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Ein Kabinett skurriler Geschichten
Von Thomas Molke / Fotos von Hans Jörg Michel
Mit Beginn der Intendanz von Christoph Meyer in der Spielzeit 2009 / 2010 ist als Nachfolger des Jungen Ensembles das Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein gegründet worden, wo junge Künstler nach Abschluss ihres Studiums die Möglichkeit bekommen, für einen Zeitraum von in der Regel zwei Jahren neben angebotenen Meisterkursen auch in kleineren Rollen den Alltag des Opernbetriebes in allen seinen Facetten kennen zu lernen. Daneben wird in der Regel pro Spielzeit eine eigene Produktion erarbeitet, die dann an einer alternativen Spielstätte zur Aufführung gelangt. Für die mittlerweile vierte Produktion ist die Wahl dieses Mal auf das maxhaus in der Düsseldorfer Altstadt gefallen, Die Spielstätte erinnert dabei ein wenig an den Innenhof der Theologischen Fakultät in Innsbruck, wo im Rahmen der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik alljährlich die Produktionen des Akademie-Projektes BAROCKOPER:JUNG stattfinden, mit dem einzigen Unterschied, dass der Spielort im maxhaus überdacht und somit wetterunabhängig ist. Als Stück hat man sich für fünf Miniatur-Opern von Karl Amadeus Hartmann entschieden, die dieser für das 1928 an der Münchner Staatsoper gegründete Opernstudio komponierte und unter dem Titel Wachsfigurenkabinett zusammenfasste. Zur Aufführung gelangte 1929 allerdings nur Leben und Sterben des heiligen Teufels, und auch dieses Stück nur auf der Probebühne der Münchener Staatsoper ohne öffentliches Publikum. Da Erich Bormann nämlich die Staatsoper verließ, wurde auch das Opernstudio wieder aufgelöst. Die für 1930 geplante Uraufführung am Stadttheater Münster scheiterte, da das privat geführte Theater aufgrund der Wirtschaftskrise bankrott ging, so dass das Werk erst posthum 1988 zur Eröffnung der ersten Münchner Biennale uraufgeführt wurde. Seitdem hat dieses Werk vor allem bei jungen Ensembles in kleineren Produktionen großes Interesse gefunden. Der Bürgermeister (Felix Rathgeber, rechts) und seine Gehilfen (von links: Attila Fodre, Jessica Stavros, Aïsha Tümmler, Hagar Sharvit, Evgenii Nagovitcyn) wollen den Arbeitslosen (Paul Stefan Onaga, Mitte auf dem Stuhl) hängen sehen. Die fünf Miniaturen stehen dabei in keinem inhaltlichen Zusammenhang, sondern können eher als kritische Momentaufnahmen beziehungsweise Karikaturen der gesellschaftlichen Verhältnisse betrachtet werden. So wird beispielsweise in der Witwe von Ephesus der provokante Vorschlag gemacht, einen Arbeitslosen, der weder seine Familie ernähren noch seine Steuern zahlen kann, hinzurichten. In Chaplin - Ford - Trott wird ein recht zynisches Bild von Amerika als dem Land der 1000 Möglichkeiten gezeichnet, in dem jeder Erfolg und Ruhm erlangen kann, selbst die Frau, die aus Langeweile ihren reichen Ehemann erschießt. In Der Mann, der vom Tode auferstand wird die übertriebene Angst vor dem Kommunismus karikiert. Musikalisch spiegeln die Kurzopern die zeitgenössischen Strömungen der ausgehenden 20er Jahre des letzten Jahrhunderts wider und nehmen dabei auch zahlreiche Anleihen bei der sogenannten Gebrauchsmusik wie Revue-, Tanz-, Filmmusik und Jazz. Während Die Witwe von Ephesus und Leben und Sterben des heiligen Teufels in der Instrumentation vollständig erhalten waren, wurden die übrigen drei Miniaturen von Günter Bialas, Hans Werner Henze und Wilfried Hiller nach Hartmanns hinterlassenen Skizzen vervollständigt und in Partitur gesetzt. Der Reiche (Attila Fodre, Mitte) wird vom Kind (Magnus Enckelmann) verfolgt (im Hintergrund: Evgenii Nagovitcyn als Anführer). Mechthild Hoersch löst in ihrer Inszenierung die einzelnen Miniaturen aus Zeit und Raum und entwickelt keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Stücken. Ein einfacher Black deutet jeweils an, dass ein Stück zu Ende ist und nun die nächste Episode beginnt. Die weiße Rückwand des Innenraums mit den zahlreichen mit weißem Papier verklebten Fenstern bildet das Bühnenbild, das Constantin Wallhäuser mit Videoprojektionen gestaltet. Ansonsten wird nur mit acht Stühlen in den ersten vier Stücken und einem großen dunklen Holztisch im letzten Teil gearbeitet. Die Darsteller legen in den Einheitskostümen von Inga Gürle jegliche Individualität ab und wirken mit den weiß geschminkten Gesichtern, bei denen die rechte Gesichtshälfte durch den roten Lippenstift und der schwarzen Augenumrandung deutlich hervorgehoben wird, nahezu clownesk. Auch die blonde Frisur wirkt mit der halbseitigen hohen Toupierung auf der rechten und den streng nach hinten gekämmten Haaren auf der linken Seite, äußerst skurril. Für das Verständnis der einzelnen Stücke ist diese Vereinheitlichung nicht unbedingt förderlich. So wäre es bei der Witwe von Ephesus vielleicht sinnvoller gewesen, den Arbeitslosen und die Witwe zu individualisieren und sie damit vom Bürgermeister und seinen Gehilfen abzuheben. Treffende Bilder entwickelt Wallhäuser hier in seinen Videoprojektionen, wenn die Figuren mit einem Strick auftreten oder später der Wächter, der den Gehenkten bewachen soll, kopflos über die Rückwand läuft. Dass die Witwe im Libretto eigentlich den Verurteilten rettet und gemeinsam mit ihm ihren verstorbenen Mann ausgräbt und ihn an den Galgen hängt, kommt in Hoerschs Inszenierung allerdings gar nicht zum Ausdruck. Hier singen die beiden das Liebesduett, während sie auf einem Stuhl stehen und scheinbar beide am Galgen hängen. Vater (Felix Rathgeber, links) und Sohn (Attila Fodre, rechts) vor ihrem Haus (hinten Mitte: Aïsha Tümmler als Frau) Faszinierende Bilder erzeugt Wallhäuser auch im vierten Stück Fürwahr...?!, in dem zwei betrunkene Männer vor einer Haustür stehen und sich beide für Einbrecher halten, wobei sich hinterher durch die Ehefrau herausstellt, dass es sich um Vater und Sohn handelt. Während zunächst die Fenster noch genau auf die verklebten Fenster der Rückwand projiziert werden, geraten sie im weiteren Verlauf des Stückes in Bewegung und "wandern" über die Rückwand, was den umnebelten Zustand des Vaters und des Sohns verdeutlicht. Scheinbar geht Hoersch aber davon aus, dass die Zuschauer bei diesen bewegten Bildern sowieso nicht mehr auf die Protagonisten achten und lässt daher den Vater und seinen Sohn in ihrer Auseinandersetzung regungslos auf einem Stuhl vor der Rückwand sitzen. Der Schutzmann, der zur Hilfe gerufen wird, erscheint nur an einem Fenster auf der Seitenwand und kann von diesem Ort die Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern gewiss nicht schlichten. Erst der Auftritt der Ehefrau durch eine Tür in der Rückwand gibt der absolut skurrilen Situation einen halbwegs realen Ansatz. Rasputin (Felix Rathgeber, hinten) und Felix (Paul Stefan Onaga, vorne) Das letzte Stück Leben und Sterben des heiligen Teufels arbeitet vor allem mit beeindruckenden Lichteffekten. Auf einem riesigen braunen Holztisch mit drei Scheinwerfern werden auf drei rotierenden Platten jeweils Kristallschalen oder Vasen aufgestellt, die interessante Lichteffekte auf die Rück- und Seitenwände werfen. Bei aller Faszination für diese Lichtregie von Tim Peters wird der Inhalt des Stückes über Rasputin, der von seinem verräterischen Freund Felix vergiftet und, als das Gift nicht wirkt, auch noch erschossen wird, allerdings überhaupt nicht klar. Auch in den anderen beiden Miniaturen findet Hoersch zwar interessante Bilder, wenn sie beispielsweise in Der Mann, der vom Tode auferstand während des ganzen Stückes den Reichen von einem Kind mit einem Holzschwert bedrohen lässt oder in Chaplin - Ford - Trott mit Hilfe von durchgereichten Stühlen die Fließbandarbeit in einer Autofabrik verdeutlicht. Zum Verständnis der Handlung tragen diese Regie-Einfälle allerdings nicht bei. Vielleicht ist dies bei den etwas abstrusen Geschichten aber auch gar nicht intendiert. Des Weiteren fragt man sich, ob die von Band eingesprochenen Dialoge wohl eigentlich von den Figuren des Stückes gesprochen werden sollten und von Hoersch nur als Verfremdungs-Effekt eingesetzt werden. Musikalisch lassen vor allem Luiza Fatyol mit leuchtendem Sopran und Attila Fodre mit profunden Tiefen aufhorchen. Fatyol bringt die durchschlagenden Höhen vor allem als Witwe in der ersten Kurzoper zum Ausdruck, wenn sie ihr Unverständnis darüber äußert, dass der Verurteilte (Paul Stefan Onaga mit weichem und in den Höhen recht reinen Tenor) unbedingt weiterleben möchte. Fodre begeistert sowohl als Reicher, der sich von dem Kind mit dem Holzschwert verfolgt fühlt, als auch als betrunkener Sohn, der den eigenen Vater für einen Einbrecher hält, mit markantem Bariton. Felix Rathgeber stattet den verrückten Bürgermeister und Rasputin mit großer darstellerischer Präsenz aus, Hagar Sharvit verfügt über großes komisches Talent, vor allem in Chaplin - Ford - Trott, wenn sie als Ältere Dame durch den Park joggt oder am Fließband die Stühle herrlich umständlich weiterreicht. Jessica Stavros mimt die gelangweilte Mörderin Vera Bancroft mit wunderbar übertriebenen Starallüren. Aïsha Tümmler und Evgenii Nagovitcyn runden das Ensemble ebenso spielfreudig ab. Ville Enckelmann lotet mit den Musikern der Düsseldorfer Symphoniker Hartmanns vielschichtige und abwechslungsreiche Musik differenziert aus, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Videoinstallation und Bühne Kostüme Licht
Dramaturgie
Düsseldorfer Symphoniker
SolistenDie Witwe von Ephesus
Bürgermeister
Sie
Er
Chor Chaplin - Ford - Trott
Miss Vera Bancroft
Dorothy (Sie)
Jim (Er)
Tenorsolo / Ein Blinder Ältere
Dame Chor Der Mann, der vom Tode auferstand
Anführer Der Reiche Kind Chor Fürwahr...?!
Frau
Schutzmann
Vater
Sohn
Leben und Sterben des heiligen Teufels
Großfürstin
Magd
Felix
Rasputin
Chor der Verschwörer
Stimmen
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