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Es hat mich nicht gefreut
Von Thomas Tillmann
"Es hat mich sehr gefreut!", verkündet der mit Wolfgang Reinbacher ideal besetzte Kaiser mehrfach bei jeder Gelegenheit in der Neuinszenierung des unverwüstlichen Weißen Rössl im Düsseldorfer Schauspielhaus. Die Freude über diese sicher irgendwie gut gemeinte Produktion hielt sich beim Rezensenten indes in Grenzen. Man kommt nicht umhin, Vergleiche anzustellen mit der eine Woche vor der Premiere angelaufenen Neuverfilmung des Stoffs durch Christian Theede, auch wenn es sich bei Im Weißen Rössl - Wehe du singst natürlich um eine sehr freie Adaption handelt, die die Nebenfigur und Gefühlswelt der Ottilie Giesecke (gespielt von Diana Amft) erheblich aufwertet und in der die Liebesgeschichte zwischen Wirtin und Zahlkellner eher zur Nebenhandlung verkürzt wird. Und dennoch: Das filmische Remake hat genau das, was dem Theaterabend von Christian Weise fehlt, nämlich Herz, Charme, Witz, Tempo, Liebe zu Werk und Genre, das Unternehmen ist erfrischend modern und nicht nur bemüht, die nicht leichte Gradwanderung zwischen augenzwinkernd-ironischer Grundhaltung und dem Entwickeln von trotzdem irgendwie ans Herz gehenden Charakteren gelingt viel besser, man bewundert eben nicht nur hervorragende Einzelleistungen von verdienten, sicher erstklassigen Schauspielerinnen und Schauspielern, sondern fühlt sich gut unterhalten und verlässt selig summend das Kino. Das größte Problem dieser Theaterproduktion sind ihre peinigenden Längen, allein der erste Teil dauert schwer erträgliche, sich ewig hinziehende 100 Minuten, da ist der erwähnte Film längst zuende! Hier hätten beherzte Striche vor allem bei den Dialogen Wunder gewirkt, die fast immer enervierend überzeichnet, klamottig und reichlich künstlich serviert wurden, nicht jede Reprise hätte ausgeführt werden müssen, gerade angesichts des Umstands, dass die gesanglichen Möglichkeiten des Bühnenpersonals doch eher begrenzt waren, statt übertriebener Körpersprache hätte der Regisseur mehr Zeit auf die Figurenzeichnung legen sollen. Es gelingt Christian Weise leider nicht, "eine Menge unterschiedlicher theatraler Ausdrucksmittel" zu aktivieren - die längste Zeit regieren drastischer Klamauk und Übertreibung und, was schlimmer wiegt, gähnende Langeweile - und etwa eine "packende Liebesgeschichte" auf die Bühne zu bringen - wer würde wirklich annehmen, dass die in die Jahre gekommene Wirtin wirklich hofft, dass der fesche Anwalt ihre aufdringlichen Annäherungsversuche auch nur ansatzweise ernstnimmt, wem würde das permanente Gezeter vom sicher wirklich verliebten Zahlkellner nach kürzester Zeit nicht einfach nur auf den Wecker gehen? Hinter dem Anspruch, "die Zuschauer mitten in die Geschichte hineinzuführen", den der Regisseur selber formuliert hat, bleibt die Inszenierung meilenweit zurück, über weite Strecken ist es die Erinnerung an bessere Aufführungen und eben die Filme, die einen gute Laune entwickeln lässt, nicht ein so wenig origineller Einfall wie der, dass "die Alpgasthöfe von Touristenschwärmen aus Asien heimgesucht" werden (wenngleich deren Darsteller, Studenten der Robert-Schumann-Hochschule dem Vernehmen nach, das gesangliche Niveau hörbar heben). Immerhin, einige originelle Einfälle ließ die Choreografie von Alan Barnes erkennen, wenngleich auch hier die Tanzszenen im Film erheblich mehr Witz und Drive haben. Noch einmal zum Gesang: Die Schauspielerinnen und Schauspieler des neuen Films - ebenso wie die in der so viel mehr Esprit und gute Laune versprühenden Produktion der Bar jeder Vernunft aus dem Jahre 1994 mit Max Raabe, Otto Sander, den Geschwistern Pfister und Meret Becker, die inzwischen auch auf DVD erhätlich ist - können auch nicht alle singen, aber sie werden nicht vorgeführt (wie etwa die tapfere Imogen Kogge beim "'s ist einmal im Leben so", das sie in Sopranlage zu singen hatte und dabei geradezu Mitleid erregte), sondern nach Kräften (und nicht nur durch Microports in den Gesangsnummern) unterstützt, etwa durch Punktierungen und Transponierungen, die doch nicht verboten sind. Überhaupt vermisst man den Biss und die Komik, die Jens Dohle beim Studium der Originalpartitur so gefallen haben - in seine Arrangements hat er sie nicht retten können, er hätte vielleicht an mehr Stellen versuchen sollen, "den modernen, frischen Sound aus dem Original von 1930 ... ins Heute zu übersetzen ... und dem 'Zeitgeistigen von damals' eine heutige Entsprechung zu geben" - ein paar lieblose Kirmestechnobeats aus dem Keyboard sind da zu wenig. Auch optisch finde ich die Produktion nicht sonderlich gelungen: Die hoffnungslos überladene, mit fiesem Teppich ausgelegte Drehscheibe dreht und dreht sich und präsentiert vor glitzerndem Alpenpanorama detailverliebt ein Klischeeösterreich mit wuchtigen Felsformationen, Gipfelkreuz und totem Geisbock, mit einer Alm in schwindelnder Höhe, mit üppigen Blumenkästen und Freitreppe, einer etwas unappetitlichen Gaststube, einem Spa und der in Trachten gehüllten Kapelle in der Mitte. Eher nervig fand ich den nur sporadisch in den bekannten Dialekt verfallenden Leopold-Darsteller Klaus Schreiber, dessen Kalauer Teile der Zuschauer indes schreiend komisch fanden. Imogen Kogge war eine resolute, dem Konzept entsprechend ziemlich in die Jahre gekommene Wirtin, die die Mehlspeisen der Küche nicht verschmäht. Eine Freude war der raumfüllende, polternde Giesecke von Hendrik Arnst, Anna Kubin gab mit viel Sexappeal eine emanzipiert-kesse, überdreht-witzige Ottilie an der Seite des feschen, beweglichen, vokal lufitgen, aber doch einiges bietenden Florian Jahr als Dr. Siedler. Die Mehrheit des sehr gut aufgelegten, dankbaren Publikums mochte Moritz Führmann als Sigismund Sülzheimer lieber als ich. Mit großem Ernst und feiner Komik wertete Pierre Siegenthaler die vergleichsweise kleine Rolle des Professor Dr. Hinzelmann auf, Patrizia Wapinska gab seine Tochter Klärchen nicht dem Gelächter preis, sondern bot auch Zwischentöne. Wolfgang Reinbacher machte sein weises Lied zu einem ruhigen Höhepunkt des Abends. Besonders komisch fand ich Catherine Stoyan als schrullig-schräge, aber zu oft auftretende Briefträgerin mit Jodelqualitäten, Martin Schnippa war der nicht sehr präsente Piccolo.
Ein zäher, klamottiger, flacher Abend, der weit hinter den Erwartungen des Rezensenten zurückbleibt. Den Evergreens dieses Singspiels freilich konnte auch diese schwache Produktion nicht viel anhaben. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Regie
Bühnenbild und Licht
Kostüme
Musikalische Leitung
Arrangement
Choreografie
Dramaturgie
Musikalische Einstudierung
Ton
Solisten
Josepha Vogelhuber, Wirtin
Leopold, Zahlkellner
Wilhelm Giesecke, Fabrikant
Ottilie, seine Tochter
Dr. Otto Siedler, Rechtsanwalt
Sigismund Sülzheimer
Professor Dr. Hinzelmann
Klärchen, seine Tochter
Der Kaiser
Piccolo
Kathi, Briefträgerin
Stubenmaderln
Silvia Göhring-Fleischhauer Katrin Junge Jasmin Pilato Lisa Timm
Touristen
Joon Kyoo Han Eckhard Helms Jung Woo Jang Renate Ortmann Jin Su Park Lifan Yang Jong Hyun Yoon
Koch
Konditor
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