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Written on Skin

Oper in drei Teilen (Deutsche Erstaufführung)
Text von Martin Crimp nach dem anonymen Razó Guillem de Cabestanh - Le cœur mangé aus dem 13. Jahrhundert
Musik von George Benjamin

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)

in Kooperation mit den Wiener Festwochen
Kompositionsauftrag von dem Festival d'Aix-en-Provence, De Nederlandse Opera (Amsterdam), Théâtre du Capitole (Toulouse), Royal Opera House Covent Garden London und Teatro del Maggio Musicale Fiorentino

Premiere im Prinzregententheater am 23.07.2013
im Rahmen der Münchner Opernfestspiele

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Zeitgenössische Oper mit mittelalterlicher Handlung

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

In der zweiten Premiere der diesjährigen Münchner Opernfestspiele widmet man sich der deutschen Erstaufführung eines Werkes, das bei seiner Uraufführung beim Festival Aix en Provence im letzten Jahr (siehe auch unsere Rezension) und der anschließenden Übernahme am Royal Opera House Covent Garden, beides unter der Stabführung des Komponisten George Benjamin, einen so großen Erfolg verbuchen konnte, dass Covent Garden bei Benjamin und seinem Textdichter Martin Crimp eine weitere Komposition für 2018 in Auftrag gegeben hat. Written on Skin ist die erste abendfüllende Oper Benjamins und nach Into the Little Hill bereits die zweite Zusammenarbeit mit Crimp. Dabei unterscheidet sich Benjamins Musik von anderen zeitgenössischen Komponisten durch eine Tonalität und Harmonik, die die erzählte Geschichte stringent begleiten, ohne dabei anbiedernd zu wirken oder wie heutige Filmmusik nur eine allgemeine Emotion zu erzeugen. So verwundert es nicht, dass auch andere Bühnen, wie beispielsweise die Oper Bonn, dieses Stück in der nächsten Spielzeit auf den Spielplan setzen.

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Marie (Victoria Simmonds) und John (Allan Clayton, unten rechts) warnen den Protector (Christopher Purves, unten Mitte) vor dem Jungen (Iestyn Davies, oben) (auf der linken Seite: Angel Archivists).

Die Textvorlage geht zurück auf das Troubadour-Gedicht Guillem de Cabestanh - Le cœur mangé aus dem 13. Jahrhundert, in dem ein junger Troubadour mit einer verheirateten Frau ein Verhältnis beginnt und von deren Gatten ermordet wird. Anschließend bereitet der Ehemann das Herz des Troubadours als Mahlzeit für seine Gattin vor, die bekennt, dass sie nie etwas Köstlicheres gegessen habe. Als der Ehemann ihr offenbart, dass es sich um das Herz ihres Geliebten handelt, verkündet sie ihm, dass nichts diesen wunderbaren Geschmack von ihren Lippen nehmen könne. Martin Crimp ersetzt in seinem Text den Troubadour durch einen jungen Buchmaler, dem der Ehemann, der Protector genannt wird und ein reicher Großgrundbesitzer ist, den Auftrag erteilt, sein Leben und seine guten Taten in einem gemalten Buch zu preisen. Der Titel Written on Skin beinhaltet dabei eine gewisse Ambiguität, da mit Skin einerseits das Pergament gemeint ist, auf dem der Junge die Seiten des Buches füllt, andererseits aber auch die Frau Agnès, deren erwachende Liebe und Sexualität der Junge "beschreibt" und die sich durch die Liebesbeziehung zu dem Jungen von ihrem patriarchalischen Mann befreit. Am Ende wird sie auch nicht von ihrem Mann getötet, sondern nimmt sich selbst das Leben, indem sie von einem Balkon springt.

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Zärtliche Gefühle zwischen Agnès (Barbara Hannigan) und dem Jungen (Iestyn Davies)

Crimp hat diese Geschichte in eine Rahmenhandlung aus dem Jetzt eingebettet, in der ein Chor bestehend aus drei Engeln einen Zeitsprung aus dem 21. zurück ins 13. Jahrhundert macht und den Protector mit seiner Gattin Agnès wieder zum Leben erweckt. Neben der erzählenden Funktion greifen diese drei Engel auch als Figuren in die Geschichte ein. So wird aus Angel 1 der Junge, der als Buchmaler in das Haus des Protectors kommt und eine Affäre mit Agnès beginnt, Angel 2 Marie, Agnès' Schwester, und Angel 3 Maries Ehemann John. Katie Mitchell hält im Bühnenbild von Vicki Mortimer permanent die beiden Zeitebenen präsent. So ist die Bühne auf zwei Ebenen jeweils zweigeteilt. Auf der linken Seite sieht man in kaltem Neonlicht eine Art Lagerraum, in dem die Kostüme und Requisiten von den drei Engeln und vier sogenannten Angel Archivists zurechtgelegt werden. Die Engel wirken in ihren schwarzen Kostümen dabei zeitlos. Auf der rechten Seite befindet sich das Haus des Protectors, das sich mit Erdtönen zwar eine gewisse Natürlichkeit bewahrt, in der Leere des großen Raumes, der nur mit wenigen Requisiten ausgestattet wird, allerdings recht trist wirkt. Die Bäume, die auf der rechten Seite durch das Haus in die obere Etage wuchern, mögen ein Hinweis darauf sein, dass nach dem Verfall des Hauses hier ein Wald gewachsen sein könnte. Der Sinn der roten Stangen, die ebenfalls durch die Decke in die obere Etage führen, erschließt sich dabei allerdings nicht.

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Der Junge (Iestyn Davies, auf dem Bett in der Mitte) will Agnès (Barbara Hannigan, links) schützen und gibt ihre Schwester Marie (Victoria Simmonds, auf dem Bett) als die lüsterne Frau seines Buches aus (im Hintergrund auf dem Bett: John (Allan Clayton)).

In diesem Ambiente lässt sich durch Mitchells geschickte Personenregie die Handlung sehr gut verfolgen, was sich beim bloßen Lesen des Textes noch als schwierig erweist. Crimp lässt seine Figuren nämlich nicht nur Dialoge, sondern auch narrative Passagen und Regieanweisungen sprechen. So werden sie zugleich zu Figuren des Stücks und Erzählern der Geschichte. Die drei Teile des Stückes finden dabei auch musikalisch eine ganz eigene Sprache, was vor allem in der Musik für Agnès zum Ausdruck kommt. Wenn es am Ende des ersten Teils zur Liebesvereinigung zwischen Agnès und dem Jungen kommt, stößt sie mit einem sehr tiefen und lustvollen Ton den letzten Satz "Love's not a picture; love is an act" aus. Im zweiten Akt hingegen ist Agnès wütend auf den Jungen, weil er, um sie zu schützen vorgegeben hat, dass die lüsterne Frau in seinem Buch Agnès' Schwester Marie sei. Doch Agnès will, dass ihr Mann die Wahrheit erfährt, und geht nun gesanglich in das andere Extrem. Mit hohen Spitzentönen schreit sie nun aus: "Make him cry blood." Das Ende des dritten Teils gehört dann musikalisch nicht Agnès, sondern dem Jungen, der beschreibt, wie Agnès auf der Flucht vor ihrem Mann aus dem Fenster springt, und den Moment des Falls in seinem Bild festhält. Im Zeitlupentempo wird diese Szene dem Publikum vor Augen geführt.

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Dem Protector (Christopher Purves) gefällt die sexuelle Befreiung seiner Frau Agnès (Barbara Hannigan) überhaupt nicht.

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf sehr hohem Niveau. Christopher Purves stattet den Protector mit einem markanten Bass aus, der die Kompromisslosigkeit des Großgrundbesitzers mehr als deutlich macht. In den höheren Passagen wirkt seine Stimme leicht gebrochen, was belegt, dass auch dieser scheinbar so mächtige Mann mit der Situation nicht wirklich klar kommt und an seine Grenzen geführt wird. Victoria Simmonds und Allan Clayton überzeugen in den Doppelrollen als Angel 2 und 3 bzw. Marie und John. Die Stars des Abends sind allerdings Iestyn Davies als Angel 1 bzw. der Junge und Barbara Hannigan als Agnès. Mit leuchtendem Countertenor stattet Davies die Partie des jungen Buchmalers aus und macht mehr als verständlich, wieso sich Agnès in ihrer Ehehölle zu ihm hingezogen fühlt. Dabei gibt er der Figur eine unheimlich tiefe Melancholie, wenn er merkt, dass er die Katastrophe nicht verhindern kann. Hannigan changiert gekonnt zwischen dramatischen Spitzentönen und markanten Tiefen und zeigt darstellerisch eine unglaubliche Entwicklung von der eingeschüchterten Ehefrau zur sexuell befreiten Geliebten, die selbst ihren Tod nicht mehr fürchtet. Kent Nagano führt das Klangforum Wien souverän durch die vielschichtige Partitur, die stellenweise auch aufbrausend und atonal werden kann, wenn beispielsweise ein Alptraum des Protectors beschrieben wird, so dass es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt. Dass die Musik beim Publikum ebenfalls sehr gut ankommt, offenbart sich, wenn der Komponist George Benjamin auf der Bühne mit großem Jubel empfangen wird.

FAZIT

George Benjamins Oper dürfte zu den (wenigen) zeitgenössischen Werken gehören, die die Chance haben, einen festen Platz im Repertoire zu erhalten.

Weitere Rezensionen zu den Münchner Opernfestspielen 2013

 


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(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kent Nagano

Inszenierung
Katie Mitchell

Bühne und Kostüme
Vicki Mortimer

Licht
John Clark

Szenische Einstudierung
Benjamin Davis

 

Klangforum Wien


Solisten

The Protector
Christopher Purves

Agnès
Barbara Hannigan

Angel 1 - The Boy
Iestyn Davies

Angel 2 - Marie
Victoria Simmonds

Angel 3 - John
Allan Clayton

Angel Archivists
Laura Harling
Sarah Northgraves
David Alexander
Peter Alan Hobday


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



Da capo al Fine

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