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Musiktheater
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Fidelio

Oper in zwei Aufzügen
Dichtung von Joseph Ferdinand von Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke
frei nach dem französischen Libretto von Jean Nicolas Bouilly
Musik von Ludwig van Beethoven

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Kassel am 22. September 2012



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Gattenliebe in Guantanamo

Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

Mit seiner Rettungs- und Befreiungsoper Fidelio singt Beethoven das Hohelied der Humanität im Allgemeinen und der Gattenliebe im Besonderen und gibt mit Letztgenanntem die  Grundidee für Wagners aufopfernde erlösende Frauengestalten vor. Das jubelnde Finale eignet sich per se besonders gut dazu, das Publikum des Staatstheaters Kassel mit Begeisterung in die neue Spielzeit zu führen.

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Rocco (Krzystof Borysiewicz) und Leonore (Kelly Cae Hogan)

Als Regisseur wurde Elmar Gehlen verpflichtet, der zusammen mit Beata Kornatowska auch das Bühnenbild gestaltet hat. Ein Gefängnishof aus Betonwänden bildet den Rahmen. In der Mitte steht die computergesteuerte Überwachungszentrale auf einem Podest. Die Bildschirme zeigen genau das Bild, das der davor sitzende Wärter auch sieht, wenn er geradeaus schaut. Vielleicht dienen die Kameras ja lediglich der Aufzeichnung. Unter dem Podest befindet sich  Florestans Verlies  -  ein Gitterkäfig, wie man ihn von Bildern aus Guantanamo kennt. Der orangefarbene Overall, den Florestan trägt, verweist ebenfalls auf das umstrittene amerikanische Gefängnis. Auch andere Kostüme von Martina Feldmann sprechen eine deutliche, aber doch nicht aufdringliche Sprache. Wann immer ungerechte Mächtige braune Kleidung tragen, werden die Assoziationen in eine bestimmte Richtung gelenkt. So auch hier und damit wird durch Pizarros Anzug eine Kette von Gedanken und Bildern ausgelöst, die auch Parallelen zum Dritten Reich ziehen, ohne sich allein darauf zu beschränken. Gehlen inszeniert überwiegend brav am Text entlang, nur gelegentlich scheint er sich bemüßigt zu fühlen, kleine Besonderheiten einzufügen, deren Notwendig- und Sinnfälligkeit sich nicht immer erschließt. Die verbindenden Rezitative streicht er auf bloße Stichworte zusammen und nimmt gelegentlich auch kleine Umdeutungen vor (z.B. lässt Fidelio die Gefangenen eigenmächtig in den Hof, ohne dies vorher mit Rocco abzusprechen).

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Fidelio (Kelly Cae Hogan), Rocco (Krzystof Borysiewicz), Jaquino (Musa Nkuna) und Marzelline (Nina Bernsteiner)

Die kleinbürgerliche Gemütlichkeit, nach der sich Marzelline nicht nur singend sehnt, steht hier mit Blümchen, Deckchen und Tässchen auf einem Tischchen, das des Kerkermeisters Töchterchen mitten in der Schaltzentrale für drei deckt. Für Jaquino gibt es weder einen Stuhl noch ein Törtchen und auch beim Verteilen des von Fidelio beim Einkauf eingesparten Geldes bleibt er unberücksichtigt. Ein Verlierer, dem sich am Schluss doch noch die von ihm geliebte Marzelline zuwendet und der nicht zu stolz ist, sie nach all den Zurückweisungen auch noch – immerhin ja nur als ihre zweite Wahl – zu  heiraten, ein Aspekt, der hier sehr gut herausgearbeitet ist. Zum Quartett erscheinen bereits Gefangene zum Hofgang bei dem eine Messerstecherei entsteht. Das erscheint wenig logisch, wenn kurze Zeit später alle Gefangenen einhellig und harmonisch vom lang ersehnten Atmen in freier Luft singen, weil sie als ungewöhnliche Ausnahme von Fidelio in den Hof gelassen werden. Es handelt sich hier um politische Gefangene, nicht um Verbrecher. So erscheint die Darstellung von rivalisierenden Gefängnisgangs und entsprechenden Brutalitäten weder inhaltlich noch in irgendeiner Art musikalisch angebracht. Pizarro wird bei seinem ersten Auftritt nicht per Brief, sondern durch einen Handy-Anruf über den Besuch des Ministers informiert. Das ist einerseits eine Notwendigkeit in einer modernisierenden Inszenierung, verdeutlicht hier aber auch die gebotene Eile Pizarros, Florestan zu töten.

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Leonore (Kelly Cae Hogan) und Florestan (Johannes An)

Florestans Käfigverlies wird aus dem Bühnenboden hochgefahren, während Rocco und Fidelio zu ihm herabsteigen. Das Wasser, das Fidelio Florestan reicht, und das dieser mit Himmelssegen besingt,  steht schon die ganze Zeit vorher in seinem Käfig, so dass er es sich auch selbst hätte nehmen können. Fidelio reißt sich die Perücke vom Kopf, greift sich Roccos Pistole und steht als Leonore Lauf gegen Lauf Pizarro gegenüber. Die den Ministerbesuch ankündigende Trompete schafft Verwirrung, unter der Florestan und Leonore den Kerker verlassen können. Die Rückwand des Gefängnishofes bildet immer mal wieder die Projektionsfläche für die im heutigen  Musiktheater auch mit noch so großer Inbrunst nicht mehr wegzudenkenden Video- und Bildprojektionen. Zu Pizarros Auftritt wird kurzzeitig aus der Betonwand eine alte Steinmauer mit archetypisch vergitterten Gefängnisfenstern und historischem Gittertor. Während des Gefangenenchores wird sehr plakativ blauer Himmel mit Schönwetterwolken projiziert. Zum Finale sieht man durch die erneut projizierten Gitterfenster blauen Himmel, bevor sich das Gebäude in einen mit Reichsadlern verzierten faschistischen Prachtbau verwandelt, der dann effektvoll zusammenbricht und den Blick auf miteinander kämpfende helle und dunkle Rauchwolken freigibt.

Als Schlussbild sieht man in den erneut hochgefahrenen Käfigen die Kerkerszene, in der sich Leonore und Pizarro mit gezückten Pistolen gegenüberstehen. Pizarro schießt sich in den Mund. Das hätte man auch einfacher haben können, zumal Pizarro während des gesamten Finales schier unbeteiligt ins Leere schauend auf der Bühne steht. Da wäre eine Selbstrichtung coram publico ein sehr viel eindringlicherer Abschluss.

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Pizarro (Espen Fegran)

Kelly Cae Hogan verfügt über einen substanzreichen Sopran, der vor allem in der Höhe klangschön aufblühen kann. Ihre Leonore ist eine sehr bedachte Frau, die ihre Emotionalität  gut kontrollieren kann. Johannes An ist stimmlich noch kein ganz souveräner Florestan, scheint aber auf einem guten Weg zu sein. Er singt hochkonzentriert und lässt immer wieder eindrucksvoll strahlende Töne hören. Wirklich großartig gelingt das „Namenlose Freude“ - Duett, in dem die Stimmen wunderbar harmonieren. Nina Bernsteiner singt sehr schön eine brave Marzelline, Musa Nkuna lässt mit seinem agilen, nicht zu hellen und angenehm timbrierten Spieltenor als Jacqino aufhorchen. Krzysztof Borysiewicz ist ein eher behäbig wirkender Rocco, dessen Tiefe gern etwas satter klingen könnte. Als Minister verbreitet Marc-Olivier Oetterli darstellerisch mehr weltmännische Souveränität als mit Stimmvolumen. Ob die Tatsache, dass er auch den 2. Gefangenen singt, ein Regieeinfall sein soll, wird nicht klar. Espen Fegran hat stimmlich und darstellerisch das Zeug zu einem überzeugenden Pizarro. „Ha, welch ein Augenblick“ singt er nicht als wütende Rachearie, sondern ausgefeilt perfide diabolisch mit zuweilen sadistisch gedämpften Tönen. Gelegentliche Unsicherheiten sind hier sicher nicht dem Sänger anzukreiden.

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Auf dem Podium: Florestan (Johannes An), Leonore (Kelly Cae Hogan), Fernando (Marc-Olivier Oetterlie) und Rocco (Krzystof Borysiewicz), rechts daneben: Pizarro (Espen Fegran), links daneben: Jaquino (hier: Statist), Marzelline (Nina Bernsteiner)

Mit dem jungen Dirigenten Yoel Gamzou gehen die Pferde durch. Mit hingebungsvoller Leidenschaft stürzt er sich wild wirbelnd und laut schnaufend in die Musik und scheint alles anders machen zu wollen, als die Hörgewohnheit es erwarten lässt. Romantisch angehauchte Manierismen, aberwitzige Tempokontraste, ausgedehnte Fermaten und eine schier unerschöpfliche ritenuto-Verliebtheit durchziehen sein Dirigat, das dennoch keinen musikalischen Fluss erzeugt  sondern eine angestrengte Anspannung im Orchester und auf der Bühne, unter der es auch immer wieder gewaltig holpert und wackelt. Die Wendung von der harmlosen Spieloper zum ernsthaften Drama wird musikalisch nicht herausgearbeitet,  vielmehr gelingt es dem Dirigenten, Beethovens Musik auf billige Weise Effekt heischend klingen zu lassen. Ein bisschen mehr Bescheidenheit und viel mehr Präzision wären in der weiteren Entwicklung wünschenswert. Im zweiten Akt gelingen ihm durchaus eindruckvolle Passagen, die beweisen, dass er auch anders kann, wenn er will.

FAZIT

Ein szenisch braver Saisonstart mit soliden sängerischen Leistungen unter einem manierierten Dirigat.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Yoel Gamzou

Inszenierung
Elmar Gehlen

Bühnenbild
Elmar Gehlen
Beata Kornatowska

Kostüme
Martina Feldmann

Licht
Brigitta Hüttmann

Video
Oskar Bosman

Chor
Marco Zeiser Celesti

Dramaturgie
Ursula Benzing

 

 

Staatsorchester Kassel

Opern- und Extrachor des
Staatstheaters Kassel

Statisterie des
Staatstheaters Kassel



Solisten

Don Fernando
Marc-Olivier Oetterli

Don Pizarro
Espen Fegran

Florestan
Johannes An

Leonore
Kelly Cae Hogan

Rocco
Krzysztof Borysiewicz

Marzelline
Nina Bernsteiner

Jaquino
Musa Nkuna

Erster Gefangener
Seong Ho Kim

Zweiter Gefangener
Marc-Olivier Oetterli

 


Weitere
Informationen

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Staatstheater Kassel
(Homepage)



Da capo al Fine

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