Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Geschichten aus dem Wiener Wald

Ballett von Xin Peng Wang
Szenario von Christian Baier nach dem Volksstück von Ödön von Horváth
Musik von Johann Strauß (Sohn) und Alban Berg

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 22. Februar 2014



Theater Dortmund
(Homepage)

Walzer bis zum bitteren Ende

Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöss (Stage Pictures)

Seit Xin Peng Wang Ballettdirektor in Dortmund ist, hat sich seine Compagnie ein breit gefächertes Repertoire erarbeitet, bei der auch das Handlungsballett eine nicht unbedeutende Rolle einnimmt. Dabei setzt Wang aber den Schwerpunkt nicht nur auf die großen Ballettklassiker wie Schwanensee und Nussknacker, sondern hat gemeinsam mit seinem Chefdramaturgen Christian Baier immer wieder Werke kreiert, bei denen man sich eine Umsetzung in einem Ballett auf den ersten Blick gar nicht vorstellen kann. Erinnert sei an dieser Stelle an Leo Tolstois Roman Krieg und Frieden oder an den Ballettabend Der Traum der roten Kammer aus der letzten Spielzeit, der auf einem chinesischen Nationalroman basiert. In dieser Spielzeit kehrt Wang nun aus der asiatischen Literatur nach Europa zurück und hat sich mit Ödön von Horváths Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald die erste Vertanzung dieses wortgewaltigen Dramas vorgenommen. Musikalisch wird dabei auf den Walzerkönig Johann Strauß (Sohn), dessen Namen man wahrscheinlich automatisch mit Wien verbindet, und Alban Berg zurückgegriffen, der sich selbst mit Arnold Schönberg und Anton Webern als zweite Wiener Schule bezeichnet und in seiner Musiksprache den Zuhörer nicht wie Strauß mit einer gewissen Walzerseligkeit einlullt, sondern wie Horváth die Schichten einer maroden Gesellschaft offenlegt, die sich unter dem Deckmantel eines biederen Bürgertums verbirgt.

Bild zum Vergrößern

Mark Radjapov als der Tod (im Hintergrund: Corps de Ballet)

Baier und Wang gehen in ihrer Erzählung von einer uralten Wiener Legende aus, nach der einmal im Jahr alle Toten, die noch eine Rechnung offen haben, für einen Tag ins Leben zurückkehren und versuchen müssen, ihren Seelenfrieden zu finden. Dies kann man als Chance betrachten, wenn es einem an diesem Tag gelingt, seine ewige Ruhe zu finden. Sollte es aber nicht der Fall sein, kann dieser Kreislauf der ständigen Rückkehr auch sehr grausam werden. Letzteres Problem hat Marianne, die Protagonistin des Dramas, die an diesem Tag erneut ihr Leben Revue passieren lässt und immer wieder dieselben Fehler begeht, die ihr Leben zerstören. Sie lässt sich erneut mit dem windigen Alfred ein, verstößt dafür ihren Verlobten Oskar, der ihr eine sichere Zukunft bieten könnte, und hofft erneut, dass Alfred zu ihr und dem unehelichen Kind steht. Doch Alfred verlangt, dass sie das Kind in Pflege gibt, und zwingt Marianne, in einem zweifelhaften Etablissement als Tänzerin zu arbeiten. Trotzdem kehrt er zu seiner ehemaligen Geliebten Valerie zurück, und als auch noch das Kind stirbt, ist Oskar zwar bereit, Marianne zurückzunehmen, was ihr allerdings nicht wirklich hilft, da sie innerlich zerbrochen ist.

Bild zum Vergrößern

Marianne (Monica Fotescu-Uta) und Oskar (Howard Quintero Lopez) passen nicht zusammen.

Zu Beginn des Abends sieht man ein Mädchen (Stephanine Ricciardi) auf der Bühne liegen. Handelt es sich um Mariannes Kind, das gestorben ist, als Marianne es in Pflege geben musste? Mark Radjapov erscheint als der personifizierte Tod aus dem Hintergrund. Ist heute der Tag, an dem Marianne eine andere Entscheidung treffen und ihr Kind damit retten wird? Im Hintergrund der Bühne sieht man das Corps de Ballet, das vor mehreren Särgen liegt. Wenn die Särge in den Schnürboden gezogen werden, sieht man dahinter die vier Figuren des Stückes: Marianne, Oskar, Alfred und Valerie, die nach und nach von dem Corps de Ballet aus der Vergangenheit zurückgeholt werden und noch einmal ihre Geschichte erleben. Radjapov wirkt mit seinem fratzenhaft geschminkten Gesicht, das an einen Totenkopf erinnert, und dem dunklen Anzug absolut unheimlich, was er durch abgehackte, dabei aber wahnsinnig schnelle Bewegungen noch unterstreicht. Er macht deutlich, dass der Tod die Zügel in der Hand hält und die Spielregeln für die anderen diktiert. Großartig sind dabei auch die Hintergrundbilder, die Frank Fellmann entworfen hat. Zunächst sieht man einen roten Spalt in der schwarzen Rückwand, was vielleicht das Tor aus dem Jenseits darstellt. Wenn die eigentliche Geschichte beginnt, sieht man im Hintergrund ein Riesenrad, wahrscheinlich den Prater, allerdings seltsam isoliert, so als ob die Donau über die Ufer getreten wäre und die ganze Stadt überschwemmt hätte.

Bild zum Vergrößern

Alfred (Dmitry Semionov) und Valerie (Emilie Nguyen)

Die vier weiteren Solisten sind ebenfalls hervorragend besetzt. Monica Fotescu-Uta gestaltet die Marianne als eine willensstarke Frau, die allerdings an den Konventionen der Gesellschaft zerbricht. Besonders beeindruckend gelingt ihr Auftritt als Tänzerin in dem zweifelhaften Etablissement, in dem sie den Lebensunterhalt für sich und Alfred verdienen muss. Wie Fotescu-Uta im Vergleich zu den anderen Tänzerinnen in ihren Bewegungen absolut steif wirkt und bei jedem Schritt droht umzuknicken, ist von ihr großartig in Szene gesetzt. Dabei hat sie vorher im Pas de deux mit Alfred unter Beweis stellen können, dass sie den Spitzentanz beherrscht, aber eben nur zu einem Zeitpunkt, wenn Marianne mit ihrem Leben zufrieden ist, weil sie glaubt, in Alfred die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben. Eindringlich ist Fotescu-Utas Kampf am Ende, wenn sie versucht, gegen den Tod zu dem jungen Mädchen zu gelangen. Sie hat an diesem Tag noch nicht aufgegeben zu hoffen, ihr Kind dieses Mal retten zu können. Doch es ist vergeblich. Absolut gebrochen landet sie erneut in Oskars Armen, der von Howard Quintero Lopez als bodenständiger, dabei allerdings auch langweiliger Mann umgesetzt wird. Da wirkt Dmitry Semionov als Alfred schon interessanter. Mit Händen in der Hosentasche und fast beiläufigen Schritten präsentiert er einen Hallodri, der allerdings bei aller Unzuverlässigkeit ein Womanizer bleibt. So wird auch nachvollziehbar, dass Emilie Nguyen, die die Valerie eigentlich als selbstbewusste und unabhängige Frau darstellt, dem Charme dieses Windhundes immer wieder erliegt.

Bild zum Vergrößern

Corps de Ballet beim Ausflug an den Badesee

Das Corps de Ballet setzt sich ebenfalls großartig in Szene, sei es nun in den eher traurigen Passagen als Handlanger des Todes oder als Priester, die gemeinsam mit Radjapov Marianne eine Abfuhr erteilen, wenn sie Schutz und Unterstützung in der Kirche sucht, oder in den komischen Momenten, die bei aller Tragik der Geschichte an diesem Abend ebenfalls zu erleben sind. Musikalisch werden für diese aufheiternden Zwischenspiele einzelne Polkas von Strauß ausgewählt. So strömt das Ensemble zum "Klipp-Klapp-Galopp" in gestreiften Badeanzügen mit weißen Liegestühlen und großem Spaß zum Badesee, und vier Tänzer ärgern zur "Pizzikato-Polka" als lästige Insekten Valerie bei ihrem Sonnenbad. Bei der "Tik-Tak-Polka" nach der Pause schieben die Tänzerinnen dann Kinderwagen auf die Bühne, um anzudeuten, dass Marianne und Alfred nun ein Kind haben, und bei der "Tritsch-Tratsch-Polka" zerreißt sich das Corps de Ballet mit herrlich überspitzten Gesten, die auf den Punkt synchron abgestimmt sind, über den Lebenswandel von Marianne und Alfred das Maul. Da hat der Übergang von diesen komischen Momenten zu der tragischen Geschichte schon einen bitteren Beigeschmack. Aber den gibt es sowieso, weil die Walzermusik in ihrer Seligkeit nicht nur dem Publikum, sondern auch Marianne eine falsche Harmonie vorgaukelt. Da hilft es auch nichts, wenn Fotescu-Uta zu den recht disharmonischen Klängen von Berg zwischen Skeletten wandelt und Semionovs Annäherungsversuchen zu widerstehen scheint. Am Ende hat sie der Walzer wieder eingefangen, und sie macht den gleichen Fehler noch einmal. Wie faul dieser Zauber ist, macht das Corps de Ballet am Ende deutlich, wenn sich die Tänzerinnen und Tänzer bewusst steif und asynchron im Walzerrhythmus wiegen.

Die hervorragende tänzerische Umsetzung wird von den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Motonori Kobayashi aus dem Graben auf hohem Niveau begleitet. Kobayashi gelingt ein großartiger Wechsel zwischen üppiger Walzerseligkeit mit Wiener Schmäh und den eher dissonanten Tönen Alban Bergs. Die Polkas dirigiert er mit einer Leichtigkeit, die den Zuhörer in seinem Sitz mitwippen lässt. So gibt es für alle Beteiligten am Ende lang anhaltenden Applaus und für den Ballettdirektor stehende Ovationen.

FAZIT

Xin Peng Wang hat sich mit diesem Abend wieder einmal selbst übertroffen und bewiesen, wie spannend auch heute noch ein Handlungsballett sein kann.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Motonori Kobayashi

Choreographie, Inszenierung
Xin Peng Wang

Bühne
Frank Fellmann

Kostüme
Alexandra Schiess

Lichtdesign
Carlo Cerri

Idee, Konzept, Szenario, Dramaturgie
Christian Baier

 

Dortmunder Philharmoniker

1. Violine
Shinkyung Kim /
*Alexander Prushinsky

2. Violine
*Maike Schmersahl /
Oleguer Beltran Pallares

Bratsche
*Roman Nowicki /
Josephine Range

Violoncello
Franziska Batzdorf /
*Risto Rajakorpi

Klarinette
*Frauke Hansen /
Martin Bewersdorff

Klavier
Tatiana Prushinskaya

Keyboard
Sujin Jung

 

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Marianne
*Monica Fotescu-Uta /
Jelena-Ana Stupar

Valerie
*Emilie Nguyen /
Jacqueline Bâby

Alfred
*Dmitry Semionov /
Stephen C. King /
Andrei Morariu

Oskar
*Howard Quintero Lopez /
Arsen Azatyan

Das kleine Mädchen
*Stephanine Ricciardi /
Sakura Sakamoto

Der Tod, die Frau Baronin, ein Priester
*Mark Radjapov /
Stephen C. King /
Alysson da Rocha Alves

Corps de Ballet
*Tiffany Byrd
Stephanine Ricciardi
*Sakura Sakamoto
*Sayo Yoshida
*Shirley-Cordula Meissner
*Taela Tiffany Williams
*Julia Vargas Gil
*Denise Chiaroni
*Madeleine Andrews
*Sae Tamura
*Eugeniu Cilenco
*Alysson da Rocha Alves
*Armen Gevorgyan
*Gal Mazor Mahzari
*Yuri Polkovodtsev
Jie Qu
*Giuseppe Ragona
*Yuto Ideno
*Francesco Nigro
*Takahiro Tamagawa


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2014 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -