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Abstrakt und gesellschaftsfern Von Christoph Wurzel / Fotos: Matthias Baus Unter dem Motto „Infektion“ gab es jüngst an der Staatsoper ein „Festival für Neues Musiktheater“. Neben Werken von Feldman, Oehring und Sciarrino gehörte auch Brecht / Weills Mahagonny dazu, ein Werk, das zwar nicht mehr ganz neu, aber beileibe nicht veraltet ist. War dieses Bühnenwerk als Oper zur Zeit der Uraufführung 1930 eine echte Provokation, die einen Theaterskandal auslöste, so könnte sein Sujet 84 Jahre später durchaus noch Anstoß erregen, in dem Sinne, dass es Anstoß gibt zur Überprüfung seiner Gültigkeit in unseren Tagen. In Bremen hatte 2012 Benedikt von Peter die Handlung in die Jetztzeit geholt und die Handlung inmitten des Publikums spielen lassen – „Mahagonny, das sind wir alle“ sozusagen. In Berlin dagegen könnte der Abstand zwischen dem Publikum und dem Geschehen auf der Bühne nicht größer sein. Ein Vorhang aus glitzernden Fäden rückt alles noch mehr in schummrige Ferne. Das Spiel ist so blutleer und aseptisch, dass sich keinerlei Betroffenheit einstellt, geschweige denn Bestürzung oder Schock. Diese Aufführung ist von rein gar nichts infiziert, nicht einmal von der Lust am Laster. Denn auch die kommen hier nur cool auf die Bühne – vor allem das Lieben; sowohl in seiner wahren Form: das kurze Aufflackern einer wirklichen Zuneigung im „Kranich“ – Duett zwischen Jim Mahony und der Hure Jenny: nur trostlos - als auch in der Warenform: der etwas alberne Aufmarsch der Freier mit ihren runtergelassenen Hosen und der Melone vorm Gemächt.
"Schöner
grüner Mond von Alabama, leuchte uns!" Die Bühne von Vincent Lemaire ist karg, was nicht unbedingt ein Schaden wäre, könnte die Personenführung überzeugen. Doch die ist relativ ironiefrei irgendwo zwischen Revue und Slapstick eingependelt. Hier geht es nur um künstliche Figuren. Und die stecken in künstlichen Klamotten, Edelfummel aus dem Hause Christian Lacroix. Etwas Glitzerndes für Witwe Begbick, schrill bunte Discokleidchen für die käuflichen Mädchen, Jennys üppige Hochzeitsrobe, die Herren mal im gepflegten Gammellook, mal ganz chic im Abendanzug. Ab und zu gibt einem irgendein Symbol zu denken: der Aldiwagen der Witwe Begbick oder das Kalb im Tatu. Aber Hinweise auf eine Deutung des Ganzen sucht man vergebens. Ein Spiegel steht die ganze Aufführung über in der Mitte der Bühne, doch wer oder was soll hier gespiegelt werden? Zweifelhaft bleibt vor allem, was das Regieteam wohl an diesem Stück interessiert haben mag.
"Erstens,
vergesst nicht, kommt das Fressen, zweitens kommt der Liebesakt." Und die Musik? Was bleibt von Kurt Weills genialem Mixtum compositum aus Jazz, Populärmusik und klassischen Anleihen? Wayne Marshall kann sich offenbar ebenso wenig zu einer klaren Aussage entscheiden wie die Regie. Zu selten liefert er die Musik ganz ihren Möglichkeiten aus, der Parodie ebenso zaghaft wie dem lustvoll unterhaltenden Duktus der Songs. Doch das kleine Ensemble der Staatskapelle spielt mit erlesenem Ton. Aus dem Sängerensemble ragt Michael König mit tenoralem Glanz deutlich heraus. Evelin Novak singt die Jenny zwar schön, bleibt aber die Untertöne aus Verletztheit, Trauer und Zynismus weitgehend schuldig. Ihr "Wie man sich bettet, so liegt man" hört sich dann doch allzu brav an. Für Leokadja Begbick, die dieses ganze Mahagonny nach knallhart kapitalistischen Grundsätzen managt, stellt Gabriele Schnaut leider nur eine recht abgesungene Stimme zur Verfügung, also auch eine große Enttäuschung. Der Chor in tadelloser Qualität. Ansonsten solide Sängerleistungen. "Vor allem achtet scharf, dass man hier
alles dürfen darf." Brecht und Weill haben 1930 dem Publikum mit dieser Opernparabel ganz kräftig den Spiegel vorgehalten, wie Mammon die Welt regiert und dass eine solche Herrschaft ins Verderben führt. Der erste Hurrican (in der Form der Weltwirtschaftskrise) war damals gerade erst gewesen und längst noch nicht ausgestanden, der zweite (als „Machtergreifung“) folgte auf dem Fuße und fegte als erstes mal Autor und Komponist aus dem Land. Dann folgte das kollektive Elend. Kaum eine andere Oper ist mehr Zeitstück als Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. Ihre Autoren legten damit ein existenzielles Bekenntnis ab. Dahinter darf keine Aufführung zurückbleiben. FAZIT Gelassen formuliert:
langweilig. Mit Engagement betrachtet: ärgerlich. Unter künstlerischen
Aspekten: überflüssig. |
ProduktionsteamMusikalische
Leitung Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreografie
Licht
Video
Dramaturgie
Chorleitung
Staatsopernchor Staatskapelle Berlin
Solisten Leokadja
Begbick Fatty, der “Prokurist” Dreieinigkeitsmoses Jenny Hill Jim Mahoney Jack O’Brian / Tobby Higgins Bill, genannt Sparbüchsenbill Joe, genannt Alaskawolfjoe Tänzer
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