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Einmal Deutsch-Südwest-Afrika und zurückVon Joachim Lange / Fotos von Jörg LandsbergDer 23. März gehört zu den Premierenterminen der laufenden Spielzeit, an dem man sich vor allem entscheiden muss, was man weglässt. Da die Salzburger Osterfestspiele wegen Christian Thielemanns Debüt als Parsifal-Dirigent und neuer künstlerischer Hoffnungsträger dieses Nobelfestivals den Vorrang hatten (siehe dazu unsere Rezension), Sebastian Baumgarten (44) aber zu den interessantesten Schauspiel und Opern-Regisseuren gehört und das Theater Bremen unter seinem neuen Intendanten Michael Börgerding wieder im Aufwind segelt, blieb in dem Falle nur die Notlösung eines Besuchs der Generalprobe. Also ohne Ohrenzeugenschaft für das vorhersehbare Pro und Contra für die Regie und den Jubel für die Protagonisten. Mobbing in der deutschen DorfschuleAlles beginnt, noch bevor die Musik einsetzt. Wie ein Stummfilm. Man sieht einen Eremiten, der einem jungen Mädchen einen Strauß weißer Rosen schenkt. Dieses unverzichtbare Freischütz-Requisit kehrt natürlich am Ende als Rundumschutz für Agathe zurück und erfüllt wie immer seinen Zweck. Dann aber erzähl Baumgarten auf seine Weise vor allem die Geschichte: Von der Erbförsterei und dem Probeschuss. Von Max und Agathe. Vom bösen Kaspar und der finsteren Wolfschlucht. Den Samiel übernimmt der Chor, wodurch das Teuflische zum kollektiven Rumoren wird. Er erzählt auch vom Schuss auf die Taube und den Auftritt des Eremiten, dessen reformerischen Richterspruch sich auch die Staatsmacht in der Person des Fürsten anschließt. In Bremen sitzt dieser Fürst Ottokar mit Paradeuniform im Rollstuhl und ist im Nebenjob offenbar für die deutschen Schutzgebiete in Afrika zuständig. Auftritt im Bienenhaus: Das Lied vom Jungfernkranz Diese Querverweise auf die unrühmliche deutsche Kolonialgeschichte integriert Baumgarten erstaunlich gut in seinen Freischütz. Zusammen mit dem Dramaturgen Ingo Gerlach hat er auch die ja immer etwas heiklen, gesprochenen Texte verändert und sozusagen als geistige Verlängerung des Joho tralala des Jägerchores martialische O-Töne von Wilhelm II. hinein montiert. Die exzellent gemachten Videoeinspielungen imaginieren denn auch jenen Platz an der Sonne, den das Kaiserreich im damaligen Deutsch-Südwestafrika suchte. In Bremen werden also weder der deutsche Wald noch die Wolfsschlucht zur Folie für die Alptraumlandschaft der deutschen Seele. Hier sind es die afrikanische Steppe mit ihrem Großwild und die unheimlichen Opferrituale aus dem Busch, wo aus Menschenopfern die magischen Kugeln gewonnen werden. Ännchen erzählt vom KettenhundSobald man sich darauf einlässt, ist diese Perspektivenverschiebung schlüssig. Baumgarten nimmt Webers einzigen dauerhaften Opernhit nicht nur als einen subversiven Angriff auf die biedermeierliche Idylle durch eine hitgepfefferte Dosis Gruselromantik, sondern vor allem als Antwort auf ein kollektives Kriegstrauma. Gemäß dem Libretto bebt ja der dreißigjährige Krieg nach (in Wahrheit waren es die antinapoleonischen Befreiungskriege). Baumgarten nimmt den Freischütz konsequent als ein (damals) zeitgenössisches Sujet mit Zukunftspotenzial, das inzwischen zu unserer Vergangenheit geworden ist. Ein bisschen Mitdenken muss man dabei. Aber es lohnt sich. Zumal sich der Opernprofi Baumgarten eben nicht wie vor kurzem der Operndebütant Dominique Horwitz in Erfurt mit naseweisem Verbesserungseifer an dem Opernerbstück aus Jahre 1821 vergreift. Baumgarten ist das Genre Oper viel zu vertraut, um sich mit Kindereien zu vergaloppieren. Bei ihm funktioniert die Verfremdung in Richtung putziges Kindertheater und Stummfilm-Habitus mit entsprechender Begleitung, weil er seinen Freischütz vor allem präzise der Musik ablauscht. Dabei dann allerdings viel von dem mithört, was nach zweihundert Jahren eben mitklingt. So wird der Freischütz mit komödiantischem Augenzwinkern sowohl als Kind seiner Zeit rekapituliert und zum identitätsstiftendes Diskursangebot. Er zeigt das Trauma der Überforderung. Individuell und kollektiv. Für den quasi geläuterten Brechtschen Verfremdungseifer haben Natscha von Steiger und Marysol del Castillo den Raum und die Kostüme geschaffen und Philip Bußmann die Videos bereitgestellt. So wechselt die Szene mühelos zwischen Dorfschule und Försterbienenhaus, zeigt das unheimliche Fremde in Afrika, die schwarze Puppe in Max's Rucksack und den Struwwelpeter Kaspar in der Nähe. Die Wolfsschlucht einmal anders
Musikalisch trägt der Bremer GMD Markus Poschner diese reflektierte, unromantische und doch verspielte Lesart mit, gliedert klar, und lässt das Orchester oft so klingen, als wollte auch er historische Ablagerungen freilegen. Die Protagonisten (von der Agathe Paricia Andress über den Max Heiko Börner bis zu Loren Langs Kaspar und Steffi Lehmanns Ännchen) machen ihre Sache gut, sodass dieser Freischütz in Bremen zwar kontrovers aufgenommen werden dürfte, aber getrost zu den starken Arbeiten von Sebastian Baumgarten gerechnet werden darf.
Sebastian Baumgarten hat Carl Maria von Webers Freischütz in Bremen als deutsches Seelenmärchen inszeniert und reiht sich mit dieser Produktion in den ambitionierten Neuanfang des Hauses überzeugend ein. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chöre
Dramaturgie
Solisten
Ottokar
Kuno
Agathe
Ännchen
Kaspar
Max
Ein Eremit
Kilian
Brautjungfern
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- Fine -