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Musiktheater
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Capriccio

Eine Konversationsstück für Musik
Libretto von Richard Strauss und Clemens Krauss
Musik von Richard Strauss

In deutscher Sprache mit französischen Übertiteln

Premiere am 7. Mai 2013 an der Opera de Lyon

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (keine Pause)


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Opera de Lyon
(Homepage)
Wenn im Theater die Lichter ausgehen

Von Roberto Becker / Fotos ©Jean-Pierre Maurin


Mitunter ist im Opernbetrieb etwas kokett und überambitioniert von den neuen, alles aufbrechenden, grenzüberschreitenden Formen die Rede, die das Genre, so die Unterstellung, unbedingt brauche, um zu überleben. Auf der Liste den Namen der Regisseure mit einer Vorliebe für solche Projekte, die da genannt werden, steht der 1975 in Budapest geborene David Marton (neben Sebastian Baumgarten oder Michael von zur Mühlen oder Altmeister Frank Castorf) ganz oben.

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Musik oder Wort - was hat Vorrang? Komponist und Dichter im Streit

Mit diesem Drang nach dem Neuen kann man sich auf Wagners berühmten Stoßseufzer „Kinder macht Neues“ genauso berufen, wie auf die Ansprache des Theaterdirektors La Roche in Richard Strauss' letzter Oper Capriccio. In diesem 1942 in München uraufgeführten Spätwerk hat der alte Strauss so ganz nebenbei und exemplarisch „modern“ auch noch dem Selbstreferentiellen der Kunst gefrönt. Gegen Ende beschließen die handelnden Personen nämlich, aus dem, was sie gerade erlebt haben, eine Oper zu machen ...

Der zu Beginn friedlich eingeschlummerte La Roche jedenfalls zieht in seinem Plädoyer für das Theater auf eine so zeitlose Weise vom Leder, dass man sich das auf der Zunge zergehen lassen muss. In Lyon wird dieses alterslose Statement, das Victor Von Halem in tadelloser Diktion vorträgt, gebührend herausgehoben und über die Rampe in den erleuchteten Zuschauerraum geschickt. Was auf sein „Holà, ihr Streiter in Apoll!“ folgt, ist direkt an uns adressiert. Und es kommt da auch an. Erst verteidigt er die (seine) Praxis gegen die Anmaßung theoretischer Urteile. Von Autoren und Komponisten. Und dann nimmt er sich das Gegenwartsschaffen vor. Wobei die Maskierung von Zeit und Ort der Handlung als ein Theater in der Nähe von Paris im Jahre 1775 auch 1942 schon ziemlich durchschaubar gewesen sein dürfte.

Vergrößerung Der Graf und die Gräfin

„Seht hin auf die niedren Possen, an denen unsere Hauptstadt sich ergötzt“ heißt es da und später: „Ihr verachtet dieses Treiben, und doch ihr duldet es! Ihr macht euch schuldig durch euer Schweigen.“ Und dann: „Wo sind die Werke, die zum Herzen des Volkes sprechen…..Schärft euren Witz, gebt dem Theater neue Gesetze, neuen Inhalt!“ Gerade diese Passagen in der Rede des La Roche in der neunten Szene könnten bei David Marton einen Aha-Effekt ausgelöst haben. Bislang hat er nämlich am konsequentesten von allen einschlägigen Kandidaten Opern als Anregungen und Vorlagen für eigene „nach….“ Annäherungen betrachtet. Ob Don Giovanni (2008), Lulu (2009), seine Monteverdi-Projekte in Hamburg oder Berlin. Oder auch sein Rheingold in Dresden vor zwei Jahren.

Bei dieser Vita war man gespannt, als die Oper in Lyon ankündigte, dass David Marton Richard Strauss inszenieren würde. Und dann nicht mal einen seiner Repertoirerenner, sondern ausgerechnet das späte "Konversationsstück" Capriccio! Angekündigt wurde es als Oper „von" und nicht „nach" Richard Strauss. Zugegeben: beim Anblick der – wie immer bei Intendant Serge Dorny – überdurchschnittlich vielen jugendlichen Premierenbesucher und beim einsamen Einschweben einer schlichten Glühbirne vor dem Vorhang, war man noch auf alles Mögliche gefasst. Nur nicht auf das, was dann kam!

Bei dieser Vita war man gespannt, als die Oper in Lyon ankündigte, dass David Marton Richard Strauss inszenieren würde. Und dann nicht mal einen seiner Repertoirerenner, sondern ausgerechnet das späte "Konversationsstück" Capriccio! Angekündigt wurde es als Oper „von“ und nicht „nach“ Richard Strauss. Zugegeben: beim Anblick der – wie immer bei Intendant Serge Dorny – überdurchschnittlich vielen jugendlichen Premierenbesucher und beim einsamen Einschweben einer schlichten Glühbirne vor dem Vorhang, war man noch auf alles Mögliche gefasst. Nur nicht auf das, was dann kam!

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Sie gewinnt schnell das Herz des Grafen: Clairon, der Star aus der Hauptstadt

Es war nämlich ein derartig perfektes Opernregie-Debüt zu erleben, wie es zu den ganz seltenen Überraschungen im Opernalltag gehört! Diese Glühbirne ist kein Vorbote demonstrativer Kargheit, sondern steht eher für das Licht der Erkenntnis, dass Meisterwerke, wie dieses oft verkannte, letzte von Richard Strauss, im Zusammenwirken aller ihrer Bestandteile als Gesamtkunstwerk auf der Bühne eine Faszination zu entfalten vermögen, die die geübten Strauss-Fans ebenso in den Bann zieht wie die jungen Leute, für die das alles ziemlich fremd wirken muss. Zunächst aber hat es offenbar den Regisseur so gepackt, dass er sich ganz und gar auf das Stück, seine Musik, seine geistreichen Statements zum Metier und die subtile Art von Verweigerung gegenüber dem (Un-)Geist der Entstehungszeit, der von den Vorgaben eines Joseph Goebbels beherrscht wurde, eingelassen hat. Ganz gleich, ob das nun auf Überzeugung und höherer Einsicht zurückzuführen ist, oder er es sich (wie zu hören war) abringen musste: das Resultat ist so überzeugend, dass sich unbedingt Intendanten finden sollten, die David Marton überreden, sich neben seinen auf- und anregenden „nach….“-Projekten von Zeit zu Zeit auch auf „von….“-Inszenierungen einzulassen. Wenn einer schon auf dem Wieler-Guth-Loy-Level mit erkennbarer eigener Handschrift einzusteigen vermag, dann sollte er auch weiter machen! Und nicht kneifen wie Frank Castorf nach seinem Otello-Genie-Streich in Basel. Es ist eben nicht nur ein knebelndes Korsett, was Libretto und Partitur vorgeben, es kann auch zum Wegweiser für etwas Bedeutendes, in gewisser Hinsicht auch Neues werden.

Für die Sinnlichkeit und Opulenz sorgen in Lyon schon die Bühne und die Kostüme von Christian Friedländer. Er hat ein kleines, etwas verschlissenes Logentheater mit sechs Reihen und drei Rängen einfach in der Mitte aufgeschnitten und lässt uns von der Seite ins Innere blicken. Man sieht die Gräfin in der Loge, die Musiker im Graben, die Streiter für den Vorrang des Wortes oder der Musik auf der Bühne. Dort bewegen sich Dichter Olivier (markant: Lauri Vasar) und der Komponist Flamand (mit schwelgerischem Schmelz: Lothar Odinius) wie Spiegelbilder synchron und in slow motion. Diesen Trick wiederholt Marton noch ein paar Mal, aber mit einem faszinierenden Instinkt für das richtige Maß. Genau das ist es auch, was den Reiz des Abends zu einem großen Teil ausmacht. Sie spielen sich und uns Theater vor. Das ist erkennbar, desavouiert die Figuren aber nicht. Die im Übrigen alle ihre eigene Geschichte erzählen.

Vergrößerung Rin italienischer Sänger und eine italienische Sängerin zu Gast

Wie die des ehrgeizigen, durchaus attraktiven Haushofmeisters (Christian Oldenburg). Der ist offenbar in die Gräfin verliebt und sieht für sich selbst sogar eine Chance, weil die Gräfin sich nicht zwischen ihren Verehrern entscheiden kann und melancholisch im leeren nächtlichen Theater darüber philosophiert. Es ist hohe Schule, wie Marton hier die Offerte und ihre Zurückweisung zelebriert. Durch das wie nebenbei erfolgte Öffnen der obersten Knöpfe seiner Livree und die wie beiläufig erfolgte Korrektur durch die Gräfin, wahren beide so die Form, dass sie sich danach ohne Probleme noch in die Augen sehen können. Auch das enge Verhältnis der verwitweten Gräfin zu ihrem Bruder (Christoph Pohl) ist in dieser Balance zwischen latenter Grenzüberschreitung und Lebensbewältigung gezeichnet.

Am Interessantesten (und überzeugendsten) aber bewältigt Marton das im Falle von „Capriccio“ heikle Problem der Entstehungszeit. Man kann das komplett ausblenden. Wie Andreas Homoki 2000 in Amsterdam. Oder sich auf eine deutliche Fußnote beschränken. So wie es Robert Carsen 2004 in Paris mit der beiläufig „vergessenen“ schwarzen Uniformmütze gemacht hat, die ein deutscher Besatzungsoffizier im französischen Schloss liegen lässt. David Marton macht das subtiler und zugleich nachhaltiger. Man könnte jenen Mann im Dunkel der Loge anfangs fast übersehen. Mit einem Notizblock bewaffnet, beobachtet er alles und postiert sich schließlich in der Unterbühne und schreibt eifrig mit, was oben gesagt wird. Dass dieser Monsieur Taupe (den Francoise Piolino später als Souffleur enttarnt) hier nicht als Hobby-Stalker am Werke ist, merkt man spätestens dann, wenn in einer Generalpause auf der Bühne ein Paravent aus Versehehen umkippt und man mitbekommt, dass dahinter die Köpfe von Tänzerinnen vermessen werden. Vermutlich, um jüdische Nasen aufzuspüren. Wenn man dann kurz danach die um einen der Diener ergänzte Gruppe dabei beobachtet, wie sie mit übergezogenen Mänteln durch den rot lodernden Glitzervorhang unauffällig von dannen zieht, dann ist dieses Bild ein Musterbeispiel dafür, wie man ohne vordergründige Skandalisierungs-Metaphorik das Grauen ins Gedächtnis rufen und zugleich auf die Gefahr der Wiederholbarkeit verweisen kann.

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Die Gräfin allein in "ihrem" Theater

Dieses Schloss, das wir da auf der Bühne sehen, könnte heute durchaus in Ungarn stehen. Wo man sogar im Parlament die öffentliche Kennzeichnung jüdischer Ungarn fordern kann und alles Fremdländische aus dem Kulturbetrieb aussondert. Dass der Ungar David Marton auf so etwas mit subtilen, aus dem Stück entwickelten künstlerischen Mitteln zu verweisen vermag, ohne der Oper oder der Musik auch nur die geringste Gewalt anzutun, ist schlichtweg eine intellektuelle und ästhetische Meisterleistung, zu der gegenwärtig nicht allzu viele seiner Kollegen in der Lage sind.

Auch musikalisch ist man in Lyon diesmal ohne Einschränkung auf der Höhe. Mit einem differenziert und sinnlich zu Werke gehenden Bernhard Kontarsky am Pult des Opernorchesters. Da werden mit großer Sorgfalt die solistischen Passagen in den Dienst des Diskurs-Parlandos gestellt. Da werden die Selbstzitate und musikalischen Anspielungen mit sinnlichem Witz um- und ausgespielt. Und er lässt das Orchester blühen, wenn sich die Gräfin Emily Magee in typischer Strauss-Manier verströmt. Mehr auf Eloquenz setzt Michaela Selinger als zupackende und den Grafen im Handumdrehen für sich gewinnende Clairon. Die Männerriege glänzt durchweg. Auch mit vorbildlicher Textverständlichkeit und einer Spielfreude, die mit Charme ebenso souverän aufwartet, wie mit einer Prise Ironie.


FAZIT

Aus Lyon ist ein erstaunliches Richard-Strauss-Ereignis zu vermelden: Regisseur David Marton, der sich bislang mit diversen Opernprojekten hervortat, hat sich bei seiner ersten „richtigen“ Opernregie als Meister seines Faches erwiesen. Wer diese Inszenierung in Lyon verpasst, wird in Brüssel noch einmal die Chance bekommen.       


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Bernhard Kontarsky

Inszenierung
David Marton

Ausstattung
Christian Friedländer

Licht
Henning Streck

Dramaturgie
Barbara Engelhardt


Orchestre de l'Opéra de Lyon


Solisten

Die Gräfin
Emily Magee

Der Graf
Christoph Pohl

Flamand
Lothar Odinius

Olivier
Lauri Vasar

La Roche
Victor Von Halem

Clairon
Michaela Selinger

Monsieur Taupe
Francois Piolino

Eine italienische Sängerin
Elena Galitskaya

Ein italienischer Sänger
Dmitry Ivanchey

Der Haushofmeister
Christian Oldenburg

Diener
Yannick Berne
Didier Roussel
Kwang Soun Kim
Paolo Stupenengo
Jean-Francois Gay
Brian Bruce
Hidefumi Narita
Charles Saillofest

Bühnenmusiker
Graham Lilly
Alex Diep
Anne Vaysse
Ayako Oya
Marion Stienne
Francois Robin
Jean-Marc Weibel

Tänzerinnen
Florence Bas
Noëlle Girinon
Chloé Lefer



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opera de Lyon
(Homepage)



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