Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Die Macht der Bilder
Von Joachim Lange / Fotos von Monika Rittershaus
Diese Braut wird wenig beachtet. Obwohl sie die Auserwählte eines Zaren ist. Aber so wie Nikolai Rimsky-Korsakow Die Zarenbraut als ziemlich wüste Geschichte aus dem zaristischen Russland in Szene gesetzt und 1898 vertont hat, ist das auch nicht verwunderlich. Wobei die Melange aus Beziehungsdrama und Staatsaktion durchaus das klassische Opernformat hat. Von einem Intrigengespinst um den Zaren (der selbst gar nicht mitspielt), einem Bräute-Casting für den Herrscher unter 2000 Schönen des Landes, über Männer auf der Pirsch nach weiblichen Eroberungen und Giftmörderinnen aus Eifersucht bis hin zu einer gehörigen Portion russischer Seele und einer Prise Abneigung gegen Fremde und sonstige Klischees ist alles drin. Und doch wird dieser Oper außerhalb Russlands selten gespielt. Dabei hielt sie der Komponist für die beste seiner 15 Opern. Obwohl - oder weil - er sich mit ihr bewusst vom damals Modernen abgrenzte. So macht man Zaren: Am Computer!
Musikalisch und vokal haben es Liebhaber russischer Oper nicht allzu schwer mit dem Vierakter. Szenisch freilich braucht er kluge Anwälte. Der auch im Westen ziemlich erfolgreiche 43jährige Russe Dmitri Tcherniakov ist so einer. Versteht er es doch, russische Klischees so zu servieren, dass vor allem das vorgeführte Ambiente der Macht durchaus Putins Russland meinen könnte. Tcherniakov beginnt mit einem optischen Es war einmal. In einer naturalistisch angekitschten winterlichen Straßenszene bevölkern umhergehende, prachtvoll gekleidete Oberschichten-Russen der Zarenzeit den Vorhang. Wenn Daniel Barenboim dann mit der Staatskapelle die Ouvertüre entfesselt, findet man das Personal in genau den Kostümen (Elena Zaytseva) in einem modernen Fernsehstudio bei Aufnahmen. In dieser Sendezentrale, die wohl auch eine Überwachungs- und Schaltzentrale der Macht sein könnte, chatten die Mächtigen aus der zweiten Reihe, für uns mitlesbar, darüber, dass ein Zar her muss. Den bastelt man sich wie einen GROSSEN BRUDER am Computer aus allem, was die russische Geschichte so an Iwans oder Peters, und Trotziks, Lenins, Stalins oder Jelzins im Angebot hat. Heraus kommt ein Mainstream-Politiker als Marionette der Strippenzieher. Fürs Volk muss dann noch eine echte Zarin aus dessen Mitte her man sucht und findet sie in einer Datenbank. Es ist Marfa, die dann freilich das Gift-Opfer einer Eifersuchts-Intrige wird. Aus dieser Hochzeit wird nichts, denn diese Braut ist für den Zaren vorgesehen.
Die Berliner Staatsoper Unter den Linden geht mit der Zarenbraut als Saisoneröffnung nicht nur dem diesjährigen Wagner- und Verdirummel aus dem Weg, sondern zeigt zugleich Mut zum Risiko. Da Barenboim mit der Mailänder Scala fast genauso wie mit der Lindenoper verbandelt ist, steht er nicht nur im Schillertheater (der nochmal verlängerten Ausweichspielstätte der Lindenoper) am Pult, sondern auch an der Scala. Solche vermarktungstechnisch lohnenden Koproduktionen fallen bei diesem global agierenden Maestro halt ab. Krank vor Eifersucht - die eifersüchtige Ljubascha vor Marfas Fenster
Wohl auch deshalb hat er bei der Besetzung zugelangt. Die Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili etwa ist ein Ereignis. So wie die als eifersüchtige Furie Ljubascha aufdreht, möchte man ihr wirklich nicht in die Quere kommen. Sie will ihre Nebenbuhlerin um die Liebe des Bojaren Grjasnoj ausschalten, versorgt dadurch aber die Zarin mit Gift. Die Russin Olga Peretyatko, die als Marfa von der Seite ihres Bräutigams Lykow (Pavel Èernoch) weg sozusagen ins Bett des Zaren beordert wird, wirkt neben diesem georgischen Stimmorkan geradezu gefühlvoll elegant. Sie kann sich in einer Wahnsinnszene vom Feinsten entfalten (sie wird demnächst an der Staatsoper in Wien in den Puritani und Rigoletto zu erleben sein). Dass der Ausnahmebariton Johannes Martin Kränzle sein ungemeines Spieltalent zur eloquent gestaltenden Stimmgewalt wiederum in Berlin präsentieren kann, ist ein Glücksfall. Als handlungstreibender Intrigant Grajsnoj wird er bei dem Eifersuchtsdrama auf der großen Bühne zum Zentrum. Ein Schmankerl fürs einheimische Publikum gibt's ein Wiederhören mit Staatsopern-Altstar Anna Tomowa-Sintow als wunderbar echte, ehrgeizige Beinahe-Zarinnen-Mutter Saburova und Anatoli Kotscherga als Sobakin. Was man von dieser kruden Geschichte in die Gegenwart holen kann, das haben Tcherniakov und Barenboim bis in die putineske Wiedererkennbarkeit vergegenwärtigt und mit großer musikalischer Geste präsentiert. Wenn sich dafür daheim, im Reich des homophoben Möchtegernzaren, heute eine Bühne fände, wäre das ein Wunder. Wenn die Italiener diese Studie über die Bilder der Macht zu sehen bekommen, dann ist wenigstens der Putinfreund Berlusconi vielleicht nur noch eine Erinnerung. Staatsopern Intendant Jürgen Flimm kann sich mit einem gelungenen und bejubelten Spielzeitauftakt darüber hinwegtrösten, dass die Komische Oper unter Barry Kosky gerade zum Opernhaus des Jahres gekürt wurde. FAZITDimitri Tcherniakov und Daniel Barenboim haben in Berlin zur Eröffnung der Staatsopernsaison Rimiski-Korsakows Zarenbraut riskiert und damit gewonnen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Sobakin
Marfa
Grjasnoj
Makjuta-Skuratow
Lykow
Ljubascha
Bomelius
Saburowa
Dunjascha
Petrowna
|
© 2013 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de