Korkmaz)).
Die Handlung spielt im 10 Jahrhundert n. Chr. in Venedig und Pirano, einer
Hafenstadt an der Küste der Adria. Dort lagert eine Gruppe von Piraten, die von
Gajolo und seiner Schwester Fosca angeführt werden und davon leben, reiche
Venezianer zu entführen und gegen Lösegeld wieder freizulassen. Als die Piraten
den jungen Adeligen Paolo entführen, verliebt sich Fosca in ihn. Doch Paolo
weist sie zurück, weil er bereits mit der Venezianerin Delia verlobt ist. Gegen
Foscas Willen wird Paolo von ihrem Bruder Gajolo freigelassen, nachdem Paolos
Vater Michele Giotta das geforderte Lösegeld gezahlt hat. Als die Piraten beim
Marienfest, an dem neben Paolo und Delia auch noch zahlreiche andere junge Paare
vermählt werden sollen, die Bräute entführen, gerät Paolo durch Foscas Plan, den sie
mit dem Sklaven Cambro geschmiedet hat, der heimlich Gajolos Posten bei den
Piraten übernehmen möchte, erneut in die Gewalt der Piraten. Während die Piraten
mit ihren Geiseln nach Pirano aufbrechen, wird Gajolo allerdings von den
Venezianern gefangen genommen, kann sie jedoch davon überzeugen, dass Paolo nur gerettet werden
könne, wenn man Gajolo sofort zu den Piraten zurückkehren lasse. Im Piratenlager
haben mittlerweile Fosca und Cambro die Leitung übernommen. Fosca reicht Delia
einen Becher mit tödlichem Gift und stellt sie vor die Wahl. Wenn sie das Gift trinke,
sei Paolo frei.
Andernfalls werde er exekutiert. Als Delia sich für das Gift entschließt, um
den Geliebten zu retten, taucht Gajolo auf, tötet Cambro und gebietet dem
Ansinnen seiner Schwester Einhalt. Paolo und Delia werden nach Venedig
zurückgeschickt. Fosca trinkt das Gift selbst und bittet Paolo sterbend um
Vergebung für ihre unerfüllte Liebe.
Cambro (Adrian Gans, links) will das Glück von
Delia (Maria Chulkova) und Paolo (Thomas Piffka) stören.
Das Regie-Team um Thomas Oliver Niehaus verweigert sich einer naturalistischen
Deutung in der Inszenierung und wählt einen sehr abstrakten Ansatz, der zwar die
Handlung nicht gegen den Strich bürstet, aber nicht in jeder Hinsicht
nachvollziehbar ist. So führt Niehaus zum Beispiel eine Figur mit dem
kryptischen Namen "What I am" ein, bei der eigentlich unklar bleibt, welche
Funktion sie im Stück übernehmen soll. Vor der Ouvertüre tritt sie vor den
Vorhang und stimmt a capella das von zahlreichen Popgrößen gecoverte "I am what
I am" aus La Cage aux Folles an. Aber was beziehungsweise wer ist diese
Person denn, die da gleich zu Beginn vor den Vorhang tritt und im weiteren
Verlauf des Stückes immer wieder auf der Bühne steht, mal unter einem Tisch
sitzt, mal mit den Figuren agiert? Ist sie ein Alter Ego der Titelfigur? Soll
die Titelzeile des Songs eine Rechtfertigung Foscas sein für ihr weiteres
Verhalten im Stück? Steht "What I am" nur für die Emotionen, die das Stück
beherrschen und die in weißen Lettern auf ihr schwarzes T-Shirt gedruckt sind:
Zorn, Schmerz und Liebe ("ira, dolore, amore")? Eine eindeutige Antwort gibt
Niehaus' Inszenierung darauf nicht. Für den Handlungsablauf ist diese Figur aber
genauso überflüssig wie die in Leuchtschrift eingeblendeten Sätze "And I said I
love you" bzw. "I can't stop loving you", die an Phrasen aus irgendwelchen
Popsongs erinnern und der Handlung nicht nur die Dramatik nehmen, sondern sie
teilweise ins Lächerliche ziehen. Wieso muss eine Bühne mit vier Mikrofonen
aufgebaut werden, wenn Fosca am Ende das Gift trinkt und Paolo um Vergebung
bittet, so dass die Trennung am Ende als schmalzige Pop-Ballade interpretiert
wird?
Cambro (Adrian Gans) schürt erneut Foscas
(Giuseppina Piunti) Hass auf Delia und Paolo.
Die Kostüme von Bernhard Niechotz suggerieren mit einer kontrastierenden
Schwarz-Weiß-Optik eine deutliche Trennung zwischen Gut (Venezianer = Weiß) und
Böse (Piraten = Schwarz), die im Stück nicht immer so eindeutig ist. Schließlich
ist im Libretto immer von der "Piratenehre" die Rede, und auch Gajolo hält am
Schluss Wort, wenn er Paolo und Delia freilässt. Der einzige wirkliche
"schwarze" Charakter ist der Sklave Cambro, der sich aber mit seiner leuchtenden
Irokesenfrisur und seinem hellen Kostüm von den anderen Piraten, die eher an
Mafiosi erinnern, deutlich abhebt. Fosca vollzieht während des Stückes in ihren
Kostümen einen Wandel von einer schwarzen Rockerbraut zu einer Diva in
schulterfreier Abendrobe, in der sie dann am Ende ihr Leben aushaucht. Die Bühne
von Lukas Noll zeigt einen nach hinten spitz zulaufenden Raum, der mit einem
türgroßen Vorhang abschließt. Auf weiteres Mobiliar wird größtenteils
verzichtet. Wieso auf beiden Seiten Bänke wie in der Kirche aufgebaut sind und
auf der linken Seite eine Kanzel angebracht ist, von der aus Cambro oder der
Doge agieren, wird nicht ganz klar. Auch der Torso des gefallenen Engels, der im
zweiten Akt vom Schnürboden herabhängt, erklärt sich nicht. Ein schönes Bild
gelingt im vierten Akt, wenn im Palast des Dogen ein riesiger weißer Löwe auf
der Bühne steht. Nicht klar hingegen wird, warum Paolo als Geisel im ersten Akt
und Gajolo während seiner Gefangenschaft im vierten Akt einen Bilderrahmen
tragen. Als Zeichen der Haft wird dieses Bild nämlich nicht konstant
durchgehalten.
Fosca (Giuseppina Piunti, Mitte) kann die Liebe
zwischen Paolo (Thomas Piffka) und Delia (Maria Chulkova, rechts) nicht
ertragen.
Musikalisch hat die Oper zwischen gefühlsgetränkter italienischer Romantik und
Anklängen an den Verismo einiges zu bieten, was bedauern lässt, dass Gomes'
Musik bis jetzt auf den europäischen Bühnen so stark vernachlässigt wird.
Florian Ziemen taucht mit dem Philharmonischen Orchester Gießen gekonnt in die
emotionalen Tiefen des Werkes ein und lotet die Vielschichtigkeit der Partitur
sorgfältig aus. Auch der Chor und Extrachor unter der Leitung von Jan Hoffmann
präsentieren sich von ihrer besten Seite und überzeugen als Piraten und
Venezianer. Für die Solisten bietet das Werk einige anspruchsvolle Partien, die
in Gießen allesamt gut umgesetzt werden. Da ist zunächst Calin-Valentin Cozma zu
nennen, der den Piratenanführer Gajolo mit einem markanten Bass ausstattet.
Maria Chulkova begeistert als Delia mit leuchtendem Sopran und glasklaren Höhen.
Besonders innig gelingt ihr Duett mit der Titelfigur im dritten Akt, wenn sie
beschließt, auf ihren Geliebten Paolo zu verzichten und bei Fosca und den
Piraten zu bleiben. Adrian Gans verfügt als Cambro über einen durchschlagenden
Bariton, der stellenweise für das Haus etwas zu laut ist, die Schwärze der Figur
aber grandios herausarbeitet.
Thomas Piffka debütiert als Paolo am Stadttheater Gießen und stattet die
anspruchsvolle Partie mit einem kräftigen Tenor aus, der auch in den Höhen über
enorme Reserven verfügt. Giuseppina Piunti ist mittlerweile in Gießen eine alte
Bekannte, da sie alljährlich für anspruchsvolle dramatische Sopranrollen als
Gast auftritt. In diesem Fall ist erwähnenswert, dass sie in dieser Oper bereits
1998 beim Wexford Festival Opera aufgetreten ist, damals allerdings die
Partie der Delia interpretierte. Inzwischen wendet sie sich verstärkt den Rollen
des dramatischen Zwischenfachs zu und lässt es sich natürlich nicht nehmen, in
Gießen die Titelpartie zu interpretieren. Dabei präsentiert sie mit souveräner
Dramatik die Gefühlsregungen der Titelfigur zwischen Liebe, Zorn und Schmerz und
lässt stimmlich ebenfalls keine Wünsche offen. So gibt es am Ende lang
anhaltenden und begeisterten Applaus für die Sänger und die Musiker. Bei dem
Regie-Team ist das Publikum sich nicht ganz einig. Frenetischem Beifall stehen
auch einige lautstarke Unmutsbekundungen gegenüber. Musikalisch ist diese Produktion auf jeden Fall lohnenswert. Szenisch hätte man sich vielleicht einen etwas naturalistischeren Ansatz gewünscht. (Weitere Termine: 9. Februar 2013, 7. und 22. März 2013 und 14. und 27. April 2013 jeweils um 19.30 Uhr) Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Chor Licht
Dramaturgie
Chor und
Extrachor Philharmonisches Orchester
SolistenFosca Cambro
Delia Paolo Gajolo Michele Giotta
Doge
What I am
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