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Rache mit statt an den Kindern Von
Thomas Molke /
Fotos von Matthias Stutte Dircés (Christiane Linke, vorne Mitte) Freundinnen (links vorne: Sarah Kuffner, rechts vorne: Nohad Becker) und ihre Dienerinnen (Frauenchor) versuchen, die dunklen Vorahnungen der Königstochter zu zerstreuen. Die Oper basiert auf den gleichnamigen Tragödien von Euripides und Pierre Corneille, in denen Medea an Jason Rache dafür nimmt, dass er sie für die Tochter Creons, des Königs von Korinth, die in der Oper Dircé, bei Euripides Glauke und bei Corneille Krëusa heißt, verlassen will. Nachdem Medea vergeblich versucht hat, Jason zurückzugewinnen, schlägt ihre Verzweiflung in Hass um, zumal er ihr auch noch die beiden gemeinsamen Söhne nehmen will und sie wegen ihrer magischen Kräfte verstößt, die ihm in Kolchis durchaus willkommen waren, um sich das goldene Vlies anzueignen. Medea ermordet daraufhin die beiden gemeinsamen Kinder, um sie nicht Jason zu überlassen, tötet seine zukünftigen Braut mit einem vergifteten Schleier und lässt anschließend den Königspalast von Korinth in Flammen aufgehen. Dabei verflucht sie Jason und flieht mit ihrer Amme Néris aus dem brennenden Korinth. Jason (Paul O'Neill, rechts) präsentiert Dircé (Christiane Linke, vorne) und ihrem Vater Créon (Evgueniy Alexiev, 2. von rechts) die Schätze aus Kolchis (im Hintergrund: Bielefelder Opernchor). Den Kindern kommt in der Inszenierung von Florian Lutz eine ganz besondere Bedeutung zu. Bereits im ersten Akt stellen sie das "Kapital" der Gesellschaft in Korinth dar, wenn die Dienerinnen und Freundinnen Dircés ihren Freudengesang über die bevorstehende Hochzeit und die Versuche, Dircés dunkle Vorahnungen zu zerstreuen, in einem Klassenzimmer äußern, in dem Kinderpuppen in unterschiedlichem Alter auf die "wichtigen Dinge" des Lebens wie Job, Geld und Karriere vorbereitet und, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen, auch schon einmal mit einer Flöte, die ansonsten der frühmusikalischen Erziehung dient, gemaßregelt werden. Die einzige, die in dieser Gesellschaft noch kein Kind hat, ist Dircé. Von daher wird es umso nachvollziehbarer, dass Jason Médée die gemeinsamen Söhne nicht lassen will. Diese beiden Söhne werden zwischen den einzelnen Szenen in Videoprojektionen eingeblendet und äußern sich relativ altklug zur Belustigung des Publikums über die verlogenen Absichten der Schulbildung und die elterlichen Probleme mit dem Umgang der Pubertät. Im Verlauf dieser von Lutz und seiner Dramaturgin Fedora Wesseler verfassten Dialoge werden die Äußerungen immer anarchistischer, was sich auch im ersten realen Auftritt der beiden Jungen manifestiert, wenn sie als absolut unerzogene Gören - viele würden das heute als ADHS-Syndrom bezeichnen - über die Bühne wirbeln. Letzte Aussprache zwischen Médée (Annemarie Kremer) und Jason (Paul O'Neill) Folglich lässt Lutz Médées Kinder auch nicht Opfer, sondern ausführendes Organ ihrer Rache werden. So bauen sie nicht nur die Kamera auf, mit der Médée wie in einer Bekennerbotschaft einer Terroristin gefilmt wird und die folgende Vergeltung ankündigt, sondern legen auch gemeinsam mit ihrer Mutter als vermummte Terroristen die Stadt in Schutt und Asche. Ob das Libretto diese Variante wirklich hergibt, bleibt fraglich. Die Übertitelung des gesungenen und gesprochenen Textes widerspricht der Handlung auf der Bühne jedenfalls nicht. Unklar hingegen bleibt, wieso sich Dircé erhängt. Über einem modernen Einfamilienhaus, in dem wohl Jason vorher mit Médée gewohnt und aus dem er diese nun vertrieben hat, ist ein Dachboden angebracht, der mit zahlreichen riesigen Plüschbären geschmückt ist. Zwischen diesen ist Dircé bereits im ersten Akt aufgetreten, um sich vor Médée zu verstecken. Im dritten Akt befindet sie sich wieder auf dem Dachboden und stürzt sich mit einer Schlinge um den Hals in die Tiefe. Dieser Selbstmord wirft doch einige Fragen auf, weil Médées Schuld daran nicht klar wird. Ob man das goldene Vlies oder die anderen Schätze, die Jason aus Kolchis mitgebracht hat, in Form eines grünen Sportcabrios präsentieren muss, ist Geschmacksache, passt aber alles in allem in Lutz' Regiekonzept. Médée (Annemarie Kremer) nimmt mit ihren Kindern (Riko Liebmann und Emil Meyer) an Jason (Paul O'Neill, rechts) und den Korinthern Rache. Musikalisch stellt das Werk enorm hohe Anforderungen an die Titelpartie, die von Annemarie Kremer in jeder Hinsicht erfüllt werden. Es ist unglaublich, wie diese recht zierliche Sängerin diese anspruchsvolle Partie, die über zwei Oktaven umfasst, mit großem Volumen in der Mittellage und sauberen dramatischen Ausbrüchen in den Höhen meistert und dabei die unterschiedlichen Schattierungen von Médées Charakter von der verzweifelt liebenden Frau und Mutter bis zur rächenden Furie differenziert herausarbeitet. Besonders großartig setzt Kremer darstellerisch den inneren Kampf im dritten Akt um, wenn sie einen Moment überlegt, die eigenen Kinder zu töten und dann doch vor der Tat immer wieder zurückschreckt. Wieso sie allerdings am Ende eine Perücke aufsetzen muss und in einem rosafarbenen Paillettenkleid Korinth in Brand stecken muss, bleibt wohl der Fantasie der Regie überlassen. Paul O'Neill kann als Jason mit schlank geführtem Tenor gut mithalten und präsentiert den Anführer der Argonauten als erfolgreichen Kämpfer mit Boxhandschuh, der den Herrenchor zu Beginn des Stückes scheinbar mit zahlreichen Blessuren versehen hat. Médées Rache ist er am Ende dann allerdings doch nicht gewachsen. Christiane Linke lässt als Dircé mit leuchtendem Sopran aufhorchen und setzt die dunklen Vorahnungen der Königstochter mit überzeugendem Spiel um. Sarah Kuffner und Nohad Becker statten ihre beiden Freundinnen mit kräftigem Sopran bzw. Mezzo aus. Auch Evgueniy Alexiev begeistert als Créon mit fundiertem Bariton. Der von Hagen Enke präzise einstudierte Chor zeichnet sich ebenfalls durch große Spielfreude aus. Elisa Gogou rundet mit den Bielefeldern Philharmonikern den Abend mit romantisch anmutendem Klang aus dem Graben hervorragend ab, so dass es am Ende lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gilt. FAZIT Diese Produktion sollte man sich schon allein aus
musikalischer Sicht nicht entgehen lassen, zumal dieses Werk äußerst selten auf
den Opernbühnen zu erleben ist. Der Regie-Ansatz geht zwar zumindest mit dem
Ende etwas frei um, bleibt allerdings nachvollziehbar. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam Musikalische Leitung Inszenierung Bühne und Kostüme Video Choreinstudierung Licht Dramaturgie
Bielefelder Opernchor Bielefelder Philharmoniker
Solisten*PremierenbesetzungMédée Jason Néris 1. Freundin von Dircé 2. Freundin von Dircé Die beiden Kinder Weitere Informationen |
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