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Musiktheater
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Der Freischütz

Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto von Friedrich Kind
Musik von Carl Maria von Weber


In deutscher Sprache
Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere 23. März 2013 im Theater am Goetheplatz, Bremen
(rezensierte Aufführung: Generalprobe am 21. März 2013)

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TheaterBremen
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Einmal Deutsch-Südwest-Afrika und zurück

Von Joachim Lange / Fotos von Jörg Landsberg

Der 23. März gehört zu den Premierenterminen der laufenden Spielzeit, an dem man sich vor allem entscheiden muss, was man weglässt. Da die Salzburger Osterfestspiele wegen Christian Thielemanns Debüt als Parsifal-Dirigent und neuer künstlerischer Hoffnungsträger dieses Nobelfestivals den Vorrang hatten (siehe dazu unsere Rezension), Sebastian Baumgarten (44) aber zu den interessantesten Schauspiel und Opern-Regisseuren gehört und das Theater Bremen unter seinem neuen Intendanten Michael Börgerding wieder im Aufwind segelt, blieb in dem Falle nur die Notlösung eines Besuchs der Generalprobe. Also ohne Ohrenzeugenschaft für das vorhersehbare Pro und Contra für die Regie und den Jubel für die Protagonisten.

Vergrößerung Mobbing in der deutschen Dorfschule

Alles beginnt, noch bevor die Musik einsetzt. Wie ein Stummfilm. Man sieht einen Eremiten, der einem jungen Mädchen einen Strauß weißer Rosen schenkt. Dieses unverzichtbare Freischütz-Requisit kehrt natürlich am Ende als Rundumschutz für Agathe zurück und erfüllt wie immer seinen Zweck. Dann aber erzähl Baumgarten auf seine Weise vor allem die Geschichte: Von der Erbförsterei und dem Probeschuss. Von Max und Agathe. Vom bösen Kaspar und der finsteren Wolfschlucht. Den Samiel übernimmt der Chor, wodurch das Teuflische zum kollektiven Rumoren wird. Er erzählt auch vom Schuss auf die Taube und den Auftritt des Eremiten, dessen reformerischen Richterspruch sich auch die Staatsmacht in der Person des Fürsten anschließt. In Bremen sitzt dieser Fürst Ottokar mit Paradeuniform im Rollstuhl und ist im Nebenjob offenbar für die deutschen „Schutzgebiete“ in Afrika zuständig.

Vergrößerung

Auftritt im Bienenhaus: Das Lied vom Jungfernkranz

Diese Querverweise auf die unrühmliche deutsche Kolonialgeschichte integriert Baumgarten erstaunlich gut in seinen Freischütz. Zusammen mit dem Dramaturgen Ingo Gerlach hat er auch die ja immer etwas heiklen, gesprochenen Texte verändert und sozusagen als geistige Verlängerung des „Joho tralala“ des Jägerchores martialische O-Töne von Wilhelm II. hinein montiert. Die exzellent gemachten Videoeinspielungen imaginieren denn auch jenen Platz an der Sonne, den das Kaiserreich im damaligen Deutsch-Südwestafrika suchte.  In Bremen werden also weder der deutsche Wald noch die Wolfsschlucht zur Folie für die Alptraumlandschaft der deutschen Seele. Hier sind es die afrikanische Steppe mit ihrem Großwild und die unheimlichen Opferrituale aus dem Busch, wo aus Menschenopfern die magischen Kugeln gewonnen werden.

Vergrößerung Ännchen erzählt vom Kettenhund

Sobald man sich darauf einlässt, ist diese Perspektivenverschiebung schlüssig. Baumgarten nimmt Webers einzigen dauerhaften Opernhit nicht nur als einen subversiven Angriff auf die biedermeierliche Idylle durch eine hitgepfefferte Dosis Gruselromantik, sondern vor allem als Antwort auf ein kollektives Kriegstrauma. Gemäß dem Libretto bebt ja der dreißigjährige Krieg nach (in Wahrheit waren es die antinapoleonischen Befreiungskriege). Baumgarten nimmt den Freischütz konsequent als ein (damals) zeitgenössisches Sujet mit Zukunftspotenzial, das inzwischen zu unserer Vergangenheit geworden ist. Ein bisschen Mitdenken muss man dabei. Aber es lohnt sich. Zumal sich der Opernprofi Baumgarten eben nicht wie vor kurzem der Operndebütant Dominique Horwitz in Erfurt mit naseweisem Verbesserungseifer an dem Opernerbstück aus Jahre 1821 vergreift. Baumgarten ist das Genre Oper viel zu vertraut, um sich mit Kindereien zu vergaloppieren. Bei ihm funktioniert die Verfremdung in Richtung putziges Kindertheater und Stummfilm-Habitus mit entsprechender Begleitung, weil er seinen Freischütz vor allem  präzise der Musik ablauscht. Dabei dann allerdings viel von dem „mithört“, was nach zweihundert Jahren eben mitklingt.

So wird der Freischütz mit komödiantischem Augenzwinkern sowohl als Kind seiner Zeit rekapituliert und zum identitätsstiftendes Diskursangebot. Er zeigt das Trauma der Überforderung. Individuell und kollektiv. Für den quasi geläuterten Brechtschen Verfremdungseifer haben Natscha von Steiger und Marysol del Castillo den Raum und die Kostüme geschaffen und Philip Bußmann die Videos bereitgestellt. So wechselt die Szene mühelos zwischen Dorfschule und Försterbienenhaus, zeigt das unheimliche Fremde in Afrika, die schwarze Puppe in Max's Rucksack und den Struwwelpeter Kaspar in der Nähe.

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Die Wolfsschlucht einmal anders

Musikalisch trägt der Bremer GMD Markus Poschner diese reflektierte, unromantische und doch verspielte Lesart mit, gliedert klar, und lässt das Orchester oft so klingen, als wollte auch er historische Ablagerungen freilegen. Die Protagonisten (von der Agathe Paricia Andress über den Max Heiko Börner bis zu Loren Langs Kaspar und Steffi Lehmanns Ännchen) machen ihre Sache gut, sodass dieser Freischütz in Bremen zwar kontrovers aufgenommen werden dürfte, aber getrost zu den starken Arbeiten von Sebastian Baumgarten gerechnet werden darf.
Baumgarten hadert immer mal wieder mit den Bedingungen im Opernbetrieb und beklagt das verschenkte Potenzial, das dieses Genre eigentlich haben könnte und müsste. Mag sein, dass man das als Regisseur so sehen kann und formulieren muss. Zum Glück widerlegt er das dann immer wieder selbst mit klugen, musikalischen und zum Nachdenken provozierenden Inszenierungen wie jetzt in Bremen. 


FAZIT

Sebastian Baumgarten hat Carl Maria von Webers Freischütz in Bremen als deutsches Seelenmärchen inszeniert und reiht sich mit dieser Produktion in den ambitionierten Neuanfang des Hauses überzeugend ein.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Poschner

Inszenierung
Sebastian Baumgarten

Bühne
Natascha von Steiger

Kostüme
Marysol del Castillo

Licht
Christian Kemmetmüller

Video
Philip Bußmann

Chöre
Daniel Mayr

Dramaturgie
Ingo Gerlach


Chor des
Theaters Bremen


Bremer Philharmoniker


Solisten

Ottokar
Martin Kronthaler

Kuno
Daniel Wynarski

Agathe
Patricia Andress

Ännchen
Steffi Lehmann

Kaspar
Loren Lang

Max
Heiko Börner

Ein Eremit
Christoph Heinrich

Kilian
Christian-Andreas Engelhardt

Brautjungfern
Geseke Schwedt
Annamária Melkovics-Fehér
Julia Huntgeburth
Martina Parkes


Weitere Informationen
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TheaterBremen
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Da capo al Fine

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