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Guillaume Tell

Oper (drame mis en musique) in drei Akten
Libretto von Jean-Michel Sedaine nach Antoine-Marie Lemierre
Musik von André-Modeste Grétry

In französischer Sprache mit französischen, niederländischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (eine Pause)

Premiere  im Théâtre Royal de Liège am 7. Juni 2013
(rezensierte Aufführung: 09.06.2013)



Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)
Schweizer Nationalheld mit Spaßfaktor

Von Thomas Molke / Fotos von Jacques Croisier


2013 ist nicht nur ein Jubiläumsjahr für Richard Wagner, Giuseppe Verdi und Benjamin Britten. Während diese drei großen Komponisten vor 200 bzw. 100 Jahren das Licht der Welt erblickten, starb ein anderer am 24. September 1813 nach einem kompositionsreichen Leben in seinem Landhaus in der Nähe von Paris. Die Rede ist von André-Modeste Grétry, der für Liège eine besondere Bedeutung hat, da er nicht nur 1741 dort geboren wurde, sondern auch nach seinem Tod mit einer großen Statue geehrte wurde, die immer noch auf dem Platz vor dem Théâtre Royal zu bewundern ist. Bevor er im Oktober hier in einer konzertanten Aufführung seiner Oper La caravane du Caire (20.10.2013) und einer wallonischen Gala mit dem Titel Grétry (06.10.2013) geehrt wird, die die belgische Komponistin Berthe di Vito-Delvaux 1975-1976 auf ein Libretto im Dialekt der Stadt kreiert hat, hat der Intendant Stefano Mazzonis di Pralafera ein Werk des belgischen Komponisten ausgegraben, das man in der Musikwelt eher in der Fassung von Gioacchino Rossini kennt und welches ungefähr 14 Jahre vor Schillers berühmtem Drama entstand: Guillaume Tell.

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Guillaume Tell (Marc Laho) mit seiner Frau (Anne-Catherine Gillet) und seinem Sohn (Natacha Kowalski)

Bleibt auch der Kern der Geschichte um den Freiheitskämpfer Tell, der mit dem legendären Apfelschuss die Befreiung der Schweiz von der Habsburger Monarchie einleitet, gleich, unterscheidet sich die Personenkonstellation doch stark von Schiller und Rossini. So liebt beispielsweise Melktals Sohn, der bei Grétry keinen Namen hat, nicht wie bei Rossini eine Habsburger Prinzessin namens Mathilde - bei Schiller sind dies Ulrich von Rudenz und das Ritterfräulein Berta von Bruneck -, sondern Tells Tochter Marie. Direkt zu Beginn der Oper wird deren Hochzeit vorbereitet, wobei die Feierlichkeiten durch die schreckliche Nachricht unterbrochen werden, dass Gessler den alten Melktal hat blenden lassen - bei Rossini wird er sogar von Gesslers Soldaten erschlagen. Auch die Frauen des Dorfes übernehmen bei Grétry eine wesentlich aktivere Rolle. Während die Männer nach Tells Verhaftung niedergeschlagen und bereit sind, sich der Gewaltherrschaft Gesslers zu beugen, sind es die Frauen, die unter der Androhung, sich Gessler und seinen Soldaten zu opfern, die Männer dazu bewegen können, erneut zu den Waffen zu greifen und sich gegen die Diktatur der Habsburger aufzulehnen. Nach Tells Befreiung stimmt der alte Melktal das Rolandslied an, zu dem sich alle Kantone gegen Gessler und seine Truppen vereinigen. Nach Gesslers Ermordung hindert Tell seine Verbündeten daran, die Feinde zu töten, und gibt den Truppen die Möglichkeit, das schweizerische Territorium für immer zu verlassen. Damit ist die Stunde der Befreiung gekommen.

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Marie (Liesbeth Devos, Mitte rechts) will Melktals Sohn (Stefan Cifolelli, Mitte links) heiraten (im Hintergrund: Guillaume Tell (Marc Laho) mit seiner Frau (Anne-Catherine Gillet) und Mitglieder des Chors).

Stefano Mazzonis di Pralafera unternimmt in seiner Inszenierung keinen Versuch, das Stück zwanghaft zu modernisieren, sondern kreiert mit seinem Bühnenbildner Jean-Guy Lecat eine Ausstattung, die sich an die Möglichkeiten zur Entstehung der Oper anlehnt. So besteht das Bühnenbild aus flachen bemalten Elementen, die von rechts und links in mehreren Ebenen auf die Bühne gezogen werden können und im ersten Akt eine pittoreske Alpenlandschaft mit Kühen, im zweiten Akt einen Dorfplatz, auf dem Gessler die unheilvolle Lanze mit dem Hut hat aufstellen lassen, und im dritten Akt Gesslers Burg im Hintergrund zeigen, um die die entscheidende Schlacht entbrennt. In den Dialogen lässt Mazzonis di Pralafera eine sehr übertriebene Diktion anschlagen, um den Proklamationsstil der damaligen Zeit zu imitieren und damit aber auch die Ernsthaftigkeit des Stückes zu brechen. So wirkt es zunächst etwas irritierend, mit der Zeit aber recht komisch, wenn die Figuren beispielsweise das Wort "Melktal" bedeutungsschwanger über ihre Lippen kommen lassen, ohne dass man irgendeinen Grund dahinter erkennen kann. Schön anzusehen sind nicht nur das farbenfrohe Bühnenbild und die liebevoll gestalteten Kostüme von Fernand Ruiz, sondern auch ein echtes Pferd, auf dem Gessler auf die Bühne reitet.

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Der böse Gessler (Lionel Lhote)

Ein szenischer Höhepunkt der Vorstellung ist der Apfelschuss. Wenn Tells Sohn mit dem Apfel auf dem Kopf an der aufgestellten Lanze steht und Tell zum Schuss ausholt, fällt der Vorhang, und die Pause beginnt. Nach der Pause setzt die Inszenierung genau an dieser Stelle wieder an. Doch mittlerweile ist der Pfeil an einem unsichtbaren Faden aufgezogen. Im Zeitlupentempo schießt Tell den Pfeil ab, der sich dann langsam seinen Weg zum Apfel bahnt und diesen genau in der Mitte teilt. Die Begeisterung auf der Bühne über Tells "Erfolg" wird vom Publikum mit spontanem Szenenapplaus aufgegriffen. Auch den erbitterten Kampf zwischen den Schweizern und Gesslers Truppen setzt Mazzonis di Pralafera mit einem Augenzwinkern in Szene. So sieht man im Hintergrund jeweils zwei Marionetten gegeneinander kämpfen, während im vorderen Teil der Bühne Techniker Pappsoldaten hereinrollen, die mit abgehackten Bewegungen versuchen, die Schweizer in Schach zu halten. Nur der Kampf zwischen Tell und Gessler, bei dem letzterer von Tells Pfeil tödlich getroffen wird,  wird von den Solisten ausgetragen. Am Ende lässt Mazzonis di Pralafera die siegreichen Schweizer in überschwänglicher Freude diverse Fahnen schwenken, auf denen die Wappen der unterschiedlichen Kantone zu erkennen sind.

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Der Apfelschuss (in der Mitte: Tells Sohn (Natacha Kowalski), rechts: Guillaume Tell (Marc Laho), Mitte links: Gessler (Lionel Lhote) im Hintergrund: Chor und Statisterie)

Auch wenn die Musik sich stark von Rossini unterscheidet, glaubt der musikalische Leiter Claudio Scimone, dass Rossini dieses Werk gekannt habe und zumindest teilweise in seiner Komposition davon beeinflusst worden sei. So habe es ein Jahr vor der Uraufführung von Rossinis Guillaume Tell eine Aufführung von Grétrys gleichnamige Oper in der Opéra-Comique gegeben, die Rossini wahrscheinlich während der Vorbereitungen seiner Premiere Le Comte Ory besucht haben dürfte. Des Weiteren lassen sich, so Scimone, parallele Strukturen in den Melodienbögen erkennen, die den pastoralen Charakter der Schweizer Alpenwelt widerspiegeln. In großen Teilen erinnert Grétrys Musik in seiner Leichtigkeit jedoch eher an ein deutsches Singspiel, das nur in wenigen Momenten diesen Stil durchbricht, beispielsweise in der großen Arie der Madame Tell im letzten Akt, wenn sie unter der Vorstellung der Qualen, die ihr Mann in Gefangenschaft ertragen muss, leidet und beschließt, sich ebenfalls im Kampf gegen Gessler zu opfern. Auch die Auftrittsarie Gesslers, in der er sich als grausamer Tyrann offenbart, der keine Gnade walten lassen will, durchbricht diesen leichten Ton.

Das Ensemble besticht durch große Spielfreude in den Dialogen und präsentiert sich im Gesang auf durchgängig hohem Niveau. Marc Laho gibt den Titelhelden mit einem überzeugenden Tenor. Lionel Lhote präsentiert mit dunklem Bass und boshaftem Spiel seinen Widersacher Gessler. Anne-Catherine Gillet lässt als Madame Tell vor allem in ihrer großen Arie im dritten Akt aufhorchen. Liesbeth Devos und Stefan Cifolelli überzeugen als Liebespaar Marie und Melktals Sohn, wobei Cifolleli mit komödiantischem Spiel deutlich macht, dass Melktals Sohn weit davon entfernt ist, ein Held zu sein. Natacha Kowalski bezaubert als Tells Sohn durch jugendlichen Charme und einen warmen Mezzo. Der von Marcel Seminara einstudierte Chor präsentiert sich vor allem in den Massenszenen homogen und spielfreudig. Claudio Scimone führt das Orchester der Opéra Royal de Wallonie mit sicherer Hand durch die leichtfüßig schwebende Partitur, so dass es für alle Beteiligten am Ende lang anhaltenden Applaus gibt, der auch in die Seitenloge weitergeleitet wird, von wo aus Mazzonis di Pralafera in dieser zweiten Aufführung der Vorstellung beiwohnt.

FAZIT

Diese Oper stellt eine nette Abwechslung zu Rossinis Meisterwerk dar. Man gewinnt den Eindruck, dass es bei Grétry noch einiges wiederzuentdecken gibt.
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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Claudio Scimone

Inszenierung
Stefano Mazzonis di Pralafera

Bühne
Jean-Guy Lecat

Kostüme
Fernand Ruiz

Licht
Franco Marri

Chorleitung
Marcel Seminara

 

Chor und Statisterie der
Opéra Royal de Wallonie

Orchester der
Opéra Royal de Wallonie


Solisten

Guillaume Tell
Marc Laho

Madame Tell
Anne-Catherine Gillet

Gessler
Lionel Lhote

Marie
Liesbeth Devos

Melktal père
Patrick Delcour

Melktal fils
Stefan Cifolelli

Le voyageur
Roger Joakim

Le fils de Guillaume Tell
Natacha Kowalski

Surlemann
Bernard Van Hoye

Un officier
Jean-Marc Brouxel


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra Royal
de Wallonie

(Homepage)



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