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La Straniera

Melodrama in zwei Akten
Dichtung von Felice Romani nach dem Roman L'Etrangère von Charles-Victor Prévost d'Arlincourt
Musik von Vincenzo Bellini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Koproduktion mit der Oper Zürich und dem Theater an der Wien

Premiere im Aalto-Theater Essen am 2. März 2014


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Belcanto in Versatzstücken

Von Thomas Molke / Fotos von Thilo Beu

Obwohl Bellinis La Straniera im 19. Jahrhundert mit ca. 180 Produktionen zum beliebten Standardrepertoire in und außerhalb Europas gehörte und nicht nur Hector Berlioz dieses Werk für Bellinis beste Komposition hielt, sondern auch der ansonsten den italienischen Komponisten gegenüber äußerst kritische Richard Wagner zugab, besonders von dieser Oper Bellinis für seine eigene Musiksprache profitiert und gelernt zu haben, verschwand die Oper in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts und hat auch nach ihrer Wiederentdeckung anlässlich des 100. Todestages des Komponisten 1935 nicht mehr den Sprung ins Repertoire schaffen können. Vor ungefähr zwei Jahren hat sich die "Belcanto-Ikone" Edita Gruberova mit dieser zu Unrecht vernachlässigten Bellini-Oper beschäftigt und sie zunächst mit einer Reihe von konzertanten Aufführungen wieder ins Bewusstsein des Opernpublikums gebracht. Es folgte eine Produktion in der Regie von Christof Loy, die zunächst in Zürich Premiere feierte (siehe auch unsere Rezension) und von dort nun nach Essen ins Aalto gekommen ist, bevor sie dann in der nächsten Spielzeit im Theater an der Wien zu erleben sein wird.

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Arturo (Alexey Sayapin) träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit der "Straniera" (Marlis Petersen).

Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit am französischen Königshof gegen Ende des 12. Jahrhunderts, die Victor d'Arlincourt 1825 zu seinem Erfolgsroman L'Etrangère verarbeitet hat. Der französische König Philippe Auguste hat in der Hochzeitsnacht aus einer unerklärlichen Abneigung seine Gattin, Prinzessin Isemberga aus Dänemark, verlassen und stattdessen die Tochter eines Höflings des Herzogs von Pommern, Agnese, geheiratet. Diesen Fall von Bigamie kann die katholische Kirche natürlich nicht dulden und droht dem König mit Exkommunikation. Folglich schickt der König Agnese gemeinsam mit ihrem Bruder Leopold ins Exil. Agnese hält das jahrelange Warten und die Isolation nicht aus und flieht zum See von Montolino, dem Schauplatz der Oper, wo sie von der Gemeinschaft isoliert und als Hexe stigmatisiert in den Wäldern als Alaide lebt, die von allen nur "La Straniera" genannt wird. Leopold freundet sich unter dem Namen Valdeburgo mit dem Grafen Arturo di Ravenstel an, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Arturo verliebt sich unsterblich in die "Straniera", obwohl er eigentlich mit Isoletta, der Tochter des Grafen von Montolino, verlobt ist. Nach und nach wird die Identität der "Straniera" aufgedeckt, und als Arturo erkennen muss, dass Valdeburgo, den er versucht hat umzubringen, gar nicht sein Rivale um die Gunst der "Straniera" sondern ihr Bruder ist und diese als im Exil lebende Königin seinem Liebeswerben nicht nachgeben kann, begeht er Selbstmord. Agnese verfällt dem Wahnsinn.

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Valdeburgo (Luca Grassi, links) versucht, Arturo (Alexey Sayapin, Mitte) klarzumachen, dass es keine gemeinsame Zukunft mit der "Straniera" (Marlis Petersen) geben kann.

Christof Loy inszeniert die Geschichte aus Sicht Arturos und lässt so das Publikum ebenso lange im Ungewissen über die Identität der "Straniera" wie den Grafen selbst. Dabei nimmt er allerdings das Schlussbild mit Arturos Selbstmord bereits zu Beginn der Oper vorweg. Wenn sich der Vorhang hebt, sieht man, noch bevor die Musik einsetzt, wie Arturo aus einem Seil, das aus dem Schnürboden herabhängt, eine Schlinge formt. Im weiteren Verlauf liegt er tot auf dem Boden und wird von Isolettas Brautschleier bedeckt, auf dem sie die Blumen ihres Brautstraußes ausbreitet. Wenn Arturo sich am Ende getötet hat, ist es nun allerdings nicht mehr Isoletta, die den Bräutigam mit ihrem weißen Schleier bedeckt, sondern die "Straniera", die ihr schwarzes Gewand nun ebenfalls gegen ein weißes Hochzeitskleid eingetauscht hat. Jetzt ist sie es, die über den Toten Blumen streut, während Isoletta sich mit dem schwarzen Schleier bedeckt, den Alaide/Agnese als "Straniera" vorher getragen hat. Loy suggeriert damit, dass beide Frauen ein vergleichbares Schicksal ereilt. Wie Agnese vom König zurückgewiesen wurde, wird auch Isoletta von Arturo abgelehnt, wobei dieser Vergleich nicht ganz aufgeht. Schließlich ist Alaide/Agnese in beiden Fällen das Objekt der Begierde, während Isoletta eher das Schicksal der ungeliebten Gattin teilt.

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Die Dorfgemeinschaft (Chor) will die "Straniera" (Marlis Petersen) für den vermeintlichen Mord an Valdeburgo büßen sehen.

Das Einheitsbühnenbild von Annette Kurz zeigt in einem riesigen hölzernen Raum, aus dem es scheinbar kein Entrinnen, außer durch ein kreisrundes Loch in der Decke, gibt, einzelne Versatzstücke der Natur, die sich in einem großen Bild eines Sees, das zunächst im Hintergrund wie die Sehnsucht nach einer anderen Welt wirkt, und diversen leicht durchschimmernden Bühnenprospekten ausdrückt, die eine Waldlandschaft andeuten und nach und nach verschwinden und am Ende schließlich die Identität der "Straniera" offenbaren. Auch dass Arturo das Gemälde im zweiten Teil in der Hoffnung auf die Bühne holt, seiner Geliebten dadurch näher zu kommen, mag im psychologischen Ansatz noch nachvollziehbar sein. Ob allerdings die zahlreichen Seile, die aus dem Schnürboden herab im Bühnenbild herumhängen, wirklich nötig sind, um das düstere Ende vorwegzunehmen oder Arturos Todessehnsucht anzudeuten, ist Ansichtssache. Auch durchbricht Loy eigentlich seinen Ansatz, wenn er kurz vor der geplanten Hochzeit zwischen Arturo und Isoletta die "Straniera" mit einer Königskrone im Hochzeitskleid auftreten lässt, um mit Arturo zum Altar zu schreiten. Selbst wenn dies nur ein Traumbild Arturos darstellen soll, der zwar einer Vermählung mit Isoletta auf Alaides/Agneses Drängen hin zugestimmt hat, im tiefsten Innern seines Herzens sich aber vielleicht der Illusion hingibt, dass es Alaide ist, die er nun zum Altar führt, wird nicht nachvollziehbar, wieso sich Alaide/Agnese in dieser Phantasievorstellung bereits mit Krone präsentieren sollte.

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Zwei Frauen mit gleichem Schicksal? Isoletta (Ieva Prudnikovaite, rechts) und Alaide/Agnese (Marlis Petersen)

Von der Sängerbesetzung aus Zürich ist nur Benjamin Bernheim in der Partie des Osburgo zu erleben, der für das Ensemble-Mitglied Albrecht Kludszuweit, der eigentlich für diese Rolle vorgesehen war, eingesprungen ist. Mit kräftigem Tenor stattet er Arturos Kammerdiener aus und stellt die Boshaftigkeit der Figur, die mit einer perfiden Freude die Dorfgemeinschaft gegen die "Straniera" aufhetzt, gekonnt dar. Aus dem Ensemble des Aalto-Theaters punkten vor allem Baurzhan Anderzhanov als Priore, Ieva Prudnikovaite als verschmähte Isoletta und Alexey Sayapin als Arturo. Anderzhanov verleiht dem Priore mit dunklem Bass die entsprechende Autorität der Figur. Prudnikovaite begeistert mit  warmem und wohl-timbriertem Mezzo, der die Leiden der jungen Isoletta mehr als spürbar macht. Mit Sayapin verfügt das Aalto-Theater über einen vielversprechenden Tenor, der die Partie des Arturo mit jugendlichem Glanz gestaltet, auch wenn die Strahlkraft in den Höhen noch ein wenig ausbaufähig ist. Dafür widersetzt sich Sayapin allerdings der Versuchung, in den Spitzentönen dieser anspruchsvollen Partie zu forcieren. Der Chor unter der Leitung von Alexander Eberle hat an diesem Abend noch nicht seine Bestleistung erreicht. In den schnellen Parlando-Stellen, in denen die Gemeinschaft von den Ereignissen am See berichtet, stimmt die Abstimmung mit dem Orchester im Bereich der Tempi noch nicht ganz, so dass der Gesang der Musik immer ein wenig hinterherzulaufen scheint. In den dramatischen Stellen trumpft der Chor als Dorfgemeinschaft allerdings fulminant auf.

Einen musikalischen Höhepunkt bilden auch die beiden für diese Inszenierung engagierten Gastsolisten. Luca Grassi begeistert als Baron Valdeburgo mit markantem Bariton, der sowohl in den Höhen absolut sicher klingt, als auch in den Tiefen ein breites Fundament besitzt. So wird das Duett mit Sayapin im zweiten Akt "Sulla salma del fratello", in dem Valdeburgo Arturo unterstellt, die "Straniera" nicht wirklich zu lieben, zu einer musikalischen Sternstunde des Abends. Auch Marlis Petersen wird der überaus anspruchsvollen Titelpartie mehr als gerecht. Mit großartigen Koloraturen meistert sie die schwierige Partie und changiert zwischen der leidenden Frau zu Beginn der Oper, wenn sie in eher sanften Tönen ihr Leid beklagt, und emotionsgeladenen Gefühlsausbrüchen am Ende des ersten Aktes in ihrer Arie "Un grido io sento", wenn sie von der Dorfgemeinschaft des Mordes bezichtigt wird, und in ihrer großen Wahnsinnsarie "Ciel pietoso", in der sie den Tod Arturos beklagt und beschließt, nicht als Königin an den französischen Hof zurückzukehren, sondern als Arturos Witwe ihr Leben in Einsamkeit zu beschließen. Josep Caballé Domenech lotet mit den Essener Philharmonikern die emotionsgeladene Musik Bellinis großartig aus, so dass es am Ende für alle Beteiligten großen Applaus gibt, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

FAZIT

Diese Belcanto-Rarität sollte man sich in Essen nicht entgehen lassen, auch wenn man vielleicht nicht jeden Regie-Einfall Loys nachvollziehen kann. (Weitere Termine: 4., 6., 9. 15., 19. und 21. März 2014 und 9., 11. und 13. April 2014)


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Josep Caballé Domenech

Inszenierung
Christof Loy

Bühne
Annette Kurz

Kostüme
Ursula Renzenbrink

Licht
Franck Evin

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Dramaturgie
Thomas Jonigk
Kathrin Brunner

 

Opernchor des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker

 

Solisten

Alaide
Marlis Petersen

Isoletta
Ieva Prudnikovaite

Graf Arturo di Ravenstel
Alexey Sayapin

Baron Valdeburgo
Luca Grassi

Osburgo
Albrecht Kludszuweit /
*Benjamin Bernheim

Il Signore di Montolino
Tijl Faveyts

Il Priore degli Spedalieri
Baurzhan Anderzhanov



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