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Musiktheater
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Giovanna d'Arco

Dramma lirico in vier Akten
Libretto von Temistocle Solera, rekonstruierte Urtextfassung von Alberto Rizzuti und Philip Gossett
Musik von Giuseppe Verdi


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln 

Aufführungsdauer: ca. 2 h 20' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 12. Oktober 2013
(rezensierte Aufführung: 15.10.2013)
 


 

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Theater Bielefeld
(Homepage)

Jungfrau von Orléans als Ikone

 Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß


Zum Verdi-Jubiläumsjahr leistet auch das Theater Bielefeld seinen Beitrag und macht mit der ersten Opernpremiere der neuen Spielzeit Verdis Schiller-Vertonungen auf den Bühnen in Nordrhein-Westfalen komplett. Nach den Räubern in Essen und Luisa Miller an der Deutschen Oper am Rhein zum Ende der letzten Theatersaison und einem Don Carlo in Dortmund ist nun auch Verdis erste Schiller-Vertonung in relativ dichter Folge und örtlicher Nähe zu erleben. Auch wenn Verdi in diesem Frühwerk, in dem er an einer Art italienischer Romantik experimentiert, der einheitliche Stil fehlt, der seine beiden früheren Werke Nabucco und I Lombardi mit der ebenfalls großen Bedeutung der Chöre auszeichnet, gelingen ihm bei der Konzentration auf die drei Hauptprotagonisten musikalisch herausragende Szenen, die in einzelnen Aspekten durchaus auf seine späteren Werke wie La forza del destino, Un ballo in maschera und eben Don Carlo verweisen. In Bielefeld hat man sich bei dieser selten aufgeführten Oper nun für eine rekonstruierte Urtextfassung von Philip Gossett und Alberto Rizzuti entschieden, die das Werk nicht in drei Akte und einen Prolog, sondern in insgesamt vier Akte mit größtenteils gleicher Struktur unterteilt.

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Moment der Zweisamkeit zwischen Giovanna (Astrid Kessler) und Carlo (Paul O'Neill)

Auch wenn Verdis Librettist Solera bestritt, dass Friedrich Schillers Drama als Vorlage für die Oper gedient habe, deutet aber zumindest der unhistorische Schluss, in dem Giovanna tödlich verwundet die Jungfrau Maria sieht und vom Volk zur Heiligen stilisiert wird, eine gewisse Nähe zum rund 40 Jahre früher entstandenen Schauspiel an. Giovannas Vater Giacomo (bei Schiller Thibeaut d'Arc) ist bei Schiller ebenso wie bei Verdi anders als die historische Figur Jacques D'Arc davon überzeugt, dass seine Tochter mit dem Teufel paktiert. Die Vehemenz, mit der er seine Tochter dem Untergang preisgibt, wird aber - anders als bei Schiller -  von Verdi / Solera auf die Spitze getrieben, da Giacomo in der Oper nicht nur seine Tochter öffentlich der Ketzerei beschuldigt und damit verhaften lässt, sondern anschließend auch noch ihre Fesseln löst, um sie zum tödlichen Kampf gegen die Engländer in die Schlacht zu schicken. Auch die Liebe zwischen dem französischen König Carlo (Karl VII.) und Giovanna dürfte der Gattung Oper geschuldet sein und findet sich weder bei Schiller noch in der historischen Überlieferung.

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Giacomo (Evgueniy Alexiev) ist der plötzliche Aufstieg seiner Tochter Giovanna unheimlich.

Sabine Hartmannshenn betont in ihrer Inszenierung, wie sich ein Volk in einer Notlage als gewissermaßen letzte Zuflucht eine Ikone kreiert, die ihm den Glauben an eine bessere Zukunft zurückgibt. So sieht man zu Beginn der Oper, wenn die Franzosen im Kampf gegen die Engländer bereits kurz vor der Niederlage stehen, die Massen im Bühnenbild von Stefan Heinrichs in einem riesigen Käfig eingepfercht, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ab und zu wird eine Frau aus diesem Käfig herausgeführt, um die Bedürfnisse der Soldaten zu befriedigen. Ansonsten verlässt man diesen Käfig nur tot und wird auf die leicht darunter liegende Vorbühne gerollt. Diese Vorbühne stellt nun den Ort dar - im Libretto ist es eine Kapelle bei Domrémy -, an dem Carlo das erste Mal auf Giovanna trifft. Hier ist sie im Gebet vertieft und träumt sich selbst in eine Welt, in der sie nicht als einfaches Mädchen eine unbedeutende Rolle spielt, sondern zur Retterin von Orléans mutiert. Dazu legt sie ein kriegerisches Gewand an, das sie in Carlos Augen wie das Feuer Gottes erscheinen lässt. Nun keimt in den Franzosen neue Hoffnung auf. Die im Hintergrund eingeblendeten Videoprojektionen von Leo Becker, die mit den Fotos an Bilder von im Krieg vermissten Menschen erinnern, gehen über in Fotos von Giovanna, wie man sie von dem berühmten Gemälde von Jean Auguste Dominique Ingres kennt.

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Giovanna (Astrid Kessler) stürzt sich in die tödliche Schlacht.

Nach der Pause verwandelt sich der Käfig nicht nur auf den Rückseiten in einzelne hohe Stellwände, die alle einen Auszug dieses berühmten Bildnisses zeigen, sondern Giovanna bastelt am Ende auch selbst an der Stilisierung zu einem Mythos. Ein Double (Marina Quartier) wird nämlich auf einem erhobenen Podest hereingeschoben, welches Giovanna bei ihrem Schlussgesang zu dem berühmten Bild formt und das anschließend von den Massen verehrt wird. Erst wenn aus dem Schnürboden ein leuchtender Heiligenschein mit der Aufschrift "Santa Giovanna" über das Haupt dieses Doubles herabgelassen worden ist, verlässt die reale Giovanna als das einfache Mädchen, das sie am Anfang war, die Bühne, nachdem die Musik schon lange verklungen ist und auch der Chor bereits abgegangen ist. Langsam schließt sich der Vorhang. Mit dieser Deutung lässt sich leicht über die dramaturgischen Schwächen, die das Libretto zweifelsohne in seiner Erzählstruktur hat, hinwegsehen.

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Giovanna (Astrid Kessler, Mitte rechts) wird vom Volk (Chor) zur "Santa Giovanna" (Double, Mitte links) stilisiert.

Die Tatsache, dass ein Theater dieser Größenordnung in der Lage ist, eine derartige Produktion mit nur einem Gast zu spielen, verdient absoluten Respekt. Da kann man es dem Ensemble-Mitglied Paul O'Neill in der Partie des Carlo auch nachsehen, wenn er an einzelnen Stellen leicht an seine tenoralen Grenzen stößt. Insgesamt präsentiert er den französischen König mit einer weichen Klangfarbe, die zwar bisweilen im fulminant aufspielenden Orchester untergeht, dafür aber vermeidet zu pressen. Auch darstellerisch versteht er es, der eher blassen Figur des Königs Profil zu verleihen. Eine regelrechte Entdeckung ist Evgueniy Alexiev als Giovannas Vater Giacomo. Mit großartigem Bariton lotet er die zwiespältigen Gefühle dieses schwer nachvollziehbaren Charakters aus, der in einem Moment seine Tochter der Ketzerei beschuldigt und sie auf dem Scheiterhaufen brennen sehen will, im anderen Moment seinen Fehler erkennt, sie aus dem Kerker befreit und sie dann aber sofort in den tödlichen Kampf schickt. Großartig gelingt seine große Arie "So che per via di triboli" im zweiten Akt, wenn er seine Tochter an die Engländer verrät, und seine Klage "Speme al vecchio era una figlia", als er sein Unglück darüber zum Ausdruck bringt, dass Giovanna mit finsteren Mächten im Bunde ist.

Die Titelpartie ist mit Netta Or hochkarätig besetzt. Mit leuchtendem Sopran begeistert sie in ihrem Gebet "Sempre all' alba" bei ihrem ersten Auftritt, wenn sie von einer Zukunft als Kämpferin träumt. Bewegend gelingt auch ihr Duett mit Alexiev im letzten Akt "Or dal padre bendetta", wenn es zur Versöhnung zwischen Vater und Tochter kommt, bevor sie in die tödliche Schlacht zieht. Or gelingt es in jeder Szene mit ihrem variablen Sopran sowohl die lyrische Empfindsamkeit als auch die kraftvolle Dramatik dieser Partie zum Ausdruck zu bringen. Großes leistet auch der von Hagen Enke einstudierte Chor, wobei die eingespielten Passagen der Dämonen und der Engel, die nur über Lautsprecher zu hören sind, klanglich gegen diesen stimmlich enorm auftrumpfenden Chor abfallen. Die Bielefelder Philharmoniker lassen unter dem Dirigat von Alexander Kalajdzic einen fulminanten Verdi-Klang aus dem Orchestergraben erschallen, der für die Größe des Hauses stellenweise beinahe schon zu gewaltig ist.

FAZIT

Auch wenn diese selten gespielte Verdi-Oper sicherlich nicht zu den besten Werken des Komponisten zählt, ist diese geschickt angelegte Inszenierung von Hartmannshenn in dieser musikalischen Besetzung sehens- und hörenswert.   



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Kalajdzic   

Inszenierung
Sabine Hartmannshenn    

Bühnenbild
Stefan Heinrichs

Kostüme
Susana Mendoza

Choreinstudierung
Hagen Enke

Licht
Peter Lorenz

Video
Leo Becker

Dramaturgie
Daniel Westen

 

Bielefelder Opernchor

Extrachor des Theaters Bielefeld

Statisterie

Bielefelder Philharmoniker


Solisten

*rezensierte Aufführung

Carlo VII.
Paul O'Neill

Giovanna
Astrid Kessler /
*Netta Or

Giacomo
*Evgueniy Alexiev /
Frank Dolphin Wong

Delil
Lianghua Gong

Talbot
Moon Soo Park

Giovanna-Double
Julia Meyer /
*Marina Quartier /
Clara Schaksmeier


 

Weitere Informationen
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Theater Bielefeld
(Homepage)




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