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Die Vestalin

Tragédie lyrique in drei Akten
Libretto von Victor-Joseph Étienne de Jouy
Musik von
Gaspare Spontini

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (zwei Pausen)

Premiere im Badischen Staatstheater am 26. Januar 2013

 
 
 
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Kann denn Liebe Sünde sein?

Von Thomas Molke / Fotos von Jürgen Frahm

Nachdem in der letzten Spielzeit im Rahmen der Programmlinie "Französische Oper" das Badische Staatstheater Karlsruhe mit Berlioz' Les Troyens der neuen Intendanz einen fulminanten Einstand beschert hat (siehe auch unsere Rezension), geht es in dieser Spielzeit mit einem Komponisten weiter, der zwar heutzutage kaum noch auf den Spielplänen der Opernhäuser steht, zu Beginn des 19. Jahrhunderts jedoch das entscheidende Bindeglied zwischen Glucks Reformopern des 18. Jahrhunderts und der Grand Opéra eines Berlioz oder Meyerbeer darstellte. Die Rede ist von Gaspare Spontini, der 1803 nach Paris kam und mit seiner 1807 uraufgeführten Oper La vestale einen so großen Triumph feiern konnte, dass das Stück allein in Paris bis 1830 in 200 Aufführungen zu erleben war und an der Berliner Hofoper für Spontini der Posten des Generalmusikdirektors neu geschaffen wurde, den er 20 Jahre lang äußerst erfolgreich - wenn auch sehr eigenwillig und nicht immer im Einklang mit der Intendanz - ausübte. Von Komponisten wie Berlioz und Wagner wurde Spontini hoch verehrt, was vielleicht ein weiterer Grund sein mag, dass diese Tragédie lyrique, die man vielleicht hauptsächlich in einer Aufnahme mit Maria Callas aus den 50er Jahren kennt, nun im Badischen Staatstheater zu erleben ist.

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Licinius (Andrea Shin, links) vertraut seinem Freund Cinna (Steven Ebel, rechts) an, dass seine geliebte Julia nun Vesta-Priesterin ist.

Die Oper spielt in der römischen Antike im Jahr 269 v. Chr. Der römische General Licinius kehrt aus einer siegreichen Schlacht gegen die Gallier nach Rom zurück und muss mit Schrecken erfahren, dass seine geliebte Julia ihrem Vater am Sterbebett schwören musste, Vestalin zu werden und damit ein Keuschheitsgelübde abzulegen. Julia ist hin- und hergerissen zwischen ihrer heiligen Pflicht als Priesterin und ihrer Liebe zu Licinius. Um sie auf die Probe zu stellen, fordert die Großvestalin von ihr, Licinius den goldenen Lorbeerkranz zu überreichen und anschließend das heilige Feuer der Vesta allein zu bewachen. Licinius sucht sie heimlich im Tempel auf und versucht, sie zu überreden, mit ihm zu fliehen, als das heilige Feuer erlischt. Der Pontifex Maximus verstößt Julia aus der Gemeinschaft der Vestalinnen und verurteilt sie zum Tod. Licinius will seine Geliebte gemeinsam mit seinem treuen Freund Cinna vor der Todesstrafe bewahren, doch Julia weigert sich, ihm zu folgen. Da entzündet sich an Julias Schleier das heilige Feuer neu, was als einlenkendes Zeichen der Göttin gedeutet wird. Einer gemeinsamen Zukunft für Julia und Licinius steht folglich nichts mehr im Wege.

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Die Großvestalin (Katharine Tier, Mitte) bereitet die Feierlichkeit vor, bei der Julia (Barbara Dobrzanska, links vorne) Licinius den Lorbeerkranz überreichen soll (im Hintergrund: Chor).

Das Regie-Team um Aron Stiehl betont in seiner Inszenierung die im Stück formulierte Forderung nach Trennung von Staat und Kirche relativ zeitlos. Das drückt sich einerseits in den Kostümen von Franziska Luise Jakobsen aus, die das römische Volk mehr oder weniger in Alltagskleidung auf die Bühne stellt und auch bei den römischen Soldaten auf jedwede historisierende Anspielung verzichtet. Die Kleider der Vestalinnen sind einheitlich in leuchtendem Gelb gehalten, die je nach Lichteinstellung (Stefan Woinke) in feurigem Orange erstrahlen. Die Großvestalin hebt sich dabei durch einen hohen Kragen und einen weiteren Umhang von den untergebenen Priesterinnen ab. Der Pontifex Maximus nimmt als Oberhaupt des religiösen Kultes den Farbton der Gewänder in einer Art Stola wieder auf. Andererseits erzeugt das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann mit seinen hohen regelrecht abgeschlossenen Wänden ein nahezu klautrophobisches Gefühl. Die hohen kahlen Wände zeigen, dass Julia in einer gefühlslosen kalten Welt gefangen ist. Erst während der großen Liebesszene im zweiten Akt öffnen sich die nach hinten spitz zulaufenden Wände und geben den Blick auf einen regelrecht romantischen Sternenhimmel frei. Auf einem drehbaren Ring werden Bühnenelemente hereingefahren, die einen Szenenwechsel in das "Büro" des Pontifex Maximus oder auf den Platz ermöglichen, auf dem Licinius im Rahmen des Triumphmarsches der goldene Lorbeerkranz überreicht werden soll. Ob man dabei den an der Wand angebrachten Lorbeerkranz mit großen Maschinengewehr und einem leuchtenden V schmücken muss, ist Geschmackssache.

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Julia (Barbara Dobrzanska) und Licinius (Andrea Shin) beim Liebesduett im Vesta-Tempel

Geschmackssache ist auch Aron Stiehls Regie-Ansatz. Während Stiehl in weiten Teilen dem Libretto eng folgt, gelingt ihm eigentlich nur beim Chor eine überzeugende Personenregie. Da flackern bei den Vestalinnen durchaus unterschiedliche Emotionen auf, wenn Julia zum Tod verurteilt wird. Der Chor als Masse wird recht bühnenwirksam eingesetzt und die Statik in den Chortableaus ist schon allein durch die Enge des Bühnenraums bedingt. Wieso Stiehl jedoch das große Liebesduett zwischen Julia und Licinius im zweiten Akt von den beiden auf unterschiedlichen Seiten der Bühne relativ statisch singen lässt und jedwedes Zusammenspiel unterbindet ist nicht nachvollziehbar. Auch weitere Regieeinfälle scheinen das Publikum eher zu verärgern. So wirkt es völlig unmotiviert, der strenge Keuschheit einfordernden Großvestalin ein Verhältnis mit dem Pontifex Maximus zu unterstellen und die beiden kiffend und Champagner schlürfend das Gelübde brechen zu lassen. Die Doppelmoral wäre auch ohne diese plakative und platte Anspielung verständlich gewesen. Auch die im Vesta-Tempel angebrachten Überwachungskameras machen nicht wirklich Sinn. Zwar droht die Großvestalin Julia an, dass der Tempel Augen habe. Wenn die Bilder aber wirklich ins Büro des Pontifex Maximus gesendet würden, wäre Licinius sofort als Übeltäter entlarvt worden.

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Der Pontifex Maximus (Konstantin Gorny, Mitte) fordert die Todesstrafe für Julia (Barbara Dobrzanska, vorne rechts) (im Hintergrund: Chor).

Völlig unverständlich bleibt der Schluss. Stiehl glaubt nicht an das Wunder, dass durch einen Blitzschlag der Schleier in der Schale Feuer fängt und damit die Flamme entfacht, und lässt stattdessen den Pontifex Maximus, während alle vom Unwetter abgelenkt sind, mit einem Streichholz das Feuer wieder anzünden. Das wäre noch verständlich gewesen, wenn er damit der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem Volk und den Anhängern Cinnas Einhalt hätte gebieten wollen, indem er ein Wunder des Himmels vortäuscht. Warum er dann aber im allgemeinen Jubel des Volkes und zu den Lobpreisungen der Liebesgöttin Venus anordnet, dass Soldaten mit Maschinengewehren das in Freiheit entlassene Paar und seine Anhänger hinrichtet, steht im absoluten Widerspruch zur Musik und zum gesungenen Text. Zwar verlischt das Licht, bevor der erste Schuss fällt, aber der zunächst verhaltene Applaus nach diesem Ende macht deutlich, dass ein Großteil des Publikums sich mit dieser Deutung nicht anfreunden kann.

Dass es anschließend doch noch frenetischen Beifall gibt, ist der musikalischen Umsetzung des Abends zu verdanken, die kaum Wünsche offenlässt. Da sind zunächst einmal der Badische Staatsopernchor und der Extrachor zu nennen, die unter der Leitung von Ulrich Wagner Enormes leisten. Wie präzise und stimmgewaltig der Chor diese anspruchsvolle und vielschichtige Partie gestaltet, löst beim Publikum große Begeisterung aus. Auch die Badische Staatskapelle lotet unter der Leitung von Johannes Willig die abwechslungsreiche Partitur, in der bereits ein bisschen der frühe Wagner und Berlioz anklingen, einzelne Passagen aber auch noch an Mozart erinnern, sehr differenziert aus, wobei Spontinis Musik vor allem im zweiten und dritten Akt nach der Pause viel mehr faszinieren kann als im ersten Teil. Konstantin Gorny stattet den Pontifex Maximus mit einem stählernen Bass aus und gibt der Figur die Härte, die sie laut Libretto auch besitzt. Katharine Tiers kräftiger Mezzo ist stellenweise etwas schneidend und schrill, was aber durchaus zu der Herzlosigkeit der Großvestalin passt. Darstellerisch überzeugt sie als unerbittliche Leiterin des Vesta-Ordens. Da kann sie einem schon beinahe leid tun, wenn sie sich wie ein albernes Mädchen mit Gorny auf dem Sofa des Pontifex Maximus vergnügen muss. Steven Ebel gefällt als Cinna mit weichem, lyrischem Tenor.

Stars des Abends sind neben dem Chor die beiden Hauptpartien. Andrea Shin gestaltet den Licinius mit beinahe baritonalen Tiefen und klingt in den Höhen sehr klar und in keinem Moment angestrengt. Barbara Dobrzanska hat ihren zahlreichen Rollen in Karlsruhe mit der Vestalin eine weitere große Partie hinzugefügt, mit der sie belegt, warum sie hier zu Recht 2011 zur Kammersängerin ernannt worden ist. Mit leuchtendem Sopran lotet sie die Gefühlswirrungen der Julia absolut glaubhaft aus und überzeugt sowohl in den Höhen als auch in der Mittellage mit einer kräftigen Stimme. So gibt es großen Jubel für die Sänger, den Chor und das Orchester, während sich das Publikum beim Regie-Team in zwei Lager spaltet und heftige Unmutsbekundungen mit lautstarken Bravorufen konkurrieren.

FAZIT

Das Werk ist musikalisch durchaus eine Wiederentdeckung wert, auch wenn die Regie in einigen Punkten nicht zu überzeugen vermag.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Willig

Regie
Aron Stiehl

Bühne
Frank Philipp Schlößmann

Kostüme
Franziska Luise Jakobsen

Licht
Stefan Woinke

Chorleitung
Ulrich Wagner

Dramaturgie
Raphael Rösler


Badischer Staatsopernchor

Extrachor des Badischen
Staatstheaters

Statisterie des Staatstheaters
Karlsruhe

Badische Staatskapelle


Solisten

*Besetzung der Premiere

Julia, eine junge Vestalin
*Barbara Dobrzanska /
Daniela Köhler

Großvestalin
Hatice Zeliha Kökcek /
*Katharine Tier

Licinius, römischer General
Steven Ebel /
*Andrea Shin

Cinna, sein Freund
*Steven Ebel /
Klaus Schneider

Pontifex Maximus
*Konstantin Gorny /
Renatus Meszar

Oberster Haruspex
Alexander Huck /
*Florian Kontschak

Ein Konsul
*Wolfram Krohn /
Andreas Netzner

 


Weitere
Informationen

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Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)



Da capo al Fine

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