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Gattenliebe in
Guantanamo
Von Bernd Stopka /
Fotos von N. Klinger
Mit seiner
Rettungs- und
Befreiungsoper Fidelio singt
Beethoven das Hohelied der Humanität im Allgemeinen und der
Gattenliebe im
Besonderen und gibt mit Letztgenanntem die Grundidee
für Wagners aufopfernde erlösende
Frauengestalten vor. Das
jubelnde Finale eignet sich per se besonders gut dazu, das Publikum des
Staatstheaters Kassel mit Begeisterung in die neue Spielzeit zu
führen.
Rocco (Krzystof Borysiewicz) und
Leonore (Kelly Cae Hogan)
Als Regisseur
wurde Elmar Gehlen
verpflichtet, der zusammen mit Beata Kornatowska auch das
Bühnenbild gestaltet
hat. Ein Gefängnishof aus Betonwänden bildet den Rahmen. In
der Mitte steht die
computergesteuerte Überwachungszentrale auf einem Podest. Die
Bildschirme zeigen
genau das Bild, das der davor sitzende Wärter auch sieht, wenn er
geradeaus
schaut. Vielleicht dienen die Kameras ja
lediglich der Aufzeichnung. Unter dem
Podest befindet sich Florestans Verlies - ein
Gitterkäfig,
wie
man ihn von Bildern aus Guantanamo kennt. Der orangefarbene Overall,
den Florestan trägt, verweist ebenfalls auf das umstrittene
amerikanische
Gefängnis. Auch andere Kostüme von Martina Feldmann sprechen
eine deutliche,
aber doch nicht aufdringliche Sprache. Wann immer ungerechte
Mächtige braune Kleidung
tragen, werden die Assoziationen in eine bestimmte Richtung gelenkt. So
auch
hier und damit wird durch Pizarros Anzug eine Kette von Gedanken und
Bildern
ausgelöst, die auch Parallelen zum Dritten Reich ziehen, ohne sich
allein
darauf zu beschränken.
Gehlen inszeniert überwiegend brav am Text entlang, nur
gelegentlich scheint er sich bemüßigt zu fühlen, kleine
Besonderheiten einzufügen,
deren Notwendig- und Sinnfälligkeit sich nicht immer
erschließt. Die
verbindenden Rezitative streicht er auf bloße Stichworte zusammen
und nimmt gelegentlich
auch kleine Umdeutungen vor (z.B. lässt Fidelio die Gefangenen
eigenmächtig in
den Hof, ohne dies vorher mit Rocco abzusprechen).
Fidelio (Kelly Cae Hogan),
Rocco (Krzystof Borysiewicz),
Jaquino (Musa Nkuna) und
Marzelline (Nina Bernsteiner)
Die kleinbürgerliche
Gemütlichkeit, nach der sich Marzelline nicht nur singend sehnt,
steht hier mit
Blümchen, Deckchen und Tässchen auf einem Tischchen, das des
Kerkermeisters
Töchterchen mitten in der Schaltzentrale für drei deckt.
Für Jaquino gibt es
weder einen Stuhl noch ein Törtchen und auch beim Verteilen des
von Fidelio
beim Einkauf eingesparten Geldes bleibt er unberücksichtigt. Ein
Verlierer, dem
sich am Schluss doch noch die von ihm geliebte Marzelline zuwendet und
der
nicht zu stolz ist, sie nach all den Zurückweisungen auch noch –
immerhin ja nur als
ihre zweite Wahl – zu heiraten, ein Aspekt, der hier sehr gut herausgearbeitet ist.
Zum Quartett erscheinen bereits
Gefangene zum Hofgang bei dem eine Messerstecherei entsteht. Das
erscheint
wenig logisch, wenn kurze Zeit später alle Gefangenen einhellig
und harmonisch
vom lang ersehnten Atmen in freier Luft singen, weil sie als
ungewöhnliche
Ausnahme von Fidelio in den Hof gelassen werden. Es handelt sich hier
um politische
Gefangene, nicht um Verbrecher. So erscheint die Darstellung von
rivalisierenden Gefängnisgangs und entsprechenden
Brutalitäten weder inhaltlich
noch in irgendeiner Art musikalisch angebracht.
Pizarro wird bei seinem ersten
Auftritt nicht per Brief, sondern durch einen Handy-Anruf über den
Besuch des
Ministers informiert. Das ist einerseits eine Notwendigkeit in einer
modernisierenden Inszenierung, verdeutlicht hier aber auch die gebotene
Eile
Pizarros, Florestan zu töten.
Leonore (Kelly Cae Hogan)
und Florestan (Johannes An)
Florestans Käfigverlies wird aus
dem Bühnenboden hochgefahren, während Rocco und Fidelio zu ihm
herabsteigen. Das
Wasser, das Fidelio Florestan reicht, und das dieser mit Himmelssegen
besingt, steht schon die ganze Zeit
vorher in seinem Käfig, so dass er es sich auch selbst hätte
nehmen können.
Fidelio reißt sich die Perücke vom Kopf, greift sich Roccos
Pistole und steht
als Leonore Lauf gegen Lauf Pizarro gegenüber. Die den
Ministerbesuch
ankündigende Trompete schafft Verwirrung, unter der Florestan und
Leonore den
Kerker verlassen können. Die
Rückwand des Gefängnishofes
bildet immer mal wieder die Projektionsfläche für die im
heutigen Musiktheater auch mit noch so
großer Inbrunst
nicht mehr wegzudenkenden Video- und Bildprojektionen. Zu Pizarros Auftritt wird
kurzzeitig aus der Betonwand eine alte Steinmauer mit archetypisch vergitterten
Gefängnisfenstern und historischem Gittertor. Während des Gefangenenchores wird
sehr plakativ blauer Himmel mit Schönwetterwolken projiziert. Zum Finale sieht
man durch die erneut projizierten Gitterfenster blauen Himmel, bevor sich das
Gebäude in einen mit Reichsadlern verzierten faschistischen Prachtbau
verwandelt, der dann effektvoll zusammenbricht und den Blick auf miteinander
kämpfende helle und dunkle Rauchwolken freigibt.
Als Schlussbild sieht man in den erneut
hochgefahrenen Käfigen die Kerkerszene, in der sich Leonore und
Pizarro mit
gezückten Pistolen gegenüberstehen. Pizarro schießt
sich in den Mund. Das hätte
man auch einfacher haben können, zumal Pizarro während des
gesamten Finales schier
unbeteiligt ins Leere schauend auf der Bühne
steht. Da wäre eine
Selbstrichtung coram publico ein sehr viel eindringlicherer Abschluss.
Pizarro (Espen Fegran)
Kelly Cae Hogan verfügt über
einen substanzreichen Sopran, der vor allem in der Höhe
klangschön aufblühen
kann. Ihre Leonore ist eine sehr bedachte Frau, die ihre
Emotionalität gut kontrollieren kann.
Johannes An ist stimmlich
noch kein ganz souveräner Florestan, scheint aber auf einem guten
Weg zu sein.
Er singt hochkonzentriert und lässt immer wieder eindrucksvoll
strahlende Töne
hören. Wirklich großartig gelingt das „Namenlose
Freude“ - Duett, in dem die Stimmen
wunderbar harmonieren.
Nina Bernsteiner singt sehr schön
eine brave Marzelline, Musa Nkuna lässt mit seinem agilen, nicht
zu hellen und
angenehm timbrierten Spieltenor als Jacqino aufhorchen. Krzysztof
Borysiewicz
ist ein eher behäbig wirkender Rocco, dessen Tiefe gern etwas
satter klingen
könnte. Als Minister verbreitet Marc-Olivier Oetterli
darstellerisch mehr
weltmännische Souveränität als mit Stimmvolumen. Ob die Tatsache,
dass er
auch den 2. Gefangenen
singt, ein Regieeinfall sein soll, wird nicht klar.
Espen Fegran hat stimmlich und
darstellerisch das Zeug zu einem überzeugenden Pizarro. „Ha, welch
ein Augenblick“
singt er nicht als wütende Rachearie, sondern ausgefeilt perfide
diabolisch mit
zuweilen sadistisch gedämpften Tönen. Gelegentliche
Unsicherheiten sind hier
sicher nicht dem Sänger anzukreiden.
Auf dem
Podium: Florestan (Johannes An), Leonore (Kelly Cae Hogan),
Fernando (Marc-Olivier Oetterlie) und
Rocco (Krzystof Borysiewicz),
rechts daneben: Pizarro (Espen Fegran),
links daneben: Jaquino (hier: Statist), Marzelline (Nina Bernsteiner)
Mit dem jungen
Dirigenten Yoel Gamzou gehen die Pferde
durch. Mit hingebungsvoller Leidenschaft stürzt er sich wild wirbelnd und
laut schnaufend in die
Musik und scheint alles anders machen zu wollen, als die
Hörgewohnheit
es erwarten lässt. Romantisch angehauchte Manierismen, aberwitzige
Tempokontraste, ausgedehnte Fermaten und eine schier
unerschöpfliche ritenuto-Verliebtheit
durchziehen sein Dirigat, das dennoch keinen musikalischen Fluss erzeugt
sondern
eine angestrengte Anspannung im Orchester und auf der Bühne, unter
der es auch
immer wieder gewaltig holpert und wackelt. Die Wendung von der
harmlosen
Spieloper zum ernsthaften Drama wird musikalisch nicht
herausgearbeitet, vielmehr gelingt es dem
Dirigenten, Beethovens
Musik auf billige Weise Effekt heischend klingen zu lassen. Ein bisschen mehr
Bescheidenheit und viel mehr Präzision wären in der weiteren
Entwicklung
wünschenswert. Im zweiten Akt gelingen ihm durchaus eindruckvolle
Passagen, die
beweisen, dass er auch anders kann, wenn er will. Ein szenisch braver Saisonstart mit soliden sängerischen Leistungen unter einem manierierten Dirigat. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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