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Am Ende nur noch Seifenblasen
Von Joachim lange / Fotos von Matthias Creutziger Das Verblüffende an diesem Abend auf der kleinen Bühne der Semperoper ist, dass einer wie Dmitri Schostakowitsch 1958 eine richtige Operette geschrieben hat. Übrigens das einzige Bühnenwerk, zu dem sich der durch das berüchtigte Verdikt Chaos statt Musik, das Stalin 1936 in der Prawda gegen seine Lady Macbeth von Mzensk schleudern ließ, noch schrieb. Eine, die obendrein in seiner damaligen Gegenwart unter ganz normalen Leuten im Neubaublock spielt und die dennoch nach allen Regeln des Genres funktioniert. Sehr melodieeingängig, intrigengespickt, hinreichend satirisch aufgerüstet und so musikalisch perfekt gemacht, dass man beim Rausgehen die Titelmelodie über den Moskauer Stadtteil Tscherjomuschki noch im Ohr hat. Dort hatte man gerade miterlebt, wie der Versuch einer Funktionärsgattin, aus der ihr zugewiesenen Zwei- eine Vierzimmerwohnung zu machen, durch die überlebenden Reste von Solidarität der gar nicht sooo neuen Menschen im nachstalinistischen Moskau Chruschtschows gerade noch verhindert wird.
Für Christine Mielitz ist es in Dresden eine leichte Übung, die langsam verblassenden Klischees über den großen Bruder wieder wach zu rufen. Alles ein bissel übertrieben und eine Spur zu bunt, die Musiker wie in einem Kulturpalast vor der kleinen Bühne platziert (Ausstattung: Christian Rinke) - und fertig ist die Russendisko. Pardon: die Moskau-Operette aus dem Alltag von Masche und Sascha, Boris (Sebastian Wartin) und Lidotschka (Nadja Mchantaf) und noch ein paar anderen Paaren mit Wohnungsbedarf. Vor allem beim Funktionär Drebednjow (Matthias Henneberg) in seiner Beinahe-Stalin-Maske und bei seinem tätowierten, glatzköpfigen Helfer Barbarischkin (Michael Kranebitter) vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart so, wie in dem (allzu nebenher gesprochenen) Satz, hier verschwänden Wohnungen und Menschen Am Ende sind die roten Sterne zerlaufen und die Seifenblasen füllen den Himmel über Moskau und platzen vor sich hin. Zu den Stimmen aus dem Jenseits - die Bilder aus dem Universum des Surrealen
Der eigentlichen Paukenschlag kam am Premierentag per Mail: Es war die fristlose Kündigung des designierten Intendanten der Semperoper Serge Dorny. Dass die Ministerin dem bislang in Lyon höchst erfolgreichen und in Dresden bis vor kurzem noch hochwillkommenen (und nötigen) Dorny die Schuld an diesem Hals-über-Kopf-Rausschmiss zuschob, ließ der am gleichen Abend nicht unwidersprochen. Was sich hinter kryptischen Formulierungen von verspielten Vertrauen und gestörtem Betriebsfrieden und den Besonderheiten eines Hauses mit Repertoirebetrieb verbirgt, war auch so nicht allzu schwer zu entschlüsseln. Das normale Stühlerücken vor einer neuen Intendanz konnte es nicht sein. Hinreichend eloquent ist der Flame auch. Die einzige Kraft (außer der zuständigen Ministerin), die einem Intendanten der Semperoper das Leben schwer machen, ja ihn verhindern kann, ist die Sächsische Staatskapelle und ihr Chefdirigent Christian Thielemann. Und in deren traditionellen Entscheidungssouveränität und, tja: Machtposition, (die wohl nur mit der der Wiener Philharmoniker vergleichbar ist) liegt wohl auch der Hund begraben. Ein bisschen fahrlässig ist es von allen Seiten, hier vor Vertragsabschluss keinen Stresstest durchgeführt zu haben. Manche Dinge regeln sich eben nicht so leicht, wie die verschwundene Wohnung in Moskau. Der Tanker Semperoper wird noch eine Weile weitertuckern, doch dass das Haus und dieses Weltspitzenorchester nicht nur einen Chefdirigenten für ihre Lieblingsmusik, sondern so schnell wie möglich einen starken und kreativen Intendanten (aus der ersten Liga!) brauchen, ist immer weniger zu übersehen. Dass man den jetzt angerichteten Scherbenhaufen nicht zum Nulltarif wegfegen kann, ist da noch das geringste Problem.
Christine Mielitz bringt Dmitri Schostakowitschs Moskau, Tscherjomuschki als leichtfüßige Operetten-Ausgrabung heraus. Die freilich wird von der Kündigung des Intendanten überschattet - für das Haus ein Desaster, dessen Folgen noch nicht überschaubar sind. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie
Figurenbildnerin
Licht
Chor
Video
Dramaturgie
Solisten
Sascha Bubenzow
Mascha
Semjon Baburow
Lidotschka
Boris Korezki
Sergej Gluschkow
Ljusja
Drebednjow
Wawa
Barabaschkin
Puppenspieler 1
Puppenspieler 2
Puppenspieler 3
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