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Musiktheater
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Parsifal

Ein Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 15' (zwei Pausen)

Premiere in der "Oper am Dom" am 29. März 2013
(rezensierte Aufführung: 5. April 2013)


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Wir sind Gral!

Von Stefan Schmöe / Fotos von Karl Forster


Gurnemanz backt Brot. Das ist eine vergleichsweise sinnvolle Beschäftigung innerhalb der männerbündnerischen Gralsgesellschaft, dient es doch unmittelbar der Lebenserhaltung. Weniger sinnvoll scheint es allerdings, den guten Teig dem kranken Amfortas auf den Kopf zu legen. Dabei ist Amfortas hier eigentlich gar kein Ritter, sondern der junge Philosophieprofessor Nietzsche, der zwischen 1869 und 1876 eng mit Richard Wagner befreundet, ja mehr: ein glühender Anhänger und Vortkämpfer für den Komponisten war. Danach entfremdete man sich, überwarf sich sogar, der Parsifal wurde zum Gegenstand heftiger Anfeindungen. Jetzt feiert man Wagners Geburtstag, und Nietzsche muss ausgerechnet in der Oper auftreten, die er hasste – das könnte eine hübsche Pointe sein, zumal Übervater Wagner mit Amfortas' Vater Titurel gleichgesetzt wird (der bleibt unsichtbar, aber immer wenn Titurel singt, wird per Video ein stilisierter Wagner-Kopf eingeblendet). Titurels Leiche ist später in ein Tuch mit der Aufschrift „Gesamtkunstwerk“ eingewickelt und wird von Nietzsche den (von Statisten mit entblößten Hinterteilen recht obszön dargestellten) Raben zum Fraß vorgeworfen. (Was Nietzsche nicht wissen, vielleicht ahnen konnte: Das Wagner'sche Gesamtkunstwerk erfreut sich dennoch bis heute großer Beliebtheit.)

Szenenfoto

Gurnemanz und toter Schwan vor einer Skulptur aus Statisten

Das Regieteam um Carlus Padrissa aus dem Künstlerkollektiv La Fura dels Baus, das seine Wurzeln im Straßentheater hat, ist inzwischen fest etablierter Bestandteil der Opernszene geworden – seiner bildgewaltigen Phantasien wegen. Ob da die Kölner Dramaturgen (Georg Kehren und Tanja Fasching) mit philosophischem und noch mehr biographischem Überbau entscheidenden Einfluss auf die Konzeption genommen haben? Fast hat man den Eindruck, mehrere Inszenierungen parallel ablaufen zu sehen. Da ist zum einen der inzwischen gut bekannte Apparat von La Fura dels Baus mit großformatigen Installationen. Vier verschiebbare bogenförmige Podeste für die (zahlmäßig große, in weiße Schutzanzüge gehüllte) Statisterie können wie gotische Spitzbögen zusammengestellt werden (das Innere der Gralsburg) oder wie eine abgeschlossene Halbkugel (Klingsors Turm) oder wie die Blätter einer halb geöffneten Blüte (Klingsors Zaubergarten) – das Bühnenbild von Roland Olbeter ist sehr variabel und greift gleichzeitig die Konstruktion des Theaterzeltes am Hauptbahnhof auf, in dem die Kölner Oper derzeit sanierungsbedingt spielt. In den Gralsburg-Szenen greifen die Videoprojektionen in den Zuschauerraum über, der solcherart als erweiterter Spielraum in das Geschehen eingebunden ist. So wird das Publikum ganz direkt in das Ritual einbezogen. Die Kostüme (Chu Uroz) verwenden viel Kunststoff, die Blumenmädchen haben zusätzlich mehrere kranartige Maschinen, zudem gibt es viele (leider oft nervige, sogar störende) Videoeinblendungen (Roman Torre, Pelayo Mendéz, Fritz Gnad). Das ist die übliche Bildsprache von La Fura dels Baus, und die ist inzwischen eben doch Verschleißerscheinungen unterworfen – hat man zwei oder drei Inszenierungen der Truppe gesehen (in Köln etwa Stockhausens Sonntag aus Licht), dann ist der Wiedererkennungseffekt ziemlich groß (und eine gewisse Beliebigkeit durch die Verwendung sehr ähnlicher Mittel unabhängig vom Stück unübersehbar).

Szenenfoto

Gralsenthüllung (erster Aufzug)

Der Gral ist ein Brunnen mit einer phallischen Säule in der Mitte, und am Ende schwimmt die nackte Kundry (na ja, einen hautfarbenen Überzug trägt sie schon) darin herum, glatzköpfig und ein wenig androgyn – das führt zu unmütigem Geraune im Publikum. Dabei hält dieses Bild immerhin das, was man sich bei der Verpflichtung von Padrissa & Co. versprechen durfte, nämlich eigenwillige Bildlösungen. Überhaupt Kundry: Als Schmetterling (im zweiten Akt), mit blühenden Zweigen besteckt (nach ihrer Taufe im dritten Akt), das sind immerhin Bilder, die sich von anderen Inszenierungen absetzen. Der Brotbacktisch und der überdimensionale Ofen mögen auch originell und ohne Vorbild sein, von der Bildwirkung sind sie ziemlich albern. Übrigens kommen auch Padrissa, Olbeter und Uroz nicht um den Speer herum: Der bleibt, wie in fast jeder Inszenierung, ein richtiger Speer. (Dabei hätten wir uns gerade da von La Fura dels Baus mal etwas Neues erwartet).

Szenenfoto

Klingsor auf seinem Turm

Und Amfortas mit Nietzsche-Schnurrbart? Da bekommt die schöne neue Bilderwelt intellektuelle Risse. Was an sich ja nicht falsch ist, hier aber viel zu pädagogisch bleibt und sich nicht recht in das ästhetische Konzept einfügt. Es gibt Regisseure, die können solche doppelbödigen Spielereien mit Zeitgeschichte und Künstlerbiographie viel besser als Carlus Padrissa (Stefan Herheim natürlich, der in seinem Bayreuther Parsifal allerdings Nietzsche außen vor ließ, oder auch Claus Guth). Die Personenregie müsste viel genauer sein, das Bühnenbild konkreter. Und was ist anderen Figuren jenseits von Amfortas-Nietzsche und Titurel-Wagner? Wer überhaupt ist in diesem Kontext dieser Parsifal? Da bleibt viel zu viel unklar, als dass dieses Konzept die Inszenierung tragen könnte.

Szenenfoto

Schmetterling Kundry (zweiter Aufzug)

So stehen (zu) viele Bilder nebeneinander, ohne sich gegenseitig zu inspirieren. Das geht immer wieder auch auf Kosten der Musik, weil es unnötig ablenkt (und weil die Regie es oft nicht versteht, in entscheidenden Momenten auf die Musik zu vertrauen). Markus Stenz am Pult des insgesamt sehr guten Gürzenich Orchesters dirigiert einen introvertierten Parsifal der eher leisen Töne, mit wunderbar warmen Passagen. Nicht immer ganz stringent sind die Tempi, die mitunter auf der Stelle treten, dann wieder fast gehetzt sind. Dass Stenz irgendwie auf die Regie eingeht, ist nicht erkennbar, eher im Gegenteil: Das oft zurückgenommene, sehr sängerfreundliche Musizieren (das den Klangvorstellungen Wagners aus dem Bayreuther Festspielhaus, soweit das in diesen akustisch ganz anderen Verhältnissen möglich ist, relativ nahe kommen dürfte) ist mehr auf ein Kammerspiel aus, das freilich nicht stattfindet. Die klangschönen Chöre marschieren in den Zuschauerraum und singen auch von dort sehr präzise (Einstudierung: Andrew Ollivant).

Szenenfoto

Parsifal und Karfreitagszauber

Boaz Daniel singt sowohl den Amfortas als auch den Klingsor, was wohl die Wesensverwandschaft beider Figuren zeigen soll, in der Inszenierung aber unerheblich bleibt – warum also? Am Ende des ersten Aktes musste man in der hier besprochenen Aufführung einige Sorge haben, ob der Sänger das durchsteht – im Nachhinein erwies sich das als unbegründet, mit schlankem, klar geführten Bariton bewältigt Daniel seine Aufgaben ordentlich. Marco Jentzsch ist ein hell timbrierter, nicht zu leichter Parsifal mit sicherer Höhe; etwas farblos in der Mittellage. Den Gurnemanz singt der große Matti Salminen mit Altersweisheit und sogar einer gehörigen Prise Humor; die Stimme hat sicher an Kraft eingebüßt, aber mit seiner großen Erfahrung disponiert Salminen die Partie so geschickt, dass er die exponierten Stellen zwar nicht unbedingt wuchtig, aber klangschön und markant gestaltet. Ganz hervorragend ist die Textbehandlung (wie überhaupt im gesamten Ensemble erfreulich viel vom Text zu verstehen ist). Für die junge Silvia Hablowetz kommt die Kundry sicher zu früh. Das ist mit Verve gesungen, zupackend und gut fokussiert in der Höhe, aber doch allzu kleinformatig und vom Timbre her mehr bei den großen Mozart-Partien anzusiedeln als bei der „Höllenrose“ Kundry. (Und ausgerechnet der allerwichtigste Ton der Partie, der narkotisierende Ruf „Parsifal“, mit dem die zentrale Szene der beiden beginnt und der alle Koketterien der Blumenmädchen hinweg fegen müsste, der geht daneben, weil die Stimme nicht einschwingt.)

Und was geschieht mit dem Brot, das Gurnemanz gebacken hat? Es wird, das war zu befürchten, am Ende im Zuschauerraum herumgereicht, auf das wir alle davon kosten und geheilt werden. Auch als nicht-katholischer Rezensent empfindet man ein gewisses Unbehagen ob solcher Banalisierung. Und es wäre so schön, man könnte einfach auf die Musik hören. So bleibt der Parsifal ein Dauerpflegefall. In Essen und Salzburg war's szenisch auch nicht besser; wer zum Wagner-Jubiläumsjahr auf eine wirklich schlüssige Inszenierung hofft, sollte nach Antwerpen fahren.


FAZIT

Ein musikalisch recht guter, szenisch ziemlich verworrener Parsifal zwischen großen Bildern, bildungsbürgerlicher Übervatermord-Dramaturgie und ein bisschen Mitmach-Theater.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Stenz

Inszenierung
Carlus Padrissa
(La Fura dels Baus)

Bühne
Roland Olbeter

Kostüme
Chu Uroz

Video
Román Torre (welovecode)
Pelayo Mendéz (welovecode)
Fritz Gnad

Licht
Andreas Grüter

Chor
Andrew Ollivant

Chor
Georg Kehren
Tanja Fasching


Komparserie der Oper Köln

Ein Tanzensemble

Chor und Extrachor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Amfortas
Boaz Daniel

Titurel
Young Doo Park

Gurnemanz
Matti Salminen

Parsifal
Marco Jentzsch

Klingsor
* Boaz Daniel /
Samuel Youn

Kundry
Dalia Schaechter /
* Silvia Hablowetz

1. Gralsritter
Martin Koch

2. Gralsritter
Lucas Singer

1. Knappe
Aoife Miskelly

2. Knappe
Marta Wryk

3. Knappe
Jeongki Cho

4. Knappe
Juraj Hollý

I/1. Blumenmädchen
Gloria Rehm

I/2. Blumenmädchen
Erika Simons

I/3. Blumenmädchen
Marta Wryk

II/1. Blumenmädchen
Claudia Rohrbach

II/2. Blumenmädchen
Aoife Miskelly

II/3. Blumenmädchen
Adriana Bastidas Gamboa

Stimme aus der Höhe
Adriana Bastidas Gamboa



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
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(Homepage)



Da capo al Fine

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