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Die Spirale
der Rache
Von Bernd Stopka / Fotos von Matthias Creutziger
Anne Schwanwilms (Chrysothemis), Evelyn Herlitzius (Elektra) Muriel Gerstner hat sich für das Bühnenbild von einem nie fertig gestellten, einfachen Hotel-Raum im Flughafen Tempelhof inspirieren lassen und ihn fast naturgetreu nachgebildet. Ein Raum, der ohne dieses Programmheft-Hintergrundwissen sein Geheimnis, ob er nun gerade gebaut oder abgebaut wird, nicht preisgibt, in jedem Fall aber einen angemessenen szenischen Rahmen für diese Oper bildet, der mit der Kenntnis seines Ursprungs und dem unmittelbaren Eindruck eine vertiefende Dimension der Handlung erschließt: Ist die Spirale aus Mord und Rache je zu Ende? Ist jeder Rächer nicht zugleich auch Mörder? Das Dilemma trägt sich durch die Generationen, bleibt aber immer das Gleiche. Oberhalb einer Galerie, die dem Bühnenraum mit einfachem aber elegantem Geländer den für die Klytämnestra/Elektra-Szene so wichtigen zweiten Spielort mit Höhenunterschied gibt, steht in starken Lettern "Justitia fundamentum regnorum" (Gerechtigkeit ist das Fundament der Königreiche/Staaten). Doch was ist Gerechtigkeit? Ist es gerecht, eine Frau zu töten als Rache dafür, dass sie ihren Mann getötet hat, der die gemeinsame Tochter geopfert hat? Und wie verändern und bilden sich die Charaktere in solchen Situationen? Diesen Fragen geht die Regisseurin mit sicherem Spürsinn und ohne künstliche Beigaben oder sonstigem Regietheater-Schnickschnack nach und erreicht eine großartige, packende Personenregie, die die Schicksale wahrhaftiger Menschen in vielen Facetten, Dimensionen und Tiefen zeigt, die die Sichtweisen auf die Personen und ihre Handlungen bezwingend auf zuweilen ungewöhnliche Wege zu führen vermag. Wann schaut man schon mit mehr Empathie auf Klytämnestra als auf Chrysothemis…? Evelyn Herlitzius (Elektra), Waltraud Meier (Klytämnestra Elektra haust in einem schrankähnlichen Wandelement, dessen schmutzig-hölzerne Abdeckung abgenommen wurde. Sie trägt ein Kleid aus den Goldenen Zwanzigern, alle anderen tragen Kostüme aus späteren Mode-Zeitaltern, womit Bettina Walter das Festhalten Elektras an der Vergangenheit und ihr Stehenbleiben in einem früheren Status auch kostümbildnerisch deutlich macht. Es ist eine wilde, ungezähmte, in leidenschaftlichem Hass tobende, von anarchischen Rachegefühlen zum Tanzen gezwungene und dann wieder in tiefster, sehnsüchtiger Verzweiflung bittende („Zeig dich deinem Kind“) junge Frau. Zwischen elementaren Gefühlen aufgerieben, setzt sie ihrem Denken Scheuklappen auf und sieht nur aus dem einen, dem rachsüchtigen Blickwinkel auf ihre Mutter. Als der Mord an ihrem Vater gerächt ist, Klytämnestra und Aegist tot sind, ist sie ihres Lebensinhaltes beraubt. Kein Freudentanz beschließt die nächste Umdrehung der familiären Rachespirale: Elektra erlebt noch einmal kurze Zuckungen ihres Tanzzwanges, um sich dann unter der „Last des Glücks“ auf dem Bühnenboden in Richtung Orchestergraben zu Tode zu wälzen. Es ist schier unglaublich, mit welcher Intensität Evelyn Herlitzius von der ersten bis zur letzten Minute wirklich alles gibt, sich keinen Moment schont und offensichtlich keine Kräfte sammeln muss, da sie ihr in üppigstem Maße zur Verfügung stehen. In gewaltiger Wut lässt sie das Haus in den Grundfesten erzittern, mit lyrischen Elementen rührt sie zu Tränen und hat unzählige Stimmfarben und Ausdrucksnuancen dazwischen. Wie giftig-böse sie ihrer Mutter scheinbar hilfreich sein will, wie berechnend liebevoll sie ihre Schwester umgarnt – um sie dann in höchster Wut zu verfluchen: grandios! Ihr unverwechselbares Timbre, die in den letzten Jahren immer stärker ausgefeilte Stimmtechnik, die gewaltige Ausdruckskraft und die enorme Größe der Stimme bieten alle Voraussetzungen für diese leidenschaftliche Gestaltung, bei der man den Eindruck gewinnen könnte, dass da Elektra leibhaftig auf der Bühne steht. Mit dieser Interpretation stellt sie sich zweifelsohne in die erste Reihe der Elektra-Sängerdarstellerinnen. Chrysothemis ist eine junge Dame von Stand in mattrotem elegantem Kleid, die eher ein Pochen auf Ordnung und gesellschaftliche Strukturen verkörpert als die leidenschaftliche Sehnsucht nach Ehe und Mutterschaft. Eine junge Frau, die will, dass es wieder so schön wird….wie es doch nie war. Nur kurz verliert sie die contenance, z. B. wenn sie den verführerischen Versprechungen Elektras lauscht („Von jetzt an will ich deine Schwester sein, so wie ich niemals deine Schwester war“), sich mit offenen Armen der Hoffnung hingibt, um dann in tatenloser Angst davonzueilen. Am Ende kann sie es gar nicht abwarten und erscheint im viel zu üppigen Brautkleid, um dann entsetzt darüber zusammenzubrechen, wie Elektra an der Erfüllung ihrer Rachesehnsucht zu Grunde geht. Anne Schwanewilms ist eine überzeugende Darstellerin, singt die Partie aber nicht so lyrisch, wie man sich das wünscht. Sie lässt viele schöne Töne hören, die aber eher wie aneinandergereiht klingen. Da vermisst man immer wieder Legatogesang und sich aufschwingende Bögen. Statisterie, René Pape (Orest), Evelyn Herlitzius (Elektra) Klytämnestra ist keine keifende Alte, sondern eine elegante Dame mit roten Haaren und dazu passendem Mantel und auch wenn ihr Rock jenseits aller Bekleidungserotik liegt, verkörpert sie eine Frau in den besten Jahren mit sinnlicher Ausstrahlung. Das ist höchst logisch, denn wieso sollte Aegisth sich an einer alten Frau vergreifen, um die von Elektra verspotteten „Heldentaten […] im Bett“ zu vollbringen? Aber Klytämnestra ist eine vom Schicksal schwer getroffene Frau, die an den emotionalen Folgen ihrer ausgeführten Rachetat zu Grunde zu gehen droht. Sie hat Agamemnon getötet – weil er zuvor die gemeinsame Tochter Iphigenie geopfert hatte, um guten Wind für die Überfahrt nach Troja zu erbitten. Daran kann eine Mutter schon einmal wahnsinnig, zumindest aber zur Furie werden. Elektra ist auf dem besten Weg, das gleiche Schicksal zu erleiden. Beide Frauen sind traumatisiert, aber beide gehen unterschiedlich damit um. Wenn Klytämnestra vom angeblichen Tode Orests erfährt, bricht sie nicht in unbändiges Lachen aus und erlangt ihre stolze Haltung wieder – es scheint eher, als sei sie verwirrt, entsetzt, vielleicht sogar verängstigt. Würde der Tod sie nicht von ihren Seelenqualen erlösen und wäre ihre Schuld am Tod ihres Mannes dann nicht gesühnt? Waltraud Meier verkörpert diese Sichtweisen auf die Figur mit einer solchen Intensität, dass sich alles Mitleid auf die Klytämnestra konzentriert und sich neue Dimensionen des Charakters erschließen. Dabei singt sie die Partie mit großer Stimmschönheit, höchster Stimmkultur und einer Präzision, die intensiv erarbeitet ist, aber ganz selbstverständlich klingt. „…es ist kein Wort, es ist kein Schmerz…“ sei als Beispiel kongenialer Zusammenarbeit mit dem Orchestergraben genannt. Eine Szene, die eine unglaubliche, flirrende Spannung aufbaut und geradezu Beklemmung auslöst. Orest erscheint als ernster, düsterer Mann im schwarzen Ledermantel. Sollte er wirklich zwischen den Tieren des Hofes aufgewachsen sein, hat er sich genügend Würde seines Standes bewahrt. Auch er folgt dem eindimensionalen Blick auf die Rache, die Rache für den Vater, aber auch die Rache für sein eigenes Schicksal, er, der ohne Familie und ohne Liebe in der Fremde aufwuchs. Zunächst verwirrt, überfällt ihn die Geschwisterliebe zu Elektra und beide halten sich in zärtlich-inniger, fast schon inzestuöser Umarmung aneinander fest. Dezenter, aber nicht weniger bewegend erscheint der kurze Moment, in dem Orest seinen Kopf wie ein kleines Kind kraftschöpfend auf die Schulter seines Pflegers legt. René Pape lässt seine gewaltige Stimme aus edler Kehle üppig und hochkultiviert strömen. Eine Luxusbesetzung allererster Güte. Von unglaublichem Schönklang und gewaltig-bedrohlicher Stimmkraft berauscht und benommen laufen einem Schauer über den Rücken – hinunter und hinauf. Kann ein Sänger des Orest mehr erreichen?
Als cholerischer tölpelhafter Neu-Mächtiger erscheint Aegisth im blauen Anzug und fällt auf Elektras ablenkende Verführungsandeutungen herein, lässt sich von ihr zum Mittanzen verleiten und krepiert dann doch elendig auf der Galerie, wobei eine Hand dämonisch zwischen den Geländerstreben herausragt. Frank van Aken gibt den Liebhaber Klytämnestras mit angemessen charaktervollem Stimmklang. Sehr gut aufeinander abgestimmt und ausgesprochen exakt meistern die Mägde ihren Auftritt, von Nadine Secunde als Aufseherin angeführt, deren Bühnenpräsenz auch in dieser kleinen Partie ungebrochen ist. Mit Peter Lobert als Pfleger des Orest, Simeon Ester als jungem Diener und Matthias Hennberg als altem Diener sowie Ute Selbig als Schleppträgerin und Romy Petrick als Vertraute sind auch die kleineren Partien gut bis sehr gut besetzt. Unter Christian Thielemanns Leitung klingt die Partitur ausgesprochen dynamisch und vielschichtig und gern auch mal martialisch. Es braust und tost und flirrt…, gewaltige Ausbrüche und große Bögen stehen neben ausgesprochen feinsinnigen Ausdeutungen. Dabei reitet Thielemann nicht auf den Dissonanzen der Partitur herum, um die Modernität der Komposition aufzuzeigen, sondern er nutzt sie, um Spannungen aufzubauen, bleibt aber fern davon, sie weichzuspülen. In einigen Momenten glaubt man, sich nicht erinnern zu können, diese oder jene Passage schon einmal so gehört zu haben. Er verliert nie das große Ganze aus den Augen und setzt auf jede Spannung eine weitere, so dass ein musikalischer Sog entsteht, dem man sich nur schwer entziehen könnte – das aber auch gar nicht möchte. Das Orchester beweist einmal mehr seine Qualitäten und lässt nichts, aber auch wirklich nichts zu wünschen übrig und brilliert in dieser Rache-, Wut- und Leidenschafts-Symphonie. FAZIT
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ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Licht Chor Dramaturgie
Kinder der Komparserie Sächsischer Staatsopernchor Sächsische Staatskapelle
SolistenElektra Chrysothemis Klytämnestra Aegisth Orest Pfleger des Orest Die Vertraute Die Schleppträgerin Ein junger Diener Ein alter Diener Die Aufseherin 1. Magd 2. Magd 3. Magd 4.Magd 5.Magd
6 Dienerinnen
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