Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Die Allmacht der Medien
Von Thomas Molke /
Fotos von Martina Pipprich
Während sich mittlerweile zahlreich Bühnen zur Aufgabe gemacht haben, neben dem
Standardrepertoire auch vergessene Opern wiederzuentdecken, beschränkt
man sich am Staatstheater Mainz dabei nicht nur auf
die Gattung der Oper. So war in der letzten Spielzeit beispielsweise Franz
Lehárs selten gespielte Operette Eva zu erleben (siehe auch
unsere Rezension). In dieser
Saison hat man sich einem Komponisten gewidmet, von dem man heutzutage fast nur
noch das ebenfalls selten aufgeführte Werk Boccaccio und die Ouvertüre
zur leichten Kavallerie kennt: Franz von Suppé, der als gebürtiger
Italiener mit dem Namen Francesco Suppe seinen damaligen Ruhm in Wien auch noch
dadurch aufzubessern versuchte, indem er das Gerücht in die Welt setzte, ein
Neffe Donizettis zu sein. In der Tat unterscheidet sich seine Musik vor allem in
den Ensembles stark von den Operetten seines Zeitgenossen Johann Strauß und geht
eher auf Donizetti zurück. Vielleicht bezeichnet auch deshalb der musikalische
Leiter der Produktion, Florian Csizmadia, das Werk als eine "komische Oper".
General Kantschukoff (Hans-Otto Weiß, links),
Lydia (Vida Mikneviciute), "Fatinitza" (Patricia Roach) und Julian von Golz
(Thorsten Büttner, rechts) im russischen Lager
Fatinitza ist ein turbulentes Verwirrspiel, das im Kaiserreich riesige
Erfolge feierte, bis es nach dem Ersten Weltkrieg von den Spielplänen
verschwand. Die Handlung spielt zur Zeit des Krim-Krieges zwischen den
russischen und osmanischen Truppen. Leutnant Wladimir Samoiloff, der im Lager
der Russen Kriegsdienst leistet, hat sich vor dem Krieg häufig als Frau verkleidet und
unter dem Namen "Fatinitza" bei frustrierten Gattinnen hoher Generäle
eingenistet, um diesen Damen die einsamen Nächte zu versüßen. Allerdings hat sich
auch der unverheiratete General Kantschukoff unsterblich in diese Fatinitza verliebt. Just
dieser General ist der Vorgesetzte der russischen Truppe und zu allem Überfluss
auch noch der Onkel Lydias, von der Wladimir seit der ersten Begegnung
verzaubert ist. Erneut schlüpft Wladimir in die Rolle Fatinitzas, wird
aber mit Lydia von türkischen Soldaten entführt und in den Harem des Izzet
Pascha gebracht. Als dieser von den Russen eingenommen wird, gelingt Wladimir -
Fatinitza die Flucht. Kantschukoff setzt alles daran, Fatinitza wiederzufinden.
Wladimir gibt sich als Bruder Fatinitzas aus und verspricht dem General die Hand
seiner Schwester, wenn er im Gegenzug Lydia ehelichen darf. Kantschukoff willigt
ein, doch die angeblich wiedergefundene Fatinitza entpuppt sich als
verschleierter Izzet Pascha, während
dem General versichert wird, dass die begehrte Geliebte an gebrochenem Herzen
gestorben sei und er sie nun erst im Jenseits wiedersehen werde.
Sergeant Steipann (Jürgen Rust) mit seinem Huhn
Olga
Die Strippen in diesem aberwitzigen Verwirrspiel zieht Julian von Golz, ein
deutscher Journalist, der zur Berichterstattung an die Front geschickt worden
ist. Lydia Steier lässt ihn mit einem Fernsehteam auftreten, das sich während
der Ouvertüre bei dem fahrenden Händler Wuika einnistet und so ins russische
Lager gelangt. Über eine große Leinwand werden dann Berichterstattungen von ihm
präsentiert, wobei in Mainz der Nachrichtensender als kleiner Gag "ZEF"
genannt wird. Der Nachrichten-Ticker, über den während des zweiten Aktes
Jux-Meldungen laufen, ist zwar von den Texten witzig, lenkt aber von der
eigentlichen Handlung auf der Bühne ab, da man nicht alles gleichzeitig
verfolgen kann. Bei den Anspielungen auf die moderne Medienlandschaft geht
Steier ferner auf aktuelle Kuppel-Shows ein und präsentiert die von Golz in die
Wege geleitete Vermählung zwischen Lydia und Wladimir als großes Event à la
"Traumhochzeit". Auch der klassische Bildschirmschoner in Form einer nächtlichen
Palmenlandschaft darf dabei natürlich nicht fehlen. Die politischen
Anspielungen, die Steier, Seyfarth und Jenß in die Texte der Arien eingefügt haben, wirken
allerdings schon nicht mehr ganz so aktuell.
Izzet Pascha (Alexander Spemann, Mitte vorne)
beim Heim-Training in seinem Harem (dahinter von links nach rechts: Besika (Aviva
Piniane), Lydia (Vida Mikneviciute), Nursidah (Danaila Dimitrova), Mustapha
(Florian Gierlichs) und Diona (Ewa Wargin))
Die Musik im Harem des Izzet Pascha klingt wesentlich weniger exotisch, als man
es aus den gängigen Türken-Opern des 18. und 19. Jahrhunderts kennt. Vielleicht
lässt Steier den Türken deshalb in schwarzem Trainingsanzug mit hessischem Akzent
auftreten, was ihn eher in der westeuropäischen Kultur ansiedelt. Dass sein Sklave Mustapha
recht weibliche Züge in Stimme und Bewegung trägt, mag noch nachvollziehbar
sein, da ein Harem ja häufig von Eunuchen bewacht wurde. Warum allerdings
General Kantschukoff ebenfalls zwei Diener mit eindeutigen homoerotischen
Tendenzen zur Seite gespielt werden, deren Lack- und Leder-Outfit mit
Kantschukoffs
ständigem Verlangen nach der Knute auf irgendwelche Sado-Maso-Spielchen
hindeutet, ist dann aber vielleicht doch ein bisschen platt. Will Steirer dem
General homosexuelle Neigungen unterstellen, weil er sich mit Fatinitza in einen
als Frau verkleideten Mann verliebt hat? Muss Wladimir in der Verkleidung als
Fatinitza deshalb übertrieben behaarte Beine haben und ein übertriebenes
Brusttoupet tragen? Wenn dann Lydia in Fatinitza den geliebten Wladimir an dem
übertrieben großen Geschlechtsteil unter seinem Kleid erkennt und Wladimir
zunächst das Anschwellen dieses Geschlechtsteils durch ein Kissen bedeckt, in
das er augenscheinlich während des Liebesduettes dann auch noch ejakuliert, ist
das doch arg übertrieben.
Happy End mit Traumhochzeit (in der Mitte von
links: Lydia (Vida Mikneviciute), Wladimir (Patricia Roach), Julian von Golz
(Thorsten Büttner), Mustapha (Florian Gierlichs) und Kantschukoff (Hans-Otto
Weiß) mit dem Chor und der Statisterie)
Musikalisch weist das Werk zahlreiche schmissige Melodien auf, die bedauern
lassen, dass einzelne Arien oder Ensembles nicht häufiger auf deutschen Bühnen
zu hören sind. Florian Csizmadia lässt mit dem Philharmonischen Staatsorchester
Mainz aus dem Orchestergraben sowohl flotte Marsch-Rhythmen als auch
operettenhafte Walzerseligkeit mit viel Verve erklingen. Der von Sebastian
Hernandez-Laverny homogen einstudierte Chor überzeugt nicht nur durch große
Spielfreude sondern auch solistisch in kleineren Partien. Hans-Otto Weiß lässt
als Kantschukoff seinen markanten sonoren Bass verströmen und meistert seine
Partie darstellerisch gut, selbst wenn man sich für ihn eine etwas andere
Personenregie gewünscht hätte. Warum Jürgen Rust als Sergeant Steipann die ganze
Zeit mit einem Huhn namens Olga über die Bühne laufen muss, ist ebenfalls nicht
ganz schlüssig. Natürlich soll die Figur nicht ganz ernst genommen werden, aber
komisch wirkt sie dadurch auch nicht. Stimmlich meistert Rust die Partie gut.
Gleiches gilt für Thorsten Büttner als Julian von Golz und Alexander Spemann als
Izzet Pascha, die ebenfalls mit recht zweifelhaften Regieeinfällen zu kämpfen
haben, ob Spemann nun auf dem Heimtrainer sitzen und mit hessischem Akzent
"babbeln" muss
oder Büttner angehalten ist, sein Gegenüber häufig mit irgendwelcher Kampfsport-Akrobatik
zu verwirren.
Vida Mikneviciute stattet die Partie der Lydia mit warmem Sopran aus.
Mit ihr zeigt sich Steier in der Personenregie noch relativ gnädig, wenn sie sie
auf Russisch fluchend über die Bühne laufen lässt oder sie als launisches,
verzogenes Mädchen präsentiert, das sich einerseits von Schmuck und Kleidung
angezogen fühlt, andererseits die Zuneigung zu Wladimir auf recht direkte Art
zum Ausdruck bringt. Patricia Roach, die als Sängerin den Mann Wladimir spielen
muss, der sich als Frau Fatinitza verkleidet, trifft es da wesentlich schlechter
an. Hier wäre es nicht nötig gewesen, Roach als Fatinitza derart unattraktiv
darzustellen. Stimmlich kann sie allerdings mit einem großartigen, warmen Mezzo
punkten. So gibt es am Ende großen Applaus für die Sänger und das Orchester,
wobei die Inszenierung vielen Besuchern in der zweiten Vorstellung vielleicht
doch zu viel Klamauk enthält, so dass die Begeisterung trotz einiger
Lacher während einzelner Szenen am Ende doch eher zurückhaltend ist.
Musikalisch überzeugt die Produktion auf ganzer Linie und lässt den Eindruck
erwecken, dass Suppé ein wenig zu Unrecht vernachlässigt wird. Szenisch
übertreibt Lydia Steier an einigen Stellen, so dass die Komik des Stückes
bisweilen in platten Klamauk abdriftet.
Ihre Meinung
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne Kostüme Licht Video Chor Dramaturgie
Philharmonisches Staatsorchester Mainz Solisten
General Timofey Kantschukoff
Lydia
Uschakoff
Izzet
Pascha
Osipp
Wache / Iwan
Fedor
Steipann, Sergeant Wladimir Samoiloff alias
"Fatinitza" Julian von Golz Hassan Nursidah Zuleika Diona Besika Wuika Mustapha |
© 2012 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de